VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Beschluss vom 25.07.2014 - A 9 K 3480/13 - asyl.net: M22141
https://www.asyl.net/rsdb/M22141
Leitsatz:

Es spricht einiges dafür, dass in Ungarn jedenfalls mit Blick auf die Praxis der Inhaftierung von Asylbewerbern derzeit systemische Mängel im Asyl- und Aufnahmeverfahren vorliegen.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, Ungarn, Inhaftierung, systemische Mängel, Asylverfahren, Aufnahmebedingungen, Dublin-Rückkehrer, aufschiebende Wirkung, Suspensiveffekt,
Normen: AsylVfG § 34a Abs. 1 S. 1,
Auszüge:

[...]

Gemessen an diesen rechtlichen Vorgaben spricht bei der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung einiges dafür, dass in Ungarn jedenfalls mit Blick auf die Praxis der Inhaftierung von Asylbewerbern derzeit systemische Mängel im Asyl- und Aufnahmeverfahren vorliegen. Dies gilt insbesondere für die speziell in den Blick zu nehmende Situation von Dublin-Rückkehrern. Dieser Einschätzung des Gerichts liegt eine Auswertung des AIDA (Asylum Information Database) - Länderberichts (Stand 30.04.2014), der Informationsschrift des Hungarian Helsinki Committee von Mai 2014 und der Auskunft des UNHCR vom 09.05.2014 an das Verwaltungsgericht Düsseldorf zugrunde. Unter Berücksichtigung - insbesondere - dieser aktuellen Erkenntnisquellen hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf in seinem Beschluss vom 16.06.2014 - 13 L 141/14.A -, juris, ausgeführt:

"Für die Frage, ob in Ungarn 'systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber' im Sinne der zitierten Rechtsprechung vorliegen, kommen dabei allerdings vorliegend von vorne herein nur solche Auskünfte und Berichte der genannten Organisationen in Betracht, die sich mit der Sach- und Rechtslage in Ungarn seit dem 1. Juli 2013 befassen. Für den Zeitraum bis zum 30. Juni 2013, insbesondere ab dem 1. Januar 2013, ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte davon auszugehen, dass die in den Jahren bis 2012 festgestellten Mängel des ungarischen Asylsystems und der Aufnahmebedingungen durch zwischenzeitliche weitreichende tatsächliche und rechtliche Verbesserungen, insbesondere die vorübergehende Abschaffung der Inhaftierungsmöglichkeiten für Asylbewerber mit Wirkung zum 1. Januar 2013, entfallen sind (vgl. EGMR, Urteil vom 6. Juni 2013 - 2283/12-, Rn 105, Mohammed gegen Österreich, in Auszügen veröffentlicht unter asyl.net).

Zum 1. Juli 2013 wurde das Asylsystem Ungarn allerdings erneut verändert. Insbesondere wurden erneut umfassende Gründe für die Inhaftierung von Asylbewerbern, sog. asylum detention - eine durch die für das Asylverfahren zuständige Behörde angeordnete Verwaltungshaft - in das Asylrecht aufgenommen. Pro Asyl und das Hungarian Helsinki Committee kritisierten in ihren ersten Stellungnahmen zu den am 1. Juli 2013 in Kraft getretenen Rechtsänderungen frühzeitig die Unbestimmtheit der Haftgründe und die hierdurch bestehende Gefahr erheblicher Rechtsunsicherheiten und äußerten die Befürchtung, dass in Ungarn die Inhaftierung von Asylantragstellern auf dieser Grundlage erneut zum Regelfall werde, zumal die rechtlich zur Verfügung stehenden Alternativen zur Haft, wie etwa Kautionsleistungen oder regelmäßige Meldepflichten, nach ihren Voraussetzungen so ungenau formuliert seien, dass diese voraussichtlich keine Anwendung finden würden. Ferner wurde kritisiert, dass gegen die Anordnung der Haft keine selbständigen Rechtsbehelfe zur Verfügung stünden, sondern eine Überprüfung lediglich in einem automatischen gerichtlichen Verfahren alle 60 Tage erfolge (vgl. Pro Asyl, bordermonitoring eu; Ungarn: Flüchtlinge zwischen Haft und Obdachlosigkeit, Aktualisierung und Ergänzung des Berichts vom März 2012 von Oktober 2013, abrufbar unter www.proasyl.de; Hungarian Helsinki Committee, Brief Information Note on the main asylum-related legal changes in hungary as of 1 July 2013, S. 2 und 3, abrufbar unter www.helsinki.hu/wp-content/uploads/HHC-udate-hungary-asylum-1-July-2013.pdf; Hungarian Helsinki Committee, Briefing Paper for the Working Group on Arbitrary Detention, UN Commission of Human Rights vom 8. Oktober 2013, Kapitel 7 'Detention of migrants', S. 17 f., abrufbar, unter www.helsinki.hu).

