VG Freiburg

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Zitieren als:
VG Freiburg, Urteil vom 19.02.2014 - A 6 K 139/12 - asyl.net: M21908
https://www.asyl.net/rsdb/M21908
Leitsatz:

1. Die Rechtskraft eines auch unter Berücksichtigung des Terrorismusvorbehalts zur Asylanerkennung und positiven Feststellung zu § 51 Abs. 1 AuslG (juris: AuslG 1990) (a.F.) verpflichtenden Verwaltungsgerichtsurteils steht dem Widerruf der Feststellungen zu § 51 Abs. 1 AuslG (juris: AuslG 1990) (a.F.) nicht gem. § 121 Nr. 1 VwGO entgegen, wenn der Betroffene nach Rechtskraft des Urteils seine Unterstützung für eine terroristische Organisation deutlich intensiviert hat.

2. Dass Babbar Khalsa International den Separatismus der Sikhs und die Bestrebungen nach einem unabhängigen Khalistan unter anderem auch mit terroristischen Mitteln unterstützt, ergibt sich schon ungeachtet der Auflistung auch dieser Organisation auf der EU-Terrorismusliste (Beschluss des Rates der Europäischen Union v. 10.2.2014 - 2014/72/GASP) aus anderen Erkenntnisquellen, so dass die Frage der Bindungswirkung dieser Liste dahinstehen kann.

3. Den Zielen der Vereinten Nationen handelt im Sinne von § 3 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AsylVfG zuwider, wer in herausgehobener Führungsposition propagandistisch, aber auch durch eigene Geldspendensammlung in erheblichem Umfang und in einem Einzelfall auch durch eigene gewalttätige Spendengeldeintreibung die Bestrebungen der Babbar Khalsa International über viele Jahre hinweg unterstützt, sich mit den auch Gewalteinsatz nicht ausschließenden Zielen identifiziert und sich nicht ernsthaft und glaubwürdig von dieser Organisation distanziert.

Für eine solche Distanzierung genügt die bloße Austrittserklärung nicht, wenn die sonstigen Umstände nichts für eine wirkliche innere Abkehr und einen grundlegenden Gesinnungswandel hergeben.

4. Erlässt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vor diesem Hintergrund einen Widerrufsbescheid, so ist es gem. § 73 Abs. 3 AsylVfG (in der Fassung der Novelle vom 28.8.2013 - BGBl. I, S. 3474) verpflichtet, zugleich von Amts wegen das Vorliegen von nationalen subsidiären Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG zu prüfen.

5. Einem in der oben genannten Weise aktiven Sikh, der seinerzeit schon in Indien Vorverfolgung einschließlich schwerer Folterungen durch die indischen Sicherheitskräfte erlitten hat, droht im Falle seiner Rückkehr nach Indien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr erneuter Folter, so dass er Anspruch auf den Abschiebungsschutz des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK hat, der ihm absoluten, von seinen terroristischen Aktivitäten unabhängigen Schutz gewährt.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Terrorismusvorbehalt, Terrorismus, Asylanerkennung, Flüchtlingsanerkennung, Babbar Khalso International, Sikhs, Indien, Vereinte Nationen, Ziele der Vereinten Nationen, Khalistan, Widerruf, terroristische Vereinigung, Folter, Ausschlussgrund, Asylunwürdigkeit,
Normen: AsylVfG § 3 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, AsylVfG § 73 Abs. 3, EMRK Art. 3, AufenthG § 60 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

Diese Voraussetzungen für den Widerruf der Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sind im Fall des Klägers hier erfüllt.

Dabei steht die Rechtskraft des Urteils des VG Ansbach, mit dem die Beklagte seinerzeit zur positiven Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG verpflichtet wurde, im vorliegenden Fall der Widerrufsentscheidung nicht nach § 121 Nr. 1 VwGO entgegen. Insoweit haben sich hier nämlich nach dem Urteil des VG Ansbach vom 18.8.1995 die dafür entscheidungserheblichen Sachverhalte nachträglich maßgeblich verändert (zur Zulässigkeit des Widerrufs trotz rechtskräftigen Verpflichtungsurteils in diesem Fall BVerwG, U. v. 22.11.2011 - 10 C 29/10 -, juris, Rd.Nrn. 16, 17).

Hier hatte der Kläger zwar schon zum Zeitpunkt der Entscheidung des VG Ansbach eine Funktionärsposition für die Babbar Khalsa International Deutschland inne. Damals beschränkten sich aber seine Aktivitäten nach den Feststellungen des VG Ansbach auf propagandistische Handlungen, einseitige Sympathiebekundungen, und ähnliche Handlungen, die nach dem Urteil dieses Verwaltungsgerichts noch nicht die Schwelle zum Asylausschlussgrund des von der Rechtsprechung zu Art. 16 a Abs. 1 GG entwickelten "Terrorismusvorbehalts" überschritten.

