VG Bayreuth

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Zitieren als:
VG Bayreuth, Beschluss vom 25.02.2014 - B 4 K 12.846 - asyl.net: M22036
https://www.asyl.net/rsdb/M22036
Leitsatz:

Wird ein abgelehnter Asylbewerber abgeschoben und reist er nach Jahren wieder ein, ist für die Erhebung von Abschiebungskosten die Ausländerbehörde des Bundeslandes zur Sachentscheidung befugt, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder hatte (im Anschluss an BVerwG, U.v. 22.03.2012 – BVerwGE 142, 195/199 – 201, Rn. 14 – 19 zur Befristung der Wirkungen der Abschiebung).

Ein abgeschobener Ausländer, der ohne erforderliches Visum wieder nach Deutschland zum Daueraufenthalt einreist, begründet seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet erst, wenn die Sperrwirkung der Abschiebung aufgehoben wurde und er nach kurzfristiger Rückkehr in sein Heimatland und (nachgeholter) Durchführung des Visumsverfahrens erneut eingereist ist.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Abschiebungskosten, örtliche Zuständigkeit, unerlaubte Einreise, Abschiebung, abgeschobener Ausländer, gewöhnlicher Aufenthalt, Sperrwirkung, Wirkung der Abschiebung, Visumsverfahren, Nachholung des Visumsverfahrens, Aufenthaltsrecht, Leistungsbescheid, Abschiebungshaft, Kosten der Abschiebungshaft, Kostenerstattung, Kostenerstattungspflicht,
Normen: AufenthG § 67 Abs. 3, AufenthG § 71, AufenthG § 66 Abs. 1, VwKostG § 14 Abs. 2 S. 1,
Auszüge:

[...]

a) Der Leistungsbescheid ist formell rechtmäßig. Insbesondere war das Landratsamt Lichtenfels – Ausländerbehörde am 25.09.2012 zuständig.

aa) Die Ausländerbehörde und nicht die Polizeiinspektion Schubwesen war für die Erhebung der Abschiebungskosten zuständig.

Gem. § 67 Abs. 3 AufenthG werden die Abschiebungskosten von der nach § 71 zuständigen Behörde, also der Ausländerbehörde, durch Leistungsbescheid erhoben. Diese Befugnis umfasst die gesamten Kosten. Denn die Ausländerbehörde behält bis zum Abschluss des Abschiebungsvorgangs die rechtliche Sachherrschaft darüber, ob die Abschiebung durch- oder weitergeführt wird, während die herangezogenen Behörden nur über das "Wie" der Abschiebung entscheiden. Deshalb erhebt die Ausländerbehörde auch die Kosten der herangezogenen Behörden (BVerwG, U. 14.06.2005 – 1 C 11/04 – BVerwGE 123, 382/384 = InfAuslR 2005, 483/484).

bb) Zuständige Ausländerbehörde ist das Landratsamt Lichtenfels als Behörde des Freistaates Bayern und nicht die kreisfreie Stadt Oberhausen (Nordrhein-Westfalen).

Dies ergibt sich allerdings nicht aus § 67 Abs. 3 AufenthG i.V.m. § 71 Abs. 1 Satz AufenthG, die nur die sachliche Zuständigkeit regeln, also die Zuständigkeit der Ausländerbehörde statt die der Behörden, bei denen die Kosten angefallen sind, festlegen. Auch sonst ist im Aufenthaltsgesetz nicht ausdrücklich geregelt, dass diejenige Ausländerbehörde, die die rechtliche Sachherrschaft über die Abschiebung hatte, die dafür angefallenen Kosten zu erheben hat. Da die Ausländerbehörde ggf. Kosten unterschiedlicher Kostengläubiger festsetzt, eine Ausländerbehörde des Freistaates Bayern also z.B. auch Kosten festsetzt, die bei einem baden-württembergischen Regierungspräsidium angefallen sind, kann sich ihre Zuständigkeit weiter nicht danach richten, ob die Kosten bei dem Rechtsträger angefallen sind, der auch ihr Rechtsträger ist. Sind deshalb die Kosten beim Freistaat Bayern angefallen, ergibt sich daraus, entgegen der im Verwaltungsverfahren geäußerten Rechtsauffassung der Stadt Oberhausen, nicht, dass das Landratsamt Lichtenfels als Behörde des Freistaates Bayern für den Erlass des Leistungsbescheid zuständig ist. Schließlich gibt es auch keinen ungeschriebenen Rechtsgrundsatz des Inhalts, dass für die Erhebung der Abschiebungskosten immer die Behörde zuständig ist, die die Abschiebung durchgeführt hat.

Vielmehr ist die zur Erhebung der Abschiebungskosten befugte Behörde in zwei Schritten zu bestimmen. Zuerst ist durch entsprechende Anwendung der mit § 3 VwVfG übereinstimmenden Regelungen über die örtliche Zuständigkeit in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder festzustellen, welches Bundesland die Verbandskompetenz zur Sachentscheidung besitzt. Dann ist auf der Grundlage des Landesrechts des zur Sachentscheidung befugten Landes zu ermitteln, welche Behörde innerhalb des Landes örtlich zuständig ist (so BVerwG, U. v. 22.03.2012 – 1 C 5.11 – BVerwGE 142,195/199-201 = InfAuslR 2013, 278/279f., jew. Rn. 14-19 zur insoweit vergleichbaren Befristung der Wirkungen der Abschiebung).