Die genannten Berichte beruhen allerdings im Wesentlichen auf einer Auswertung der geänderten Rechtslage selbst, während Erkenntnisse zur konkreten Handhabung dieser Regelungen durch Ungarn angesichts des Zeitpunkts der Erstellung der Berichte kurz nach der Rechtsänderung naturgemäß noch nicht vorlagen. In der Folgezeit wurden seitens dieser Organisationen zunächst keine weiteren Erkenntnisse zur Rechtspraxis in Ungarn veröffentlicht.

Dementsprechend gelangte die überwiegende verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung bislang zu der Einschätzung, dass die in diesen Erkenntnismitteln geäußerten Befürchtungen und vorläufigen Schlussfolgerungen auch unter Berücksichtigung der früheren Praxis in Ungarn noch kein hinreichender Beleg für eine systemische unionsrechtswidrige Asylpraxis in Ungarn seien und selbst dann, wenn es infolge der in Kraft getretenen Neuregelungen des Asylverfahrens nach dem 1. Juli 2013 zu einzelnen Missständen gekommen sein sollte, sich daraus jedenfalls für das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn - noch - keine 'systemischen Mängel' ergeben (vgl. beispielhaft für die ablehnende Rechtsprechung, alle mit weiteren Nachweisen: Verwaltungsgericht Augsburg, Beschluss vom 14. Mai 2014 - Au 7 S 14.50092 -, juris, Rn 26, 31 ff. m.w.N.; Verwaltungsgericht Bremen, Urteil vom 25. April 2014 - 4 K 2131/13.A -, juris; Verwaltungsgericht Regensburg, Beschluss vom 2. Mai 2014 - RN 8 S 14.50083-, juris, Rn 20; Verwaltungsgericht Würzburg, Beschluss vom 28. März 2014 - W 1 S 14.30145 - , juris, Rn 17, m.w.N.; Verwaltungsgericht Frankfurt, Beschluss vom 25. Februar 2014 - 8 L 428/14.F.A -, juris, Rn 10 f.; die Frage als offen und aufklärungsbedürftig bezeichnend: Verwaltungsgericht Freiburg, Beschluss vom 28. August 2013 - A 5 K 1406/14 -, juris, Rn 16 ff.; Verwaltungsgericht München, Beschluss vom 23. Dezember 2013 - M 23 S 13.31303 -, juris, Rn 16 f.; Verwaltungsgericht München, Beschluss vom 11. Februar 2014 - M 24 S 13.31330 -, juris, Rn 51 ff.; Verwaltungsgericht Kassel, Beschluss vom 17. Februar 2014 - 6 L 122/14.KS.A -, n.V.).

Auf der Grundlage einer im vorliegenden Verfahren eingeholten aktuellen Auskunft des UNHCR vom 9. Mai 2014 zur Rechtsanwendungspraxis in Ungarn bezüglich der neuen Haftgründe sowie aufgrund der Angaben im aktuell veröffentlichten aida Länderbericht und der Information Note des Hungarian Helsinki Committee von Mai 2014 (aida, Asylum Information Database, National Country Report Hungary, Stand: 30. April 2014, abrufbar unter www.asylumineurope.org/files/reportdownload/aida_-_hungary_second_update_final uploaded_0.pdf, Hungarian Helsinki Committee, Information note on asylum-seekers in detention and in Dublin procedures in hungary, Mai 2014, abrufbar unter helsinki.hu/en/information-note-on-asylum-seekers-in-detention-and-in-dublin-procedures-in-hungary) ergeben sich bei der im vorläufigen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung allerdings ernst zu nehmende - hinsichtlich der Schwere und Offensichtlichkeit aber noch weiter aufklärungsbedürftige - Anhaltspunkte für eine mit Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 GrCh nicht in Einklang stehende Inhaftierungspraxis Ungarn.

