VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 08.08.2014 - 13 K 6126/08.A - asyl.net: M22213
https://www.asyl.net/rsdb/M22213
Leitsatz:

Widerruf einer nach § 51 Abs. 1 AuslG erfolgten Flüchtlingsanerkennung; keine Verfolgungsgefahr für Angehörige von im Jahr 1997 gestürzten Regierungsmitgliedern des ehemaligen Präsidenten Lissouba.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Republik Kongo, Kongo, Flüchtlingsanerkennung, Widerruf, Präsident Lissouba, Lissouba, Wegfall der Umstände,
Normen: AuslG § 51 Abs. 1, AsylVfG § 73,
Auszüge:

[...]

Die für einen Widerruf der Asyl- bzw. Flüchtlingsanerkennung wegen einer Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse im Heimatland danach erforderliche signifikante und wesentliche, also entscheidungserhebliche Änderung der Grundlage der Verfolgungsprognose, ist anzunehmen, wenn sich die Änderung der Umstände als stabil erweist und von einer dauerhaften Beseitigung der Faktoren für die Verfolgungsfurcht ausgegangen werden kann (vgl. Europäischer Gerichtshof (EuGH), Urteil vom 2. März 2010, C- 175/08 u.a., Abdulla u.a., juris und NVwZ 2010, 505; BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 – 10 C 25/10-, juris, Rn 19, 20; OVG NRW, Urteil vom 26. März 2013 – 9 A 670/08.A -, juris, Rn 44 m.w.N.).

Dies setzt eine individuelle Verfolgungsprognose voraus. Der insoweit anzuwendende Wahrscheinlichkeitsmaßstab für den Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung entspricht spiegelbildlich dem bei der Anerkennung zugrunde zu legenden Maßstab. Für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung gilt seit der Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG unabhängig von einer etwaigen Vorverfolgung der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft bestimmt sich folglich danach, ob zum nach § 77 Absatz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung besteht. Dabei liegt die Beweislast bei der Behörde. Zur Privilegierung des Vorverfolgten bzw. in anderer Weise Geschädigten wird in Artikel 4 Absatz 4 QualfRL (i.V.m. § 3e Absatz 2 AsylVfG; bis zum 30. November 2013: § 60 Absatz 1 Satz 5 und Abs. 11 AufenthG) vielmehr eine Beweiserleichterung in Gestalt einer tatsächlichen Vermutung normiert, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Heimatland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Dies ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen (vgl. BVerwG, Urteile vom 7. September 2010 – 10 C 11.09 -, juris, Rn 15, vom 22. November 2011 - 10 C 29.10 -, juris, Rn 23, vom 1. März 2012 – 10 C 7.11-, juris, Rn 11 ff. (17, 18); OVG NRW, Urteil vom 26. März 2013 – 9 A 670/08.A, juris).

Ausgehend von diesen Maßstäben erweist sich der Widerruf der Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Absatz 1 AuslG (jetzt § 3 Absatz 1 AsylVfG) in der Person des Klägers als rechtmäßig. Die der Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Absatz 1 AuslG durch das Bundesamt mit Bescheid vom 4. Februar 2003 zugrunde liegenden Umstände, die die Furcht des Klägers vor Verfolgung begründeten, sind dauerhaft entfallen.

Dem Kläger sind auf der Grundlage der in Bestandskraft erwachsenen Feststellungen des Bescheides des Bundesamtes vom 4. Februar 2003 die Voraussetzungen des § 51 Absatz 1 AuslG für die Republik Kongo zuerkannt worden, weil er als Neffe von General Z.-P., einem engen politischen Vertrauten des früheren Präsidenten M., nach dessen gewaltsamen Sturz im Oktober 1997 politischer Verfolgung durch den wieder an die Macht gelangten früheren Präsidenten E. T.-O. und seiner Anhänger ausgesetzt war. Das Bundesamt ging davon aus, dass die Frau des Klägers und zwei seiner Kinder ebenso wie weitere Familienmitglieder des selbst ins Exil geflohenen Onkels Z.-P. im Dezember 1997 in Brazzaville einem Massaker durch Soldaten des erneut an die Macht gekommenen Präsidenten T.-O. zum Opfer fielen und der Kläger selbst einer Tötung nur durch seine Flucht entgangen ist.

Nach der aktuellen Erkenntnislage droht dem Kläger aufgrund seiner Verwandtschaft zu Z.-P. im Rückkehrfalle jedoch heute nicht mehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer erneuten Verfolgung.

