VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Beschluss vom 08.10.2014 - A 8 K 345/14 - asyl.net: M22298
https://www.asyl.net/rsdb/M22298
Leitsatz:

Aufgrund der Erkenntnislage erscheint es hinreichend sicher, dass Asylsuchenden in Malta unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Mit einer Inhaftierung während des Asylverfahrens ist zu rechnen.

Schlagwörter: Malta, Dublinverfahren, Inhaftierung, Asylverfahren, Schutzsuchende, Asylsuchende, Dublin-Rückkehrer, psychische Erkrankung, medizinische Versorgung, systemische Mängel, besonders schutzbedürftig, Aufnahmebedingungen,
Normen: GR-Charta Art. 4,
Auszüge:

[...]

Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln ist es wahrscheinlich, dass das maltesische Asylverfahren europarechtlichen Vorgaben grundsätzlich nicht genügt und dem Antragsteller deshalb ernsthaft Gefahren im Sinne von Art. 4 EuGrCh drohen.

Hinsichtlich der Inhaftierung von Asylbewerbern sind in der Art. 8 bis 11 Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Aufnahmerichtlinie, ABl. L 180 S. 96) Mindeststandards festgelegt. Haft darf danach nicht allein deswegen angeordnet werden, weil der Betroffene einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt hat, sondern nur in Ausnahmefällen, insbesondere zur Überprüfung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit, bei Fluchtgefahr im Falle notwendiger Beweissicherung, zur Prüfung des Einreiserechts, zur Durch- oder Fortführung eines Abschiebeverfahrens, wenn die Gefahr der Verzögerung oder der Vereitelung durch den Betroffenen besteht und bei Gefahr für die nationale Sicherheit und Ordnung (Art. 8 Abs. 3, vgl. auch Art. 31 Abs. 2 Genfer Flüchtlingskonvention, Art. 5 EMRK). Die Inhaftierung darf nur für den kürzest möglichen Zeitraum und nur so lange, wie die Gründe gemäß Art. 8 Abs. 3 bestehen, angeordnet werden (Art. 9 Abs. 1 S. 1). Die Haftanordnung ist zu begründen (Art. 9 Abs. 2); bei einer Anordnung durch eine Verwaltungsbehörde ist eine zügige Überprüfung durch ein Gericht herbeizuführen (Art. 9 Abs. 3). In diesem Fall soll dem Betroffenen unentgeltlicher Rechtsbeistand zur Verfügung stehen (Art. 9 Abs. 6). Auch im Übrigen ist eine turnusmäßige Haftüberprüfung von Amts wegen vorzusehen (Art. 9 Abs. 5). Die Schutzsuchenden sind in speziellen Hafteinrichtungen unterzubringen, auf jeden Fall aber getrennt von gewöhnlichen Strafgefangenen (Art. 10 Abs. 1). Sie haben ein Recht auf Zugang zu frischer Luft (Art. 10 Abs. 2) sowie auf Besuch durch Mitarbeiter des UNHCR, Rechtsbeiständen, Beratern und Familienangehörigen (Art. 10 Abs. 3 u. 4). Die Inhaftierung von besonders schutzbedürftigen Personen ist nur im Ausnahmefall und unter weiteren sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig (Art. 11).

Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln genügt das in Malta durchgeführte Asylverfahren gegen die geschilderten europarechtlichen Standards nicht nur im Einzelfall. So wird zur Haftpraxis berichtet, dass alle Flüchtlinge routinemäßig in sog. Detention Centers inhaftiert würden (AIDA, Asylum Information Database, "National Country Report Malta" vom Dezember 2013; UNHCR "UNHCR's Position an the Detention of Asylum-seekers in Malta" vom 18.09.2013; Jesuit Refugee Service Europe (JRS), Protection Interrupted, National Report Malta" vom Juni 2018; UNHCR, "Universal Periodic Review Malta" vom März 2013; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Malta: Aktuelle Situation für Verletzliche, September 2010). Auch wenn zur Begründung an die illegale Einreise angeknüpft werde, so seien davon faktisch alle Schutzsuchenden betroffen. Auf besondere Schutzbedürftigkeit werde nur geachtet, wenn und soweit diese offensichtlich sei. Im Übrigen müsse diese in einem besonderen Verfahren festgestellt werden, was - je nach Offensichtlichkeit - mehr oder weniger lange dauern könne. Die Zustände in den Detention Centers hätten sich in den letzten Jahren zwar (teilweise) verbessert. In vielen Bereichen sei die Versorgung der Grundbedürfnisse jedoch noch lückenhaft und vor allem bei der immer wieder vorkommenden Überbelegung inakzeptabel (vgl. auch Aden Ahmed gegen Malta, Entscheidung des EGMR vom 23. Juli 2013, Nr. 55352/12, HUDOC). Insbesondere sei der Zugang zu medizinischer Versorgung absolut ungenügend (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Malta: Aktuelle Situation für Verletzliche, September 2010). Auch sei keine effektive Möglichkeit gegeben, eine Haftüberprüfung zu erreichen (UNHCR "UNHCR's Position on the Detention of Asylum-seekers in Malta" vom 18.09.2013). Das einschlägige Migrationsgesetz enthalte auch keine Bestimmung zur maximalen Haftdauer. Die Freilassung von Asylbewerbern erfolge in der Regel auf Grundlage einer Verwaltungsbestimmung nach einem Jahr, wenn zu diesem Zeitpunkt nicht über den Asylantrag entschieden worden sei. Die Unterbringung erfolge dann in sog. Open Detention Centers. Die Zustände dort werden ebenfalls als prekär beschrieben (vgl. im Einzelnen Schweizerische Flüchtlingshilfe, Malta: Aktuelle Situation für Verletzliche, September 2010). Inhaftierung von unbestimmter Dauer des anschließenden Verfahrens treffe grundsätzlich auch Dublin-Rückkehrer, weil sie entweder in den Stand vor ihrer Ausreise - also in aller Regel als illegal Eingereiste - versetzt würden oder sogar wegen Flucht aus der Haft in Malta wegen illegaler Ausreise zur Strafhaft verurteilt würden (so z.B. im Fall Aden Ahmed gegen Malta, Entscheidung des EGMR vom 23. Juli 2013, Nr. 55352/12, HUDOC). Zusätzlich würde die Situation von Dublin-Rückkehrern dadurch erschwert, dass der monatliche Unterstützungsbeitrag von regulär ca. 130 EUR auf ca. 80 EUR gekürzt werde, womit sich eine Person maximal "so gerade ernähren" könne (Auskunft der Deutschen Botschaft Valletta vom 02.02.2012). Dies wiege umso schwerer, weil Asylsuchende die Kosten für die Inanspruchnahme von medizinischen Dienstleistungen und Medikamenten - so solche überhaupt erhältlich seien - teilweise selbst tragen müssten (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Malta: Aktuelle Situation für Verletzliche, September 2010).

Es erscheint vor diesem Hintergrund hinreichend sicher, dass dem Antragsteller infolge der geschilderten Bedingungen auch tatsächlich unmenschliche und erniedrigende Behandlungen drohen. Schon ganz allgemein stellt sich die Inhaftierung von Asylantragstellern und Dublin-Rückkehrern, die Haftbedingungen, die unbestimmte Befristung der Inhaftierung und auch das Fehlen effektiven Rechtsschutzes als in hohem Maße problematisch dar. Jedenfalls aber in einem Fall wie dem vorliegenden ist das Maß des gerade noch Hinnehmbaren überschritten. Mit Blick auf die dargetane psychische Erkrankung, die auf traumatisierenden Fluchterlebnissen beruht, und deren dringender Behandlungsbedürftigkeit, können dem Antragsteller die allgemeinen Bedingungen während der sicher zu erwartenden Inhaftierung, insbesondere die Verpflegungssituation und die geringe medizinische Versorgung, nicht zugemutet werden. [...]