OVG Sachsen

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Zitieren als:
OVG Sachsen, Beschluss vom 08.04.2014 - 3 B 412/13 (= ASYLMAGAZIN 7-8/2014, S. 266 ff.) - asyl.net: M21952
https://www.asyl.net/rsdb/M21952
Leitsatz:

Die Vorschriften der RL 2003/86/EG (Familienzusammenführungsrichtlinie) gebieten keine europarechtskonforme Auslegung von § 5 Abs. 2 AufenthG dahingehend, dass das dort geregelte Visumerfordernis in Fällen entfällt, in denen ein Drittstaatsangehöriger eine deutsche Staatsbürgerin in einem anderen Mitgliedstaat heiratet und anschließend wieder in die Bundesrepublik Deutschland einreisen will.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Visumspflicht, Visumserfordernis, Familienzusammenführungsrichtlinie, Familienzusammenführung, Befristung, Sperrwirkung, Wirkung der Abschiebung, Sperrwirkung der Abschiebung, Befristung der Sperrwirkung, Befristung der Sperrwirkung der Abschiebung, Unionsrecht, Einreise, deutscher Ehegatte, Eheschließung, Visumsverfahren, Abschiebung, Eheschließung im Ausland,
Normen: RL 2003/86/EG Art. 5 Abs. 3, RL 2003/86/EG Art. 4 Abs. 1, RL 2003/86/EG Art. 13, AufenthG § 10 Abs. 3 S. 1, AufenthG § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, AufenthG § 25 Abs. 5, AufenthG § 39 Nr. 5,
Auszüge:

[...]

Das Verwaltungsgericht hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit der Begründung abgelehnt, dem pakistanischen Antragsteller stehe ein solcher Anordnungsanspruch nicht zu, da er keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung habe. Der Antragsgegner habe den Antrag des Antragstellers, dessen Abschiebung zuvor durch bestandskräftigen Bescheid des Bundesamtes angeordnet worden sei, auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu Recht abgelehnt. Die Voraussetzungen der hier allein in Betracht kommenden Aufenthaltsansprüche nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 25 Abs. 5 AufenthG lägen nicht vor. Die Berufung auf seine am .... 2010 mit einer deutschen Staatsangehörigen in Schweden geschlossene Ehe begründe keinen Anordnungsanspruch, da der ehegattenbezogene Aufenthaltsanspruch des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG einem abgelehnten Asylbewerber nur zustehe, wenn er hierauf einen Rechtsanspruch im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 Halbsatz 1 AufenthG habe. Diesen hat das Verwaltungsgericht unter anderem mit der selbstständig tragenden Begründung abgelehnt, die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG liege nicht vor, da der Antragsteller ohne das - nach § 39 Nr. 5 AufenthV nicht entbehrliche - Visum eingereist und zudem nicht ersichtlich sei, dass es ihm gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG unzumutbar sei, das Visumverfahren nachzuholen. Ungeachtet der Tatsache, dass die Ehe wegen der nicht zweifelsfrei nachgewiesenen Scheidung des Antragstellers von dessen im Heimatland lebender pakistanischer Ehefrau gemäß § 1314 Abs. 1 i.V.m. § 1306 BGB anfechtbar sei, habe der Antragsteller auch deswegen keinen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, weil ihm die Erfüllung des Visumerfordernisses zumutbar sei. Im Übrigen habe der Antragsteller angesichts des getrennten Wohnsitzes auch keine tatsächlich gelebte eheliche Gemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau glaubhaft gemacht, zumal er sich noch am 19. Oktober 2012 zur freiwilligen Ausreise bereit erklärt habe.

