VG Regensburg

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Zitieren als:
VG Regensburg, Urteil vom 31.03.2014 - RN 7 K 13.30434 - asyl.net: M22012
https://www.asyl.net/rsdb/M22012
Leitsatz:

§ 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ist bei der Feststellung subsidiären Schutzes nicht anwendbar. Die Feststellung der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 AsylVfG steht nicht entgegen, wenn bereits in einem anderen Mitgliedstaat subsidiärer Schutz zuerkannt wurde. Dabei ist auch § 71a AsylVfG nicht anwendbar, da nach § 13 AsylVfG das Tatbestandsmerkmal des erfolglosen Asylverfahrens fehlt.

Schlagwörter: Somalia, Italien, subsidiärer Schutz, Zweitantrag, Dublinverfahren,
Normen: AsylVfG § 4, AsylVfG § 71a, AufenthG § 60 Abs. 2,
Auszüge:

[...] Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 4 AsylVfG.

a) Der Feststellung steht nicht entgegen, dass der Klägerin bereits in Italien subsidiärer Schutz gewährt wurde.

aa) Soweit die Klägerin die Gewährung subsidiären Schutzes begehrt, ist § 71a AsylVfG nicht anwendbar, weil nach § 13 AsylVfG n.F. wegen des in Italien gewährten subsidiären Schutzes das Tatbestandsmerkmal des erfolglosen Asylverfahrens fehlt. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die entsprechenden Gesetzesänderungen auf vor dem 1.12.2013 gestellte Zweitanträge keine Anwendung finden (so VG Ansbach, Urteil vom 10.12.2013, Az. AN 2 K 12.30329). Es entspricht dem generellen Grundsatz des § 77 AsylVfG, dass in gerichtlichen Verfahren jeweils die aktuelle Rechtslage zugrunde zu legen ist, auch sonst wird hingenommen, dass sich die Beurteilung des Asylantrags wegen nachträglich eingetretener Umstände während des gerichtlichen Verfahrens ändern und unter Umständen zum gegenteiligen Ergebnis führen kann (vgl. Marx, AsylVfG, 7.Auflage, § 77 Rn. 7). Es hat auch der Gesetzgeber den Bedarf für Übergangsregelungen wegen der Einbeziehung des subsidiären Schutzes in das Asylverfahren erkannt, wie aus der Vorschrift des § 104 Abs. 9 AufenthG n.F. zu erkennen ist. Dennoch wurde keine Regelung bezüglich der bereits anhängigen Asyl-(Zweit-)Verfahren getroffen.

Die Vorschrift kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dass nur beim Vorliegen ihrer Voraussetzungen ein Anspruch auf Durchführung eines Asylverfahrens besteht. Vielmehr ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift, der Stellung als Sondervorschrift für Folgeanträge innerhalb des Gesetzes und der Vergleichbarkeit zu § 71 AsylVfG, dass das auf einen Antrag hin grundsätzlich durchzuführende Asylverfahren (ausnahmsweise) ausgeschlossen werden soll. Ein solches ist demnach durchzuführen, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 71a AsylVfG nicht vorliegen.

bb) Die Feststellung ist nicht nach § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ausgeschlossen, weil dieser auf die Feststellung des subsidiären Schutzes nicht anwendbar ist (vgl. oben).

cc) Ein Anspruch der Klägerin auf Feststellung der Voraussetzungen des § 4 AsylVfG entfällt auch nicht aufgrund einer von der Beklagten angenommenen materiell-rechtlichen Subsidiarität des internationalen Schutzes.

Die diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 8.2.2005, Az. 1 C 29.03) konnte wegen grundlegender Unterschiede zwischen Flüchtlingsanerkennung und Abschiebungsschutz schon auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F. keine Anwendung finden (vgl. VG Regensburg, Urteil vom 14.2.2013, Az. RO 7 K 12.30272 - juris). Es kann offen bleiben, ob wegen der nunmehr auch beim subsidiären Schutz vorzunehmenden Statusfeststellung insoweit eine andere Betrachtung geboten wäre. Selbst bezüglich der Flüchtlingsanerkennung hat das Bundesverwaltungsgericht den entsprechenden Rechtsstandpunkt nämlich ausdrücklich aufgegeben (vgl. Urteil vom 4.9.2013, Az. 10 C 13/11).

