VG Meiningen

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Zitieren als:
VG Meiningen, Urteil vom 27.03.2014 - 1 K 20092/12 Me - asyl.net: M21964
https://www.asyl.net/rsdb/M21964
Leitsatz:

Derzeit spricht Überwiegendes dafür, dass der syrische Staat die illegale Ausreise, Asylantragstellung und den längerfristigen Aufenthalt im (westlichen) Ausland als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung auffasst. Die Sicherheitskräfte gehen mit großer Willkür gegen tatsächliche und vermeintliche Regimegegner vor.

Schlagwörter: Syrien, illegale Ausreise, Ausreise, Asylantrag, Auslandsaufenthalt, politische Verfolgung, Folter, Rückkehrgefährdung, Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit, Willkür, Verschwindenlassen, Rückkehrerbefragung,
Normen: AsylVfG § 3, AufenthG § 60 Abs. 1, AsylVfG § 3a Abs. 1,
Auszüge:

[...]

3. Aufgrund der aktuellen Situation in Syrien ist derzeit davon auszugehen, dass aus dem Ausland zurückkehrende Asylantragsteller bei ihrer - erzwungenen oder auch freiwilligen - Rückkehr in ihr Herkunftsland Syrien Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylVfG in Anknüpfung an eine bei ihnen vermutete regimekritische bzw. regimefeindliche Einstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten müssen. Nach Auffassung der Kammer spricht Überwiegendes dafür, dass der syrische Staat die illegale Ausreise seiner Staatsangehörigen, die Asylantragstellung und den jedenfalls längerfristigen Aufenthalt im (westlichen/europäischen) Ausland als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung auffasst. Rückkehrende syrische Staatsangehörige haben nach der heutigen Erkenntnislage mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, wegen dieser ihnen unterstellten politischen Einstellung mit Verfolgungshandlungen überzogen zu werden.

3.1 Es handelt sich hierbei um eine sogenannte Einzelverfolgung wegen Zugehörigkeit zur Gruppe der mutmaßlichen Regimegegner (vgl. zur Abgrenzung von der Gruppenverfolgung: BVerwG, B. v. 22.02.1996 - 9 B 14/96 -, juris). Es ist davon auszugehen, dass die Verfolgungshandlungen des syrischen Staates ungeachtet einer tatsächlichen oppositionellen Haltung des einzelnen Rückkehrers generell und unterschiedslos bei der Rückkehr aus dem (westlichen) Ausland unter den genannten Bedingungen einsetzen, weil das Verhalten der illegalen Ausreise und Asylantragstellung im Ausland generell als regimefeindliche Gesinnung aufgefasst wird. Nach den dem Gericht zugänglichen Erkenntnissen, Auskünften und Stellungnahmen ist davon auszugehen, dass den rückkehrenden Asylantragstellern in Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Maßnahmen im Sinne von § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG drohen, die darauf abzielen, das Ausmaß der vermuteten Regimegegnerschaft des Betroffenen selbst sowie seines näheren Umfeldes auszuloten, diese unterstellte Haltung zu bestrafen und damit für Dritte ein Exempel zu statuieren bzw. eine deutlich abschreckende Wirkung zu erzielen (so auch OVG Sachsen-Anhalt, U. v. 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, juris; VGH Baden-Württemberg, B. v. 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, juris; HessVGH, B. v. 27.01.2014 - 3 A 917/13.Z.A -, juris; OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 9.01.2014 - OVG 3 N 91.13 -, juris; VG München, U. v. 3.02.2014, - M 22 K 112.31012 -, juris; VG Kassel, U. v. 08.01.2014, - 5 K 1294/13.KS.A -, juris; VG Hannover, U. v. 10.12.2013 - 2 A 6900/12 -, juris; U. v. 08.05.2013 - 1 A 5409/12 -, juris; VG Augsburg, U. v. 17.10.2013 - Au 6 K 13.30221 -, juris; U. v. 27.01.2012 - Au 6 K 10.30677 -, juris; VG Saarland, U. v. 16.10.2013 - 3 K 986/13 -, juris; U. v. 22.08.2013 - 3 K 16/13 -, juris; VG Göttingen, U. v. 20.08.2013 - 2 A 273/13 -, asylnet; VG Frankfurt (Oder), U. v. 28.06.2013 - 3 K 452/13.A -, juris; VG Stuttgart, U. v. 15.03.2013 - A 7 K 2987/12 -, juris; VG Regensburg, GB v. 14.03.2013 - RN 6 K 12.30059 -, juris; VG Trier, GB v. 04.07.2012 - 1 K 519/12.TR -, nicht veröffentlicht; VG Oldenburg, U. v. 17.05.2013 - 4 A 4137/12 -, nicht veröffentlicht; VG Stade, U. v. 15.04.2013 - 6 A 1811/12 -, nicht veröffentlicht; VG Bremen, U. v. 07.11.2012 - 1 K 238/07.A -, nicht veröffentlicht; VG Gießen, U. v. 27.01.2012 - 2 K 1823/11.GI.A -, nicht veröffentlicht; VG Aachen, U. v. 15.09.2011 - 9 K 1408/09.A -, juris; a.A. in ständiger Rechtsprechung: OVG Nordrhein-Westfalen, u. a. B. v. 09.12.2013 - 14 A 2663/13.A -, juris; B. v. 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, juris; dem folgend: VG Düsseldorf, U. v. 14.05.2013 - 17 K 9165/12.A -, juris; so auch VG Bayreuth, U. v. 08.08.2013 - B 3 K 13.30061-; juris).