Dagegen trägt der Antragsteller in seiner Beschwerde vor, es könne ihm nicht vorgehalten werden, dass er ohne erforderliches Visum eingereist sei. Dies folge aus dem Gebot der Gleichbehandlung Deutscher und ihrer ausländischen Ehegatten mit nicht privilegierten Drittstaatsangehörigen und ihren ausländischen Ehegatten gemäß Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. der RL 2003/86/EG (sog. Familienzusammenführungsrichtlinie). Art. 4 RL 2003/86/EG stelle die Entscheidungen über die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nur unter den Vorbehalt ihres Kapitels IV sowie von Art. 16 RL 2003/86/EG. Das in Art. 5 Abs. 3 RL 2003/86/EG geregelte Erfordernis, dass der Drittstaatsangehörige seinen Antrag auf Familienzusammenführung außerhalb des Hoheitsgebiets des Mitgliedsstaats zu stellen hat, sei jedoch in Kapitel III geregelt und daher keine Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Wäre seine Ehefrau also keine Deutsche, sondern handelte es sich um eine nichtprivilegierte Drittstaatsangehörige, hätte er nach der RL 2003/86/EG einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels. Im Übrigen berücksichtige die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts auch nicht, dass sie seine Abschiebung ermögliche, ohne dass zuvor eine Entscheidung über die Befristung des mit seiner Abschiebung verbundenen Einreiseverbots getroffen sei. Dieses Begehren sei als "Minus" im entsprechend umzudeutenden Antrag im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes enthalten. Um eine tatsächlich gelebte eheliche Gemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau glaubhaft zu machen, hat er im Beschwerdeverfahren eine eidesstattliche Versicherung seiner deutschen Ehefrau vorgelegt, in welcher diese versichert, mit ihm in einer gemeinsamen Wohnung zusammenzuleben. Die Nachholung des Visumverfahrens sei ihm auch deswegen nicht zumutbar, weil dies nicht nur zu einer kurzzeitigen Trennung von seiner Ehefrau führen würde. Dies folge schon daraus, dass selbst das Verfahren bei der deutschen Botschaft in Islamabad mit dem Ziel, über einen Vertrauensanwalt die Echtheit der vorgelegten Scheidungsurkunde zu klären, bereits eine Dauer von drei Monaten in Anspruch nehme.

Das Vorbringen des Antragstellers rechtfertigt keine Änderung des angefochtenen Beschlusses.

Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass vorläufiger Rechtsschutz in Fällen, in denen die Versagung einer Aufenthaltsgenehmigung nicht zum Wegfall der Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG oder zum Wegfall der Erlaubnisfiktion des § 81 Abs. 3 AufenthG führt, nur im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO gewährt werden kann (Discher, in: GKAufenthG, Stand: Oktober 2005, § 10 AufenthG Rn. 183 m. w. N.). So liegt hier der Fall.

Der Antragsteller kann sich nicht auf den Wegfall einer hier allenfalls in Betracht kommenden Erlaubnisfiktion berufen. Beantragt ein Ausländer, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, die Erteilung eines Aufenthaltstitels, gilt sein Aufenthalt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG als erlaubt. Der Antrag des Antragstellers vom 2. Februar 2010 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG bewirkte jedoch keine Erlaubnisfiktion nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, da er sich zu diesem Zeitpunkt nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt. Denn sein Asylantrag wurde vom Bundesamt bestandskräftig abgelehnt. Die Rechtmäßigkeit seines Aufenthalts war somit gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 5a AufenthG mit Vollziehbarkeit der im Bescheid des Bundesamts enthaltenen Abschiebungsandrohung seit 23. Juni 2004 beendet. Hierbei kann offen bleiben, ob der Antragsteller im Zeitpunkt, als er seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stellte, noch im Besitz einer Duldung war. Denn wer lediglich im Besitz einer Duldung ist, kann sich deswegen nicht auf einen ordnungsgemäßen oder rechtmäßigen Aufenthalt berufen (Funke-Kaiser, GK-AufenthG a.a.O. § 60a Rn. 41 f.).

