Bei der im Rahmen des § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG anzustellenden Prognose, ob der Einbürgerungsbewerber künftig imstande ist, sich und seine Angehörigen zu ernähren, ist grundsätzlich auf den Kreis der bereits im Bundesgebiet lebenden Unterhaltsberechtigten abzustellen.
(Amtlicher Leitsatz)
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Die zulässige Berufung, über die im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO), ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der Verbescheidungsklage zu Recht stattgegeben. Die hier strittige Voraussetzung der Ermessenseinbürgerung, ob der Kläger sich und seine Angehörigen gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG zu ernähren imstande ist, ist zu bejahen.
In Bezug auf die Person des Klägers allein ergibt sich dies aus den im Einbürgerungsverfahren vorgelegten Verdienstabrechnungen. Danach hat der Kläger aus seinen beiden Arbeitsverhältnissen monatlich insgesamt 990 Euro netto ausbezahlt erhalten (Bl. 32 ff. der Einbürgerungsakte), die bei tatsächlichen Unterkunftskosten von 265 Euro monatlich (16 qm-Appartement, a.a.O. Bl. 39) für den Lebensunterhalt ausreichen. Dementsprechend hat der Kläger bislang keine Leistungen nach dem SGB II in Anspruch genommen.
Bei der erforderlichen Prognose künftiger Sicherung auch des Lebensunterhalts Unterhaltsberechtigter ist grundsätzlich auf den Kreis der bereits im Bundesgebiet lebenden Unterhaltsberechtigten abzustellen. Die Möglichkeit, dass dieser Kreis durch die bei der Einbürgerung anzuwendenden, erleichterten und nicht auf das Lebensunterhaltssicherungserfordernis des § 27 Abs. 3 AufenthG abstellenden Regelungen über den Nachzug ausländischer Familienangehöriger Deutscher (§ 28 AufenthG) erweitert wird, reicht für eine negative Prognose dann nicht aus, wenn sich Nachzugsabsichten nicht konkret abzeichnen (Berlit in GK-StAR, § 10 StAG Rn. 247). So liegt der Fall hier. Wenn der Beklagte demgegenüber eine negative Prognose allein aus der Tatsache ableiten will, dass im Ausland lebende Familienangehörige erleichterten Zugang in das Bundesgebiet erhalten können (vgl. Makarov/von Mangoldt, Dt. Staatsangehörigkeitsrecht, § 86 AuslG Rn. 26), kann ihm nicht gefolgt werden.
Dagegen spricht zum einen schon die am Wortlaut der Vorschrift orientierte historische Auslegung. § 8 StAG geht im Wesentlichen auf § 8 RuStAG 1913 zurück und sollte mit dem Zuwanderungsgesetz im Kern nur redaktionell bereinigt werden (BT-Drs. 14/7387 S. 107). Seit 1913 wurde die vorherige Niederlassung des Einbürgerungsbewerbers im Inland als Voraussetzung der Einbürgerung verlangt (Makarov/v. Mangoldt, a.a.O., § 8 RuStAG Rn. 1; Hailbronner/Renner/Maaßen, Staatsangehörigkeitsrecht, 5. Aufl. 2010, § 8 StAG Rn. 1). Des Weiteren war die Einbürgerung nach dem Wortlaut davon abhängig, dass der Ausländer an diesem Orte (dem Ort seiner Niederlassung) sich und seine Angehörigen zu ernähren imstande ist. Dazu war der "Armenverband" zu hören. Damit deutet vieles darauf hin, dass der Beurteilung die tatsächlichen Verhältnisse zugrunde gelegt werden sollten und nicht hypothetische, die sich nach dem weiteren Zuzug von Unterhaltsberechtigten noch hätten ergeben können, zumal im damaligen Fürsorgesystem ein Anspruch auf Sozialhilfe noch nicht verwirklicht war. Dementsprechend heißt es in älterer Literatur:
"Unter Angehörigen des Antragstellers sind die Familienmitglieder zu verstehen, die nach den tatsächlichen Verhältnissen im Familienverband des Antragstellers stehen." (Makarov, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht, 1966, S. 75)
"Als Angehörige kommen die Familienangehörigen in Betracht, die tatsächlich in der Familie des Antragstellers leben und die von ihm in wirtschaftlicher Beziehung abhängig sind." (Lichter/Hoffmann, Staatsangehörigkeitsrecht, 3. Aufl. 1966, § 8 RuStAG Rn. 21) "Der Begriff des Angehörigen ist nicht zu weit zu fassen (unmittelbare Familienangehörige, mit denen der Einbürgerungsbewerber zusammenlebt, Ehegatte, Kinder)." (Kanein, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht, 1961 S. 31) "Der Gesuchsteller muß imstande sein, an dem Orte, den er zu seiner Niederlassung gewählt hat, sich und die Seinen zu ernähren. Als Angehörige kommen diejenigen Personen in Betracht, denen gegenüber er die gesetzliche Unterhaltspflicht hat und die mit ihm kraft Gesetzes eingebürgert werden." (vgl. § 16 Abs. 2 RuStAG 1913; Woeber/Fischer, Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz, 5. Aufl. 1932, § 8 Anm. 16)
Zum anderen bestehen Zweifel, ob dem Zweck des § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG, den deutschen Staat von finanziellen Lasten freizuhalten, die durch die Einbürgerung eines Ausländers entstehen können (BVerwG, U.v. 27.2.1958 - 1 C 99.56 - BVerwGE 6, 207/208), stets Vorrang zukommen kann. Die Möglichkeit der Familienzusammenführung von Drittstaatsangehörigen steht zwar nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86/EG ebenfalls unter dem Vorbehalt der ausreichenden Existenzsicherung, jedoch haben die Mitgliedsstaaten dabei nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U.v. 4.3.2010 - C-578.08 - Chakroun, NVwZ 2010, 697) zu berücksichtigen, dass die Genehmigung der Familienzusammenführung die Grundregel darstellt. Nationale Ermessensspielräume dürfen nicht in einer Weise genutzt werden, dass das Richtlinienziel - die Begünstigung der Familienzusammenführung - und die praktische Wirksamkeit der Richtlinie beeinträchtigt werden. Wie danach eine Abwägungsentscheidung nach Art. 17 der Richtlinie im Fall des Klägers ausfiele, der - soweit ersichtlich - als Staatenloser kein Daueraufenthaltsrecht für Jordanien innehat, so dass er nicht ohne weiteres darauf verwiesen werden könnte, die eheliche Lebensgemeinschaft dort zu führen, ist ungewiss (vgl. BVerwG, U.v. 13.6.2013 - 10 C 16.12 - NVwZ 2013, 1493/1494; Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, § 27 AufenthG Rn. 75; Marx, ZAR 2010, 222). Bestünde entgegen den Beteuerungen im Verfahren beim Kläger und seiner Familie der dringende Wunsch der Familienzusammenführung, hätte der ausländerrechtlich versierte Prozessbevollmächtigte des Klägers diese Möglichkeit vermutlich ausgeschöpft.
Vor diesem Hintergrund können die Ausführungen auf S. 7 des angefochtenen Bescheids des Beklagten - es erscheine nicht wahrscheinlich und auch lebensfremd, davon auszugehen, dass der Kläger seine Familie nicht nach Deutschland nachholen wolle - die Verneinung des Tatbestandsmerkmals des § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG nicht tragen. [...]