Wie aber bereits die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts und auch der Verwaltungsgerichtshof in der entsprechenden Beschwerdeentscheidung im Ausweisungsverfahren festgestellt haben, hat der Kläger "seit Mitte der 1990er Jahre seine Aktivitäten demgegenüber deutlich intensiviert und gesteigert". Von daher kann er nicht geltend machen, ihm würden nunmehr paradoxerweise Aktivitäten als Grundlage für einen Ausschluss von der gewährten Flüchtlingsanerkennung angelastet, die er so auch schon seinerzeit an den Tag gelegt habe ohne dass dies seiner damaligen Anerkennung entgegengestanden habe. Denn er war seither nicht nur nunmehr auch auf Bundesebene Vorstandsmitglieder der Babbar Khalsa International, also in einer führenden Funktion tätig, sondern hat in dieser Funktion auch Geldspenden für die Organisation in beachtlichem Ausmaß beschafft und sich insbesondere dabei selbst gewalttätig verhalten, als er einen Landsmann zusammen mit drei anderen Sikhs in diesem Zusammenhang wegen Geldspenden mit gefährlicher Körperverletzung, Drohung und Nötigung drangsaliert, wofür er rechtskräftig verurteilt wurde. Schon deshalb kann im Übrigen keine Rede davon sein, er habe sich in der Bundesrepublik jahrelang "wohlverhalten". Seine Aktivitäten waren als hochrangig, langandauernd (über eine Jahrzehnt hinweg mindestens bis 2011) und selbst unter anderem auch zumindest einmal nachgewiesenermaßen gewalttätig. Außerdem hat der sowohl in dem Sicherheitsgespräch als auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht im Ausweisungsverfahren noch bis Februar 2011 erkennen lassen, dass er durchaus separatistische Gewalthandlungen seiner Organisation billigt und für gerechtfertigt hält, wenn sie der gerechten Sache der Sikhs und einem freien Khalistan dienen. Die Babbar Khalsa International steht zudem - nach wie vor - auf der Terrorismusliste der EU (Beschl. des Rats der Europäischen Union v. 10.02.2014 - 014/72/GASP - ABl. L 40/56). Das ist - auch wenn dieser Liste im vorliegenden Fall keine Bindungswirkung für die Beklagte und ihre Entscheidung zukommen dürfte - zumindest ein Indiz dafür, dass es sich um eine terroristische Organisation handelt, zumal mittlerweile auch Möglichkeiten für solche Organisationen existieren, sich mit Rechtsmitteln vor dem EuGH gegen die Aufnahme auf einer solchen Liste zur Wehr zu setzen (vgl. dazu GK-AufenthG, Rd.Nr. 277, 278 zu § 60 AufenthG), von denen aber die Babbar Khalsa International bislang keinen Gebrauch gemacht hat. Die terroristischen Umtriebe der Babbar Khalsa ergeben sich zudem nicht allein aus ihrer Auflistung auf der Terrorismusliste, sondern schon unabhängig davon aus den vom Bundesamt im angefochtenen Bescheid genannten Erkenntnismitteln (Südasieninstitut, Bundesamt für Verfassungsschutz). Im Übrigen wird auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs im Ausweisungsverfahren mit den entsprechenden Feststellungen zum terroristischen Charakter dieser Organisation verwiesen, sowie auf die ausführliche Entscheidung des VGH Bad.-Württ. (U. v. 21.04.2010 - 11 S 200/10 - juris) zu der mit Babbar Khalsa kooperierenden International Sikh Youth Federation (ISYF). Auch in der übrigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte wird Babbar Khalsa entsprechend als terroristische militante Sikh Organisation eingestuft (vgl. VG Gelsenkirchen, U. v. 07.09.2004 - 14 K 79/03.A -, juris; VG Mainz, U. v. 27.04.2005 - 7 K 755/04. MZ-, juris; VG Darmstadt, U. v. 23.01.2009 - 5 K 386/08.-DA -, juris; alle diese Entscheidungen enthalten ausführliche Darstellungen der Erkenntnisquellen zu Babbar Khalsa).

All das genügt an sich bereits für die Verwirklichung des Ausschlussgrundes nach § 3 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AsylVfG.

Auf eine Wiederholungsgefahr als solche kommt es nach dem oben Gesagten dabei nicht an. Von daher könnte an sich sogar völlig offenbleiben, ob der Kläger seit seinem Austritt aus der Organisation im März 2011 bis heute überhaupt jemals wieder aktiv war oder Kontakt mit dieser Organisation hatte. Auf die von ihm angeregte Einholung einer aktuellen Auskunft des Landeskriminalamtes und des Landesamtes für Verfassungsschutz kommt es deshalb gar nicht an, wie sie die Ausländerbehörde im Rahmen der Prüfung seines Antrags auf nachträglich Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung Ende 2013 wohl in die Wege geleitet hat.

Der Widerruf wäre hier aber selbst dann rechtmäßig, wenn man auf eine Wiederholungsgefahr abstellen wollte, wie sie in dem insoweit strengeren Ausweisungsrecht gefordert wird, bzw. selbst wenn man der Ansicht wäre, dass eine einschränkende Auslegung des Ausschlussgrundes des § 3 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 AsylVfG dann angezeigt sein kann, wenn es sich bei der Terrorismusunterstützung um sehr lange zurückliegende Taten oder gar "Jugendsünden" handelt bzw. ein Minimum an Aktualität der Taten fordert. Denn selbst dann wäre in jedem Fall ein glaubwürdige und ernsthafte deutliche aktuelle Distanzierung von diesen Unterstützungshandlungen deshalb notwendig, weil nur dann keine Wiederholungsgefahr mehr angenommen werden kann bzw. dann von einer aktuell fortbestehenden Asylunwürdigkeit wegen eines den Vereinten Nationen und ihren Grundsätzen zuwiderlaufenden Verhaltens womöglich keine Rede mehr sein könnte (siehe zu einer solchen womöglich einschränkenden Anwendung dieses Ausschlussgrundes VGH Bad.-Württ., Urt. v. 21.04.2010 - 11 S 200/10 - juris, Rd.Nr. 68, 69; siehe im Übrigen ausführlich zu solchen den Ausschlussgrund einschränkenden Erwägungen GK AufenthG, Rd.Nrn. 260 - 262 m.w.N.).