Vorläufiger Rechtsschutz nach § 123 VwGO ist dann zu gewähren, wenn das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds glaubhaft (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO) gemacht ist. Dabei hat das Gericht bei der allein möglichen summarischen Prüfung diejenigen Folgen zu erwägen, die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes für den Bürger verbunden sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschl. v. 27. August 2010 - 2 BvR 130/10 - juris; Beschl. v. 31. März 2004, NVwZ 2004, 1112) darf im Rahmen eines Verfahrens nach § 123 VwGO das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition umso weniger zurückgestellt werden, je schwerer die sich aus der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes ergebenden Belastungen wiegen und je geringer die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie im Falle des Obsiegens in der Hauptsache rückgängig gemacht werden können, es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen.

Davon ausgehend hat die Beschwerde keinen Erfolg, da sich der Antragsteller nicht auf einen Anordnungsanspruch berufen kann und im Übrigen derzeit auch kein Anordnungsgrund ersichtlich ist.

Ungeachtet der Frage, ob der Antragsteller tatsächlich in ehelicher Lebensgemeinschaft mit der deutschen Staatsangehörigen lebt, kann er sich zur Begründung eines Anordnungsanspruchs nicht auf § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG berufen. Aufgrund seiner Heirat mit einer deutschen Staatsangehörigen dürfte der Antragsteller zwar die (speziellen) Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG für einen Ehegattennachzug zu Deutschen erfüllen. Einem solchen Anspruch steht jedoch die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen, da sein Asylantrag bestandskräftig abgelehnt wurde. Die in § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 AufenthG geregelte Ausnahme von der Sperrwirkung greift im vorliegenden Fall nicht. Danach findet § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG unter anderem im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Anwendung.

Ein solcher Anspruch steht dem Kläger indes nicht zu. Der Ausnahmetatbestand des § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 AufenthG setzt nämlich voraus, dass alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen der Anspruchsnorm erfüllt sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 16. Dezember 2008 - 1 C 37.07 -, juris Rn. 24). Dies ist hier nicht der Fall, denn der Antragsteller erfüllt nicht die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat. Er ist nicht mit dem erforderlichen Visum, nämlich einem Visum gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, in das Bundesgebiet eingereist.

Der Antragsteller kann sich auch nicht auf die Sonderregelung in § 39 Nr. 5 AufenthV berufen. Danach kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn seine Abschiebung nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist und er aufgrund einer Eheschließung im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben, da die Ehe des Antragstellers - ungeachtet ihrer Anfechtbarkeit - in Schweden und somit vor seiner (Wieder-)Einreise in die Bundesrepublik Deutschland geschlossen wurde (BVerwG, Urt. v. 11. Januar 2011 - 1 C 23.09 -, juris; BayVGH, Beschl. v. 30. April 2013 - 10 ZB 12.2659 -, juris Rn. 5 f.).

Hier kann dahinstehen, ob von dem Visumerfordernis des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG - wie der Antragsteller meint - gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abzusehen ist. Denn § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eröffnet der Ausländerbehörde ein Ermessen ("kann"). Die Ausnahme des § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 AufenthG erfasst jedoch nur strikte Rechtsansprüche, die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Ein solcher Rechtsanspruch liegt selbst dann nicht vor, wenn das nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auszuübende Ermessen im Einzelfall "auf Null" reduziert wäre (BVerwG, Urt. v. 16. Dezember 2008 a.a.O. Rn. 2; SächsOVG, Urt. v. 16. Oktober 2008 - 3 A 94/08 -, juris Rn. 31).

