OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 25.03.2014 - 2 LB 92/13 - asyl.net: M21970
https://www.asyl.net/rsdb/M21970
Leitsatz:

Zur Auslegung und Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: türkische Staatsangehörige, Niederlassungserlaubnis, Klärung der Staatsangehörigkeit, ungeklärte Staatsangehörigkeit, Staatsangehörigkeit, Mitwirkungspflicht, Herkunftsstaat, Türkei, Kurden, Yeziden, Syrien, Nachregistrierung, Registrierung, Identitätsklärung, Hinweispflicht,
Normen: AufenthG § 26 Abs. 4, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1 a, AufenthG § 5 Abs. 3, AufenthG § 82 Abs. 1 S. 1,
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat derzeit keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG, weil es an den Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG fehlt (Klärung der Staatsangehörigkeit) und das Ermessen des Beklagten nicht auf Erteilung einer Ausnahme nach § 5 Abs. 3 AufenthG verengt ist. Der Senat folgt dem Beklagten in der Annahme, dass der Kläger nicht alles ihm Mögliche getan hat, um eine in Betracht kommende türkische Staatsangehörigkeit zu klären und sich ggf. als türkischer Staatsangehöriger nachregistrieren zu lassen.

Die Frage, ob ein Ausländer seine Mitwirkungspflichten in Bezug auf die Aufklärung seines Herkunftsstatus hinreichend erfüllt hat, kann sich unter verschiedenen rechtlichen Ansatzpunkten in ähnlicher Weise stellen, namentlich für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis (wie im vorliegenden Fall), für die Erlangung eines Reiseausweises (vgl. hierzu Senatsurteil vom heutigen Tage - 2 LB 337/129 - mit Nachweisen sowie Urt. v. 6.5.2013 - 2 LB 245/11 -, n. v., dazu BVerwG, Beschl. v. 23.1.2014 - 1 B 12.13 -), und für das Vorliegen von Ausreisehindernissen. Zu letzteren hat der Senat mit Beschluss vom 31. Juli 2007 (- 2 LA 1197/06 -, n. v., bestätigt u.a. im Urt. v. 27.5.2010 - 2 LB 577/07 -, n. v.) rechtsgrundsätzlich ausgeführt:

"Welche Anforderungen an die Mitwirkung des Ausländers bei der Beseitigung eines Ausreisehindernisses zu stellen sind, ist eine Frage des jeweiligen Einzelfalles. Im Anschluss an die bisherige Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 14. Oktober 2005, - 2 LA 912/04 -, V.n.b.) und anderer Obergerichte (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 19. Dezember 2005, - 24 C 05.2856 -, NVwZ 2006, 1311-1314) geht der Senat hierbei von folgenden Grundsätzen aus:

(aa) Nach dem AufenthG ist die Verantwortung für die Beseitigung von Ausreisehindernissen weder der Ausländerbehörde noch dem Ausländer allein auferlegt. Keine Seite kann von der anderen verlangen, dass diese allein sich um die Beseitigung bestehender Ausreisehindernisse bemüht. Dies ist weder mit der Stellung der Ausländerbehörde noch mit den dem Ausländer obliegenden Pflichten vereinbar. Vielmehr bestehen auf beiden Seiten Pflichten, deren Erfüllung nachgewiesen werden muss. Letztlich müssen sich Ausländer und Behörde gemeinsam darum bemühen, dass eine Ausreise in das Heimatland des Ausländers ermöglicht wird. Wem welche konkreten Pflichten im Einzelfall obliegen, kann sachgerecht nur anhand der besonderen Umstände des jeweiligen Sachverhalts abschließend geklärt und festgelegt werden.

(bb) Generell trifft dabei zunächst, wie aus § 82 Satz 1 AufenthG und dem subjektiven Begriff des "Verschuldens" in § 25 Abs. 5 AufenthG folgt, den Ausländer eine Mitwirkungspflicht sowie eine Initiativpflicht. Dies bedeutet einerseits, dass er an allen Handlungen mitwirken muss, die die Behörden von ihm verlangen (z.B. Anträge ausfüllen, Bilder beibringen, bei der Vertretung des Heimatlandes vorsprechen usw.). In all diesen Fällen weiß der Ausländer, was von ihm verlangt wird. Er ist gehalten, die geforderten Schritte auch zu unternehmen (Mitwirkungspflicht).