Dabei geht das Gericht bei der Bewertung der aktuellen Erkenntnismittel von den sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergebenden Maßstäben für eine Verletzung von Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 GrCh aus.

In seinem Urteil vom 21. Januar 2011 hat der Gerichtshof eine Überstellung nach Griechenland als nicht mit Artikel 3 EMRK vereinbar angesehen, da die systematische Inhaftierung von Asylbewerbern, gerade auch solcher, die - wie der Antragsteller - nicht das Bild eines illegalen Einwanderers bieten, weil ihre Identität den griechischen Behörden aufgrund der gegenüber dem anderen Mitgliedstaat abgegebenen Übernahmezusage ersichtlich bekannt war, in Haftzentren ohne Angabe von Gründen eine weit verbreitete Praxis der griechischen Behörden darstellte (vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 juris, Rn 225, 234).

Unter Berücksichtigung der zudem vorhandenen übereinstimmenden Zeugenaussagen zu den völlig unzureichenden Haftbedingungen sah der Gerichtshof bereits die vergleichsweise kurze Haftdauer im entschiedenen Fall von einmal vier Tagen und einmal einer Woche als nicht unbedeutend an. Die Gefühle der Willkür und die oft damit verbundenen Gefühle der Unterlegenheit und Angst sowie die tiefgreifenden Wirkungen auf die Würde einer Person, die solche Inhaftierungsumstände zweifellos hätten, bewertete er zusammengenommen als eine gegen Artikel 3 EMRK verstoßende erniedrigende Behandlung (vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - a.a.O. - Rn 233).

Artikel 3 EMRK verpflichte die Staaten, sich zu vergewissern, dass die Haftbedingungen mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar seien und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid und Härten unterwerfe, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden übersteige (EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - a.a.O. - Rn 222).

Sind die Mitgliedstaaten noch dazu aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben zur Einhaltung bestimmter Mindeststandards der Aufnahmebedingungen verpflichtet, sind die konkreten Anforderungen an die Schwere der Schlechtbehandlung im Sinne der EMRK niedriger anzusetzen bzw. kommt umgekehrt einem Verstoß gegen diese unionsrechtlichen Verpflichtungen oder ihrer Umsetzung im nationalen Recht für die Annahme einer relevanten Grundrechtsverletzung nach Artikel 3 EMRK bzw. Art. 4 GrCH ein besonderes Gewicht zu (vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - a.a.O. -, Rn 250, 263; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 172/13 -, juris, Rn 40).

Nach diesen Maßgaben lassen sich zur Inhaftierungspraxis Ungarns derzeit folgende - vorläufige - Feststellungen treffen:

Seit der (Wieder-)Einführung der Asylhaft zum 1. Juli 2013, die erneut eine Inhaftierung von Erstantragstellern - wie dem Antragsteller des vorliegenden Verfahrens - ermöglicht, wurden im Zeitraum von Juli bis Dezember 2013 rund 25 % aller Asylantragsteller auf dieser Grundlage inhaftiert (vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, Frage 1, Seite 1).

Die Gesamtzahl der in diesem Zeitraum gestellten neuen Asylanträge belief sich auf 7.156, während die Anzahl der Inhaftierungen im gleichem Zeitraum 1.762 betrug; die Hafteinrichtungen waren in diesem Zeitraum regelmäßig voll besetzt (vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, zu Frage 1 und Fußnote 1; aida, National Country Report Hungary, S. 48).

Nach der Dublin-Verordnung nach Ungarn zurücküberstellte Asylbewerber wurden in diesem Zeitraum flächendeckend inhaftiert (vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014 zu Frage 3, S. 2).