Soweit die Beklagte in anderen gerichtlichen Verfahren vertreten hat, dass diese Änderung der Rechtsprechung sich nur auf die Flüchtlingsanerkennung beziehe und keinen Schluss auf den subsidiären Schutz zulasse, kann dem nicht gefolgt werden. Nach der Entscheidung ist nunmehr vorrangig das verfahrensrechtliche Konzept heranzuziehen. Dieses sei im deutschen Recht in § 29 Abs. 1 AsylVfG umgesetzt worden. Aufgrund der Änderung der Definition des Asylantrags in § 13 AsylVfG ist diese Vorschrift nunmehr auch auf einen Antrag auf subsidiären Schutz anwendbar. Dies macht auch die ohne Änderung verbliebene Einschränkung des § 71a AsylVfG auf Fälle erfolgloser Asylverfahren schlüssig: im Fall erfolgreicher Asylverfahren ist bereits mit § 29 AsylVfG eine Regelung getroffen. Danach ist ein Antrag aber nur dann unbeachtlich, wenn die Rückführung in den Drittstaat möglich ist. Diese ist nach dem Eintritt der Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland wegen Ablaufs der Überstellungsfrist nicht nach der Dublin-II-VO möglich. Darüber hinaus hat das Bundesamt ausdrücklich entschieden, dass wegen des Schutzes der Familie und des Aufenthaltsrechts anderer Familienmitglieder eine Rückführung auch nicht erfolgen soll. Insoweit würden einer u.U. tatsächlich möglichen Rückführung auch Rechtsgründe entgegen stehen. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 29 AsylVfG sind daher nicht gegeben.

dd) Der Ausschluss einer weiteren Feststellung ergibt sich auch nicht aus der Dublin-II-VO, die wegen Art. 49 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO [VO (EU) 604/2013] im Fall der Klägerin noch anwendbar ist. Die Dublin-II-VO regelt die Zuständigkeit eines Mitgliedstaates für das Asylverfahren eines Antragstellers. Wie sich u.a. aus Art. 16 Abs. 2 Dublin-II-VO ergibt, kann die Zuständigkeit für ein Asylverfahren auch eintreten, wenn ein Asylverfahren in einem anderen Mitgliedstaat schon abgeschlossen ist. Davon geht im Übrigen auch § 71a AsylVfG aus. Da in der Dublin-II-VO eine Regelung fehlt, die die bereits getroffene Entscheidung für den neu zuständigen Staat verbindlich machen würde, ergibt sich somit gerade aus der Dublin-II-VO ein Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens. Nur damit wird nach Entfallen der Zuständigkeit des Mitgliedstaates, der bereits Schutz gewährt hat, der Zweck der Überstellungsfristen gewahrt, dass möglichst rasch Gewissheit über den für den Schutzbedürftigen zuständigen Staat geschaffen werden soll. Hier ist unstreitig aufgrund des Ablaufs der Überstellungsfrist die Zuständigkeit der Bundesrepublik für ein Asylverfahren der Klägerin eingetreten. Die für Folgeanträge im europäischen Recht in Art. 25 RL 2005/85/EG für die Flüchtlingsanerkennung und in Art. 33 RL 2013/31/EU für den internationalen Schutz vorgesehenen Möglichkeiten der Einschränkungen des weiteren Asylverfahrens sind in Deutschland durch § 71a AsylVfG für ablehnende Entscheidungen im Drittstaat und durch § 29 AsylVfG für stattgebende Entscheidungen im Drittstaat umgesetzt. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften sind nach obigen Ausführungen bezüglich des subsidiären Schutzes aber nicht gegeben.

Im Ergebnis ist festzustellen, dass es keine Rechtsgrundlage für die Annahme des Bundesamts gibt, dass wegen des bereits in Italien gewährten subsidiären Schutzes kein Anspruch mehr auf Feststellung des subsidiären Schutzes in Deutschland gegeben sei.

b) Der begehrten Feststellung bezüglich des subsidiären Schutzes steht auch nicht entgegen, dass die Voraussetzungen für die Feststellung nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 AsylVfG beim Herkunftsstaat Somalia nicht gegeben wären. In Süd- und Zentralsomalia herrscht ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, aufgrund dessen der Klägerin eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt droht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG).

