VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.11.2001 - 11 S 1700/01 - asyl.net: M2217
https://www.asyl.net/rsdb/M2217
Leitsatz:

1. Der sorgeberechtigte ausländische Elternteil eines minderjährigen deutschen Kindes übt die Personensorge grundsätzlich nur dann nach §§ 23 Abs. 1 Nr. 3, 17 Abs. 1 AuslG für die Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft aus, wenn er das Sorgerecht (bzw. die ihm korrespondierende Sorgepflicht) auch aktiv wahrnimmt, indem er einen hinreichenden tatsächlichen Erziehungs- und Betreuungsbeitrag für das Kind erbringt (im Anschluss an VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 08.07.1993 -11 S 855/93 -, NVwZ 1994, 605).

2. An diesem Erfordernis hat sich auch nach Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes vom 16.12.1997 (BGBI. I, S. 2942) nichts Wesentliches geändert. (amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: D (A), Ausländer, Aufenthaltserlaubnis, Familienangehörige, Kinder, Deutsche Kinder, Personensorge, Familiäre Lebensgemeinschaft, Kindschaftsrechtsreform, Gemeinsames Sorgerecht, Begegnungsgemeinschaft, Beistandsgemeinschaft, Schutz von Ehe und Familie, EGMR, Rechtsprechung, Berufungszulassungsantrag, Ernstliche Zweifel
Normen: AuslG § 23 Abs. 1 Nr. 3; AuslG § 17 Abs. 1; GG Art. 6 Abs. 1; GG Art. 6 Abs. 2 S. 1
Auszüge:

1. Der sorgeberechtigte ausländische Elternteil eines minderjährigen deutschen Kindes übt die Personensorge grundsätzlich nur dann nach §§ 23 Abs. 1 Nr. 3, 17 Abs. 1 AuslG für die Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft aus, wenn er das Sorgerecht (bzw. die ihm korrespondierende Sorgepflicht) auch aktiv wahrnimmt, indem er einen hinreichenden tatsächlichen Erziehungs- und Betreuungsbeitrag für das Kind erbringt (im Anschluss an VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 08.07.1993 -11 S 855/93 -, NVwZ 1994, 605).

2. An diesem Erfordernis hat sich auch nach Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes vom 16.12.1997 (BGBI. I, S. 2942) nichts Wesentliches geändert. (amtliche Leitsätze)

 

Hinsichtlich der Anwendung des § 23 Abs. 1 Nr. 3 AuslG lässt die Antragsbegründung keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils erkennen. Die Antragsschrift geht auf die eingehenden, schlüssigen und überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts - und die ihr zugrundeliegende Rechtsauffassung des OVG Rheinland-Pfalz im Beschluss vom 10.04.2000 (a.a.O) - zur Struktur und Auslegung des § 23 Abs. 1 Nr. 3 AuslG im Lichte des Kindschaftsreformgesetzes vom 16.12.1997 (BGBI. I, S. 2942) nicht ein und setzt sich damit nicht wertend auseinander. Es fehlt mithin schon deshalb an schlüssigen Gegenargumenten, die den rechtlichen, wohlbegründeten Ansatz des Verwaltungsgerichts substantiiert in Frage stellen könnten (zu diesen Voraussetzungen vgl. BVerfG, 2. Kammer, Beschluss vom 23.06.2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163 = VBIBW 2000, 392). Stattdessen hebt die Antragsschrift hervor, dass zwischen dem Kläger und seinem Sohn aufgrund der im maßgeblichen Zeitpunkt (November/Dezember 1999) ausgeübten Personensorge ein gewachsenes, fortgesetztes und gelebtes familiäres Band bestanden habe, das den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK und des Art. 6 Abs. 1 - 3 GG genieße, und verweist diesbezüglich auf ein - bereits dem Verwaltungsgericht vorgelegtes - Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (künftig: EGMR) vom 06.07.2000 ( - Rs. VC 407/98 -, FamRZ 2000, 1561), aus dem sich ergebe, dass die Begegnungsgemeinschaft zwischen Eltern und Kindern nicht weniger schützenswert sei als die Beistandsgemeinschaft. Auch damit werden indessen ernstliche Zweifel an den Aussagen des Verwaltungsgerichts nicht dargetan. Das Verwaltungsgericht stellt nicht in Abrede, dass das durch Art. 8 EMRK und Art. 6 Abs. 1 GG rechtlich geschützte Band auch nach Trennung und Scheidung der Eltern in Form der familiären Lebensgemeinschaft zwischen dem sorgeberechtigten und auch dem nicht sorgeberechtigten Elternteil fortbestehen kann. Diesem Gebot tragen § 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG einerseits (Beziehung zum Sorgerechtsinhaber) und § 23 Abs. 1, 2. Halbsatz AuslG andererseits (Beziehung zum nicht Sorgeberechtigen) ausdrücklich Rechnung. Davon geht auch das Verwaltungsgericht aus. Indem es auch im erstgenannten Fall verlangt, dass das Sorgerecht über ein bloßes formales Innehaben hinaus auch tatsächlich ausgeübt werden muss, setzt es sich nicht in Widerspruch zur Entscheidung des EGMR. Schon der Gegenstand der Entscheidung des EGMR ist ein anderer. Der EGMR hat beanstandet, dass der Aufenthalt des Ausländers ohne Rücksicht auf ein gleichzeitig anhängiges zivilrechtliches Verfahren auf Umgangsregelung beendet worden war, weil dadurch "die Prüfung, ob eine formelle Umgangsregelung machbar und wünschenswert sei, verhindert" werde. Weitergehende Aussagen, etwa darüber, dass dieses "formelle" Umgangsrecht keine materielle Entsprechung in Gestalt tatsächlicher Beziehungen zwischen Vater und Sohn finden müsse, macht der EGMR nicht. Vielmehr geht auch er nach dem Sachverhalt von "dauerhaften Kontakten" zwischen dem Antragsteller und seinem minderjährigen Kind aus und spricht von "bestehenden familiären Bindungen zwischen Vater und Sohn", deren Fortentwicklung berücksichtigt werden müsse. Zur Ausgestaltung und Intensität dieser schutzwürdigen familiären Beziehungen im einzelnen lässt sich der EGMR nicht ein. Damit ist ein Widerspruch zur innerstaatlichen Rechtslage weder insofern festzustellen, als danach ein Aufenthaltsrecht nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 AuslG nur entsteht, wenn die Personensorge gegenüber dem minderjährigen Kind "ausgeübt" wird und (nach Maßgabe des § 17 Abs. 1 AuslG) dem Zweck der "Herstellung oder Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft" dient (vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 08.07.1993 - 11 S 855/93 -, NVwZ 1994, 605 = FamRZ 1993, 1440), noch insofern, als für eine rechtlich schützenswerte eheliche oder familiäre Lebensgemeinschaft gewisse tatsächliche Mindestanforderungen verlangt werden, die im Verhältnis Eltern - Kind nicht schon bei einer durch gelegentliche Besuche gekennzeichneten Begegnungsgemeinschaft erfüllt sind, sondern eine Erziehungsgemeinschaft voraussetzen, die von der nach außen manifestierten Verantwortung für die leibliche und seelische Entwicklung des Kindes geprägt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.12.1997 - 1 C 19.96 -, BVerwGE 106, 13 = NVwZ 1998, 742 ; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 02.05.2000 - 13 S 2456/99 -, InfAuslR 2000, 395).