Gem. Art. 3 Abs. 1 Nr. 3a BayVwVfG, der § 3 Abs. 1 Nr. 3a VwVfGNRW und § 3 Abs. 1 Nr.3a VwVfG des Bundes entspricht, ist in Angelegenheiten, die eine natürliche Person betreffen, die Behörde zuständig, in deren Bezirk die natürliche Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder zuletzt hatte. Deshalb wäre die nordrhein-westfälische Stadt Oberhausen, wo der Kläger jetzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, für den Erlass des Bescheides zur Sachentscheidung befugt gewesen, wenn der Kläger dort am 25.09.2012 seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hätte. Da der Kläger sich zu diesem Zeitpunkt tatsächlich in Athen aufhielt, wäre dies nur der Fall, wenn er Ende August 2012 seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Rechtssinne in Oberhausen begründet hätte und dann Anfang September unter Beibehaltung seines gewöhnlichen Aufenthalts in Oberhausen die Stadt nur vorübergehend verlassen hätte, um das Visumsverfahren in Griechenland nachzuholen. So ist sein erneuter Aufenthalt im Ausland von Anfang September bis Anfang Oktober 2012 aber rechtlich nicht zu bewerten.

Zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts in entsprechender Anwendung von Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 a BayVwVfG ist auf die Legaldefinition in § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I zurückzugreifen. Danach hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort nicht nur vorübergehend verweilt. Ob dies der Fall ist, ist nach den gesamten objektiven Umständen im Einzelfall zu beurteilen, ohne dass es auf den inneren Willen oder die Dauer des Aufenthalts ankäme (BVerwG, U.v. 04.06.1997 – 1 C 25/96 – NVwZ-RR 1997, 751/751f.). Seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat ein Ausländer deshalb mit anderen Worten dann im Inland, wenn der örtliche Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland ist, d.h. wenn sein Aufenthalt nicht auf Beendigung angelegt, sondern zukunftsoffen ist (BSG, U. v. 30.01.2013 – B 4 AS 54/12 R - InfAuslR 2013, 292/293 Rn. 18).

Der Kläger war ohne das für den von ihm beabsichtigen Daueraufenthalt im Bundesgebiet gem. § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1, § 6 Abs. 3 Satz 1 AufenthG erforderliche Visum und trotz des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das seine Abschiebung im Jahr 1994 ausgelöst hatte (§ 11 Abs.1 Satz 1 AufenthG), ins Bundesgebiet eingereist und hat sich hier aufgehalten. Er war damit gem. § 50 Abs.1 und 2 AufenthG unverzüglich zur Ausreise verpflichtet und musste damit rechnen, dass die Ausländerbehörde in Oberhausen ihn auffordern würde, die Bundesrepublik zu verlassen. Dies hat die Ausländerbehörde der Stadt Oberhausen in zwei Gesprächen am 10.08. und 06.09 2012 auch getan und verzichtete nur deshalb auf den Erlass eines Bescheides und die zwangsweise Durchsetzung seiner Ausreisepflicht, weil er freiwillig nach Griechenland zurückkehrte, um das Visumsverfahren nachzuholen. Deshalb begründete der Kläger, auch wenn er den inneren Willen hatte, auf Dauer in Deutschland zu bleiben, nicht schon Ende August, sondern erst Anfang Oktober 2012, als die Sperrwirkungen seiner Abschiebung mit Wirkung zum 01.09.2012 aufgehoben worden waren und er mit dem Visum wieder eingereist war, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland.

Da der Kläger damit am 25.09.2012 keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte, ist gem. Art. 3 Abs. 1 Nr. 3a Alt. 2 BayVwVfG entsprechend darauf abzustellen, wo er ihn davor zuletzt gehabt hatte. Vor seiner Abschiebung im Jahr 1994 hatte er seinen gewöhnlichen Aufenthalt an dem ihm gem. § 50 Abs. 4 AsylVfG zugewiesenen Aufenthaltsort, also in Lichtenfels (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 3 Rn.28). Deshalb war der Freistaat Bayern der zuständige Verwaltungsträger, vertreten durch das gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 5 Abs. 1 Satz 2 ZustVAuslR örtlich zuständige Landratsamt Lichtenfels.

b) Der Leistungsbescheid ist auch materiell rechtmäßig. Insbesondere wurden die Kosten dem Grunde und der Höhe nach zu Recht festgesetzt und zwar zu einem Zeitpunkt als noch keine Verjährung eingetreten war.

aa) Gem. § 67 Abs. 1, Abs. 3, § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhebt die Ausländerbehörde die Kosten der Abschiebung, die gem. § 66 Abs. 1 AufenthG der Ausländer zu tragen hat, durch Leistungsbescheid in Höhe der tatsächlich entstandenen Kosten.