Zwar ist der nach dem Umsturz im Oktober 1997 an die Macht gelangte Präsident E. T. O. bis heute Staatsoberhaupt der Republik Kongo (vgl. Länderinformation des Auswärtigen Amtes zur Republik Kongo, Stand Mai 2014, www.auswaertiges-amt.de). Die politischen Gegner des gestürzten Präsidenten M. und seiner Anhänger, also auch des Onkels des Klägers, sind daher bis heute an der Regierung in der Republik Kongo beteiligt.

Allerdings hat die Regierung T.-O. die politische Verfolgung ihrer einstigen politischen Gegner inzwischen erkennbar und dauerhaft aufgegeben.

Nachdem der ehemalige Präsident M., sein ehemaliger Ministerpräsident L. sowie sein enger politischer Vertrauter und Unterstützer der damaligen Präsidentenmehrheit Joachim Z.-P. noch im Dezember 2001 während ihrer Zeit im Exil zu hohen Freiheitsstrafen - M. zusätzlich auch zu einer hohen Geldstrafe - u.a. wegen Veruntreuung staatlicher Gelder verurteilt worden waren (vgl. Country Information and Policy Unit Immigration and Nationality Directorate, Home Office, United Kingdom, Stand April 2004, Annex A, Chronology of major events, 2001, abrufbar unter www.refworld.org; U.S. Department of State, Background Note: Republic of Congo, August 2008, Abschnitt "History"; biographische Angaben zu Z.-P. unter en.wikipedia.org/wiki/Joachim_Z.-P.), erhielten sie in den folgenden Jahren nacheinander auf Betreiben des Präsidenten T.-O. jeweils Amnestien. Als erster durfte der ehemalige Ministerpräsident L. im Oktober 2005 zur Beerdigung seiner Ehefrau nach Kongo einreisen. Auf Betreiben T.-Nguessos wurde L. anschließend im Dezember 2005 durch das Parlament eine Amnestie gewährt. Knapp zwei Jahre später, im September 2007, kündigte T.-O. an, dass M. nach Kongo einreisen dürfe und eine Begnadigung von der im Jahr 2001 gegen ihn verhängten Strafe erhalten werde. Der Onkel des Klägers, Joachim Z.-P., kehrte im August 2007 nach Kongo zurück, nachdem der Ministerrat auch für ihn am 10. Mai 2007 eine Amnestie verkündet hatte (vgl. zu allem: biographische Angaben zu Z.-P. unter en.wikipedia.org/wiki/K_Z-P. sowie unter fr.wikipedia.org/wiki/K._Z.-P.; U.S. Department of State, Background Note: Republic of Congo, August 2008, dort im Abschnitt "History"; Zeitungsartikel in Gaboneco vom 17. August 2008 "Congo Brazzaville: Retour de K. Z.-P.", abgerufen im Verfahren 19 K 5838/08.A am 28. August 2008; "L’ancien president K. Z. P. amnistié par Brazzaville", Zeitungsartikel abgerufen im Verfahren 19 K 5838/08.A am 28. August 2008 unter www.jeuneafrique.com).

Anhaltspunkte dafür, dass Z.-P. nach seiner Rückkehr nach Kongo erneut Repressalien oder Übergriffen der Regierung T.-Nguessos ausgesetzt war, liegen nicht vor. Im Gegenteil konnte Z.-P. sich nach seiner Rückkehr sogar wieder politisch in der Opposition betätigen. So übernahm er unmittelbar nach seiner Rückkehr im Jahr 2007 bereits wieder die Führung seiner Partei, der RDD (Rally for Democracy and Development) (vgl. en.wikipedia.org/wiki/K_Z.-P.).

Entsprechendes gilt auch für die Oppositionspartei des ehemaligen Präsidenten M., die UPADS (Union Panafrique pur la Démocratie Sociale). Sie gehört bis heute zu den in Kongo aktiven Oppositionsparteien und ist fester Bestandteil des politischen Systems (vgl. Länderinformation des Auswärtigen Amtes zur Republik Kongo, Stand Mai 2014, www.auswaertiges-amt.de).

Die frühere Partei L, die M.C.D.D.I., ist heute sogar neben der Partei PCT des Präsidenten T. O. unmittelbar an der Regierung beteiligt (vgl. Länderinformation des Auswärtigen Amtes zur Republik Kongo, Stand Mai 2014, www.auswaertiges-amt.de).

