VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.02.2002 - 11 S 2734/01 - asyl.net: M2219
https://www.asyl.net/rsdb/M2219
Leitsatz:

1.Der Verzicht auf Rechtsmittel und auf die Geltendmachung von Ansprüchen im Rahmen einer Rückführungsvereinbarung nach dem Erlass des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 2.2.2000 (- 4-13-JUG/90 -) über die Rückkehr der Flüchtlinge aus dem Kosovo erfasst nicht einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wegen Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen und auf Befristung der Wirkungen einer Abschiebung sowie einen Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO zur Sicherung dieser Ansprüche.

2. Die Einreise eines Ausländers, der über sichere Drittstaaten in das Bundesgebiet gelangt und nach der Einreise einen – später erfolglosen – Asylantrag stellt, ist unerlaubt (§ 58 Abs. 1 Nr. 3 AuslG) und kann daher im Rahmen einer Entscheidung über die nachträgliche Befristung der Wirkungen der Abschiebung nachteilig berücksichtigt werden.

3. Bei der Befristung der Wirkungen einer Abschiebung nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG sind spezial- wie auch generalpräventive öffentliche Interessen in das Ermessen einzustellen.(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: D (A), vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Rechtsmittelverzicht, Zulässigkeit, öffentlich-rechtlicher Vertrag, Rückführungsvereinbarung, Kosovo, Familienzusammenführung, Ehegattennachzug, Aufenthaltserlaubnis, Abschiebung, Sperrwirkung, Wirkungen der Abschiebung, Verwaltungsakt, Realakt, Schutz von Ehe und Familie, unerlaubte Einreise, Asylantrag, abgelehnte Asylbewerber, Drittstaatenregelung, Ermessen
Normen: VwVfG § 56 Abs. 1; AuslG § 23 Abs. 1 Nr. 1; AuslG § 8 Abs. 2 S. 2; GG Art. 6 Abs. 1; EMRK Art. 8; AuslG § 58 Abs. 1 Nr. 3; GG Art. 16a Abs. 2; AsylVfG § 26a Abs. 1; VwGO § 123
Auszüge:

Die - zugelassene - Beschwerde ist statthaft und auch sonst zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Anders als das Verwaltungsgericht hält der Senat die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht für gegeben. Denn der Antrag ist zwar zulässig, jedenfalls soweit er darauf gerichtet ist, den - zuständigen (vgl. § 5 Abs. 3 Satz 1 AAZuVO) - Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu einer vorläufigen, d.h. zeitlich begrenzten Duldung zu verpflichten (dazu A.). Der Antrag ist aber nicht begründet, weil der Antragsteller einen dahingehenden Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat (vgl. §§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO; dazu B.).

A. Der Zulässigkeit des Antrags steht auch nicht der Rechtsmittelverzicht des Antragstellers im zweiten Absatz der "Erklärung" vom 11.5.2000 entgegen. Ein solcher außergerichtlicher Rechtsmittelverzicht, der einseitig oder im Rahmen einer Vereinbarung erklärt werden kann, ist zwar grundsätzlich möglich und wirksam. Er wäre auf die hier erfolgte Einrede des Antragsgegners als Prozesshindernis auch berücksichtigungsfähig (vgl. Nachweise bei Kopp-Schenke, VwGO, 12. Aufl. 2000, § 70 RdNr. 56, § 74 RdNrn. 21-24; Eyermann/Happ, VwGO, 11. Aufl.2000, § 124 RdNr. 35). Wegen ihrer Tragweite (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) sind derartige Verzichtserklärungen aber im Zweifel eng auszulegen. Die Bereitschaft zum Rechtsmittelverzicht und deren Umfang müssen eindeutig, unzweifelhaft und unmissverständlich zum Ausdruck kommen, unzulässige Beeinflussung oder unzulässiger Druck dürfen nicht ausgeübt worden sein. Wird auf künftige Rechtsmittel verzichtet, müssen diese hinreichend bestimmt und der Verzichtende muss sich ihrer Bedeutung bewusst sein (vgl. zu diesen Anforderungen BVerwG, Urteil vom 18.5.1990 - 8 C 40.88 -, OVG Bautzen, Urteil vom 11.2.1999 - 1 S 347/97 -, SächsVBl. 1999,134). Öffentlichrechtliche Verträge mit Verzichtsabreden müssen den Anforderungen der §§ 55 oder 56 VwVfG entsprechen. Im letzteren Fall eines Austauschvertrags muss der Verzicht der Behörde zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe dienen und in sachlichem Zusammenhang mit einer erlaubten Gegenleistung stehen (vgl. § 56 Abs. 1 VwVfG).