Dafür aber ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich. Es kann dahin gestellt bleiben, ob der Kläger tatsächlich drei Jahre lang keinerlei Aktivitäten mehr für die Babbar Khalsa International an den Tag gelegt hat. Denn selbst wenn dies so zuträfe, würde dies an seiner Asylunwürdigkeit, die er durch das Zuwiderhandeln gegen die Ziele der vereinten Nationen begründet hat, nichts ändern. Das Gericht ist nämlich nach ausführlicher Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung insbesondere zu den Gründen und Motiven seines Austritts aus dieser Vereinigung nicht der Überzeugung, dass dem ein ernsthafter Gesinnungswandel oder gar eine ernsthafte innere Abkehr von den Zielen dieser Vereinigung und eine glaubwürdige Distanzierung von den Unterstützungshandlungen des Klägers zugrunde liegt.

Schon die vom Kläger erstmals mit der Klagebegründung vom 26.01.2012 vorgelegte Meldung der Media Punjab - German News vom 20.03.2011 (GAS 11) beinhaltet lediglich, dass der Kläger am 18.03.2011 noch in seiner Funktion als Pressesprecher und Amtssekretär der Babbar Khalsa International Deutschland die Medien informierte und erklärte, dass er "seit 2011" von seinen beiden Ämtern zurück tritt. Seit diesem Jahr bestehe keine Verbindung zwischen ihm und der Partei und deren Aktivitäten. Er bitte deshalb alle Presseagenturen, seinen Namen von Parteiaktivitäten und Meldungen darüber auszuschließen. Er habe seit diesem Jahr keinerlei Beziehungen mehr, weder eine Position noch sonst etwas. Und sein Name solle in keiner Form benutzt werden.

Bereits der Inhalt dieser Meldung zeigt, dass der Kläger hier jedenfalls noch bis zur Abgabe dieser Erklärung offenbar das Amt als Pressesprecher und Amtssekretär inne hatte. Soweit er darin angibt, "seit 2011", nämlich seit dem Jahr 2011 keinerlei Beziehungen mehr zur Partei zu haben und seine Ämter niedergelegt zu haben, widerspricht dies sogar auch seinen Angaben, die er in der mündlichen Verhandlung bezüglich seiner Ausweisung vor dem Verwaltungsgericht Freiburg am 11.02.2011, also nur wenige Wochen zuvor, eindeutig gemacht hat. Dort hat er nämlich klar angegeben, er sei zur Zeit noch Office Secretary der Vereinigung. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit liege darin, Mitglieder in Deutschland anzurufen und Kundgebungen oder Programme zu organisieren (siehe GAS 83 ff der beigezogenen Gerichtsakten 5 K 976/10). Es kann also schon nicht davon die Rede sein, dass der Kläger "im Jahr 2011" gar keine Aktivitäten oder Funktionen mehr für die Babbar Khalsa International in Deutschland ausgeübt habe. Denn wenige Wochen zuvor hat er genau das Gegenteil erklärt.

Im Übrigen fällt auf, dass die Meldung über den Austritt des Klägers aus der Partei offenbar allein darauf abzielt, ihn aus dem Fokus internationalen Interesses oder indischer Strafverfolgungsbehörden oder sonstiger Strafverfolgungsbehörden zu rücken. Denn auffälligerweise wird mehrfach erwähnt, man möge seinen Namen nicht mehr erwähnen. Irgendwelche Gründe für seinen Parteiaustritt hat er ausweislich dieser Meldung auch nicht dargelegt oder angegeben. Für eine innere Abkehr und einen Gesinnungswandel ist jedenfalls dieser Meldung nichts zu entnehmen.

Soweit der Kläger dann mit Schreiben vom 14.02.2012 im vorliegenden Verfahren erklärt hat, er habe bereits vor fast einem Jahr seine Mitgliedschaft und Aktivität aufgegeben, also weit vor Erlass der streitgegenständlichen Widerrufsverfügung eingestellt, fällt auf, dass der Kläger davon bisher erstaunlicherweise während des gesamten Widerrufsverfahren mit keinem Wort etwas erwähnt hat. Obwohl er sogar im vorliegenden Widerrufsverfahren ausdrücklich noch einmal von der Beklagtenseite mit Schreiben vom 07.10.2011 an den Klägervertreter unter Hinweis auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg im Ausweisungsverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt bekam, hat er seinerzeit dazu nichts ausgeführt und insbesondere seine bereits im März 2011 angeblich vollständige Beendigung aller Kontakte und Aktivitäten für Babbar Khalsa mit keinem Wort erwähnt. In seiner Stellungnahme vom 18.10.2011 hat er nichts dazu geäußert und auch in der späteren Stellungnahme vom 09.11.2011 hat er dieser Stellungnahme erklärtermaßen nichts hinzuzufügen gehabt. Wäre er aber bereits ein halbes Jahr zuvor, wie nunmehr vorgetragen, eindeutig und unwiderruflich von allen Ämtern bei Babbar Khalsa zurückgetreten und hätte einen deutlichen Gesinnungswandel an den Tag gelegt, so hätte nichts näher gelegen, als speziell darauf bezogen diese Austrittserklärung bzw. den Umstand dieses Austritts und die entsprechenden Pressemeldungen dazu dem Bundesamt im Widerrufsverfahren vorzulegen, um darauf gestützt die Einstufung als asylunwürdig zu erschüttern und zu versuchen, einen Widerruf abzuwenden. Das hätte umso näher gelegen, als der Kläger vom Verwaltungsgericht im Urteil zu seiner Ausweisung sogar ausdrücklich bescheinigt bekommen hatte, seine angeblich gewandelte Einstellung zur Gewalt sei ein bloßes Lippenbekenntnis. Gegen dieses Urteil ist er aber nicht mit Rechtsmitteln vorgegangen, obwohl er in der noch laufenden Rechtsmittelfrist gerade seinen angeblichen vollständigen Austritt und den Abbruch aller Beziehungen zu Babbar Khalsa bewerkstelligt hatte, worauf gestützt er ohne weiteres hätte versuchen können, einen Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil beim Verwaltungsgerichtshof mit der Begründung einzureichen, er habe nun deutlich gemacht, dass es sich nicht um ein bloßes Lippenbekenntnis handele, und dass er es ernst meine und deshalb aus allen Ämtern ausgeschieden sei. Obwohl ihn der Kläger- Vertreter seinerzeit innerhalb der laufenden Rechtsmittelfrist ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass er die Möglichkeit eines Rechtsmittels habe und darum gebeten hatte, dem Kläger-Vertreter mitzuteilen, ob dagegen Rechtsmittel eingelegt werden solle, hat der Kläger seinem Kläger-Vertreter offenbar überhaupt nichts von dem damals ganz aktuellen Austritt bei Babbar Khalsa mitgeteilt, was nahegelegen hätte und sei es nur, um dem Kläger-Vertreter die Prüfung zu ermöglichen, ob darauf gestützt die Berufung gegen das die Ausweisung bestätigende Urteil des Verwaltungsgerichts nicht hätte versucht werden können.

