VG Wiesbaden

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Zitieren als:
VG Wiesbaden, Urteil vom 02.04.2014 - 5 K 726/13.WI.A - asyl.net: M21948
https://www.asyl.net/rsdb/M21948
Leitsatz:

Mitglieder der EPPF (G) müssen bei einer Rückkehr nach Äthiopien mit politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen rechnen. Die äthiopische Regierung überwacht intensiv die exilpolitische Betätigung.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Äthiopien, EPPF (G), Exilpolitik, Flüchtlingsanerkennung, internationaler Schutz, Überwachung, Opposition, Ethiopian People's Patriotic Front, Landesverrat, systematische Verhaftungen,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat sich im Bundesgebiet der oppositionellen EPPF (G) angeschlossen. Dazu hat er eine Mitgliedsbescheinigung vorgelegt und durch zahlreiche Fotos und Unterlagen belegt, dass er regelmäßig an Sitzungen und Demonstrationen teilnimmt und sich öffentlich regierungskritisch äußert. Auch wenn er keine besondere herausragende Funktion innerhalb der Organisation hat, so gehört er doch zum Kreis der regelmäßig agierenden, politischen aktiven Mitglieder der Auslandsopposition.

Bei einer Rückkehr nach Äthiopien müsste er deshalb mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen wegen seiner politischen Überzeugung befürchten.

Ausgehend von der aktuellen Erkenntnislage (vgl. AA, Lageberichte vom 18.12.2012 und vom 16.05.2011; bedrohte Völker - pogrom vom 01.02.2013: Äthiopien braucht grundlegende Reformen; Günter Schröder, Stellungnahme vom 04.06.2010 an VG Kassel und vom 08.08.2011; Deutsche Welle vom 17.07.2013: Äthiopiens Oppositionelle werden mundtot gemacht; FAZ vom 16.03.2013: Unfreiheit und Verantwortung) muss festgestellt werden, dass das autoritäre Regime in Äthiopien nach wie vor mit Hilfe eines umstrittenen Anti-Terror-Gesetzes Oppositionelle verfolgt, inhaftiert und alles tut, um sie mundtot zu machen. Oppositionsparteien werden in ihrer Betätigung regelmäßig behindert, ihre Mitglieder zum Teil brutal zum Schweigen gebracht. Jegliche Form des Protestes wird unterdrückt, kritische Berichte über die Regierungspolitik sind praktisch nicht möglich. Nicht-Regierungsorganisationen dürfen nur unter erheblichen Auflagen und Einschränkungen tätig werden. Das Fernsehen ist komplett in staatlicher Hand, Lizenzen für private Radiosender werden nur vereinzelt vergeben, die Ausstrahlung der Dienste "Deutsche Welle" und "Voice of America" werden regelmäßig gestört, regierungskritische Internetseiten gesperrt.

Besonders Mitglieder derjenigen Organisationen, die als terroristisch eingestuft werden, müssen mit Überwachung, Festnahmen auf unbestimmte Zeit und drakonischer Bestrafung rechnen, oft mit wenig stichhaltig begründeten Urteilen. Das gilt auch für diejenigen, die sich exilpolitisch betätigen. Auch Äthiopier, die im Ausland leben, werden beobachtet und abgehört (Deutsche Welle vom 26.03.2014: Human Rights Watch - Äthiopien spioniert seine Bürger aus).

Die EPPF, der der Kläger angehört, ist eine illegale und als terroristisch eingestufte Partei. Sie arbeitet eng mit dem eritreischen Regime zusammen und bekennt sich zum bewaffneten Kampf gegen die äthiopische Regierung (so Institut für Afrika-Studien, Auskunft vom 17.06.2010 an VG Kassel).

Es ist davon auszugehen, dass die äthiopische Staatssicherheit der exilpolitischen Betätigung der EPPF besondere Aufmerksamkeit widmet und intensive Überwachung aller Treffen, Demonstrationen und Veröffentlichungen betreibt. Auch der elektronische Gedankenaustausch und die Webseiten werden registriert und ausgewertet (so Günter Schröder, Stellungnahme vom 04.06.2010). Die äthiopische Regierung verfügt über hochmoderne Technologien zur Überwachung von Telefon, Rundfunk und Internet (ders., Stellungnahme vom 08.08.2011). Auch Personen, die nur am Rande oder zufällig mit oppositionellen Aktivitäten in Berührung gekommen sind, geraten so in den Fokus der Sicherheitsdienste und sind dem Generalverdacht politischer Opposition ausgesetzt. Sie müssen mit gleicher Härte bei Verfolgung und Bestrafung rechnen. Dabei werden von der Justiz Straftatbestände aufgrund politischer Einflussnahmen oft so weit ausgelegt, dass letztlich jede Kritik an der Regierung als Landesverrat, Umsturzversuch oder Aufruf zur Gewalt interpretiert werden kann. Das Strafmaß ist nicht kalkulierbar und kann bis zur Todesstrafe reichen. Auch gibt es immer wieder Berichte über systematische Verhaftungen und Folter bzw. Misshandlungen durch Sicherheitskräfte allein aufgrund des Verdachts oppositioneller Tätigkeit (vgl. AA, Lagebericht vom 18.12.2012). Dabei sind die ohnehin schlechten Haftbedingungen für politische Gefangene besonders hart, Oppositionspolitiker werden teilweise in Einzelhaft untergebracht.

Im Falle des Klägers kommt erschwerend hinzu, dass er durch die Inhaftierung seines Vaters bereits in den Fokus der Sicherheitskräfte geraten ist.

Bei dieser Sachlage kann dem Kläger eine Rückkehr in sein Heimatland nicht zugemutet werden; ihm ist internationaler Schutz zu gewähren. [...]