Daneben steht ihm jedoch nicht die Möglichkeit offen, ansonsten völlig untätig und passiv zu bleiben und nur darauf zu warten, welche weiteren Handlungen die Behörde von ihm verlangt. Vielmehr ist auch der ausreisepflichtige Ausländer gehalten, eigenständig die Initiative zu ergreifen, um nach Möglichkeiten zu suchen, das bestehende Ausreisehindernis zu beseitigen. Hierzu gehört etwa die Beschaffung von Identitätsnachweisen im Heimatland über Dritte, die Benennung von Zeugen usw. Der Ausländer hat sich zumindest Gedanken darüber zu machen (und diese dann auch in die Tat umzusetzen), welche Möglichkeiten für ihn bestehen, noch offene Punkte aufzuklären und zu beweisen (Initiativpflicht). Eine Grenze bildet dabei die Frage, welche Möglichkeiten ihm bei objektiver Betrachtungsweise bekannt sein können. Nur insoweit kann ihm nämlich eine subjektive Verantwortlichkeit und ein Verschulden angelastet werden. Je nach Herkunftsland und persönlicher Situation des Betroffenen kann dies unterschiedlich zu beantworten sein. Beispielsweise ist es durchaus möglich, dass die Einschaltung eines Anwalts im Heimatland vom Ausländer nicht gefordert werden kann, weil ihm dieser Weg unbekannt ist und entsprechende Kontakte fehlen. Auch können keine Unterlagen aus der Heimat nachgefordert werden, wenn der Ausländer dort über keinerlei Kontakte mehr verfügt. Eine zweite Grenze der zu fordernden Initiativen bilden daneben die Fälle, in welchen weitere Handlungen nicht zugemutet werden können. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Ausländer durch Nachfragen in seiner Heimat Familienangehörige in akute Lebensgefahr bringt, wenn mit weiteren Ermittlungen so erhebliche Kosten verbunden wären, dass sie von ihm nicht aufgebracht werden können oder wenn er gesundheitlich etwa nicht in der Lage ist, erforderliche Handlungen durchzuführen.

Die Erfüllung der dem Ausländer somit obliegenden Pflichten (Mitwirkungs- und Initiativpflicht) hat dieser nachzuweisen. Gelingt ihm dies nicht, so spricht vieles für die Annahme, er habe die Ausreisehindernisse verschuldet.

(cc) Auf der anderen Seite bestehen auch Pflichten der Ausländerbehörde, Ausreisehindernisse zu beseitigen. Die zuständige Behörde hat, wie dies auch § 82 Abs. 3 Satz 1 AufenthG vorgibt, den Ausländer auf seine Pflichten hinzuweisen. Sie hat ihm also mitzuteilen, dass und in welchem Umfang er zur Erbringung von Handlungen verpflichtet ist (Hinweispflicht). Diese Hinweise müssen dabei so gehalten sein, dass es für den Ausländer hinreichend erkennbar ist, welche Schritte er zu unternehmen hat. Ein bloßer allgemeiner Verweis auf bestehende Mitwirkungspflichten oder die Wiedergabe des Gesetzestextes wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Denn nur durch konkrete Hinweise ist es dem Ausländer möglich, die Beseitigung der Ausreisehindernisse zielführend in die Wege zu leiten.

Daneben ist die Behörde auch gehalten, von sich aus das Verfahren weiter zu betreiben und auf weitere, dem Antragsteller gegebenenfalls nicht bekannte Möglichkeiten aufmerksam zu machen und diese Möglichkeiten mit dem betroffenen Ausländer bei Bedarf zu erörtern (Anstoßpflicht). Eine Ausländerbehörde kann es – vor allem im Falle der Untätigkeit der Vertretung des Heimatlandes – nicht allein dem Ausländer überlassen, den weiteren Gang des Verfahrens zu beeinflussen. Grund hierfür ist, dass sie in aller Regel über bessere Kontakte und Kenntnisse hinsichtlich der noch bestehenden Möglichkeiten zur Beschaffung von Heimreisepapieren verfügt. Sie ist angesichts ihrer organisatorischen Überlegenheit und sachlichen Nähe viel besser in der Lage, die bestehenden Möglichkeiten zu erkennen und die entsprechenden Schritte in die Wege zu leiten.