Auffällig ist auch, dass die vom Kläger vorgelegte Kündigung und deren Bestätigung (Schreiben vom 18.03.2011 des Klägers an die Babbar Khalsa Organisation und deren Präsidenten bzw. Antwort des Präsidenten der Organisation vom 20.03.2011, GAS 67 u. 69) in deutscher Sprache abgefasst sind, obwohl kaum anzunehmen ist, dass der Kläger und der Präsident in dieser ihnen wohl kaum wirklich ausreichend geläufigen Sprache miteinander kommunizieren. Hier hätte vielmehr näher gelegen, dass er in seiner Muttersprache eine solche Erklärung abgibt und empfängt. Als Übersetzung muttersprachlicher Schreiben sind jedenfalls diese beiden vorgelegten Schriftstücke nicht bezeichnet worden und entsprechende muttersprachliche Originale sind auch nicht vorgelegt worden. Dieser Umstand aber zeigt, dass hier eine lediglich zur Kenntnisnahme durch die deutschen Behörden und Gerichte bestimmte Erklärung demonstrativ, nämlich allein zum Zweck des Vorzeigens bestimmt, produziert wurde.

Schließlich enthält die Erklärung auch keinerlei Begründung, wies es etwa nahe gelegen hätte, wenn der Kläger tatsächlich, so wie er es nunmehr in der mündlichen Verhandlung behauptet hat, aus familiären Gründen und um sich weiteren Streit mit Behörden und Gerichten zu ersparen, nach Jahrzehnten aktiver umfassender und hochrangiger Unterstützung für die Organisation auf einmal alle seine Ämter niedergelegt hätte. Dazu findet sich aber in der Erklärung nichts.

Zudem spricht auch das gesamte Verhalten des Klägers in der mündlichen Verhandlung in keiner Weise dafür, dass er hier eine deutliche innere Abkehr von seinem bisherigen Verhalten an den Tag gelegt hat. Irgendeine nachvollziehbare Motivation für einen angeblichen fundamentalen Gesinnungswandel war dem Kläger trotz mehrfacher gezielter Nachfragen nicht zu entlocken. Er hat hier sehr einsilbig und ganz stereotyp immer wieder nur darauf Bezug genommen, er habe mehr Zeit für seine Familie gebraucht, ohne dass er allerdings dann konkret darlegen konnte, weshalb er in den letzten Jahren etwa infolge seiner Berufstätigkeit oder Tätigkeit für die Organisation nur wenig bis gar keine Zeit für seine Familie gehabt haben sollte. Dass er als Feldarbeiter in ... rund um die Uhr beruflich eingespannt ist und allenfalls am Sonntag mal Zeit hat, ist schon nicht recht nachvollziehbar. Auch dass er jede freie Minute für Parteitätigkeiten aufgewendet hätte und deshalb hätte seine Familie vernachlässigen müssen, lässt sich dem gesamten Akteninhalt nicht nachvollziehbar entnehmen. Er selbst hat beim Verwaltungsgericht im Verfahren bezüglich seiner Ausweisung aber auch im vorliegenden Verfahren eher abschwächend darauf verwiesen, seine Presse- und Propagandasekretärstätigkeit sei relativ unbedeutend gewesen und habe deutlich im Umfang abgenommen, und er habe lediglich ein paar wenige Male im Jahre an bestimmten Veranstaltungen teilgenommen. Zu einem Konflikt mit seinem Familienleben konnte es insofern also gar nicht ernsthaft gekommen sein. Dieser Grund kann also letzten Endes nicht wirklich ausschlaggebend für den Abbruch seiner Beziehungen zur Babbar Khalsa-Organisation gewesen sein, wie er ihn nunmehr in den Vordergrund stellt.