Dass Rückkehrern derzeit beachtlich wahrscheinlich menschenrechtswidrige Behandlung (Verhörmethoden; Inhaftierung; Gefahr des Verschwindenlassens) bis hin zur Folter, also Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG, drohen, entnimmt die Kammer den nachfolgend unter 3.2 aufgeführten Berichten zur Lage in Syrien. Nach Auswertung dieser Berichte (siehe nachfolgend 3.3) ist auch davon auszugehen, dass der Verfolgungsgrund der Anknüpfung an die (vermutete) politische Überzeugung der Rückkehrer im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 2 AsylVfG gegeben ist.

Zwar fehlt es für die letzten Jahre an belastbaren Rückkehrerzahlen (Abschiebestopps in verschiedenen Bundesländern sowie auch des EU-Auslandes). Seit Verschärfung des Konfliktes in Syrien zu Beginn des Jahres 2012 wurden keine abgelehnten Flüchtlinge mehr nach Syrien zurückgeschoben. Angaben über freiwillige Rückkehrerzahlen sind nicht zu finden und angesichts der immer prekärer werdenden inländischen Situation auch nicht zu erwarten. Die hier streitentscheidende Beurteilung der den Asylantragstellern im Falle einer heutigen Rückkehr drohenden Verfolgung und ihres Charakters kann daher nur im Wege einer Prognose aufgrund der zur Verfügung stehenden verifizierbaren Tatsachenberichte zu Verfolgungshandlungen gegenüber politischen Gegnern im Inland erfolgen. Bei der Bewertung der berichteten Tatsachen ist der bestehenden Bürgerkriegssituation sowie der Tatsache Rechnung zu tragen, dass es sich mittlerweile um interne bewaffnete Konflikte zwischen verschiedensten Konfliktparteien handelt, so dass nicht jede Maßnahme des syrischen Staates in diesem Rahmen als Verfolgung des politischen Gegners, sondern gegebenenfalls als Verteidigung gegenüber und Bekämpfung von bewaffneten Aufständischen anzusehen ist.