Diese "Überlegenheit" führt nach Auffassung des Senats dazu, dass in erster Linie die Ausländerbehörde nach Möglichkeiten zu suchen hat, Hindernisse zu beseitigen. So kann sie etwa den Ausländer auf die Möglichkeit der Einschaltung eines Vertrauensanwalts hinweisen, dessen Namen und Kontaktadresse dem Ausländer selbst in aller Regel nicht bekannt ist. Auch kann sie den Ausländer zum Beispiel auf nichtstaatliche Organisationen und Informationsquellen hinweisen, etwa den Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes oder kirchliche Organisationen. Auch diese Stellen dürften in aller Regel einem in Deutschland lebenden Ausländer nicht geläufig oder bekannt sein. Es ist ihm nur dann möglich, diese Schritte zu ergreifen, wenn er von der Ausländerbehörde hierzu angehalten (angestoßen) wird.

Auch der Behörde obliegt es, nachzuweisen, dass sie ihren Pflichten (Hinweis- und Anstoßpflicht) nachgekommen ist. Gelingt dies nicht, so spricht vieles dafür, dass das Bestehen eines Ausreisehindernisses nicht von dem Ausländer zu vertreten ist.

(dd) Die den am Verfahren Beteiligten obliegenden Pflichten stehen schließlich in einem Verhältnis der Wechselseitigkeit. Je eher der eine Teil seinen Obliegenheiten nachkommt, desto weniger kann sich der andere Teil darauf berufen, das Bestehen eines Abschiebehindernisses werde nicht von ihm verschuldet, sondern sei von der anderen Seite zu vertreten oder zu verantworten. In der praktischen Anwendung bedeutet dies etwa, dass die Behörde von einem Verschulden des Ausländers ausgehen kann, wenn dieser Pflichten nicht erfüllt, die ihm konkret abverlangt wurden. Dies gilt jedoch dann nicht mehr, wenn der Ausländer sämtliche Anforderungen erfüllt hat und einerseits keine nahe liegenden Möglichkeiten mehr bestehen, Ausreisehindernisse zu beseitigen, andererseits eine Aufforderung zu weiteren Mitwirkungshandlungen der Behörde unterblieben ist. Der Ausländer muss nicht alles Menschenmögliche unternehmen, sondern nur sämtlichen Aufforderungen der Behörde nachkommen, soweit diese für ihn zumutbar sind. Daneben hat er diejenigen Schritte zu ergreifen, die ihm selbst bei objektiver Sichtweise geeignet erscheinen mussten, das Verfahren zielführend weiter zu betreiben. Zusätzliche Obliegenheiten treffen ihn nur, wenn die Behörde einen entsprechenden Anstoß in Richtung einer bestimmten Maßnahme gegeben hat.

(ee) Zuletzt gilt dann, wenn beide Seiten ihre Obliegenheiten erfüllt haben und das Ausreisehindernis gleich - wohl nicht beseitigt werden konnte, dass dies nicht zu Lasten des Ausländers gehen kann. Ein Verschulden im Sinne einer subjektiven Vorwerfbarkeit liegt dann nämlich nicht vor. Dies ist etwa dann der Fall, wenn Dritte, z.B. die Vertretung des Heimatstaates, sich trotz entsprechender Aufforderungen weigern, Heimreisedokumente auszustellen."

An diesen Grundsätzen hält der Senat auch für die Erteilung von Niederlassungserlaubnissen nach den oben genannten Bestimmungen fest.