Auch soweit er darauf Bezug nimmt, er habe sich "Stress mit Behörden und Gerichten" ersparen wollen und seine Ruhe haben wollen, zeigt dies lediglich, dass er sich die mit den Widerrufs- und Ausweisungsverfahren verbundenen Nachteile und insbesondere auch die mit der wöchentlichen Meldepflicht, wie er sie nach der rechtskräftigen Ausweisungsverfügung zu befolgen hat, verbundenen Nachteile und Erschwernisse schlichtweg ersparen bzw. vom Hals schaffen möchte. Einen inneren Einstellungswandel und eine Abkehr von seinen früheren Zielen und Tätigkeiten stellt dies indessen gerade nicht dar. Wer lediglich Nachteile vermeiden möchte, der agiert ganz offensichtlich allein taktisch, ohne dass dem ein sonstiger Einstellungswandel zugrunde liegt. Ein wirklich anerkennungswürdiges Motiv für einen Austritt könnte insoweit allenfalls dann vorliegen, wenn der Kläger sich ernsthaft mit seinem bisherigen Verhalten beschäftigt hat, erkannt hat, was daran falsch ist, und glaubhaft darlegt, weshalb er nun mehr der Ansicht ist, dass er diesen Weg nicht weitergehen möchte. Wer hierzu lediglich vorträgt, die mit dem Verhalten verbundenen Nachteile bei Behörden und Gerichten seien ihm lästig und bereiteten ihm Stress, lässt einen solchen Einstellungswandel nicht erkennen. Von Einsicht kann insoweit nicht die Rede sein, sondern allenfalls davon, sich damit einem Druck zu beugen. Das aber genügt nicht für eine glaubhaft Distanzierung, um die durch die bisherigen Handlungen dokumentierte Unwürdigkeit "aus der Welt zu schaffen".

Dass der Kläger mit seinen Parteifreunden und langjährigen Parteikollegen überhaupt nicht über die Gründe seines Austritt gesprochen haben will, dass ihn niemand dazu befragt hat und dass es insoweit auch keine Kritik daran oder einen Rechtfertigungsdruck gegeben hat, wie der Kläger es nunmehr in der mündlichen Verhandlung darzustellen versuchte, vermag ihm das Gericht nicht abzunehmen. Wer jahrzehntelang in der Weise aktiv für eine Organisation war und sich ihr vollständig verschrieben hat und dafür in Indien sogar Folter erleiden musste, wie dies der Kläger ganz offenkundig getan hat, der tritt nicht einfach von heute auf morgen ohne Angabe von Gründen aus und wird von seinen Parteifreunden auch nicht ohne jede Kritik oder Frage nach den Motiven einfach gehen gelassen. In solchen Organisationen dürfte vielmehr der Regelfall sein, dass einem solchen Menschen, gerade weil er jahrzehntelang auch Insider-Kenntnisse gesammelt hat, womöglich gar Verrat vorgeworfen und Konsequenzen angedroht worden. Dafür war dem gesamten Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung überhaupt nichts zu entnehmen.

Vollends unglaubwürdig werden die Aussagen und das Verhalten des Klägers, wenn man seine Antworten zu dem Inhalt des Parteiemblems berücksichtigt. Obwohl die Babbar Khalsa International-Germany offenbar schon seit Jahrzehnten in ihrem Logo an auffälliger exponierter Stelle zwei gekreuzte Sturmgewehre oder Langwaffen aufweist, (siehe GAS 69, siehe aber auch schon Bundesamtsakte aus dem Asylanerkennungsverfahren von 1993 - dort AS 135) gab der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf Vorhalt allen Ernstes an, er wisse nicht, was das bedeute, er könne dazu nichts sagen, er habe dazu keinerlei Meinung und sich auch noch nie mit seinen Parteikollegen darüber unterhalten. Vor dem Hintergrund, dass er im Sicherheitsgespräch ganz offenkundig keine Probleme damit hatte, dass die Sikhs sich gegenüber vermeintlichem Unrecht, das ihnen durch die indischen Behörden zugefügt wird, für berechtigt halten, auch gewaltsam zurückzuschlagen, erscheint es aber nur stimmig, dass im Emblem der Partei an exponierter Stelle auch zwei gekreuzte Gewehre dargestellt werden, die ganz symbolhaft eindeutig und sinnbildlich in den Vordergrund rücken, dass man sich hier auch einem bewaffneten Kampf verpflichtet sieht. Dafür verspricht auch die militärische Terminologie, mit der die Babbar Khalsa International ihre Führungsspitze selbst bezeichnet ("High Command"; "Oberkommando"; siehe dazu BAS 145 bei der Erstanhörung des Klägers durch das Bundesamt am 23.03.1995, wo er selbst ausführt, er sei in Deutschland im "High Command" Propagandasekretär, und siehe BAS. 136 aus dem Asylanerkennungsverfahren, wo auch dieser Begriff in einer Punjabi-sprachigen Zeitschrift Punjab Times International vom 22.02.1995 bezogen auf die Führungsspitze der Babbar Khalsa mehrfach verwendet wird).

Wenn der Kläger sich dann aber in der mündlichen Verhandlung auf eine derart klare Frage zur Verwendung eines aggressive Gewaltbereitschaft betonenden Parteilogos schlichtweg "dumm stellt", dann kann von einem Einstellungswandel gegenüber solcher Gewalt nicht abgeneigten Tätigkeit dieser Organisation keine Rede sein. Im Gegenteil, es zeigt vielmehr, dass der Kläger, indem er sich möglichst bedeckt hält und einsilbige Antworten gibt, gerade seine inneren Beweggründe zu verschleiern sucht.