§ 5 Abs. 2 AufenthG ist - anders als der Antragsteller sinngemäß vorträgt - auch mit der RL 2003/86/EG vereinbar. Die Vorschriften der genannten Richtlinie gebieten keine europarechtskonforme Auslegung dahingehend, dass das Visumerfordernis in Fällen entfällt, in denen ein Drittstaatsangehöriger eine deutsche Staatsbürgerin in einem anderen Mitgliedstaat heiratet und anschließend wieder in die Bundesrepublik Deutschland einreisen will. Ein auf Familienzusammenführung gestützter Aufenthaltsanspruch setzt nämlich nach Art. 5 Abs. 3 und Art. 13 RL 2003/86 EG voraus, dass der Antrag auf Familienzusammenführung vor der Einreise in den Aufnahmestaat gestellt und geprüft wird. Daran fehlt es hier, was zur Folge hat, dass der Antragsteller aus der RL 2003/86/EG keine Ansprüche herzuleiten vermag. Die Gestattung der Einreise und des Aufenthalts nach Art. 4 Abs. 1 Unterabsatz 1 Buchstabe a RL 2003/86/EG steht entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht nur unter dem Vorbehalt der in Kapitel IV sowie Art. 16 der Richtlinie genannten Bedingungen. Vielmehr gestatten die Mitgliedstaaten die Einreise und den Aufenthalt gemäß Art. 4 Abs. 1 Satz 1 RL 2003/86/EG ausdrücklich nur "gemäß dieser Richtlinie". Folglich gilt insoweit auch Art. 5 Abs. 3 RL 2003/86/EG, wonach der Antrag für die Gestattung der Einreise zu stellen und zu prüfen ist, wenn sich die Familienangehörigen noch außerhalb des Hoheitsgebiets des Mitgliedstaats aufhalten, selbst wenn sich diese Vorschrift im Kapitel III der Richtlinie befindet (BayVGH, Beschl. v. 28. Februar 2014 - 10 ZB 13.2410 -, juris Rn. 12). Gegenteiliges lässt sich auch der vom Antragsteller zitierten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v. 6. Dezember 2012 - C-356/11 und C-357/11 -, juris) nicht entnehmen.

Der Antragsteller kann seinen Anordnungsanspruch auch nicht auf den - von der Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausdrücklich ausgenommenen - § 25 Abs. 5 AufenthG stützen. Nach § 25 Abs. 5 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist (Satz 1). Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist (Satz 2). Im Rahmen der im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG bzw. auf Aussetzung seiner Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 6 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK erkennbar. Der Schutz der Ehe i. S. v. Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK gebietet unter den gegebenen Umständen keinen Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet.

Art. 6 Abs. 1 GG verpflichtet den Staat, Ehe und Familie zu schützen und zu fördern. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschl. v. 8. Dezember 2005, DVBl. 2006, 24; Beschl. v. 1. März 2004, NVwZ 2004, 852) gewährt Art. 6 Abs. 1 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Die Vorschrift verpflichtet als wertentscheidende Grundsatznorm die Ausländerbehörde jedoch, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des Aufenthalt begehrenden Ausländers pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen (BVerfG, Beschl. v. 17. Mai 2011, NVwZ-RR 2011, 286). Die Pflicht, Ehe und Familie zu schützen, drängt aufenthaltsrechtliche Belange aber nicht grundsätzlich zurück. Eine zeitweise Trennung von der Familie und somit auch die Durchführung eines ordnungsgemäßen Visumverfahrens ist einem Ausländer, der illegal eingereist ist, grundsätzlich zumutbar (BVerfG, Beschl. v. 10. Mai 2008, InfAuslR 2008, 347). Etwas anderes gilt nur dann, wenn ein deutsches oder aufenthaltsberechtigtes Familienmitglied auf die Lebenshilfe des Ausländers angewiesen ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Aus der Ehe des Antragstellers mit der deutschen Ehefrau sind bislang keine gemeinsamen Kinder hervorgegangen und es spricht auch ansonsten nichts dafür, dass die Ehepartner derzeit in besonderer Weise aufeinander angewiesen sind. Unter den gegebenen Umständen ist das behördliche Ermessen auch nicht deshalb auf die vom Antragsteller gewünschte Entscheidung reduziert, weil der Antragsteller auf die durchschnittliche Dauer des Visumverfahrens von sechs Monaten hinweist. Allein die übliche Dauer des Visumverfahrens sowie auch die ungewisse Dauer des Verfahrens nach § 107 FamFG vor dem Oberlandesgericht Dresden über die Anerkennung der Scheidung von der pakistanischen Ehefrau macht seine Nachholung grundsätzlich nicht unzumutbar, da dem Betroffenen auch Anstrengungen zugemutet werden können, alles ihm Mögliche zur Verkürzung des Verfahrens zu leisten, und im Übrigen das Verfahren abzuwarten (vgl. SächsOVG, Beschl. v. 17. August 2006, AuAS 2007, 15). Eine besondere Betroffenheit, die den Antragsteller von allen anderen Antragstellern für ein Visum unterscheidet und ihm damit die Dauer des Visumverfahrens zum Familiennachzug unzumutbar machen würde, hat der Antragsteller mit der Beschwerde nicht vorgetragen und sie ergibt sich auch nicht aus der eidesstattlichen Versicherung seiner deutschen Ehefrau.