Der damit umrissene materiell-rechtliche Maßstab begrenzt zugleich die gerichtliche Aufklärungspflicht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.1.2014 - 1 B 12.13 -). Diese reicht hier nicht so weit wie im asylrechtlichen Verfahren, für welches das Bundesverwaltungsgericht aus § 24 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG - wonach das Bundesamt verpflichtet ist, den Sachverhalt aufzuklären und die erforderlichen Beweise zu erheben - gefolgert hat, dass das Gericht auch für die von ihm zu treffende Feststellung, aus welchem Herkunftsland ein Asylbewerber stammt, der vollen Überzeugungsgewissheit bedarf (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), was die Ermittlung und Würdigung aller durch gerichtliche Aufklärungsmaßnahmen erreichbaren relevanten Tatsachen erfordere (BVerwG, Urt. v. 13.2.2014 - 10 C 6.13 -). Demgegenüber verlangt § 79 Abs. 1 Satz 1 AufenthG schon nur, dass über den Aufenthalt von Ausländern auf der Grundlage der im Bundesgebiet bekannten Umstände und zugänglichen Erkenntnisse entschieden wird. Darüber hinaus ist die "Feststellung, aus welchem Herkunftsland ein Asylbewerber stammt", nicht ohne Weiteres gleichzusetzen mit der "Klärung seiner Staatsangehörigkeit" im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 a AufenthG, zumal die gerichtlichen Aufklärungsmöglichkeiten in den typischen Fallgestaltungen durch höherrangiges Recht in unterschiedlicher Weise begrenzt sein können. Im Asylverfahren müssen Kontakte mit dem Verfolgerland von vornherein unterbleiben, um den Schutzsuchenden nicht zusätzlich zu gefährden; auch eine eventuell bestehende "Personalhoheit" des Verfolgerstaates bleibt deshalb unberücksichtigt. In Fällen wie dem vorliegenden ist es dagegen nicht ein Verfolgerland, sondern ein Drittstaat, zu dem der Ausländer in staatsangehörigkeitsrechtlichen Beziehungen stehen kann. In ein mögliches Rechtsverhältnis dieses Drittstaates zu seinen Staatsangehörigen darf nur eingegriffen werden, soweit sich hierfür eine völkerrechtliche Rechtfertigung findet. Ein amtliches Handeln auf fremdem Staatsgebiet (vgl. z.B. OVG Münster, Beschl. v. 28.3.2013 - 13 A 412/12.A -, juris zur Vernehmung eines Staatsangehörigen in dessen Heimatland durch ausländische Konsularbeamte) ist deutschen staatlichen Stellen (also sowohl Ausländerbehörden als auch Gerichten) ebenso versagt wie ein unmittelbares Eingreifen in ausländische Verwaltungsverfahren, also vor allem in die Kontaktaufnahmen der betreffenden Ausländer zu ihren Konsulaten und in Nachregistrierungsverfahren. Infolgedessen kann die Ausländerbehörde bzw. das Gericht die Einholung von Erkundigungen bei ausländischen Stellen oder die Führung von Nachregistrierungsverfahren lediglich anstoßen, sie aber selbst nicht unter Kontrolle halten. Was im Detail zwischen dem Ausländer und Dienststellen des Drittstaates verhandelt wird, kann sie bzw. es sich allenfalls vom Ausländer berichten lassen. Bleiben die Bemühungen des Ausländers defizitär, kann dies deshalb in aller Regel auch nicht durch Aufklärungsmaßnahmen und Beweiserhebungen des Gerichts ausgeglichen werden, wenn und soweit dies eine Einbeziehung ausländischer Stellen notwendig macht.

Die Anforderungen, die der Senat an das eigene Tätigwerden des Ausländers stellt, sind deshalb nicht gering. Das gilt zumal bei denjenigen Fallgestaltungen, in denen ein gleichgerichtetes Interesse des Ausländers und des ausländischen Staates anzunehmen ist, den Nachweis einer ausländischen Staatsangehörigkeit zu vermeiden. Ein solches Zusammenwirken zu Lasten Dritter - hier der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Rechtsordnung - anzunehmen liegt jedenfalls dann nahe, wenn der Ausländer einer Bevölkerungsgruppe angehört, die in dem betreffenden Drittland nicht wohl gelitten ist. Das kann für yezidische Kurden wie den Kläger - ungeachtet, ob diesem Personenkreis in der Rechtspraxis Asyl zugesprochen worden ist - ohne Weiteres angenommen werden. Dafür spricht aktuell nicht nur der Gehalt verschiedener Auskünfte von türkischen Generalkonsulaten in vergleichbaren Fällen, mit denen die betroffenen Antragsteller ersichtlich entmutigt werden sollten, sondern auch der Umstand, dass das vom Kläger auf Anregung des Senats angegangene "Amt für Auslandstürken" ihm nach seinen Angaben keine Antwort gegeben hat.

Da ihrerseits auch yezidische Kurden mit möglicher türkischer Herkunft (verständlicherweise) selbst kaum Interesse daran haben, eine türkische Staatsangehörigkeit anerkannt zu bekommen, kann es zu einem "Zusammenspiel" in dem Sinne kommen, dass mögliche Nachforschungs- und Nachregistrierungsverfahren durch entsprechende Handhabung von vornherein auf einen Misserfolg hin angelegt werden. Dies kann von der Ausländerbehörde kaum effektiv unterbunden werden. Infolgedessen müssen die Anforderungen, die an die Glaubhaftmachung entsprechender Bemühungen des Ausländers zu stellen sind, umso höher angesetzt werden.