Nach allem nützt es nichts, dass der Kläger hier betont, sein Austritt aus der Partei, den er förmlich vollzogen haben mag, und seine bislang dreijährige Untätigkeit für die Partei belege, dass er sich die mit dem Ausweisungs- und Widerrufsverfahren verbundenen Nachteile gewissermaßen habe "zur Warnung dienen lassen".

Zum Fehlen glaubwürdiger Distanzierung in Fällen von Ausländern, die einer terroristischen Bestrebung Vorschub leisteten, hat auch die Verwaltungsrechtsprechung ähnliche Ausführungen gemacht (siehe etwa VG Düsseldorf, Urt. v. 07.12.2010 - 22 K 3115/09 - juris, Rd.Nr. 31, wonach eine wirkliche inhaltliche Auseinandersetzung mit der Frage und den Konsequenzen oder eine Distanzierung von den Zielsetzungen und Aktivitäten erforderlich ist; siehe insoweit auch BVerwG, Urt. v. 26.10.2010 - 1 C 19/09 -, juris, Rd.Nr. 24, 28, wonach selbst dann, wenn der Kläger seit fünf Jahren keine Bezüge und Verbindungen mehr zu einer Organisation hat, eine widerlegliche Vermutung dafür spricht, dass das bloß verbale Bestreiten eines Bezugs zu dieser Organisation für die glaubhafte Distanzierung von der Organisation und ihren terroristischen Zielen nicht genügt, insbesondere dann, wenn dies womöglich nur unter dem Druck eines anhängigen Widerrufs oder Ausweisungsverfahrens geschieht; vgl. ferner VG Darmstadt, Urt. v. 23.01.2009 - 5 K 386/08 - DA (3) - juris, Rd.Nr. 42 u. Rd.Nr. 70, wonach ein früheres Vorstandsmitglied der deutschen Sektion von Babbar Khalsa International ohne nachvollziehbar Distanzierung von den Zielen der Vereinigung nicht eingebürgert werden kann und der bloße Austritt aus dieser Vereinigung für eine solche Distanzierung nicht ausreicht. Insbesondere reichte ein Austritt nicht aus, wenn der Betreffende kurz vor seinem Austritt noch ein Funktionärsamt ausgeübt hatte. Außerdem müssen für eine Umorientierung und eine Art innerer Umkehr tatsächlich nachvollziehbare Schlüsselerlebnisse und Anlässe geschildert werden. Bloß vorgeschobene Erklärungen genügen insofern nicht. Es bedarf eine inneren Prozesses der Abkehr. Die Erklärung darf nicht einfach als taktisches Manöver zu werten sein; siehe schließlich VG Stuttgart, Urt. v. 06.06.2005 - A 4 K 10512/05 - juris).

Der Widerrufsentscheidung des Bundesamtes und ihrer Rechtmäßigkeit steht hier auch nicht entgegen, dass der Kläger seinerzeit vor der Ausreise bereits massive Foltermaßnahmen seitens der indischen Sicherheitskräfte erlitten hat. Insbesondere ergibt sich hieraus nicht eine Anwendbarkeit der Vorschrift des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG. Danach kann einem Ausländer der Wegfall der verfolgungsbegründenden Umstände dann nicht als Widerrufsgrund entgegen gehalten werden, wenn er sich auf zwingende, auf frühere Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen. Diese Vorschrift gilt aber nur bezüglich des § 73 Abs. 1 Satz 2. Dieser regelt, dass ein Widerruf insbesondere dann erfolgen kann, wenn die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft "nicht mehr vorliegen" und dass dies insbesondere dann der Fall ist, wenn der Ausländer nach Wegfall der verfolgungsbegründenden Umstände es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Gemeint sind hier also Widerrufsfälle, die allein darauf gründen, dass nun nach neuer aktueller Sachlage keine Verfolgungsgefahren mehr bei Rückkehr in den Heimatstaat drohen, wie sie ursprünglich der Anerkennung als Flüchtling bzw. Asylanerkennung noch zugrunde gelegen haben. Im vorliegenden Fall aber stützt sich der Widerruf nicht auf eine solche Konstellation. Vielmehr gründet er allein darauf, dass trotz noch fortbestehender Verfolgungsgefahr in Indien für den Kläger nachträglich nach seiner Anerkennung Ausschlussgründe wegen Asylunwürdigkeit bzw. flüchtlingsrechtlicher Unwürdigkeit aufgetreten sind, die zumindest dem Widerruf des Flüchtlingsstatus und Asylstatus rechtfertigen. In einem solchen Fall aber ist damit noch nichts über ein Abschiebungsverbot und drohende Verfolgungsgefahr als solche gesagt. Den besonderen Schutz des § 73 Abs. 1 Satz 3 bedarf nämlich nur jemand, der zwar in sein Heimatland zurück abgeschoben werden könnte, weil er dort nun wirklich nicht mehr objektiv einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt ist, dem aber eine Rückkehr dorthin schlichtweg deswegen psychisch nicht mehr zumutbar ist, weil er infolge früherer Verfolgungen, die er erlitten hat, schwerst traumatisiert ist. Ein Beispiel dafür wäre etwa ein Jude, der ein deutsches KZ überlebt hat, und dem eine Rückkehr nach Deutschland aus einem Exilland wegen der ihn belastenden Erinnerungen und Traumatisierung nicht zumutbar wäre, auch wenn er heute in Deutschland keinerlei Verfolgung mehr ausgesetzt wäre. Um einen solchen Fall geht es hier aber nicht.

2. Feststellungen des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG.

Der angefochtene Widerrufsbescheid ist aber rechtswidrig und verletzt den Kläger insoweit in seinen Rechten, als er keine positive Feststellung zum Vorliegen des Abschiebungsverbots des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bezüglich einer Abschiebung des Klägers nach Indien enthält.