Ein Anordnungsanspruch zur Begründung eines vorläufigen Bleiberechts folgt, anders als der Antragsteller meint, schließlich nicht aus der RL 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie). Zwar hat der Antragsgegner bislang keine Entscheidung nach § 11 Abs. 1 AufenthG zur Befristung der Sperrwirkung der Abschiebung getroffen. Der Hinweis des Antragstellers, die Verpflichtung des Antragsgegners zu einer solchen Entscheidung sei als "Minus" in seinem entsprechend umzudeutenden Antrag im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes enthalten, verhilft ihm jedenfalls nicht zu einem weiteren Bleiberecht. Denn selbst wenn der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in den vom Antragsteller zitierten Entscheidungen zu folgen sein sollte (VGH BW, Beschl. v. 19. November 2013 - A 10 S 2362/13 -; Beschl. v. 9. Dezember 2012 - 11 S 2303/12 -, jeweils juris), wonach § 11 Abs. 1 AufenthG gemäß der RL 2008/115/EG unionsrechtskonform dahingehend auszulegen sei, dass spätestens im Zuge der Abschiebung von Amts wegen eine individuelle behördliche Entscheidung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls ergehen müsse, wie lange die Wirkungen des § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG gelten, führt dies hier nicht zu einem Anspruch des Antragstellers auf (weitere) Duldung. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg leitet aus der RL 2008/115/EG nämlich allenfalls einen Anspruch des Ausländers ab, noch vom Bundesgebiet aus Rechtsbehelfe auf Befristung der Sperrwirkungen organisieren bzw. einlegen zu können; ein Recht, darüber hinaus, etwa bis zum Abschluss eines entsprechenden Rechtsmittelverfahrens, im Bundesgebiet verbleiben zu können, leitet er aus dieser Richtlinie jedoch nicht ab (VGH BW, Beschl. v. 19. November 2013 a.a.O).

Davon ausgehend besteht aber zur Sicherung eines etwaigen Anspruchs des Antragstellers, Rechtsbehelfe auf eine Befristung der Sperrwirkungen organisieren bzw. einlegen zu können, im Rahmen eines vom Rechtsschutzbegehren mitumfassten Antrags des Antragstellers, die Sperrwirkung einer etwaigen Abschiebung zu befristen, derzeit jedenfalls kein Anordnungsgrund. Denn der Antragsgegner hat nach Aktenlage bislang keine konkreten Abschiebemaßnahmen geplant, was die zuständige Sachbearbeiterin des Antragsgegners dem Berichterstatter am 4. April 2014 auf telefonische Nachfrage ausdrücklich nochmals bestätigt hat.

Sind jedoch konkrete Abschiebemaßnahmen derzeit nicht geplant und ist mithin nicht ersichtlich ist, ob und wann der Antragsgegner von der bestandskräftigen Abschiebungsandrohung Gebrauch machen wird, dürfte der Antrag des Antragstellers im Übrigen insgesamt nicht nur mangels Anordnungsanspruchs - wie oben ausgeführt -, sondern insgesamt auch mangels eines erforderlichen Anordnungsgrundes ohne Erfolg bleiben. [...]