Der Umfang der gebotenen Mitwirkung ergibt sich zunächst aus § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Hiernach ist der Ausländer verpflichtet, seine Belange und für ihn günstige Umstände unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich geltend zu machen und die erforderlichen Nachweise über seine persönlichen Verhältnisse, sonstige erforderliche Bescheinigungen und Erlaubnisse sowie sonstige erforderliche Nachweise, die er erbringen kann, unverzüglich beizubringen. Soweit er - wie hier - zur Mitwirkung der Klärung seiner Staatsangehörigkeit verpflichtet ist, sind seine Auskunfts- und Nachweispflichten nicht notwendig auf seine eigene Person begrenzt, weil auch das Wanderungsschicksal und der staatsangehörigkeitsrechtliche Status engerer und ferner Verwandter unter Umständen Rückschlüsse auf die Staatsangehörigkeit des Antragstellers zulassen. Soweit also die Ausländerbehörde auch größere Familienzusammenhänge in den Blick nimmt, um ihrer Hinweis- und Anstoßpflicht nachzukommen, sind ihr die erforderlichen Auskünfte regelmäßig auch dann zu erteilen, wenn der Ausländer selbst meint, hierauf komme es rechtlich nicht an. Dies kann er nach § 44a VwGO nur im Zusammenhang mit einem Rechtsbehelf gegen die abschließende Sachentscheidung geltend machen.

Die Mitwirkungspflicht des Ausländers verlangt ihm - wie oben dargestellt - darüber hinaus ab, dass er ggf. seine Nachregistrierung im Ausland betreibt. Auch gegenüber den ausländischen Dienststellen muss er - wenn er sich die Ausnahmemöglichkeit nach § 5 Abs. 3 AufenthG offen halten will - wahrheitsgemäß alle zweckdienlichen Auskünfte geben und die erforderlichen Belege beifügen. Hat ihn die deutsche Ausländerbehörde darauf hingewiesen, dass sie bestimmte Auskünfte - etwa über die oft mehrdeutig überlieferten Namen von Vorfahren - als zielführend für eine Nachregistrierung ansieht, dürfen diese Angaben den ausländischen Dienststellen gegenüber nicht verschwiegen werden.

Im Übrigen ist unter dem Gesichtspunkt des zu betreibenden Aufwands für ein Nachregistrierungsverfahren im Ausland von vornherein mindestens das zumutbar, was auch das deutsche Recht in § 30 Abs. 2 StAG für eine behördliche Feststellung der der deutschen Staatsangehörigkeit abverlangt, nämlich:

"Für die Feststellung des Bestehens der deutschen Staatsangehörigkeit ist es erforderlich, aber auch ausreichend, wenn durch Urkunden, Auszüge aus den Melderegistern oder andere schriftliche Beweismittel mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist, dass die deutsche Staatsangehörigkeit erworben worden und danach nicht wieder verloren gegangen ist."

Soweit das ausländische Staatsangehörigkeitsrecht den Erwerb bzw. Verlust der jeweiligen Staatsangehörigkeit an strengere materiell-rechtliche Voraussetzungen knüpft als das deutsche Recht, kann die Ausländerbehörde dem Ausländer aber ohne Weiteres zumuten, auch hierfür in entsprechendem Umfang dem fremden Staat gegenüber Nachweise zu erbringen.

In der Sache verkennt der Senat nicht, dass der Versuch einer Nachregistrierung von yezidischen Kurden, die in Syrien gelebt haben, schon wegen des Desinteresses der Türkei an diesem Personenkreis regelmäßig auf Schwierigkeiten stoßen wird. Das nötigt aber noch nicht zu der Annahme, dass Nachregistrierungsanträge in diesen Fällen von vornherein aussichtslos sind. Wie bereits im Zulassungsbeschluss formuliert, ist die bestehende "Registrierungslage" zunächst regelmäßig auszuloten und auf dieser Grundlage ggf. ein konkretes Nachregistrierungsverfahren einzuleiten.

Hiervon ausgehend hat sich der Senat nicht davon überzeugen können, dass der Kläger bereits alles ihm Zumutbare unternommen hat.