Ausgehend von den Beobachtungen, dass die aufgrund des Anfang 2009 in Kraft getretenen deutsch-syrischen Rücknahmeübereinkommens zurückgeführten Asylbewerber bei ihrer Einreise zunächst ausnahmslos vom Geheimdienst über ihren Aufenthalt im Ausland befragt und z. T. (mehrwöchig) inhaftiert wurden (vgl. hierzu Lagebericht des AA vom 27.09.2010, S. 19 f), wobei von erhöhter Foltergefahr und vielfachen körperlichen und psychischen Misshandlungen auszugehen war (vgl. eben genannter Lagebericht; ai, Bericht vom 14.03.2012; vgl. auch die Darstellungen von dokumentierten Einzelfällen im Urteil des OVG Sachsen-Anhalt vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 - Rz. 29 ff., juris), führen die nachfolgend im einzelnen beschriebenen Aspekte der zwischenzeitlichen Eskalation der innenpolitischen Lage in Syrien zur Annahme weiterhin bestehender beachtlicher Gefahr im Hinblick auf derartige Rückkehrer-Behandlung durch die syrischen Geheimdienste und sonstigen Exekutivbehörden und lassen gleichzeitig auf eine flüchtlingsrelevante politische Motivation dieser Stellen schließen.

3.2 Bereits der Ad-hoc-Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17.02.2012 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien geht davon aus, dass sich die Risiken politischer Oppositionstätigkeit nicht auf eine strafrechtliche Verfolgung beschränken. Schon seit März 2011 hätten sich zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, "Verschwindenlassen" ("enforced disappearence"), tätlichen Angriffen, Tötungen im Gewahrsam der Sicherheitskräfte und Mordanschlägen ereignet. Seit diesem Zeitpunkt gehe das Regime mit einer präzedenzlosen Verhaftungswelle gegen die Protestbewegungen vor. Die genaue Zahl der politischen Gefangenen sei nicht bekannt (S. 7). Menschenrechtsverteidiger schätzten die Zahl der Verhafteten und Verschwundenen auf insgesamt über 40.000 Personen. Die namentlich belegten Haftfälle beliefen sich auf ca. 19.400 (Stand: 14.02.2012). Willkürliche Verhaftungen seien gegenwärtig sehr häufig und gingen von Polizei, Sicherheitskräften und Milizen (sog. Shabbiha) aus. In glimpflichen Fällen erfolge nach einiger Zeit die Überstellung an ein Gefängnis oder die Justiz. In anderen Fällen blieben die Personen "verschwunden". Seit Beginn dieser Maßnahmen sei den Angehörigen in einer Reihe von belegten Fällen von den beteiligten Sicherheitsbehörden nur noch die Leiche der festgenommenen Person übergeben worden. Untersuchungen über die Todesumstände erfolgten in der Regel nicht (S. 8).

Im Bericht des United Nations High Commissioner for Human Rights (Bericht zur Lage in Syrien vom 24.05.2012) werden Fälle von massiven Übergriffen gegenüber Personen geschildert, die in den Verdacht oppositioneller Haltung allein aufgrund des Besitzes einer größeren Geldmenge oder der bloßen Nachbarschaft zu Regimegegnern gerieten. Nach Einschätzung des Menschenrechtskommissars der Vereinten Nationen reicht als Anknüpfungspunkt für die Vermutung bestehender Regimegegnerschaft u. U. allein die Tatsache, dass man aus demselben Ort stammt, in dem sich Regimegegner aufhalten (Rz. 10). [...]

