VG Schwerin

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Zitieren als:
VG Schwerin, Beschluss vom 10.03.2014 - 3 B 215/14 As - asyl.net: M21855
https://www.asyl.net/rsdb/M21855
Leitsatz:

Keine Gefahr für Asylbewerber aufgrund der erfolgreichen Volksabstimmung "Gegen Masseneinwanderung" in der Schweiz.

Schlagwörter: Dublinverfahren, Schweiz, systemische Mängel, Volksabstimmung, "Gegen Masseneinwanderung", Dublin II-VO, Dublin III-Verordnung,
Normen: GR-Charta Art. 4, EMRK Art. 3, AsylVfG § 34a Abs. 2, AsylVfG § 27a,
Auszüge:

c) Die Antragsteller haben weder vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, dass das Asylverfahren in der Schweiz oder die Unterbringung von Asylbewerbern durch die Schweizer Eidgenossenschaft mit systemischen (systemimmanenten) Mängel belastet ist und die Schweiz daher nicht in der Lage ist, ein den Anforderungen an europäisches Recht genügendes Asylverfahren durchzuführen. Es gibt auch keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass überstellte Asylbewerber in der Schweiz tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GrCH) bzw. Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ausgesetzt zu werden (grundlegend dazu EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10, C-411/10, C-493/10 –, juris; Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Beschluss vom 02. April 2013 – 27725/10 –, juris; vgl. auch VG Schwerin, Beschluss vom 15. März 2013 – 3 B 111/13 As –, juris Rn. 17 ff. und Beschluss vom 13. November 2013 – 3 B 315/13 As –, juris Rn. 14 ff. je mwN - jeweils betreffend die Republiken Griechenland bzw. Italien).

b) Soweit die Antragsteller geltend machen, wegen der erfolgreichen Volksabstimmung "Gegen Masseneinwanderung" vom 9. Februar 2014 zur Frage der Begrenzung des Zuzugs von Ausländern sei die Schweiz nicht mehr als sicherer Drittstaat einzustufen, vermögen sie damit nach summarischer Prüfung nicht durchzudringen. Die in die Verfassung einzufügenden Bestimmungen lauten nach Angaben der Schweizer Bundeskanzlei auf deren Homepage: "Eidgenössische Volksinitiative 'Gegen Masseneinwanderung'

Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:

Art. 121 Sachüberschrift (neu)

Gesetzgebung im Ausländer- und Asylbereich

Art. 121a (neu) Steuerung der Zuwanderung

1 Die Schweiz steuert die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern eigenständig. 2 Die Zahl der Bewilligungen für den Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz wird durch jährliche Höchstzahlen und Kontingente begrenzt. Die Höchstzahlen gelten für sämtliche Bewilligungen des Ausländerrechts unter Einbezug des Asylwesens. Der Anspruch auf dauerhaften Aufenthalt, auf Familiennachzug und auf Sozialleistungen kann beschränkt werden. 3 Die jährlichen Höchstzahlen und Kontingente für erwerbstätige Ausländerinnen und Ausländer sind auf die gesamtwirtschaftlichen Interessen der Schweiz unter Berücksichtigung eines Vorranges für Schweizerinnen und Schweizer auszurichten; die Grenzgängerinnen und Grenzgänger sind einzubeziehen. Maßgebende Kriterien für die Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen sind insbesondere das Gesuch eines Arbeitgebers, die Integrationsfähigkeit und eine ausreichende, eigenständige Existenzgrundlage. 4 Es dürfen keine völkerrechtlichen Verträge abgeschlossen werden, die gegen diesen Artikel verstossen.5 Das Gesetz regelt die Einzelheiten.

II

Die Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung werden wie folgt geändert:

Art. 197 Ziff. 9 (neu)

9. Übergangsbestimmung zu Art. 121a (Steuerung der Zuwanderung)

1 Völkerrechtliche Verträge, die Artikel 121a widersprechen, sind innerhalb von drei Jahren nach dessen Annahme durch Volk und Stände neu zu verhandeln und anzupassen. 2 Ist die Ausführungsgesetzgebung zu Artikel 121a drei Jahre nach dessen Annahme durch Volk und Stände noch nicht in Kraft getreten, so erlässt der Bundesrat auf diesen Zeitpunkt hin die Ausführungsbestimmungen vorübergehend auf dem Verordnungsweg." (http://www.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis413t.html).

Daraus ergibt sich, dass zwar auch der Zuzug von Asylbewerbern ("unter Einbezug des Asylwesens") beschränkt werden soll. Aus der vorgeschlagenen neuen Ziffer 9 des Art. 197 folgt aber auch, dass völkerrechtliche Verträge, die den Vorgaben der Steuerung der Zuwanderung nach Art. 121a widersprechen, innerhalb von drei Jahren "nach der Annahme durch Volk und Stände" neu zu verhandeln und anzupassen seien, also bis Anfang 2017. Daher ist derzeit davon auszugehen, dass die die Dublin II-VO und Dublin III-VO betreffenden völkerrechtlichen Verträge mit der Schweizer Eidgenossenschaft vorerst in Kraft bleiben und von den zuständigen schweizer Behörden auch angewendet werden.

Dem steht auch nicht entgegen, dass möglicherweise von den angenommenen Bestimmungen zur Ausländerbegrenzung Vorwirkungen insoweit ausgehen könnten, als es den zuständigen schweizer Verfassungsorganen untersagt sein könnte, dem vorgeschlagenen Art. 121a widersprechende völkerrechtliche Verträge noch zu verhandeln oder zu ratifizieren (vgl. dazu Forster "Zweifel an der Vereinbarkeit mit Freihandelsabkommen", Neue Zürcher Zeitung vom 1. März 2013 - www.nzz.ch/aktuell/schweiz/zweifel-an-vereinbarkeit- mit-freihandelsabkommen-1.18253721):

Darum geht es hier indessen nicht, weil es bei den in Rede stehenden Bestimmungen um bindendes Völkerrecht geht, das erst künftig ggf. anzupassen ist. [...]