Das Bundesamt hätte im Zusammenhang mit der Widerrufsentscheidung von Amts wegen darüber befinden müssen, ob dem Kläger, nachdem ihm die positive Feststellung zum Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 51 Abs. 1 AuslG a.F. entzogen worden ist, zumindest ein von Ausschlussgründen unabhängiger Abschiebungsschutz wegen ihm in Indien bei Rückkehr dorthin drohender Foltergefahr zu gewähren ist. Nach der Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheides ergab sich dies zwar nicht unmittelbar aus dem Asylverfahrensgesetz, jedoch eindeutig aus der damaligen Rechtsprechung, die analog zu den sonstigen Vorschriften im Asylverfahrensgesetz, die bei Rücknahme oder Verzicht auf einen Asylantrag eine Einstellungsentscheidung des Bundesamtes gekoppelt mit einer Prüfung solch eines Abschiebungsverbots regelt, auch für den Fall des Widerrufs eine solche von Amts wegen zu treffende Prüfung von Abschiebungsverboten vorsah (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 20.04.1999 - 9 C 29/98 -, juris, unter Verweis auf Urt. v. 27.02.1996 - 9 C 145.95 -, juris). Das Bundesverwaltungsgericht begründete eine entsprechende Verpflichtung aus einer Rechtsanalogie zu den Regelungen in §§ 24 Abs. 2, 31 Abs. 2 Satz 1, 31 Abs. 3 Satz 1 und 32 sowie 39 Abs. 2 AsylVfG. Diesen Vorschriften lasse sich als gemeinsamer Leitgedanke entnehmen, dass in Verfahren der Schutzgewährung für Ausländer, die politische Verfolgung geltend machten, eine umfassende Entscheidung ergehen solle, die alle Arten des Schutzes vor zielstaatsbezogenen Gefahren einbezieht. Namentlich nach Beendigung eines Asylverfahrens solle nicht offen bleiben, ob und in welcher Form dem Ausländer Abschiebungsschutz zu gewähren sei. Auch der hessische Verwaltungsgerichtshof hat in jüngster Zeit in diesem Sinne entschieden, dass im Falle des Widerrufs einer Asylanerkennung wie auch des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (vormals § 51 Abs. 1 AuslG a.F.) das Bundesamt nach § 60 Abs. 2 - 5 und Abs. 7 AufenthG über das Vorliegen von Abschiebungsverboten entscheiden muss (Hess. VGH, Urt. v. 10.08.2011 - 6 A 95/10.a - juris, Rd.Nr. 24).

Nach heutiger Rechtslage (siehe AsylVfG i.d.F. der Novellierung vom 28.08.2013 - BGBl. I S. 3474, gültig ab 01.12.2013), die im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) zu beachten ist, wird das Bundesamt durch § 73 Abs. 3 in seiner neuen Fassung nunmehr sogar ausdrücklich verpflichtet, bei Widerruf oder Rücknahme der Anerkennung als Asylberechtigter oder der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für den subsidiären Schutz oder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen.

Eine solche Entscheidung hat das Bundesamt hier nicht getroffen, obwohl der Kläger-Vertreter im Widerrufsverfahren sogar mehrfach darauf hingewiesen hat, dass dem Kläger auf jeden Fall ein Abschiebungsverbot wegen ihm in Indien nach Rückkehr dort auch aktuell noch drohender Folter und Lebensgefahr zur Seite stehe.

Da das Bundesamt auch im Termin zur mündlichen Verhandlung trotz der entsprechenden Antragstellung und Erweiterung des bisher auf die Anfechtung der Widerrufsentscheidung beschränkten Klageantrags (zur Zulässigkeit einer solcher Klageerweiterung bei Einwilligung der Beteiligten siehe § 91 VwGO den Kläger nicht etwa durch eine positive Entscheidung zum Vorliegen des Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 5 AufenthG klaglos gestellt hat, besteht auch ein Rechtsschutzinteresse für eine entsprechende Verpflichtungsklage auf positive Feststellung.