3.3 Aus diesen Entwicklungen in Syrien schließt die Kammer, dass auch gerade Rückkehrern aus dem westlichen Ausland beachtlich wahrscheinlich massive Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG durch syrische staatliche Sicherheitskräfte drohen, weil Regimegegnerschaft oder Nähe zu solcher vermutet wird. Anhand des geschilderten massiven Vorgehens syrischer staatlicher Kräfte gegenüber inländischen - auch nur vermeintlichen - "Gegnern" zeigt sich eine Haltung des syrischen Staates, die Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulässt: Gegenüber potenziell der Regimegegnerschaft verdächtigen Staatsangehörigen werden ungeachtet der Frage, ob die tatsächlichen Umstände den Vorwurf regimegegnerischen Verhaltens tragen, ohne Weiteres Leben und Gesundheit schädigende Maßnahmen angewandt in der deutlichen Intention, jede Gegnerschaft bereits im Keim zu ersticken. Insbesondere auch der Tatsache, dass bereits seit Beginn der Demonstrationen Helfer und Unterstützer der Demonstranten oder solcher Hilfe Verdächtige, Beerdigungsteilnehmer ebenso wie im Krankensektor Arbeitende (Ärzte und Pflegepersonal) allein wegen der damit in den Augen des Regimes bekundeten Nähe zu den verletzten und toten Regimegegnern als Regimefeinde angesehen und mit Maßnahmen überzogen werden (HRW vom Dezember 2011 "By all means necessary", s. o.), ist zu entnehmen, dass der syrische Staat willens und bestrebt ist, jegliche regimekritische Betätigung bereits von vornherein zu verhindern. Ersichtlich betrachtet das Regime nicht differenziert, sondern greift bei potentieller Gegnerschaft sofort und unerbittlich zu.

Dabei kommt einem weiteren Gesichtspunkt maßgebliche Bedeutung für die dargelegte Prognose des Gerichtes zu: Angehörige der Sicherheitsdienste müssen sich für Folter, Misshandlung, Todesfälle oder Verschwindenlassen seit dem Jahr 2011 ausdrücklich nicht strafrechtlich verantworten. Ihnen wurde mit Ausbruch der inneren Unruhen in Syrien vom Staatspräsidenten Straffreiheit in Ausübung ihres Amtes zugesichert (ai, Amnesty-Report 2013, "Straflosigkeit").

3.4 Das Gericht schließt hierbei auf die politische Motivation Rückkehrern bei einer obligatorischen Rückkehrerbefragung drohenden menschenrechtswidrigen Maßnahmen zum einen aufgrund der allgemeinen Eskalation der innenpolitischen Situation. Zum anderen ist maßgeblich Art und Weise sowie der Umfang der sich in Syrien derzeit und in jüngster Vergangenheit gegenüber an den Kampfhandlungen nicht direkt beteiligten Bevölkerungsgruppen ereignenden Übergriffe syrischer staatlicher Kräfte und staatstreuer Gruppierungen. Diese lassen eine verstärkte massive Gefährdung aller mit regimegegnerischer Betätigung in Beziehung und Nähe stehenden Personen im Inland erkennen: Es ergibt sich das Bild einer massiv intensivierten Bekämpfung innerstaatlicher Regimegegnerschaft bzw. vermeintlicher Untreue gegenüber dem Regime.

Dass gerade Rückkehrern eine Regimegegnerschaft bzw. eine Nähe zu einer solchen höchst wahrscheinlich unterstellt werden wird, ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Aufgrund der Einstellung des syrischen Regimes gegenüber dem westlichen Ausland, welches sich deutlich in der Staatengemeinschaft gegen das Regime Assad ausgesprochen hat und daher als zutiefst feindlich empfunden wird, wird dieses aller Voraussicht nach Syrern, die in dieses feindliche Ausland geflüchtet sind, per se eine feindliche Gesinnung unterstellen. Die Tatsache, dass syrische Flüchtende diese Reise ins westliche Ausland auf sich nehmen, dürfte der syrischen Staatsspitze zeigen, dass diese zum syrischen Staat und seinem Einfluss deutlichen Abstand gewinnen wollen, was für diesen gleichbedeutend mit Regimegegnerschaft sein dürfte. Nachdem viele oppositionelle Gruppierungen sich zunächst im Ausland formiert haben, so vor allem der Syrische Nationalkongress (SNC - vgl. hierzu Kristin Hellberg, "Brennpunkt Syrien: Einblicke in ein verschlossenes Land", Herder 2012, S. 96 ff.) und vom Ausland gesteuert erscheinen oder der syrische Staat zumindest diesen Verdacht hegen muss und ihn auch auf das westliche Ausland erstreckt, ist es nur sehr wahrscheinlich und aus Sicht der syrischen Machthaber konsequent, die mit der Flucht ins westliche Ausland gezeigte zumindest regimekritische, jedenfalls aus Sicht des syrischen Regimes nicht staatstreue Haltung, zu ahnden und gleichzeitig das abzuschöpfen, was von der rückkehrenden Person abgeschöpft werden kann, nämlich Informationsgewinnung über Syrer mit regimegegnerischem Auftreten oder Unterstützungshandlungen im westlichen Ausland. Zudem erzeugt der syrische Staat mit solcher Machtdemonstration auch abschreckende Wirkung und verhindert den vermuteten Informationsfluss von westlichen Unterstützern des Aufstandes zu den im Inland Verbliebenen.