Insoweit gelten nach wie vor die im Zulassungsbeschluss angestellten Erwägungen, die wie folgt ergänzt werden:

Aus dem Ausbleiben einer Antwort des Amtes für Auslandstürken auf die vom Senat angestoßene Nachfrage zieht der Senat keine unmittelbaren Schlüsse für das vorliegende Verfahren. Inzwischen spricht manches dafür, dass die genannte Institution vornehmlich auf Öffentlichkeitsarbeit ausgerichtet ist und sich mit Einzelschicksalen nicht befasst, zumal nicht mit denen randständiger Bevölkerungsgruppen wie Yeziden, von denen es in der Türkei nur noch wenige Hundert geben soll. Der Kläger hat jedoch über diese Anfrage hinaus das Berufungsverfahren nicht dazu genutzt, die bereits im Zulassungsbeschluss im Einzelnen dargestellten Bedenken des Senats zu zerstreuen, dass sein bisheriges Vorbringen eine Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Ausnahme noch nicht rechtfertige, obwohl der Senat in jenem Beschluss bereits den Hinweis gegeben hat:

"Wie oben bereits angedeutet, geht der Senat nicht davon aus, dass er selbst im Berufungsverfahren in größerem Umfang Amtsermittlung zu betreiben haben wird. Es wird im Berufungsverfahren vielmehr Sache des Klägers sein, den Senat davon zu überzeugen, dass er selbst keine weiteren Möglichkeiten mehr hatte bzw. noch hat, die Aufklärung seiner staatsangehörigkeitsrechtlichen Lage weiter zu fördern."

Der Senat hält deshalb an den fraglichen Ausführungen in vollem Umfang fest. Richtig ist zwar, dass der Kläger und seine Familie sich Nachfragen des Beklagten gegenüber nicht durchgängig verschlossen verhalten haben. Die Akten enthalten auch detaillierte Darstellungen nachgefragter Sachverhalte (z.B. Vermerk vom 19. Juni 2008 und Schreiben vom 31. August 2008). Durchgängig vermitteln sie jedoch den Eindruck, dass der Kläger und seine Familienangehörigen ihre Angaben jeweils danach ausgerichtet haben, was ihnen in der jeweiligen Situation opportun erschien. Insbesondere hat der Kläger selbst - noch vertreten durch andere Prozessbevollmächtigte - in seinem Asylverfahren unterschiedlich vorgetragen. Nach dem Tatbestand des Senatsurteils vom 22. Juni 2004 (- 2 L 6129/96 -) hat er sich im behördlichen Verfahren zunächst wie folgt eingelassen:

"Am 27. September 1990 stellte er mit Schriftsatz seiner damaligen Bevollmächtigten (Rechtsanwältin Poeschel aus Hannover) vom 25. September 1990 einen Asylantrag, den er damit begründete, dass er in Syrien als Yezide, der die syrische Staatsangehörigkeit nicht besitze, nicht anerkannt werde. Als Ausweispapier legte er einen rot-orangefarbenen Auszug aus dem Personenstandsregister für Ausländer im Bezirk Hassake vom 20. Mai 1990 vor, auf dem u. a. vermerkt ist, dass gemäß der Volkszählung von 1962 für den (verheirateten) Kläger im Register für die arabischen Syrer im Bezirk Hassake keine Eintragungen bestünden.

In einem weiteren Schriftsatz seines nunmehr für das Asylverfahren beauftragten Bevollmächtigten (Rechtsanwalt Knopp aus Hannover) vom 29. Dezember 1993 erklärte der Kläger, die syrische Staatsangehörigkeit zu besitzen und als kurdischer Yezide in Syrien einer mittelbaren, gruppengerichteten Verfolgung durch muslimische Syrer ausgesetzt zu sein, der der syrische Staat nicht wirksam Einhalt gebiete."

Nach Zulassung der Berufung im Asylverfahren hat er sein Vorbringen laut diesem Tatbestand wie folgt verändert:

