VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 04.08.2014 - 34 L 78.14.A - asyl.net: M22244
https://www.asyl.net/rsdb/M22244
Leitsatz:

Aufgrund der aktuellen Erkenntnislage ergeben sich Zweifel im Hinblick auf die Zumutbarkeit der Überstellung von besonders schutzbedürftigen Personen nach Malta.

Schlagwörter: systemische Mängel, EuGH, Dublin III-Verordnung, Malta, besonders schutzbedürftig, Dublin-Rückkehrer, Aufnahmebedingungen, Schwangerschaft, Obdachlosigkeit,
Normen: AsylVfG § 34a, AsylVfG § 34a Abs. 2 S. 1, GR-Charta Art. 4, EMRK Art. 3,
Auszüge:

[...]

Nach diesen Maßstäben ergeben sich mit Blick auf den konkreten Einzelfall anhand der aktuellen Erkenntnislage Zweifel an der Zumutbarkeit der Überstellung nach Malta. Die Antragstellerin zu 2) ist als besonders schutzbedürftig zu betrachten, nachdem sie durch Vorlage ihres Mutterpasses und eines ärztlichen Attests der Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dr. ... vom 13. Mai 2014 hinreichend glaubhaft gemacht hat, schwanger zu sein. Zudem leidet sie ausweislich des Attests an Müdigkeit, starker Übelkeit sowie an Unterbauchschmerzen. Es gehe ihr sehr schlecht. Zwar ist nicht davon auszugehen, dass die ursprünglich mit einem gültigen Visum nach Malta eingereiste und im Rahmen des Dublin-Verfahrens zurücküberstellte Antragstellerin zu 2) nach ihrer Rückkehr sogleich inhaftiert würde, wie dies bei illegal eingereisten Asylsuchenden offenbar flächendeckend der Fall ist (vgl. UNHCR, Position on the Detention of Asylum seekers in Malta, 18. September 2013, S. 33). Sog. "Dublin-Rückkehrer" werden vielmehr in der Regel in sog. "Open Centres" untergebracht, wo sie sich frei bewegen können (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Malta: Aufnahmebedingungen für Personen aus dem Asylbereich, Update November 2011, S. 4, 9 f.). Nach dem Besuch verschiedener "Open Centres" und auch spezieller Einrichtungen für besonders schutzbedürftige Personen hat die Schweizerische Flüchtlingshilfe hinsichtlich besonders verletzlicher Personen indes die Empfehlung ausgesprochen, von Überstellungen nach Malta wegen Unzumutbarkeit der dortigen Lebensbedingungen abzusehen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O., S, 10 f.), Diese Empfehlung wurde zuletzt im März 2012 bekräftigt und bislang nicht revidiert (vgl. Fluchtpunkt, Zeitung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Nr. 56 März 2012, S. 2 ff.). Danach werden auch schwangere Frauen in Containern und teilweise durchlöcherten Zelten untergebracht. Die vielfach überbelegten Unterkünfte erinnerten an eine Notsituation in einem Katastrophengebiet und eigneten sich nicht als dauerhafte Unterkunft. Die Unterkünfte böten ungenügenden Schutz gegen Kälte, Hitze und Regen. Die Lebensbedingungen in den speziellen Zentren für verletzliche Personen seien zwar um einiges besser. Das Platzangebot sei jedoch bei Weitem nicht ausreichend, weshalb letztlich zahlreiche schutzbedürftige Personen in den Containerbehausungen der großen Zentren oder einem heruntergekommenen ehemaligen Flugzeughangar untergebracht würden. Die in diesem Hangar aufgestellten Zelte böten weder Schutz vor der extremen Hitze im Sommer noch vor der herrschenden Rattenplage. Ölrückstände auf dem Boten begründeten ein weiteres Gesundheitsrisiko für die dort spielenden Kleinkinder. Es gebe nur wenige Toiletten und Duschen. Zudem bestehe teilweise Wassermangel. Die Wahrscheinlichkeit, dass schutzbedürftige Personen in einem regulären Zentrum unter für diese Personengruppe inakzeptablen Bedingungen untergebracht werden, schätzt auch der Menschenrechtskommissar des Europarates als hoch ein (vgl. Bericht von Thomas Hammarberg, Juni 2011, abrufbar unter wcd.coe.int/ViewDoc. jsp?id=1797917). Die beschriebenen Eindrücke werden zudem durch den Bericht von bordermonitoring.eu/Pro Asyl bestätigt, der die Ergebnisse einer im September 2011 durchgeführten Recherchereise wiedergibt (vgl. bordermonitoring.eu/Pro Asyl, Malta: "Out of System", Zur Situation von Flüchtlingen auf Malta, Mai 2012, S. 14 ff.). Die Kapazitäten der kleineren Unterkünfte für schutzbedürftige Personen wie zum Beispiel Schwangere seien stark limitiert. Die überwiegende Mehrheit von ihnen lebe in den großen "Open Centres", in denen die Lage nicht zuletzt wegen der erheblichen Überfüllung und der hygienischen Bedingungen ausgesprochen prekär sei. Problematisch sei auch, dass die staatliche finanzielle Unterstützung an die Unterbringung in einem "Open Centre" gebunden sei. Da die bei Ankunft in einem solchen Zentrum abgeschlossenen Unterkunftsverträge jedoch wegen der Überfüllung bereits nach wenigen Monaten nicht weiter verlängert oder aus anderen Gründen kurzfristig gekündigt werden könnten, seien die Asylsuchenden permanent von Obdachlosigkeit und dem Verlust jeglicher staatlicher Unterstützung bedroht. Im Ergebnis empfiehlt auch diese Organisation, von Überstellungen nach Malta einstweilen abzusehen.