Dass die Regierung T.–O. bzw. der kongolesische Staat, obwohl sie den unmittelbaren früheren politischen Gegnern bereits vor Jahren Amnestien gewährt haben und insbesondere Z.-P., der Onkel des Klägers, sich in Kongo seit langem wieder ungehindert politisch in der Opposition betätigen kann, noch ein Interesse daran haben sollten, den Kläger im Rückkehrfalle wegen seines Verwandtschaftsverhältnisses zu Z.-P. und immerhin mehr als 7 Jahre nach dessen Begnadigung und Rückkehr nach Kongo zu verhaften oder gar zu töten, ist vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich. Hinzu kommt, dass der Kläger vor seiner Ausreise allein wegen dieser Verwandtschaftsbeziehung und nicht etwa auch wegen eigener politischer Aktivitäten in das Blickfeld des kongolesischen Staates geraten ist.

Diese Veränderung der Umstände im Heimatland des Klägers ist auch ausreichend dauerhaft. Seit August 2002 ist eine neue, durch Volksbefragung angenommene Verfassung in Kraft getreten. Nach der gewaltsamen Machtübernahme im Jahr 1997 fanden 2002 erstmals Präsidentschaftswahlen statt, in denen Präsident T. O. als Präsident der Republik Kongo gewählt wurde. Seine Wiederwahl erfolgte im Jahr 2009, während im Jahr 2012 Parlamentswahlen abgehalten wurden. Ungeachtet bei diesen Wahlen aufgetretener Unregelmäßigkeit zu Lasten der Oppositionsparteien (vgl. Country Report on Human Rights Practices for 2013, Republic of the Congo, www.state.gov) hat sich die politische Lage in Kongo damit gegenüber 1997/1998 deutlich stabilisiert. Der kongolesische Staat hat zudem jedenfalls seit der Wahl 2002 die gewaltsame und - spätestens im Sommer 2007 – erkennbar auch jede sonstige, insbesondere strafrechtliche, Verfolgung der 1997 gestürzten Regierung und ihrer Anhänger aufgegeben. Nach der derzeitigen Erkenntnislage bestehen keine Anhaltspunkte, dass Mitglieder oder Sympathisanten der RDD von Z.-P. oder der Oppositionspartei des ehemaligen Präsidenten Lissoubas, der UPADS, in Kongo seither erneut politischer Verfolgung der Regierung T.–O. ausgesetzt waren. Im Jahr 2013 wurde sogar ein staatlich finanzierter nationaler Dialog unter Beteiligung aller Oppositionsparteien angestoßen, in dem ein Rahmen für lokale Wahlen erarbeitet werden sollte (vgl. Country Report on Human Rights Practices for 2013, Republic of the Congo, Sectiono 3, Respect for political rights, www.state.gov).

Die Verhältnisse im Heimatland des Klägers erweisen sich insoweit daher auch bereits seit längerer Zeit als stabil. Da andererseits eine Garantie der Kontinuität veränderter politischer Verhältnisse auf unabsehbare Zeit nicht verlangt werden kann (vgl. OVG NRW, Urteil vom 26. März 2010 – 9 A 670/08.A -, juris, Rn 48; BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 – 10 C 25.10, juris, Rn 24), ergibt die vor diesem Hintergrund zu treffende Prognose, dass der Kläger nicht (erneut) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sein wird. Steht damit fest, dass der Kläger wegen seiner Verwandtschaft zu Z.-P. von keiner Seite im Kongo mehr Verfolgung zu befürchten hat, umfasst dies zugleich die Feststellung, dass mit der derzeitigen kongolesischen Regierung ein staatlicher Schutzakteur im Sinne von § 3d AsylVfG vorhanden ist, der die ehemals bestehenden Übergriffe auf Personen wegen deren unmittelbarer Verwandtschaft oder engen Verbindung zur gestürzten Vorgängerregierung abgeschafft hat und ausreichende Schritte eingeleitet hat, um die der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegende Verfolgung dauerhaft abzuschaffen.

Anhaltspunkte für Nachwirkungen der früheren Verfolgungshandlungen im Sinne des § 73 Absatz 1 Satz 3 AsylVfG sind ebenfalls weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Der Widerruf setzt neben dem Wegfall der der Anerkennung zugrunde liegenden Verfolgungsgefahr weiter voraus, dass der Betreffende auch nicht wegen anderer Umstände begründete Furcht vor Verfolgung hat (BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2011 – 10 C 3/110-, juris, Rn 21).

Solche anderen Umstände hat der Kläger weder vorgetragen, noch sind solche Umstände für das Gericht sonst ersichtlich. [...]