Ein deutliches Interesse des syrischen Regimes an der Nachverfolgung oppositioneller Betätigung syrischer Staatsangehöriger im westlichen Ausland ergibt sich zudem aus dem Umstand verstärkter Geheimdiensttätigkeit seit Ausbruch und Eskalation des Konflikts (Ad-Hoc-Lagebericht des AA vom 17.02.2012; Verfassungsschutzbericht 2012 des Bundesministeriums des Innern, Internet). Für ein nach wie vor aktives Interesse an Exilsyrern und ihren exilpolitischen Aktivitäten sprechen auch Berichte darüber, dass diese seitens der Regierung Assad dadurch bedroht wurden und werden, dass man ihre noch in der Heimat lebenden Verwandten mit Maßnahmen bis hin zur Folter überzieht (vgl. ai, Bericht vom Oktober 2011, "The long Reach oft he Mukharbaraat: Violence and Harassment against Syrians abroad and their Relatives back home").

Auch die Existenz verschiedener Straftatbestände, die z. B. zu Kriegszeiten das Aufstellen von Behauptungen, die das Nationalgefühl schwächen, oder das wissentliche Verbreiten falscher oder übertriebener Nachrichten, die zur Schwächung des Nationalgefühls führen, sowie das Verbreiten wissentlich falscher oder übertriebener Informationen im Ausland unter die Androhung von Freiheitsstrafe stellen (vgl. Art. 285 bis Art. 287 des Syrischen Strafgesetzbuchs), legt ein Straf- und Informationsinteresse politischer Natur an Rückkehrern nahe. Damit ist über das syrische Strafgesetzbuch die Möglichkeit strafrechtlicher Verfolgung von "regimegegnerischen" Betätigungen und Äußerungen, vor allem der Verunglimpfung des syrischen Staates im Ausland, eröffnet.

Für eine erhöhte Gefährdung der Rückkehrer spricht auch die Tatsache, dass das syrische Regime gerade das westliche Ausland für die Unruhen im Land verantwortlich macht bzw. dies offiziell so darstellt (Spiegel online - 05.02.2013, Interview mit Syriens Vize-Außenminister). Ein Aufenthalt im westlichen Ausland wird in den Augen der syrischen Sicherheitskräfte bereits auch wegen des Erlebens westlicher bzw. unabhängigerer Medienberichterstattung über das Geschehen in Syrien und der Gefahr des Kontaktes mit regimegegnerischen Bestrebungen und Ansichten zudem ein Sicherheitsrisiko darstellen, das ein Eingreifen erfordert. Denn erkennbar beharrt der syrische Machtapparat auf dem Meinungsmonopol und steuert entsprechend die Berichterstattung über die Ereignisse im Land. Rückkehrer stellen bereits aus diesem Grund ein Risiko der Unterwanderung der Absichten des syrischen Regimes im Hinblick auf ein gesteuertes Bild von der Lage im Land und in der Welt dar.