"Zur Begründung seiner Berufung macht der Kläger geltend, er sei in Syrien als Staatenloser behandelt worden und habe dort weder einen syrischen Reisepass noch einen syrischen Personalausweis besessen. Auch der von ihm im Original vorgelegte rot-orangefarbene Ausweis belege seine Staatenlosigkeit in Syrien. Tatsächlich sei er aber türkischer Staatsangehöriger. Wie Zeugen belegen könnten, habe sein Großvater C., der türkischer Staatsangehöriger gewesen sei und in dem türkischen Dorf Davudi, Kreis Diyarbakir geboren worden sei, mit seiner Großmutter D. ca. im Jahr 1950 zusammen mit seinen Söhnen E. - hierbei habe es sich um den ebenfalls in Davudi geborenen Vater des Klägers gehandelt - und F. die Türkei fluchtartig in Richtung Syrien verlassen. Sein Vater sei bei der Flucht vier oder fünf Jahre, sein Onkel zwei oder drei Jahre alt gewesen. Da weder sein Großvater noch sein Vater die türkische Staatsangehörigkeit verloren hätten, sei davon auszugehen, dass auch er - der Kläger - nach türkischem Staatsangehörigkeitsrecht die türkische Staatsangehörigkeit besitze; denn nach türkischem Recht sei es unerheblich, ob ein Sohn eines türkischen Staatsangehörigen so wie er - der Kläger - außerhalb der Türkei geboren werde. Ihm, dem Kläger, könne auch nicht vorgehalten werden, zu seiner türkischen Staatsangehörigkeit erst im Berufungsverfahren konkret vorgetragen zu haben. Abgesehen davon, dass er bereits in seiner Anhörung vor dem Bundesamt darauf hingewiesen habe, dass seine Vorfahren aus der Türkei stammten, sei der Sachverhalt, dass er türkische Vorfahren habe, bis zum Jahre 2001 nicht entscheidungserheblich gewesen. Von einem Asylkläger könne nicht erwartet werden, dass er jeglichen Sachverhalt vortrage, der nicht entscheidungsrelevant sei. Bei der Asylantragstellung sei aber für die Beklagte noch nicht relevant gewesen, dass er, der Kläger, türkische Vorhaben habe. Die Entscheidungserheblichkeit seiner türkischen Staatsangehörigkeit habe sich erst durch die (geänderte) Rechtsprechung des Senats im Jahre 2001 ergeben. Erst mit dem Urteil des Senats vom 27. März 2001 - 2 L 2505/98 - sei nämlich festgestellt worden, dass Syrien für staatenlose Kurden nicht mehr das Land des gewöhnlichen Aufenthalts sei; zuvor seien alle Verwaltungsgerichte und Oberverwaltungsgerichte davon ausgegangen, dass auch staatenlose Kurden ohne weiteres nach Syrien zurückkehren könnten. Könne er sich somit auch in diesem Berufungsverfahren noch auf seine türkische Staatsangehörigkeit mit Erfolg berufen, so müsse dies auch zu seiner Anerkennung als Asylberechtigter und zur Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG führen. Denn wie etwa das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. Juli 2003 - 8 A 4018/00.A - feststelle, seien Yeziden in der Türkei weiterhin einer mittelbaren gruppengerichteten Verfolgung ausgesetzt, die auf jeden Fall zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Türkei führe. Er sei auch weiterhin streng gläubiger Yezide, bete regelmäßig und halte sich an die Instruktionen, die er bei Besuchen seiner Scheiks und Pirs erhalte."

Selbst wenn ihm die seinerzeitige Umstellung seiner Argumentation - die der Senat wegen Präklusion nach § 79 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 128 a Abs. 1 VwGO seinerzeit nicht berücksichtigt hat - als solche nicht vorgehalten werden kann, steht dieser Vortrag nunmehr in einem nicht aufgelösten Widerspruch zu seinem jetzigen Vorbringen.

Anschaulich für die Art und Weise, in welcher der Kläger und seine weit verzweigte Familie den Informationsfluss gesteuert haben, ist auch das Verschweigen von Informationen über eine Großmutter des Klägers, die nach jetzigem Erkenntnisstand in der Nähe von Hamburg lebt und türkische Staatsangehörige ist. Die Akten enthalten Gesprächsvermerke vom 11., 18. und 28. Juni 2007, aus denen hervorgeht, dass die Weitergabe solcher Informationen als familienschädigend betrachtet und deshalb innerhalb der Großfamilie gegenseitige Vorwürfe erhoben wurden. Bei einer Gesamtschau der Akten ergibt sich ohne vernünftige Zweifel, dass die Aufklärung der familiären Zusammenhänge einzig der besonderen Hartnäckigkeit geschuldet ist, mit welcher der Beklagte eigene Nachforschungen angestellt hat. Wie das Verwaltungsgericht zu der Sichtweise gelangt ist, die gesamte Familie habe zur Klärung der Identität/ Staatsangehörigkeit des Klägers "mannigfaltige Bemühungen" erkennen lassen, ist deshalb nur begrenzt nachvollziehbar. Der Kläger und seine Familie haben durchgängig nur auf konkrete Vorhaltungen reagiert. Die im Beklagtenvortrag noch aufgeführten Zweifel hat der Kläger durchweg nicht auszuräumen versucht.