Wie auch im aktuellsten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 12.6.2013 beschrieben wird, haben die seit spätestens 1991 fehlende effektive Staatsgewalt und die faktische Machtausübung bewaffneter extremistischer, in Fundamentalopposition zur ehemaligen Übergangsregierung sowie zur neuen Bundesregierung stehenden Gruppen in weiten Teilen Somalias für die allgemeine Menschenrechtslage desaströse Folgen. Grundlegende Menschenrechte wie das Recht auf Leben, Freiheit und körperliche Unversehrtheit würden regelmäßig verletzt. Die entsprechenden Detailbeschreibungen sind in den vorliegenden Lageberichten des Auswärtigen Amtes seit 2006 ungeachtet der Unterschiede in der Beschreibung der politischen Lage im Wesentlichen unverändert. Ebenso steht seit Jahren fest, dass die Verhältnisse in Somaliland und Puntland zwar besser sind, diese aufgrund des somalischen Clansystems aber keine erreichbare innerstaatliche Fluchtalternative darstellen. Entsprechend dieser Ausgangslage entsprach es - wie aus hier anhängig gewesenen Verfahren somalischer Staatsangehöriger bekannt ist - spätestens seit ca. 2007 der Praxis der Beklagten bei glaubhafter Herkunft aus Süd- und Zentralsomalia generell zumindest Abschiebungsschutz wegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts oder drohender Menschenrechtsverletzungen zu gewähren. Eine quantitative Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos (vgl. BVerwG, Urteile vom 27.4.2010, Az. 10 C 4.09 und vom 17.11.2011, Az. 10 C 13.10) erfolgte insoweit nicht. Sie war auch nicht möglich, weil es keine Staatsgewalt und deshalb auch keine Erfassung von Verletzungs- und Todesopfern bewaffneter Konflikte oder Straftaten gab und auch der Zugang von internationalen Hilfsorganisationen, Pressevertretern und anderen Personen, die insoweit Zahlenmaterial hätten liefern können, stark eingeschränkt bis unmöglich war. Bestätigt wurde die Entscheidungspraxis des Bundesamts durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 28.6.2011 (Nr. 8319/07 Sufi u. Elmi), in der ebenfalls die ernsthafte Gefahr einer Verletzung von Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) für Jedermann in Mogadishu und das Fehlen einer innerstaatlichen Fluchtalternative angenommen wurde.