3.5 Die bisherige Annahme der Beklagten, das syrische Regime hätte keine Veranlassung und angesichts der Bürgerkriegssituation in vielen Landesteilen auch keine Ressourcen, alle zurückgeführten Asylbewerber ohne erkennbaren individuellen Grund bzw. Bezug zu einer regimegegnerischen Haltung aus den in § 3 AsylVfG und § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Gründen zu verfolgen, ist durch nichts belegt. Vielmehr sprechen die neuesten Erkenntnisse, insbesondere die Presseberichte der jüngsten Zeit (FR vom 11.03.2014, 15./16.03.2014; SZ vom 17.03.2014) zur Lage im Land dafür, dass das syrische Regime sich zwar in vielen Landesteilen mit den jeweiligen aufständischen Gruppierungen in massiven Kampfhandlungen befindet. Jedoch ist deutlich, dass es dem syrischen Militär lokal auch des Öfteren gelingt, Gebiete zurückzuerobern, insbesondere weil von Seiten der syrischen Machthaber Luftwaffe sowie Kriegswaffen, auch international geächtete Kriegswaffen, gegenüber den Gebieten eingesetzt werden, in denen Aufständische vermutet werden oder sich aufhalten (zuletzt FR vom 15.03.2014). Das syrische Militär und die von ihm eingesetzten verbündeten Milizen haben vielfache Erfolge gegenüber den Aufständischen verbuchen können (SZ vom 17.03.2014). Trotz der Desertionswelle im Jahr 2011 ist das syrische Militär ersichtlich nach wie vor kampffähig und theoretisch in der Lage, den Bürgerkrieg zu gewinnen bzw. zumindest weite Teile des Kernlandes unter Kontrolle zu behalten. Damit ist das syrische Regime aber gerade für die über den Flughafen in Damaskus aus dem europäischen Ausland rückkehrenden Asylantragsteller vor Ort präsent und ohne weiteres in der Lage, Rückkehrende zu kontrollieren.

Dabei sind aus Sicht des syrischen Geheimdienstes auch keine besondere Logistik bzw. Ressourcen an Personal erforderlich, da derzeit, angesichts der Lage im Land, nicht damit zu rechnen ist, dass Rückkehrer zeitgleich in großen Mengen zurückkehren. Zudem handelt es sich bei den verschiedenen syrischen Sicherheits- und Geheimdiensten um bereits langjährig und mit großer Routine funktionierende "Behörden", so dass die Annahme nahe liegt, dass diese auch in den heutigen Krisenzeiten ihre Effektivität nicht einbüßen und ihre Methoden weiterhin anwenden. Jedenfalls gibt es keinerlei Anhaltspunkte für gegenteilige Entwicklungen. Nach wie vor kontrollieren vier große Sicherheitsdienste in Syrien unabhängig voneinander alle Bereiche des militärischen und zivilen Lebens. Sie sind nur dem Staatspräsidenten gegenüber verantwortlich und unterhalten eigene Verhörzentralen und Hafteinrichtungen, wobei sie sich im rechtsfreien Raum bewegen (s. o.). Die syrischen Geheimdienste sollen nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes auch in Deutschland aktiv sein (Verfassungsschutzbericht 2012 des Bundesministeriums des Innern, Internet). Es ist daher davon auszugehen, dass diese Staatsstrukturen nach wie vor funktionieren und unter denselben Vorgaben wie vor Ausbruch der Unruhen arbeiten, für welche Zeit intensive Rückkehrerbefragungen der genannten Art und Weise in vielen Fällen dokumentiert sind (vgl. die vom OVG Sachsen-Anhalt aufgezählten, auf der Grundlage überwiegend von Kurdwatch dokumentierten konkreten Fälle menschenrechtswidriger Rückkehrerbehandlung a.a.O.).