Zwar stellt der Umstand, dass das ungarische Asylrecht seit der erneuten Rechtsänderung zum 1. Juli 2013 - wieder - Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthält und Ungarn diese neuen Inhaftierungsvorschriften auch tatsächlich anwendet, für sich genommen noch keinen begründeten Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems dar. Denn auch das unionsrechtliche Regelungssystem geht seinerseits davon aus, dass eine Inhaftierung von Asylbewerbern - wenn auch unter engen Voraussetzungen - im Einzelfall möglich ist. Artikel 8 und 9 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragten (Neufassung) - im Folgenden: AufnahmeRL, geben den Mitgliedstaaten hierfür ausdrücklich einen rechtlichen Rahmen vor. Auch macht Ungarn ersichtlich nicht mehr in einem so umfassenden Umfang von den neuen Haftregelungen Gebrauch wie noch im Zeitraum bis zum 1. Januar 2013 nach der früheren Rechtslage.

Aus den aktuellen Erkenntnismitteln ergeben sich aber ungeachtet dessen sowohl hinsichtlich des Verfahrens der Haftanordnung durch die zuständige Verwaltungsbehörde (sog. Office of Immigration and Nationality - OIN) als auch mit Blick auf die gegen die Haftanordnung bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten Anhaltspunkte für eine grundrechtsverletzende, insbesondere willkürliche und nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügende Inhaftierungspraxis, der die Asylbewerber rechtsschutzlos ausgeliefert zu sein scheinen.

Den Verwaltungsentscheidungen, mit denen die Asylhaft gegenüber Erstantragstellern angeordnet wird, fehlt es regelmäßig an einer einzelfallbezogenen Begründung. Denn die haftanordnenden Entscheidungen des OIN nennen weder den konkreten Haftgrund, noch enthalten sie Angaben dazu, warum die Inhaftierung aus Sicht der zuständigen Behörde im konkreten Einzelfall erforderlich und angemessen ist und insbesondere keine anderen milderen Mittel in Betracht kommen, um eine Verfügbarkeit des Antragstellers im Asylverfahren sicherzustellen, wie etwa die Stellung einer Kaution, die Anordnung einer Residenzpflicht oder regelmäßige Meldepflichten - Alternativen zur Haft, die im neuen ungarischen Asylrecht rechtlich durchaus vorgesehen sind (vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, zu Frage 3, Seite 2; aida, National Country Report Hungary, a.a.O., S. 51; Information Note des Hungarian Helsinki Committee von Mai 2014, S. 6 und 11 f., a.a.O.).

Vielmehr werden Asylbewerber nur mündlich über die Gründe ihrer Inhaftierung informiert und erhalten die - nicht mit einer Begründung versehene - Haftanordnung noch dazu ausschließlich in ungarischer Sprache (vgl. aida, National Country Report Hungary, a.a.O., S. 56), was jedenfalls die Überprüfbarkeit der Anordnung und die Inanspruchnahme von Rechtsschutz für den Asylbewerber deutlich erschweren dürfte.

Dass vor der Anordnung der Haft eine - lediglich nicht schriftlich dokumentierte - Einzelfallprüfung erfolgt, ergibt sich ebenfalls nicht. Nach den Angaben im aida Länderbericht soll die Asylhaft nach der ungarischen Rechtslage zwar auf der Grundlage einer Prüfung der individuellen Umstände des Einzelfalls und nur dann erfolgen, wenn - s.o. - keine weniger einschneidenden Alternativen in Betracht kommen. Die Erfahrung zeige aber, dass Haftanordnungen gerade ohne eine solche Einzelfallprüfung ergingen und Haftalternativen nicht geprüft würden. Auch würden zur Verfügung stehende Instrumente zur Überprüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Haftanordnung in der Praxis nicht angewendet (vgl. aida, National Country Report Hungary, a.a.O., S. 51).

Vielmehr sei vollkommen intransparent und daher nicht vorhersehbar, welche Asylbewerber in Ungarn verhaftet würden und welche nicht und warum (vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, zu Frage 3, S. 2).

Damit sehen sich aber grundsätzlich alle Asylbewerber bei der Erstantragstellung dem nicht einschätzbaren Risiko einer willkürlichen Inhaftierung ausgesetzt.

Soweit Dublin-Rückkehrer anders als die übrigen Asylbewerber nach ihrer Rückkehr nach Ungarn grundsätzlich inhaftiert werden (vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, zu Frage 3, Seite 2), führt dies nicht zu einer anderen Bewertung, da es nach der Auskunftslage auch hinsichtlich dieser Personengruppe jedenfalls an jeder individuellen Prüfung der Haftvoraussetzungen und Haftgründe zu fehlen scheint.