Der Sache nach hat der Kläger auch einen Anspruch auf eine solche Feststellung durch das Bundesamt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Die drohende Foltergefahr ergibt sich für den Kläger im vorliegenden Fall schon daraus, dass er, wie das Verwaltungsgericht Ansbach im ursprünglichen Anerkennungsverfahren eindeutig aufgrund ärztlicher Atteste festgestellt hat, vor seiner Ausreise aus Indien nach Deutschland schwerste Foltermaßnahmen durch die indischen Sicherheitsbehörden erlitten hat. In einem solchen Fall kommt ihm bezüglich des nationalen Abschiebungsverbots, wie es in § 60 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK formuliert ist, bei der Gefahrenprognose zwar nicht die lediglich für die Gefährdungen nach § 4 AsylVfG und die dort verankerten europarechtlichen Abschiebungshindernisse geltende Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der EU-Qualifikationsrichtlinie (zul. i.d.F. v. 13.12.2011 - Richtlinie 2011/95/EU -) zugute, dass eine Verfolgungswiederholung schon dann anzunehmen ist, wenn das Bundesamt nicht mit stichhaltigen Gründen beweisen kann, dass der Betreffende vor einer erneuten Verfolgungshandlung sicher ist. Auch ein sogenannter herabgestufter Gefahrenmaßstab, wie er sonst im Asylrecht für Vorverfolgte entwickelt wurde, mag in solchen Fällen nicht direkt anwendbar sein (siehe zur entsprechenden Rechtsprechung GK-Ausländerrecht, Ktr., Stand Dezember 2000, § 93 ff zu § 53 AuslG a.F.). Gleichwohl ist in jedem Fall die vom Kläger bereits in der Vergangenheit seitens indischer Sicherheitskräfte erlittene Folter bei der Prognose einer Wiederholungsgefahr ein nicht zu vernachlässigender Umstand. Denn dies zeigt, dass der Kläger nicht nur den indischen Sicherheitsbehörden einmal in ganz handgreiflicher Weise bekannt geworden und zum Opfer gefallen ist, sondern auch, dass er von dortiger Seite keine Gnade zu erwarten hat. Da der Kläger ausweislich der Medienmeldungen über ihn im Internet, wie sie im Termin zur mündlichen Verhandlung aber auch sonst in den entsprechenden Medien dargelegt wurden, mehrfach namentlich benannt wurde und als führender Kopf der Babbar Khalsa International-Bewegung in Deutschland in seiner Rolle als Propagandasekretär auch dem Interesse der indischen Sicherheitsbehörden nicht entgangen sein kann, ist sogar mit Sicherheit anzunehmen, dass er im Falle einer Rückkehr nach Indien dort erneut unter Folter zu seinen Exilaktivitäten und seine Verwicklungen in die Tätigkeiten dieser terroristischen Organisation "befragt" werden wird. Das gilt schon deshalb, weil auch nach den aktuellen Lageberichten des Auswärtigen Amtes Folter in indischen Polizeigefängnissen "an der Tagesordnung ist". Indien hat zwar die Antifolterkonvention der UN unterzeichnet, aber niemals ratifiziert und unternimmt nur hier und da halbherzige Schritte, diese abzuschaffen. Im Alltag ist Folter aber in Indien weit verbreitet, ohne dass Polizisten deswegen befürchten müssten, belangt zu werden (siehe Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 13.08.2012, dort S. 21). Nach diesem Lagebericht wird nach zuverlässigen Angaben der Asia Pazific Youth Federation Folter systematisch von der Polizei als Mittel der Befragung eingesetzt oder auch zur summarischen Bestrafung vermeintlicher Täter angewendet. Das geht bis hin zu Todesfällen von Häftlingen. Insbesondere in den Bundesstaaten Jammu und Kaschmir, aber auch sonst in Krisengebieten, zu denen der Punjab zweifellos zählt, besteht eine systematische Folterpraxis.

Vor diesem Hintergrund hat die Rechtsprechung der deutschen Verwaltungsgerichte nahezu einhellig in Fällen, wie dem des Klägers, nämlich bei exilpolitisch aktiven Funktionären der Khalistan-Bewegung für den Fall der Rückkehr nach Indien eine konkret drohende Foltergefahr bejaht bzw. ist dies bereits vom Bundesamt in solchen Fällen entsprechend festgestellt worden (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 21.04.2010 - 11 S 290/10 - Rd.Nr. 5, wonach das Verwaltungsgericht Sigmaringen mit Urteil vom 26.05.2006 - A 1 K 10241/05 - eine Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2 AufenhtG bezüglich einer Abschiebung nach Indien für einen Vorstandsangehörigen der Untergrundorganisation International Sikh-Youth-Feteration - ISYF - feststellte; siehe ferner zu einem ISYF-Mitglied auch VG Ansbach, Urt. v. 01.04.2010 - A N 5 K 09.01429 - juris zu einer entsprechenden Feststellung des Bundesamtes zum Vorliegen des Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2 AufenthG - juris Rd.Nr. 20; siehe ferner BVerfG, Beschl. v. 04.02.2008 - 2 BvR 214/08, wonach sich aus Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG eine Pflicht zur sorgfältigen Prüfung einer Mitgliedern von Babbar Khalsa im Falle einer Abschiebung nach Indien als Terrorverdächtigen dort drohenden Foltergefahr ergibt; siehe VG Gelsenkirchen, Urt. v. 07.09.2004 - 14 AK 19 K 79/03.A -, juris, Rd.Nr. 22, wonach Mitgliedern von Babbar Khalsa International aufgrund des hochrangigen Aktivitätsprofils im Ausland im Falle der Rückkehr Verhaftungen und mit hinreichender Verfolgungswahrscheinlichkeit auch Folter als gängige Polizeipraxis in Indien droht, siehe auch VGH Bad.-Württ., Urt. v. 01.08.1996 - A 12 S 2456/94 -, juris, wonach einem besonders exponiert exilpolitisch tätigen Mitglied der ISYF wegen seines publizistischen Einsatzes für die Khalistan-Bewegung bei Rückkehr nach Indien Folter droht und dort im Rahmen der Terrorismusbekämpfung mit intensiven Verhören und Foltern in verschärfter Form gerechnet werden muss; siehe VG Sigmaringen, Urt. v. 08.12.2009 - 1 K 2126/07 -, juris, zu einer positiven Verpflichtung des Bundesamtes zu einer Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 AufenthG, welche im entschiedenen Fall bereits mit Bescheid des Bundesamts vom 19.07.2006 festgestellt worden war; siehe schließlich VG Mainz, Urt. v. 27.04.2005 - 7 K 755/04.MZ - juris, wonach ein Sikh, der sich in Deutschland der Babbar Khalsa International angeschlossen hat und als stellvertretender Generalsekretär der Gruppe West ein Funktionärsamt inne hatte, im Falle der Abschiebung nach Indien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, der Folter unterworfen zu werden - juris, Rd.Nr. 31). [...]