VG Schwerin

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Zitieren als:
VG Schwerin, Beschluss vom 29.08.2014 - 3 B 621/14 As - asyl.net: M22198
https://www.asyl.net/rsdb/M22198
Leitsatz:

1. Sinn des § 8 VwZG ist, dass Verstöße gegen Zustellungsvorschriften ohne Rechtsfolgen bleiben sollen, wenn ohne ihre Einhaltung der Zweck der Zustellung erreicht worden ist, nämlich der tatsächliche Zugang des zuzustellenden Dokuments beim Adressaten der Zustellung.

2. Die Zustellung eines Verwaltungsaktes kann nicht dadurch mit heilender Wirkung erfolgen, dass dem Adressaten der Inhalt des versandten Bescheides im Rahmen der Akteneinsicht durch seinen Prozessbevollmächtigten oder bei einer Besprechung bei dem Prozessbevollmächtigten bekannt geworden ist.

3. Die fehlerhafte, nicht geheilte Zustellung führt dazu, dass der Bescheid nicht im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 2 VwVfG wirksam geworden ist; mangels wirksam mitgeteilter Regelung handelt es sich um einen Nichtverwaltungsakt.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Zustellung, unwirksame Zustellung, Verwaltungsakt, Wirksamkeit, Dublin II-VO, Dublinverfahren, Postzustellungsurkunde, Zustellungsmangel, Akteneinsicht,
Normen: VwZG § 8, VwVfG § 43 Abs. 1 S. 2, AsylVfG § 31 Abs. 1 S. 4, AsylVfG § 26a, AsylVfG § 27a, VwVfG § 41 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

a) Die in dem Verwaltungsvorgang des Bundesamtes vorhandene Postzustellungsurkunde, wonach den Antragstellern der streitgegenständliche Bescheid vom 17. Januar 2014 am 23. Januar 2013 in Y zugestellt worden sein soll, ist fehlerhaft, da die Antragsteller dort ausweislich der Verwaltungsvorgänge und eigener Angaben weder damals noch später gewohnt haben. Der Bescheid, der den Antragstellern übersandt werden sollte, hat sie bis heute nicht erreicht.

Dieser Zustellungsmangel ist auch nicht dadurch gemäß § 8 Satz 1 des Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) geheilt worden, dass den Antragstellern der Entwurf des Bescheides im Rahmen der Akteneinsicht bekannt geworden ist. Sinn des § 8 VwZG ist, dass Verstöße gegen Zustellungsvorschriften ohne Rechtsfolgen bleiben sollen, wenn ohne ihre Einhaltung der Zweck der Zustellung erreicht worden ist, nämlich der tatsächliche Zugang des zuzustellenden Dokuments beim Adressaten der Zustellung (ebenso Engelhardt/App, VwVG/VwZO, 9. Aufl. 2011, § 8 Rn. 2).

Damit geht das Gesetz davon aus, dass dem richtigen Zustellempfänger der versandte Bescheid, wenn auch nicht im Rahmen der Zustellung, aber auf andere Weise tatsächlich zugegangen ist. Das ist hier nicht geschehen.

Eine Zustellung ist insbesondere nicht dadurch mit heilender Wirkung erfolgt, dass den Antragsteller der Inhalt des Bescheides im Rahmen der Akteneinsicht durch ihren Prozessbevollmächtigten oder im Rahmen einer Besprechung bei ihrem Prozessbevollmächtigten bekannt geworden ist. § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG schreibt ausdrücklich die höchstpersönliche Zustellung an den Asylantragsteller vor, womit eine wirksame Zustellung an den Prozessbevollmächtigten ausscheidet. Die Übersendung der Verwaltungsvorgänge an den Prozessbevollmächtigten durch die Behörde ist zwar wissent- und willentlich durch einen zuständigen Bediensteten erfolgt. Insoweit ist auch nicht von einer zufälligen oder lediglich informatorischen Bekanntgabe auszugehen (dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 13. Aufl. 2012, § 41 Rn. 7 ff.; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 41 Rn. 53 ff. je mwN).

Jedoch war dem handelnden Bediensteten des Bundesamtes bis zu diesem Zeitpunkt nach Aktenlage nicht bewusst, dass die Zustellung fehlgeschlagen war. Allenfalls mit Kenntnisnahme des Schriftsatzes vom 19. Juni 2014 könnte ihm bekannt geworden sein, dass die Zustellung fehlerhaft an eine unzutreffende Anschrift erfolgt ist, möglicherweise auch erst am 26. Juni 2014, als er dem Prozessbevollmächtigten mitgeteilt hat, dass "der Bescheid vom 17. Januar 2014 […] Ihnen durch Gewährung der Akteneinsicht jedenfalls" vorliege. Erst da mag er einen allerdings unerheblich – weil nachträglichen - Bekanntgabewillen gehabt haben.

Im Übrigen handelt es sich bei dem in der Akte befindlichen Exemplar lediglich um einen – nicht unterzeichneten – Entwurf und nicht um das versandte Schriftstück. Der versandte Bescheid ist mithin bei den Antragstellern bis heute nicht angekommen. Sie hatten somit bis heute nicht die Möglichkeit der Kenntnisnahme des Verwaltungsakts (vgl. zur Kenntnisnahme auch VG Magdeburg, Urteil vom 22. Mai 2014 – 3 A 452/13 MD –, juris/BAMF, Umdruck S. 4 mwN; Kopp/Ramsauer, Stelkens, aaO, Rn. 61 ff.).

Die Fristen des § 34a Abs. 2 AsylVfG sind damit nicht in Gang gesetzt worden.

b) Den Antragstellern steht auch ein Rechtsschutzbedürfnis zur Entscheidung des vorliegenden Eilantrags zur Seite. Nach ihren unwidersprochenen Angaben bereite die örtliche Ausländerbehörde ihre Abschiebung vor. Dies wird bestätigt durch Unterlagen über eine amtsärztliche Untersuchung zur Frage der Reisefähigkeit des Antragstellers zu 1) vom 3. und 4. Juli 2014 des Landesamtes für innere Verwaltung Mecklenburg- Vorpommern.

2. Der Antrag ist auch begründet. Angesichts der Festlegung des Gesetzgebers in § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG, dass dem Asylantragsteller Bescheide nach § 26a und § 27a AsylVfG diesen zwingend höchstpersönlich zuzustellen sind, führt die fehlerhafte Zustellung (die nach dem Vorstehenden auch nicht geheilt worden ist) dazu, dass der angegriffene Bescheid nicht im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 2 VwVfG wirksam geworden ist. Es handelt sich dabei mangels wirksam mitgeteilter Regelung um einen Nichtverwaltungsakt, da von ihm noch der Rechtsschein von Wirkungen ausgeht (vgl. VG Magdeburg, aaO, S. S. 4 f. mwN; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 42 Rn. 4 § 42 Anh § 35 VwVfG Rn. 36; Kopp/Ramsauer, VwVfG § 43 Rn. 35 und 49; Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rn. 176 je mwN).

Nach allem ist der Bescheid den Antragstellern mangels wirksamer Zustellung nicht nach §§ 41 Abs. 1, 43 Abs. 1 Satz 2 VwVfG bekanntgegeben worden. Daher gehen von ihm auch keine Wirkungen aus. Auf den angegriffenen Bescheid können keine Vollstreckungshandlungen, wie eine Abschiebung in die Niederlande gestützt werden. [...]