VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 22.07.2014 - 1 K 444/14.TR - asyl.net: M22150
https://www.asyl.net/rsdb/M22150
Leitsatz:

Es ist beachtlich wahrscheinlich, dass die illegale Ausreise, der Asylantrag und der Auslandsaufenthalt dazu führen, dass die syrischen Sicherheitskräfte bei den Betroffenen eine regimegegnerische Einstellung vermuten. Dies ist mit der konkreten Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung verbunden.

Schlagwörter: Syrien, Vorverfolgung, Flüchtlingsanerkennung, politische Verfolgung, illegale Ausreise, Auslandsaufenthalt, Asylantrag, Foltergefahr, vermutete Einstellung, Rückkehrerbefragung, Rückkehrgefährdung, Änderung der Rechtsprechung,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, Asyl VfG § 3,
Auszüge:

[...]

Dem Kläger ist die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. [...]

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind gegeben.

Mit Blick auf die aktuelle Situation in Syrien geht das Gericht nunmehr davon aus, dass dem Kläger für den Fall der Rückkehr ungeachtet individuell geltend gemachter Gründe und deren Glaubhaftigkeit politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Auf der Grundlage der aus der aktuellen Berichterstattung gewonnenen Erkenntnislage ist beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger im Falle der Rückkehr wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt die Festnahme und damit verbunden die Gefahr von Folter droht, weil davon auszugehen wäre, dass einer vermuteten Einstellung gegen das derzeitige politische System nachgegangen werden wird (vgl. bereits zuvor OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18. Juli 2012 - 3 L 147/12; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. Juni 2013 - A 11 S 927/13; HessVGH, Beschluss vom 27. Januar 2014 - 3 A 917/13.Z.A -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. Januar 2014 - OVG 3 N 91.13 -; a.A. OVG NRW, Beschluss vom 9. Juli 2012 - 14 A 2485/11.A -). Hierfür bestehen begründete Anhaltspunkte.

An der bisherigen Annahme, das syrische Regime hätte keine Veranlassung und angesichts der Bürgerkriegssituation in vielen Landesteilen auch keine Ressourcen, alle zurückgeführten Asylbewerber ohne erkennbaren individuellen Grund bzw. Bezug zu einer regimegegnerischen Haltung aus den in § 3 AsylVfG genannten Gründen zu verfolgen, wird nicht mehr festgehalten. Vielmehr sprechen die neuesten Erkenntnisse, insbesondere die Presseberichte der jüngsten Zeit (FR vom 11. März 2014, 15./16. März 2014; SZ vom 17. März 2014) zur Lage im Land dafür, dass das syrische Regime sich zwar in vielen Landesteilen mit den jeweiligen aufständischen Gruppierungen in massiven Kampfhandlungen befindet. Jedoch ist deutlich, dass es dem syrischen Militär lokal auch des Öfteren gelingt, Gebiete zurückzuerobern, insbesondere weil von Seiten der syrischen Machthaber Luftwaffe sowie Kriegswaffen, auch international geächtete Kriegswaffen, gegenüber den Gebieten eingesetzt werden, in denen Aufständische vermutet werden oder sich aufhalten (FR vom 15. März 2014). Das syrische Militär und die von ihm eingesetzten verbündeten Milizen haben vielfache Erfolge gegenüber den Aufständischen verbuchen können (SZ vom 17. März 2014 siehe insbesondere FAZ vom 27. Juni und 7. Juli 2014). Trotz der Desertionswelle im Jahr 2011 ist das syrische Militär ersichtlich nach wie vor kampffähig und in der Lage, den Bürgerkrieg zu gewinnen und zumindest weitere Teile des Kernlandes unter Kontrolle zu behalten. Damit ist das syrische Regime aber gerade für die über den Flughafen in Damaskus aus dem europäischen Ausland rückkehrenden Asylantragsteller vor Ort präsent und ohne weiteres in der Lage, Rückkehrende zu kontrollieren. Jedenfalls sprechen derzeit keinerlei Anhaltspunkte für eine gegenteilige Entwicklung.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Beklagte davon ausgeht, dass rückkehrende Asylantragsteller nach vorliegenden Erkenntnissen im Rahmen einer obligatorischen Rückkehrerbefragung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit konkret gefährdet sind, einer menschenrechtswidrigen Behandlung bis hin zur Folter unterzogen zu werden. Neuere Erkenntnismaterialien, aus denen sich deutlich ergeben würde, dass von Seiten des syrischen Regimes diese zu erwartenden Behandlungen nicht von der Vermutung politischer Gegnerschaft, sondern anders motiviert sind, sind nicht vorhanden. In der momentanen gestärkten innenpolitischen Situation kann sich die Absicht der Informationsgewinnung nur auf im weitesten Sinne politische Informationen aus dem Ausland beziehen. Es spricht damit derzeit alles dafür, dass die Behandlung, der sich rückkehrende Asylantragsteller mit großer Wahrscheinlichkeit auch nach Auffassung der Beklagten bei einer Rückkehr nach Syrien werden unterziehen müssen, an eine vermutete regimegegnerische Haltung oder an die vermutete Nähe zu einer solchen anknüpft. [...]