Gemessen daran lässt sich der "Erklärung" vom 11.5.2000 ein eindeutiger und unmissverständlicher Verzicht auf den vorliegenden Antrag nach § 123 VwGO nicht entnehmen. Diese Erklärung ist Teil einer Rückführungsvereinbarung des Antragstellers mit der Ausländerbehörde der Stadt Calw; sie ist vor dem Hintergrund der Verfahrensregelungen des Erlasses des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 2.2.2000 (4-13-Jug/90) über die Rückkehr der Flüchtlinge aus dem Kosovo auszulegen, über die der Antragsteller in einem formularmäßigen Informationsschreiben vom 15.2.2000 (vgl. 2.5.1 des Erlasses) unterrichtet worden ist. Darin wird Bezug genommen auf die allgemeine Ausgangslage der Kosovo-Flüchtlinge ohne dauerhaftes Aufenthaltsrecht, die aufgrund der verbesserten Lage in ihrer Heimat nunmehr rückkehrpflichtig seien. Den Flüchtlingen werden sodann fallgruppenbezogene Angebote mit gestaffelten Ausreisefristen für ihre freiwillige Rückkehr gemacht. Adressaten des Erlasses und des Informationsschreibens sind ersichtlich nur ausreisepflichtige Flüchtlinge mit bürgerkriegsbedingten Duldungen oder ehemalige Inhaber vorübergehender Aufenthaltsbefugnisse nach § 32a AuslG (vgl. 2.2), nicht aber Personen mit dauerhaften Aufenthaltstiteln zu anderen Zwecken. An dieser Ziel- und Inhaltsvorgabe muss sich auch die "Erklärung" vom 11.5.2000 messen lassen. Der Rechtsverzichtswille des Antragstellers war kein umfassender, sondern bezog sich nur auf Rechtsmittel und Ansprüche, die allgemein einer geordneten zügigen und sozialverträglichen Rückführung der Kosovoalbaner im Wege standen. Dies belegt auch der Wortlaut des ersten Absatzes, wonach sich der Rechtsmittelverzicht auf nach dem Ausreisestichtag 30.11.2000 "eingeleitete Abschiebemaßnahmen" beschränkt.

Auch die im dritten Absatz der "Erklärung" erklärte Bereitschaft, "keine sonstigen, auf ein weiteres Verbleiben in Deutschland gerichtete Anträge (insbesondere Aufenthaltsgenehmigungen)" zu stellen, ist in diesem eingeschränkten Sinn auszulegen. Davon mögen Anträge auf weitere mit der allgemeinen Lage im Kosovo begründete Duldungen oder Aufenthaltsbefugnisse erfasst sein. Ansprüche auf Aufenthaltsgenehmigungen wegen eines gänzlich anderen ("kosovounabhängigen") Aufenthaltszwecks, wie der Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen, werden nicht erfasst. Dies gilt sowohl für künftige ungewisse Eheschließungen als auch für Fälle, in denen – wie wohl beim Antragsteller – Heiratsabsichten bereits bestehen. Umgekehrt muss sich auch die Ausländerbehörde nur in dem bezeichneten beschränkten Rahmen an ihre eigene (Duldungs)Verpflichtung halten.

Mit dem so umschriebenen Inhalt begegnet die Rückführungsvereinbarung auch nach dem Maßstab des § 56 Abs. 1 VwVfG keinen Bedenken.

