VG Freiburg

Merkliste
Zitieren als:
VG Freiburg, Urteil vom 10.04.2014 - A 4 K 2202/11 - asyl.net: M22044
https://www.asyl.net/rsdb/M22044
Leitsatz:

Trotz der in Teilen weiterhin defizitären Umsetzung der asylrelevanten Regelungen und nach wie vor existierender Mängel in der Unterbringung und Versorgung von Asylsuchenden in Italien laufen im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Italien zurückgeführte Asylsuchende, jedenfalls soweit in ihrer Person keine (etwa gesundheitlichen) Besonderheiten gegeben sind, gegenwärtig nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh ausgesetzt zu sein.

Schlagwörter: Selbsteintritt, Selbsteintrittsrecht, Aufnahmebedingungen, Dublin-Rückkehrer, CARA, SPRAR, systemische Mängel, unmenschliche Behandlung, erniedrigende Behandlung, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Dublinverfahren, Italien,
Normen: VO 343/2003 Art. 3 Abs. 2, GR-Charta Art. 4, EMRK Art. 3,
Auszüge:

[...]

Im Ergebnis lässt sich daher auf der Grundlage der vorhandenen Erkenntnismittel feststellen, dass Asylsuchende, die nach den Regelungen der Dublin-II-Verordnung nach Italien überstellt werden sollen, derzeit jedenfalls dann, wenn in ihrer Person keine besonderen (etwa gesundheitlichen) Gründe gegeben sind, nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer durch das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen verursachten unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK / Art. 4 GRCh rechnen müssen. Dies scheint der Auffassung des UNHCR zu entsprechen, der sich - anders als seinerzeit im Falle Griechenlands - trotz deutlicher Worte in Bezug auf bestehende Defizite und Mängel im italienischen Asyl- und Aufnahmesystem nicht veranlasst gesehen hat, sich gegen Überstellungen von Asylbewerbern an Italien auszusprechen.

Vorliegend aber sind keine besonderen Umstände des Einzelfalles ersichtlich, die befürchten ließen, dass gerade dem Kläger in Italien entgegen der allgemeinen Lageeinschätzung eine mit Art. 4 GRCh / Art. 3 EMRK nicht vereinbare Behandlung drohte. Der Kläger hat nach seiner Ankunft in Italien die Möglichkeit, einen Asylfolgeantrag zu stellen. Bis zum Abschluss dieses Verfahrens hat er, da er nach eigenen Angaben während des Asylerstverfahrens nie einen Platz in einer Unterkunft zugewiesen bekommen hat, die Möglichkeit, in einer öffentlichen Einrichtung unterzukommen, wo neben der Unterkunft auch Essen, Bekleidung und sonstige persönliche Bedürfnisse sichergestellt sind. Sollte sich der Kläger dagegen dafür entscheiden, nach seiner Rückkehr keinen erneuten Asylantrag zu stellen, bestünden zu seinen Gunsten - nachdem das Asylerstverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist - keine Verfahrensgarantien nach der Genfer Flüchtlingskonvention, und auch die Aufnahmerichtlinie (RL 2003/9/EG) fände auf ihn gemäß Art. 3 Abs. 1 keine Anwendung (mehr). Er wäre vielmehr, wenn sein Aufenthalt nicht behördlicherseits legalisiert wird, verpflichtet, Italien zu verlassen, und hätte keinen Anspruch auf Unterstützung mehr (AA, Auskunft an VG Freiburg vom 11.07.2012). Kommt er seiner Ausreisepflicht nicht nach, kann er kein Mehr an Unterstützung verlangen, als dies italienischen Staatsangehörigen zuteil wird. Ein staatliches Sozialhilfesystem aber existiert in Italien nur sehr eingeschränkt; vielmehr sind auch italienische Staatsangehörige grundsätzlich verpflichtet, für ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen, was naturgemäß mit Schwierigkeiten verbunden, für einen gesunden, arbeitsfähigen Mann wie den Kläger aber, wie er bereits bei seinem ersten Aufenthalt in Italien bewiesen hat, nicht unmöglich ist. Der Umstand, dass es in Italien anders als in Deutschland kein System staatlicher Unterstützung auch für ausreisepflichtige, jedoch tatsächlich noch nicht abgeschobene Ausländer gibt, reicht, nachdem, wie bereits gesehen, aus Art. 3 EMRK / Art. 4 GRCh nicht die Verpflichtung erwächst, jemandem finanzielle Unterstützung zu gewähren, um ihm einen gewissen Lebensstandard zu ermöglichen, nicht für die Annahme aus, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung nach Italien ernstlich der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK / Art. 4 GRCh ausgesetzt sein. [...]