Es handelt sich auch um eine vergleichsweise geringe Anzahl an syrischen Flüchtlingen, die in Europa Schutz gesucht haben oder von Europa vorübergehend aufgenommen werden, verglichen mit der Zahl der Flüchtlinge, die in die Nachbarländer Syriens geflohen sind. Lediglich rund 53.000 Asylbegehren wurden in europäischen Staaten ohne die Türkei seit Ausbruch der Aufstände registriert (so UNHCR, "Internal Protection Considerations with regard to people fleeing the Syrian Arab Republic, Update II" vom 22.10.2013) gegenüber insgesamt über 2,3 Mio. Flüchtlinge in den Nachbarländern Syriens (ai, "An International Failure: The Syrian Refugee Crisis" vom 13.12.2013). Damit erscheint eine Kontrolle von aus dem westlichen Ausland zurückkehrenden Syrer durchaus möglich und machbar.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Beklagte selbst in ihren bisherigen Bescheiden davon ausging, dass rückkehrende Asylantragsteller nach vorliegenden Erkenntnissen im Rahmen einer obligatorischen Rückkehrerbefragung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit konkret gefährdet sind, einer menschenrechtswidrigen Behandlung bis hin zur Folter unterzogen zu werden. Erkenntnismaterialien, aus denen sich deutlich ergeben würde, dass von Seiten des syrischen Regimes diese zu erwartenden Behandlungen nicht von der Vermutung politischer Gegnerschaft, sondern anders motiviert sind, kann die Beklagte hierzu nicht benennen. Sie sieht als Motiv für die drohende Rückkehrerbefragung eine reine Informationsgewinnungsabsicht über die Vorgänge und Gegebenheiten im jeweiligen westlichen Gastland des Rückkehrers, die sie für nicht in jedem Fall, sondern nur bei Vorliegen individueller Umstände für politisch motiviert hält. Zu recht weist der VGH Baden-Württemberg hier darauf hin, dass Motivationen, die nicht für § 3 AsylVfG relevant wären, an dieser Stelle kaum vorstellbar und nicht wahrscheinlich sind (VGH Baden-Württemberg, B. v. 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, juris). In der momentanen innenpolitischen Situation kann sich die Absicht der Informationsgewinnung nur auf im weitesten Sinne politische Informationen aus dem Ausland beziehen. Es spricht damit derzeit alles dafür, dass die Behandlung, der sich rückkehrende Asylantragsteller mit großer Wahrscheinlichkeit auch nach Auffassung der Beklagten bei einer Rückkehr nach Syrien werden unterziehen müssen, an eine vermutete regimegegnerische Haltung oder an die vermutete Nähe zu einer solchen anknüpft.

3.6 Ausreichend für die Annahme einer politischen Gerichtetheit der drohenden Maßnahmen ist im Übrigen, dass allein eine Nähe zur politischen Gegnerschaft dem Rückkehrer pauschal unterstellt und der daraus folgende "Informationsvorsprung des aus Europa Zurückkehrenden" durch Androhung und Ausführen von menschenrechtswidrigen Maßnahmen körperlicher und seelischer Gewalt abgeschöpft werden soll. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (allerdings zum Asylgrundrecht aus Art. 16a GG - aber in dieser Hinsicht auf die Flüchtlingsanerkennung übertragbar) verlangt die Asylanerkennung nicht, dass der Verfolgte entweder tatsächlich oder doch zumindest nach Überzeugung des verfolgenden Staates Träger eines verfolgungsverursachenden Merkmals ist: "Politische Verfolgung ist bereits zu bejahen, wenn Maßnahmen gegen Personen ergriffen werden, die einer nach asylerheblichen Merkmalen bestimmten Gruppierung zugerechnet werden … oder wenn dies im Blick auf diese asylrelevanten Merkmale geschieht … Deswegen dürfen bei einem vom Verfolger gehegten Verdacht der Trägerschaft von asylerheblichen Merkmalen die zur weiteren Aufklärung dieses Verdachtes eingesetzten Mittel nicht als asylrechtlich unbeachtlich qualifiziert werden … Im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes kann politische Verfolgung auch dann vorliegen, wenn staatliche Maßnahmen gegen - an sich unpolitische - Personen ergriffen werden, weil sie dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet werden, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist." (BVerfG, Kammerbeschluss vom 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 -, juris). Dabei impliziert die Intensität der dafür zu befürchtenden Maßnahmen die Gerichtetheit (vgl. BVerfG, a. a. O.). Selbst wenn also die zu erwartenden Übergriffe bei Rückkehrern lediglich dem Abschöpfen von Information über vermutete Regimegegner dienen sollen, so wäre dies eine für die Flüchtlingsanerkennung ausreichende Motivation. [...]