Diese Kosten umfassen zunächst die Beförderungs- und sonstigen Reisekosten für den Ausländer innerhalb des Bundesgebiets und bis zum Zielort außerhalb des Bundesgebiets (§ 67 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Die Erstattungspflicht für die Kosten für diese Amtshandlungen, die nicht in die Rechte eines abgeschobenen Ausländers eingreifen, entfällt gem. § 14 Abs. 2 Satz 1 VwKostG, der, obwohl mit Wirkung vom 15.08.2013 aufgehoben, hier (noch) anwendbar ist, weil auf die Rechtslage zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses abzustellen ist, nur, wenn die Amtshandlung offenkundig rechtswidrig war und die Kosten bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären (BVerwG, U.v.16.10.2012 – 10 C 6.12 - BVerwGE 144, 326/ 335f. = InfAuslR 2013, 67/69, jew. Rn. 23). Hinsichtlich der Kosten des Fluges und der Transporte von der JVA Kronach zur JVA München und von der JVA München zum Flughafen München trifft dies aber nicht zu.

Weiter umfassen die Kosten nach § 67 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG auch die Kosten der Abschiebungshaft. Diese dürfen nur dann nicht erhoben werden, wenn der Vollzug der Abschiebungshaft rechtswidrig war und die Rechte des Ausländers verletzte. Dies ist anhand der zum Zeitpunkt des Vollzugs der Abschiebungshaft geltenden Rechtslage zu beurteilen (BVerwG - BVerwGE 144, 326/331 = InfAuslR 2013, 67/67, jew Rn.12).

Die Abschiebungshaft wurde in einem rechtmäßigen Verfahren angeordnet. Insbesondere wurde der Kläger, der aus Albanien stammt, für das dieses Übereinkommen seit 03.11.1991 in Kraft trat (BGBl II 1992, 233), bei seiner Anhörung am 05.08.1994 von der die Haft anordnenden Richterin über seine konsularischen Rechte nach Art. 36 Abs. 1 b Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24.04.1963 belehrt (vgl. dazu BVerwG - BVerwGE 144, 326/ 336-338 = InfAuslR 2013, 67/ 69f., jew. Rn. 25-28).

Weiterhin lagen auch die Abschiebungsvoraussetzungen (§ 34 Abs. 1 AsylVfG 1992) vor, es standen keine Abschiebungsverbote (§ 53 Abs.1 AuslG 1990) entgegen und es bestanden keine Vollstreckungshindernisse gem. § 55 AuslG 1990 (BVerwG, B.v.29.08.2013 – 1 B 10/13 – juris Rn.5).

Schließlich hat die Ausländerbehörde auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet und die Abschiebung mit der größtmöglichen Beschleunigung betrieben, so dass die Abschiebungshaft und damit auch ihre Kosten auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt wurden (BGH, B. v. 26.09.2013 – V ZB 2/13 – InfAuslR 2014, 54 Rn. 8). Denn sie beantragte die Sicherungshaft, nachdem sie die Heimreisedokumente am 27.07.1994 erhalten hatte, bereits am 01.08.1994. Sie stellte noch am 05.08.1994, als die Abschiebungshaft verhängt worden war, den Antrag auf Durchführung der Abschiebung bei der Polizeiinspektion Schubwesen und richtete an die Polizeiinspektion am Haftort ein Transportersuchen zum Flughafen München. So erreichte sie zusammen mit den übrigen beteiligten Stellen, dass der Kläger nur 26 Tage nach der Haftanordnung am 05.08.1994 nach Tirana abgeschoben wurde.

cc) Schließlich war die Kostenschuld auch nicht verjährt, als als das Landratsamt Lichtenfels sie mit dem Leistungsbescheid vom 25.09.2012 geltend machte.

Gem. § 70 Abs. 2 AufenthG, der hier in der zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses am 25.09.2012 geltenden Fassung anzuwenden ist (BVerwG, U. v. 16.10.2012 – BVerwGE 144, 326/330f. = InfAuslR 2013, 67, jew. Rn. 12), wird die Verjährung von Ansprüchen nach § 66 Abs. 1 AufenthG unterbrochen, solange sich der Kostenschuldner nicht im Bundesgebiet aufhält. Die Verjährung der Abschiebungskosten war damit seit der Abschiebung des Klägers am 30.08.1994 mit der Folge unterbrochen, dass der Lauf der nach § 20 Abs. 4 VwKostG erst mit dem Ablauf des Kalenderjahres neu beginnt, in dem die Unterbrechung endet, weil sich der Kläger wieder im Bundesgebiet aufhält (BayVGH, B.v.23.04.2013 - 10 C 12.1887 - juris Rn. 27). Da sich der Kläger erst seit 2012 wieder in Deutschland aufhält, war der Anspruch auf die festgesetzten Kosten damit noch nicht verjährt, als der Beklagte am 25.09.2012 den Bescheid erließ.