B. Der Antrag ist aber nicht begründet.

1. Hinsichtlich der in erster Linie geltend gemachten Aufenthaltserlaubnis wegen Eheschließung mit der deutschen Staatsangehörigen ... am 4.10.2000 kann offen bleiben, ob beim Antragsteller ein gebundener Anspruch nach § 23 Abs.1 Nr.1 AuslG oder - wegen Vorliegens eines Ausweisungsgrundes nach § 46 Nr.2 AuslG in Gestalt einer unerlaubten (Wieder)Einreise am 8.10.1998 - nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung nach § 23 Abs.3 i.V.m. § 17 Abs. 5 AuslG in Betracht käme. Denn beide Ansprüche dürften gegenwärtig wegen vorliegender rechtlicher Hindernisse nicht durchgreifen. Allerdings dürfte die Aufenthaltserlaubnis der Wahrung einer nach Art. 6 Abs. 1 GG schützenswerten ehelichen Lebensgemeinschaft dienen, weil hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme einer Scheinehe (jedenfalls nach Aktenlage) nicht vorliegen.

1.1 Ob der Versagungsgrund des § 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG eingreift, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn dem Anspruch auf die begehrte Aufenthaltserlaubnis dürfte jedenfalls die Sperre des § 8 Abs. 2 Satz 2 AuslG entgegenstehen. Danach wird einem Ausländer, der abgeschoben worden ist, auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs keine Aufenthaltserlaubnis erteilt.

Die am 10.9.1997 erfolgte Abschiebung des Antragstellers war geeignet, diese Sperrwirkungen des § 8 Abs. 2 Satz 2 AuslG auszulösen. Auf die Frage, ob die damalige Abschiebung rechtswidrig war (vgl. dazu Urt. des Senats vom 8.3.1995 - 11 S 2908/94 -, ESVGH 45, 198), kommt es dann nicht an, wenn man diese Vollstreckungsmaßnahme als Verwaltungsakt qualifiziert (so Urt. des Senats aaO; weitere Nachweise bei GK-AuslR § 49 RdNr. 40 - 42). Denn in diesem Fall wäre die Abschiebung bestandskräftig geworden (vgl. § 58 Abs. 2 VwGO). Aber auch wenn die Abschiebung als bloßer Realakt eingestuft wird, wäre fraglich, ob der Antragsteller sich nach Treu und Glauben (Verwirkung) noch heute auf ihre Rechtswidrigkeit berufen könnte, da er Gelegenheit hatte, alle Gesichtspunkte in dem damals anhängigen Eilrechtsschutzverfahren und im Petitionsverfahren vorzutragen.

1.3 Um im vorliegenden Eilverfahren Erfolg zu haben, müsste der Antragsteller dartun, dass er mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bei Abwägung der gegenläufigen Interessen (Schutz der Ehe mit einer Deutschen einerseits, öffentliches Interesse an der Einhaltung der Einreise- und Aufenthaltsvorschriften andererseits) einen (ermessensbindenden) Anspruch auf Befristung der Abschiebungswirkungen ex tunc (Zeitpunkt der Eheschließung) bzw. ex nunc (heutiger Zeitpunkt) hätte, weil es unverhältnismäßig wäre, ihm eine - auch kürzere - Rückkehr nach Jugoslawien zuzumuten.

Im Rahmen des Ermessens nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG ist zu prüfen, wann die mit der Sperrwirkung verfolgten ordnungsrechtlichen Zwecke voraussichtlich erreicht sein werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, NVwZ 2000, 688 = InfAuslR 2000, 176; Beschl. v. 14.7.2000 - 1 B 40.00 -, Buchholz 402.240 § 8 AuslG Nr. 18).