Zu Recht weist der Beklagte auch darauf hin, dass sich dieses "Mauern" des Klägers noch in seiner vom Senat angestoßenen Anfrage an das Amt für Auslandstürken fortgesetzt hat. Der Kläger hat darin nicht die doch eher reichhaltigen Anknüpfungspunkte für einen Nachregistrierungsanspruch zusammengestellt, die der Beklagte ermittelt hat, sondern nur selektive, für einen Nachregistrierungsanspruch ungünstige Angaben gemacht. Insoweit kommt es nicht darauf an, dass sich das Herantreten an das Amt für Auslandstürken als grundsätzlich nicht erfolgversprechend erwiesen hat; das ändert nichts an dem Befund, dass das Verhalten des Klägers - wie sich auch in diesem Detail gezeigt hat - durchgängig von einer Vermeidungshaltung gegenüber dem möglichen Erfolg eines Nachregistrierungsantrags geprägt war.

Soweit auch in diesem Anschreiben an das Amt für Auslandstürken ein früherer "türkifizierter" Familienname nicht genannt worden ist, geht der Senat auch weiterhin davon aus, dass der Kläger ein unzutreffendes Bild vom kulturellen Zusammenhalt und der kollektiven Erinnerung yezidisch-kurdischer Familien türkisch-syrischer Herkunft zeichnet. Die religiösen Anforderungen des yezidischen Glaubens und deren Auswirkungen auf das Alltagsleben sind in einer Vielzahl von asyl- und ausländerrechtlichen Verfahren beschrieben worden. Das weitgehende Fehlen schriftlicher Dokumente und Aufzeichnungen ist demnach kein Anzeichen für unzureichend entwickelte kulturelle Fähigkeiten, sondern wird durch ausgeprägte mündliche Überlieferung ausgeglichen. Die hier geltend gemachten kollektiven Erinnerungslücken, die einen gezielten Zugriff auf die türkischen Register verbauen, sind deshalb wenig plausibel. Insoweit verbleibt es bei den Ausführungen im Zulassungsbeschluss des Senats, er neige dazu, "auch bei ausländischen Familien im Zweifel davon auszugehen, dass diese über ihre eigenen Familienverhältnisse regelmäßig gut informiert sind, auch was staatsangehörigkeitsrechtliche Fragen und mögliche Entwicklungen der Namensvergabe oder -nutzung angeht. Gerade dann, wenn wegen einer Glaubenszugehörigkeit (hier yezidisch) möglicherweise nicht alle wichtigen Ereignisse wie Hochzeiten amtlich registriert werden oder wenn Details der staatsangehörigkeitsrechtlichen Einordnung in einem (zwischenzeitlichen) Aufenthaltsland wie Syrien gewichtige - auch wirtschaftliche - Folgen haben, kann davon ausgegangen werden, dass die für den Familienzusammenhalt bedeutsamen Ereignisse den Folgegenerationen im Sinne einer "Oral History" weitervermittelt werden. Soweit eine Namensänderung im Zuge der "Türkifizierung" von Kurden in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts in Rede steht, hat sogar die Klageschrift selbst angemerkt, die dabei vergebenen "ordentlichen" türkischen Namen seien von den betroffenen Familien durchweg zunächst nicht akzeptiert worden. Es ist wenig wahrscheinlich, dass solche einschneidenden Ereignisse - und die dabei oktroyierten Namen - schon nach wenigen Generationen in Vergessenheit geraten, zumal sie auch für die Registrierung von Grundeigentum Bedeutung haben konnten, das die Familie des Kläger im Herkunftsort Davudi nach einer Zeugenaussage noch hatte. Schließlich dürften auch die zuständigen Scheichs angesichts der ihnen im Yezidentum eingeräumten, nicht nur religiösen Rolle eine verlässliche familiengeschichtliche Quelle darstellen."

Vor diesem Hintergrund sieht der Senat die Voraussetzungen für eine durchgreifende Ermessensreduzierung nicht als gegeben an. Soweit das Verwaltungsgericht seine gegenteilige Annahme auch mit den bisherigen Integrationsleistungen des Klägers begründet hat, ist damit zweifellos ein gewichtiger Abwägungsgesichtspunkt bezeichnet. Zu einer gelungenen Integration gehört indes auch, dass Mitwirkungspflichten, wie sie hier gegeben sind, bereitwillig und vollständig erfüllt werden und dass auch die Erfüllung der ordnungsrechtlichen Aufgaben des Staates als wesentlicher Teil des gesellschaftlichen Zusammenlebens akzeptiert wird. Diese Umstellung ist dem Kläger nach dem sich aus dem vorliegenden Verfahren ergebenden Eindruck noch nicht vollends gelungen. [...]