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Situation in Süd- und Zentralsomalia maßgeblich geändert hat. Zwar hat der EGMR in einer Entscheidung vom 5.9.2013 (Nr. 886/11) im Fall eines somalischen Staatsangehörigen, dessen Abschiebung nach Somaliland angedroht worden war und bei dem die Weiterschiebung nach Mogadishu nicht auszuschließen war, unter Auswertung aktueller Erkenntnisquellen entschieden, dass sich die Situation so verbessert habe, dass nicht mehr angenommen werden könne, es bestehe für Jedermann in Mogadishu das ernsthafte Risiko einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gemäß Art. 3 EMRK. Schon in einer "Dissenting Opinion" zur Entscheidung vom 5.9.2013 wurde aber ausgeführt, dass der EGMR seine eigenen Vorgaben in der Entscheidung vom 28.6.2011 nicht ausreichend berücksichtigt habe. Insbesondere sei nicht hinreichend berücksichtigt worden, dass die Einschätzung des Rückgangs ziviler Opfer nicht auf belastbaren Zahlen beruhe, es sei die Zahl der Rückkehrer vor dem Hintergrund der weiterhin extrem hohen Zahl der Vertriebenen überbewertet und die fehlende gesicherte Lebensgrundlage für Rückkehrer missachtet worden sowie die Unberechenbarkeit der Situation nach zwanzig Jahren Bürgerkrieg nicht hinreichend berücksichtigt worden. Zudem wird in der Entscheidung vom 5.9.2013 betont, dass ebenso wie in der am 28.6.2011 getroffenen Entscheidung die jeweilige Situation im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgebend sei (vgl. insbesondere Rn. 79 der Entscheidung vom 5.9.2013). Die vom EGMR angenommene positive Entwicklung in Mogadishu hat sich weder bestätigt noch fortgesetzt. Zwar hat die Al Shabab nicht wieder offiziell die Macht in Mogadishu übernommen, aktuelle Zeitungsberichte belegen aber, dass regelmäßig Sprengstoffattentate mit Tötung und Verletzung von Zivilpersonen stattfinden (vgl. z.B. Spiegel Online vom 19.10.2013: Anschlag auf Restaurant; vom 8.11.2013: Anschlag auf Hotel; vom 1.1.2014: Anschlag auf Hotel; vom 13.2.2014: Anschlag auf Flughafen; vom 21.2.2014: Anschlag auf Präsidentenpalast), ohne dass eingeschätzt werden kann, mit welcher Vollständigkeit entsprechende Vorfälle international bekannt werden. Nachdem in der Entscheidung des EGMR noch angenommen wurde, dass es am internationalen Flughafen Mogadishu keine Anschläge gebe (vgl. Rn. 37) hat ein solcher am 13.2.2014 mit mindestens sieben Toten stattgefunden (vgl. Spiegel Online vom 13.2.2014). Es kann daher nur der Schluss gezogen werden, dass sich die Methoden des innerstaatlichen Konflikts innerhalb von Mogadishu und anderer "befreiter" Städte geändert haben, nicht aber, dass er beendet ist. Auch im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 12.6.2012 wird ausgeführt, dass in Somalia Bürgerkrieg herrscht, obwohl sich die Lage im Süden und Westen und einigen Städten in Süd-Somalia "etwas beruhigt habe". Bei der deutschen Bundeswehr wurde die Gefahrenlage in Somalia im März 2014 auf der höchsten Stufe als "erheblich" eingeschätzt (vgl. Spiegel Online vom 4.3.2014). Aktuelle Berichte über die Situation von Binnenvertriebenen (Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 25.10.2013 und Amnesty-Länderinformationen vom 16.11.2013) ergeben, dass es in den IDP-Camps keine gesicherte Lebensgrundlage gibt; vor diesem Hintergrund kann die Rückkehr von Personen nach Mogadishu nicht als Indiz oder gar Beleg dafür gesehen werden, dass eine ernsthafte Bedrohung jedes Einzelnen in Mogadishu nicht mehr gegeben sei. Die vorliegenden Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage lassen keine Einschätzung zu, in welchem Umfang es trotz des Endes offener bewaffneter Konflikte zu Vorfällen kommt, die nur zu Verletzung von Einzelpersonen führen; die erhebliche Bedrohung der Unversehrtheit von Zivilpersonen ist im Rahmen des hier zu prüfenden § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG aber beachtlich. Fest steht, dass die Al Shabab in einigen Landesteilen weiterhin die Macht hat und in Mogadishu trotz des Verlustes der Herrschaft noch präsent ist. Berichtet wird, dass jeder, der öffentlich eine negative Haltung gegenüber der Al Shabab zeigt, in Gefahr ist (vgl. Landinfo, Oslo/Danish Immigration Service, Security and protection in Mogadishu and South-Central Somalia, Mai 2013, nachfolgend abgekürzt mit Landinfo, Mai 2013). Besonders gefährdet seien auch Personen, die von der Al-Shabab verdächtigt werden, Spione der Regierung zu sein (vgl. Landinfo Mai 2013; amnesty Jahresbericht 2013). Umgekehrt wird auch beschrieben, dass es zu Übergriffen der Regierungskräfte auf Personen kommt, die verdächtigt werden, der Al Shabab anzugehören, insbesondere nach Anschlägen der Al Shabab (vgl. Landinfo, Mai 2013; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 12.6.2013). Keine sicheren Rückschlüsse lassen die vorliegenden Erkenntnisquellen zu, in welchem Umfang es auch in den "befreiten" Städten noch zu der von der Mehrheit der männlichen Asylbewerber geschilderten Zwangsrekrutierung durch die Al Shabab kommt bzw. zu der von weiblichen Asylbewerberinnen geschilderten Durchsetzung extrem islamistischer Vorstellungen zum Auftreten von Frauen, jeweils unter Androhung und Ausübung körperlicher Gewalt. Solche Handlungen sind als Machtinstrument einer Bürgerkriegspartei Ausfluss des außerhalb der "befreiten" Städte immer noch stattfindenden innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Die verfügbaren Erkenntnisquellen lassen allenfalls Schätzungen bezüglich der Todesopfer zu, nicht aber zu sonstigen Gewaltopfern. Eine quantitative Ermittlung des Tötungsund Verletzungsrisikos entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. oben) ist daher weiterhin nicht möglich.