a) Der Antragsteller hat sich nach der Abschiebung etwa 13 Monate in Jugoslawien aufgehalten. Einen Befristungsantrag hat er damals nicht gestellt. Seine Einreise am 8.10.1998 war, entgegen seiner Auffassung, ungeachtet des noch am gleichen Tag gestellten Asyl(folge)antrags unerlaubt nach § 58 Abs. 1 Nr. 3 AuslG. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht <zum Begriff der "erlaubten Einreise" in § 9 Abs. 5 Satz 2 DVAuslG> entschieden, dass Asylsuchenden, die unmittelbar aus dem angeblichen Verfolgungsland einreisen, noch am Tag der Einreise ihr Asylbegehren äußern und später einen - wenn auch erfolglosen - Asylantrag stellen, in der Regel der Aufenthalt im Bundesgebiet bis zur Klärung des geltend gemachten Asylrechts nicht verwehrt werden darf und sie auch weder einer Aufenthaltserlaubnis noch eines Passes bedürfen (vgl. Urt. v. 3.6.1997 - 1 C 1.97 -, NVwZ 1998, 187 = InfAuslR 1997, 352 unter Hinweis auf einen Beschluss vom 14.4.1992 - 1 C 48.89 -, Buchholz 402.24, § 18 AuslG Nr. 1 und ein Urteil vom 15.5.1984 - 1 C 59.81 -, NVwZ 1984, 591 = InfAuslR 1984, 224).

Diese Entscheidungen sind jedoch zur Rechtslage nach Art. 16 Abs. 2 GG a.F. ergangen (vgl. den ausdrücklichen Vorbehalt in BVerwG, Urt. v. 3.6.1997, aaO) und bedürfen der Modifizierung nach Einführung der Drittstaatenregelung in Art. 16 a Abs. 2 GG heutiger Fassung (Gesetz vom 28.6.1993, BGBl. I, 1002) und der sie einfachgesetzlich nachzeichnenden Bestimmungen des Asylverfahrensgesetzes 1993. Danach können sich Ausländer, die - wie der Antragsteller (vgl. seine Angaben vor dem Bundesamt am 7.12.1998) - ohne Aufenthaltsgenehmigung auf dem Landweg über sichere Drittstaaten eingereist sind, nicht auf das Grundrecht auf Asyl berufen und werden nicht als Asylberechtigte anerkannt (vgl. auch § 26 a Abs. 1 AsylVfG). Ihnen ist dementsprechend grundsätzlich an der Grenze die Einreise zu verweigern (§ 18 Abs. 1 und 4 AsylVfG). Art. 16 a Abs. 1 GG n.F. ist in diesen Fällen schon in seinem persönlichen Geltungsbereich nicht berührt (so zutreffend auch GKAuslR § 58 RdNr. 41). Denn wer aus einem oder über einen sicheren Drittstaat einreist, bedarf dieses Schutzes nicht, weil er in dem Drittstaat Schutz vor politischer Verfolgung hätte finden können (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93 -, BVerfGE 94, 49 ff. = NVwZ 1996, 700 ff.). Da in diesen sicheren Drittstaaten auch die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (FK), insbesondere des Abschiebeverbots nach Art. 33 FK, und die Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention sichergestellt ist (vgl. Art. 16 a Abs. 2 GG) und Anhaltspunkte für Zweifel hieran nicht vorgetragen oder ersichtlich sind (vgl. BVerfG, aaO), lässt sich auch aus diesen Vertragswerken kein Recht auf Einreise herleiten. Steht damit eine (ausländerrechtlich) unerlaubte Einreise des Antragstellers nach § 58 Abs. 1 Nr. 3 AuslG fest (vgl. auch § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG) kann offen bleiben, ob sich dieser Tatbestand nicht auch schon daraus ergibt, dass der Antragsteller sein Asylgesuch nicht an der Grenze gestellt hat (§ 13 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 AsylVfG; zur Problematik, insbesondere auch im Hinblick auch das Schengener Abkommen vgl. GK-AuslR § 58 RdNrn. 50, 51).

b) Der Antragsteller hat sich auch nach Abschluss seines Asylfolgeverfahrens unerlaubt hier aufgehalten. Ihm ist vorzuwerfen, dass er sich die Vorteile des Kosovo-Erlasses vom 2.2.2000 zunutze machte, obwohl dessen Voraussetzungen nicht vorlagen.