Soweit ausweislich des aida Länderberichts nach neuem Recht unbegleitete Minderjährige nicht inhaftiert werden dürfen und alleinstehende Frauen und Familien mit Kindern - obwohl rechtlich möglich - tatsächlich nicht in Asylhaft genommen werden (vgl. aida, National Country Report Hungary, a.a.O., S. 48; andererseits sind andere besonders verletzliche Personen, z.B. ältere Menschen, oder Menschen mit körperliche oder geistigen Erkrankungen/Behinderungen, nicht von der Asylhaft ausgenommen [sind] und es bestehen auch keine ausreichenden Mechanismen, um diese Personen im Asylverfahren rechtzeitig zu identifizieren, S. 56), bleibt schon offen, ob dies auch auf die Personengruppe der Dublin-Rückkehrer zutrifft, der der Antragsteller zugehört. Jedenfalls gehört der Antragsteller aber ersichtlich nicht zu diesen besonders geschützten Personengruppen, die nach der aktuellen Erkenntnislage von einer Asylhaft tatsächlich verschont bleiben.

Es ist andererseits nicht ersichtlich, dass die vorhandenen Rechtsschutzmöglichkeiten wenigstens nachträglich eine ausreichende und wirksame rechtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Inhaftierungsentscheidung bzw. ihrer Fortdauer gewährleisten könnten. Im Gegenteil bewerten die aktuellen Erkenntnismittel die bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten als vollkommen ineffektiv und im Ergebnis wirkungslos. Selbständige Rechtsbehelfe stehen gegen die behördliche Anordnung der Asylhaft nicht zur Verfügung (vgl. aida National Country Report Hungary, a.a.O., S. 56 unten; Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, a.a.O., zu Frage 7, Seite 6; Information Note des Hungarian Helsinki Committee von Mai 2014, S. 13 ff., a.a.O.).

Die Überprüfung der Haftanordnungen erfolgt vielmehr im Rahmen einer automatischen gerichtlichen Haftüberprüfung erstmals nach 72 Stunden, anschließend dann - weil die Behörden regelmäßig die Verlängerung der Haft um jeweils weitere 60 Tage beantragen - in einem 60-Tage-Rhythmus. Die zuständigen Gerichte setzen dabei die Überprüfungstermine im Halbstundentakt und regelmäßig für Gruppen von 5 bis 15 Inhaftierte gleichzeitig an, so dass für jeden Fall nur wenige Minuten zur Verfügung stehen (vgl. auch aida-report, a.a.O., S. 57; Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014 zu Frage 7, S. 7).

Eine einzelfallbezogene Überprüfung, ob die Haftanordnung rechtmäßig war und der Haftgrund fortbesteht, dürfte - zumal die Haftgründe und sonstigen behördlichen Erwägungen wie ausgeführt in der behördlichen Anordnung nicht schriftlich fixiert sind - den Gerichten unter diesen Umständen kaum möglich sein (so auch Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, zu Frage 7, Seite 7).

Erschwerend kommt hinzu, dass inhaftierte Asylbewerber zwar Anspruch auf einen kostenlosen Rechtsbeistand haben, diese Rechtsbeistände aber in den Haftprüfungsterminen normalerweise keine Einwände gegen die Verlängerung der Haftdauer erheben und regelmäßig auch nur in der ersten Überprüfung (nach 72 Stunden Haft) von Amts wegen zur Verfügung gestellt werden. Bei den späteren, wegen der regelmäßig erfolgenden Haftverlängerungen um 60 Tage grundrechtlich noch bedeutsameren Folgeüberprüfungen steht Asylantragstellern diese rechtliche Unterstützung in der Praxis dagegen regelmäßig nicht mehr zur Verfügung (vgl. aida, National Country Report Hungary, a.a.O., S. 57).

Hierzu fügt sich, dass nach einer Untersuchung, die das höchste Gericht Ungarns (Kuria) in den Jahren 2011 und 2012 durchgeführt hat, lediglich in drei von 5.000 bzw. 8.000 Fällen, die automatische Haftüberprüfung (durch dieselben Gerichte, die auch nach neuem Recht für die Überprüfung zuständig sind), tatsächlich zu einer Aufhebung der Haftanordnung geführt hat (vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, zu Frage 7, Seite 7; aida National Country Report Hungary, a.a.O., Seite 57).