Zusätzlich zu dieser generellen Einschätzung der Lage in Somalia, kann sich die Klägerin auf Art. 4 Abs. 4 QualRL berufen. Auch wenn ihre Angaben zu den konkreten Ausreisegründen nicht glaubhaft sind, gibt es keine Anhaltspunkte, dass sie Somalia – nach den EURODAC-Treffern wohl im Jahr 2008 – aus anderen Gründen als wegen der instabilen Verhältnisse verlassen hat. Es müssen daher stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung bedroht wird. Nach einem zwanzig Jahre dauernden Bürgerkrieg, mit ständig wechselnden Fronten und häufigem Wechsel der Machtverhältnisse in einzelnen Gebieten ist dies nicht schon deshalb der Fall, weil derzeit die Al Shabab die Macht in Mogadishu so weit verloren hat, dass keine offenen bewaffneten Konflikte mehr stattfinden. Es gibt keine belastbaren Zahlen, in welchem Umfang andere Aktivitäten der Al Shabab bzw. anderer regierungsfeindlicher Gruppierungen sowie willkürliche Akte der auf der Seite der Regierung stehenden Einheiten weiterhin Todes- und Verletzungsopfer in der Zivilbevölkerung fordern. Die in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen beschreiben im Ergebnis lediglich, dass die Regierung Siege über die Al Shabab in Mogadishu und anderen Städten errungen hat, nicht dagegen, dass es ihr bereits gelungen wäre, dort ein funktionierendes Polizei- und Justizsystem aufzubauen, das die Bevölkerung effektiv schützen kann. Die insoweit getroffene Einschätzung wird im Übrigen durch eine erst nach der mündlichen Verhandlung hier bekannt gewordene Stellungnahme des UNHCR ("International Protection Considerations with Regard to people fleeing Southern and Central Somalia", Januar 2014) bestätigt, die auf der Grundlage einer Auswertung der Situation bis 24.12.2013 ebenfalls von einem weiterhin gegebenen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt mit erheblichen Opfern in der Zivilbevölkerung ausgeht.

Dass sich die Situation in Süd- und Zentralsomalia nicht grundlegend geändert hat und weiterhin dramatisch ist, nimmt im Übrigen offenbar auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge selbst an. Von diesem wird zwar einerseits in gerichtlichen Verfahren einzelner Kläger (z.B. im Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht Az. 10 C 6.13 oder in einzelnen hier anhängig gewordenen Verfahren) die Auffassung vertreten, dass die erforderliche Gefahrendichte für ein Schadensrisiko aller am Ort Aufhältigen nicht mehr gegeben sei. Andererseits wurden aber gleichzeitig im Zeitraum seit 2012 bis heute in erheblichem Umfang bei somalischen Staatsangehörigen neben Flüchtlingsanerkennungen weiterhin Abschiebungshindernisse festgestellt. Ausweislich der vom Bundesamt herausgegebenen Statistik erfolgten im Jahr 2012 in 278 Fällen Flüchtlingsanerkennungen, in 230 Fällen wurden Abschiebungsverbote festgestellt (in Relation zu 38 Ablehnungen). Im Jahr 2013 erfolgten in 452 Fällen Asyl- oder lüchtlingsanerkennungen, in 268 Fällen wurden Abschiebungsverbote festgestellt (in Relation zu 274 Ablehnungen). Im Zeitraum vom 1.1.2014 bis 28.2.2014 wurden in 73 Fällen Asyl- oder Flüchtlingsanerkennungen ausgesprochen, in 27 Fällen erfolgte die Gewährung von subsidiärem Schutz, in 19 Fällen die Feststellung von Abschiebungsverboten (in Relation zu 32 Ablehnungen). Aufgrund der Zahlen kann nicht davon ausgegangen werden, dass alle stattgebenden Entscheidungen auf vorangegangenen entsprechenden gerichtlichen Verurteilungen beruht haben oder dass es sich um Einzelfallentscheidungen gehandelt haben kann.

Von der Beklagten wurde nicht angezweifelt, dass die Klägerin - wie angegeben - aus Mogadishu - kommt. Dies ist auch trotz der Ungereimtheiten der weiteren Angaben glaubhaft. Die Angaben bei der Anhörung beim Bundesamt zeigen Ortskenntnisse, die Angaben zu ihrem Clan Sachkenntnisse. [...]