Die im Wesentlichen aus den Jahren 2011 und 20122 stammenden Erkenntnisse, die jedenfalls hinsichtlich des Umgangs mit besonders schutzbedürftigen Asylsuchenden auf systemische Mängel des maltesischen Asylsystems und der Aufnahmebedingungen hindeuten, haben indes nur eingeschränkte Aussagekraft bezüglich der aktuellen Situation. Da aber keine Erkenntnisse aus neuerer Zeit vorliegen, die eine wesentliche Verbesserung der Lebensbedingungen für diese Personengruppe erkennen lassen, und auch die Antragsgegnerin keine dahingehenden Tatsachen glaubhaft gemacht hat, kann eine solche Verbesserung nicht ohne Weiteres unterstellt werden. Die seit 2011 jährlich weiter ansteigende Zahl von Flüchtlingen, die auf Malta versorgt werden muss, lässt Verbesserungen eher zweifelhaft erscheinen (vgl. UNHCR, Asylum Trends 2013: Levels and Trends in Industrialized Countries, S. 22, abrufbar unter www.unhcr.org/5329b15a9.html, danach wurden auf Malta 2011 1.860, 2012 2.060 und 2013 2.200 Asylanträge gestellt). Für eine nachhaltig schwierige Situation besonders schutzbedürftiger Asylsuchender spricht auch der "Aida National Country Report: Malta" von Dezember 2013, wonach trotz bestehender Schutzvorschriften im maltesischen Recht aufgrund der Knappheit von Ressourcen und Infrastruktur verletzliche Personen sofern sie denn überhaupt als solche identifiziert würden - keinen Zugang zu der jeweils benötigten Betreuung und Unterstützung erhielten (vgl. Asylum Information Database [aida], National Country Report: Malta. Stand: Dezember 2013, S. 40). Die Überfüllung der "Open Centres" sei nach wie vor ein erhebliches Problem (vgl. aida, a.a.O., S. 38). Nach dem Bericht des maltesischen Jesuiten-Flüchtlingsdienstes begegnen zudem insbesondere solche Asylsuchende erheblichen praktischen Schwierigkeiten, die - wie die Antragsteller - bei ihrer Ersteinreise nach Malta noch keinen Kontakt mit dem dortigen Asylsystem hatten und nur deshalb im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Malta zurücküberstellt werden, weil eine maltesische Botschaft in einem Drittstaat ihnen durch Ausstellung von Schengen-Visa die Einreise in die EU-Mitgliedstaaten ermöglicht hat (vgl. Jesuit Refugee Service Europe (JRS), "National Report: Malta, Protection Interrupted - The Dublin Regulation's Impact on Asylum Seekers' Protection", Stand: Juni 2013, S. 10). Diese würden zwar in der Regel schließlich in einem "Open Centre" untergebracht, erhielten aber nicht automatisch die an sich auch für sog. "Dublin-Rückkehrer" vorgesehene finanzielle Unterstützung. Über deren Gewährung werde von Fall zu Fall entschieden. Eine einheitliche Vorgehensweise bestehe nicht. In der Zwischenzeit blieben sie sich selbst überlassen und [würden] nicht einmal Vorkehrungen zur Sicherung ihrer Grundbedürfnisse getroffen. Nach alledem bedarf es im Verfahren der Hauptsache der näheren Aufklärung, ob die Antragstellerin zu 2) mit Rücksicht auf ihre Schwangerschaft bzw. auf ihre zeitnah einsetzende Verantwortung für ein Neugeborenes im Falle ihrer Überstellung nach Malta einer mit Art. 4 der GR-Charta und Art. 3 EMRK unvereinbaren Situation ausgesetzt würde (so im Ergebnis u. a. auch VG Stade, Beschluss vom 5. März 2014 - 1 B 385/14 -; VG Darmstadt, Beschluss vom 16. Januar 2014 - 4 L 1867/13 DA.A -; VG Braunschweig, Beschluss vom 28. Oktober 2013 - 7 B 185/13 -; abrufbar unter http//bordermanitoring.eu/category/updated/). Der Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung, die systemische Mängel des maltesischen Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen verneint (vgl. VG Oldenburg, Beschluss vom 17. Februar 2014 - 3 B 6974/13 -; VG Potsdam, Beschluss vom 5. Februar 2014 - 6 L 53/14.A; VG Augsburg, Beschluss vom 8. Mai 2013 - Au 7 S 13.30135 -; alle bei juris), bedarf es an dieser Stelle nicht. Denn diese Entscheidungen lassen lediglich erkennen, dass solche systemischen Mängel (wohl) nicht generell für Asylsuchende in Malta anzunehmen sind, betrafen aber keine schwangeren oder vergleichbar schutzbedürftigen Antragsteller. [...]