Damit spricht nach den aktuellen Erkenntnissen viel dafür, dass das vorhandene Rechtsschutzsystem ungeeignet ist, um Asylbewerbern wirksamen Schutz vor einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung von regelmäßig erheblicher Dauer zu bieten.

Soweit das ungarische Asylrecht neben der automatischen Haftprüfung vorsieht, dass der Asylbewerber gegen die Anordnung der Asylhaft eine sog. 'objection', also wohl einen Einspruch, erheben kann, führt auch dies nicht zu einer anderen Beurteilung. Dem UNHCR ist seit der Wiedereinführung der Asylhaft zum 1. Juli 2013 kein einziger Fall bekannt geworden, in dem ein solcher Einspruch tatsächlich erhoben worden ist. Nach Einschätzung des UNHCR werden Asylbewerber in der Praxis überhaupt nicht über diesen Rechtsbehelf informiert bzw. seitens der zuständigen Behörden mit dem Hinweis darauf, dass dieser Rechtsbehelf ungeeignet sei, die Rechtmäßigkeit der Haftentscheidung anzugreifen, von einer Einlegung abgehalten (vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, zu Frage 7, Seite 6).

Zu alledem fügt sich schließlich, dass Asylbewerber, die inhaftiert werden, nach den vorliegenden Erkenntnismitteln mit großer Wahrscheinlichkeit die gesamte Dauer ihres Asylverfahrens inhaftiert bleiben. Die maximale Haftdauer der seit dem 1. Juli 2013 neu geregelten Asylhaft beträgt sechs Monate und auch die durchschnittliche Haftdauer wird derzeit mit 4 bis 5 Monaten angegeben, reicht also deutlich an die rechtlich zulässige Höchsthaftdauer heran (vgl. aida National Country Report Hungary, a.a.O., S. 51 und 49).

Vorbehaltlich der Bestätigung und Konkretisierung dieser Erkenntnisse im Hauptsacheverfahren ist daher jedenfalls im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes davon auszugehen, dass Dublin-Rückkehrer nach ihrer Ankunft in Ungarn grundsätzlich, ohne Angabe von Gründen und ohne eine Prüfung ihrer individuellen Umstände inhaftiert werden, und sonstige Asylbewerber grundsätzlich jedenfalls dem Risiko einer willkürlichen Inhaftierung ausgesetzt sind, und beide Gruppen mangels wirksamer Rechtsschutzmöglichkeiten die Anordnung der Haft bzw. die Haftfortdauer nicht mit Aussicht auf Erfolg überprüfen lassen können. Eine solche Behandlung von Asylbewerbern, mit der sie der Willkür der zuständigen Behörden ausgesetzt werden und letztlich zum reinen Objekt staatlichen Handelns herabgewürdigt werden, dürfte nicht zuletzt angesichts von Inhaftierungszeiten, die im Durchschnitt mehrere Monate betragen, bereits für sich genommen die für eine Verletzung von Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 GrChr erforderliche Schwere aufweisen, so dass es - jedenfalls im vorliegenden Eilverfahren - nicht mehr darauf ankommt, ob auch die konkreten Haftbedingungen selbst, inhaftierte Asylbewerber weiteren Leiden und Härten unterwerfen, die das mit einer Haft unvermeidbare Mag übersteigen (vgl. bereits Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 28. Mai 2014 - 13 L 172/14.A - , demnächst bei juris und NRWE).

Für das Erreichen der erforderlichen Schwere der Grundrechtsverletzung dürfte jedenfalls bei summarischer Prüfung - ferner sprechen, dass eine solche Inhaftierungspraxis, ungeachtet gegebenenfalls abweichender rechtlicher Vorgaben des ungarischen Asylrechts, auch nicht mit den unionsrechtlichen Mindeststandards der maßgeblichen AufnahmeRL in Einklang zu bringen ist. Schon nach den Erwägungsgründen Nr. 15 und 20 der AufnahmeRL soll die Inhaftierung von Asylbewerbern eine Ausnahme bleiben. Nach Artikel 9 Absatz 1 Satz 1 der AufnahmeRL soll der Asylbewerber nur für den kürzest möglichen Zeitraum in Haft genommen werden, was bei einer Regelverlängerung im 60-Tage-Rhythmus nicht gewährleistet scheint. In der Haftanordnung sind nach Artikel 9 Absatz 2 Satz 2 zudem die sachlichen und rechtlichen Gründe für die Haft anzugeben. Artikel 9 Absatz 3 und 5 verlangen ferner umfassende und wirksame Überprüfungen der Rechtmäßigkeit der Haft sowie eine ausreichende Information des Asylbewerbers in einer für ihn verständlichen Sprache. Auch diese Anforderungen werden nach der derzeitigen Erkenntnislage nicht erfüllt.

Hinzu kommt, dass der Haftgrund, der nach Einschätzung des UNHCR jedenfalls hinsichtlich der Dublin-Rückkehrer regelmäßig von den zuständigen Behörden stillschweigend angenommen wird, mit den Vorgaben der AufnahmeRL nicht in Einklang stehen dürfte. Laut UNHCR liegt der regelhaften Inhaftierung von Dublin-Rückkehrern die Auffassung der zuständigen Behörden zugrunde, dass diese Asylbewerber, weil sie Ungarn bereits zuvor einmal regelwidrig verlassen haben, auch nach der Rücküberstellung erneut flüchten werden, ohne eine Entscheidung über ihren Asylantrag abzuwarten (vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, zu Frage 3, S. 2).

Dem dürfte der in Artikel 31/A Buchstabe c des ungarischen Asylgesetzes geregelte Haftgrund zugrunde liegen, wonach eine Inhaftierung erfolgen darf, um Informationen zu erhalten, die zur Durchführung des Asylverfahrens notwendig sind, wenn gewichtige Gründe für die Annahme vorliegen, dass der Antragsteller das Asylverfahren ansonsten verzögern oder behindern oder untertauchen würde (vgl. zum Wortlaut der englischen Fassung 'c. there are well-founded grounds for presuming that the person seeking recognition is delaying or frustrating the asylum procedure or presents a risk for absconding, in order to establish the data required for conducting the asylum procedure;' aida National Country Report Hungary, a.a.O., S. 50, und zur hier verwendeten deutschen Übersetzung: pro asyl, bordermonitoring.eu, Ungarn: Flüchtlinge zwischen Haft und Obdachlosigkeit, Aktualisierung und Ergänzung des Berichts vom März 2012 von Oktober 2013, a.a.O., S. 9).

Der insoweit im Rahmen von Artikel 8 der AufnahmeRL für eine solche Umsetzung in das nationale Recht allein in Betracht kommende Haftgrund des Absatzes 3 Satz 1 Buchstabe b, wonach ein Antragsteller in Haft genommen werden darf, 'um Beweise zu sichern, auf die sich ein Antrag auf internationalen Schutz stützt und die ohne Haft unter Umständen nicht zu erhalten wären, insbesondere wenn Fluchtgefahr des Antragstellers besteht', dürfte Inhaftierungen, die - wie es der ungarische Haftgrund vorsieht - dazu dienen, jede Art der Verfahrensverzögerung seitens des Antragstellers zu sanktionieren und zu unterbinden, nicht rechtfertigen."

Diesen Ausführungen schließt sich das Gericht vollumfänglich an und gelangt bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen zu dem Ergebnis, dass das Suspensivinteresse des Antragstellers überwiegt. Bliebe ihm die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage versagt, wäre er der möglichen Gefahr ausgesetzt, über einen längeren Zeitraum lediglich infolge seines Status als Asylsuchender inhaftiert zu werden. Diese - nicht wieder rückgängig zu machenden - physischen und psychischen Beeinträchtigungen des Antragstellers wiegen schwerer als der Aufschub einer Überstellung in den an sich zuständigen Mitgliedstaat (im Ergebnis ebenso VG Oldenburg, Beschluss vom 18.06.2014 - 12 B 1238/14 -, juris; VG München, Beschluss vom 26.06.2014 - M 24 S 14.50325 -, juris; anderer Ansicht VG Stade, Beschluss vom 14.07.2014 - 1 B 862/14 -, juris). [...]