OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.04.2014 - 18 B 219/14 - asyl.net: M22304
https://www.asyl.net/rsdb/M22304
Leitsatz:

1. Die Bindungswirkung eines Feststellungurteils ergibt sich aus dem Umfang der Rechtskraft, die gemäß § 121 VwGO so weit reicht, wie über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Zur Bestimmung des Streitgegenstandes sind neben dem in erster Linie maßgeblichen Urteilstenor erforderlichenfalls die Entscheidungsgründe mit heranzuziehen.

2. Die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts im Sinne des § 4a FreizügG/EU beurteilt sich nicht nach nationalem Recht, sondern anhand der Vorschriften der Unionsbürgerrichtlinie.

3. Zur - im summarischen Verfahren offen gelassenen - Frage, ob ein kraft Gesetzes bestehendes Umgangsrecht (hier nach § 1684 BGB) eines drittstaatsangehörigen Elternteils die Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 2 Nr. d) der Richtlinie 2004/38/EG (§ 3 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 FreizügG/EU) erfüllt.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Bindungswirkung, Feststellungsurteil, Rechtskraft, Unionsbürgerrichtlinie, Umgangsrecht, Drittstaatsangehörige, Elternteil, Eltern, freizügigkeitsberechtigt, Strafhaft, Freiheitsstrafe, Unionsrecht, Kindeswohl, Ausweisung, besonderer Ausweisungsschutz,
Normen: BGB 1684, RL 2004/38/EG Art. 13 Abs. 2 Bst. d, FreizügG/EU § 4a Abs. 5,
Auszüge:

[...]

Soweit der Antragsteller sich gegen die Einschätzung des Verwaltungsgerichts wendet, er sei nicht mehr freizügigkeitsberechtigt, greift das Beschwerdevorbringen nicht durch. Dem geltend gemachten Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 5 FreizügG/EU steht bereits die Nichterfüllung der zeitlichen Voraussetzung des fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthaltes entgegen, wobei sich das Merkmal der Rechtmäßigkeit auf die Erfüllung der Voraussetzungen der Richtlinie 2004/38 bezieht (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-424/10 [Ziolkowski] -, NVwZ-RR 2012, 121; BVerwG, Urteil vom 31. Mai 2012 - 10 C 8.12 -, InfAuslR 2012, 348).

Denn der Antragsteller, der am 10. März 2006 zum Zweck des Nachzugs zu seiner damaligen griechischen Ehefrau eingereist ist, verbüßte zunächst vom 22. August 2009 bis zum 24. September 2010 in Griechenland eine Freiheitsstrafe und befindet sich sodann - unter entsprechender Anrechnung der Zeit der Untersuchungshaft auf die Zeit der mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts C. vom 30. Juni 2011 verhängten Freiheitsstrafe von 3 Jahren und neun Monaten - seit dem 4. Januar 2011 wieder in Strafhaft. Derartige Zeiten unterbrechen aber grundsätzlich die Kontinuität des Aufenthaltes (vgl. EuGH, Urteile vom 16. Januar 2014 - C-378/12 [Onuekwere] zu Art. 16 RL 2004/38 - sowie - C-400/12 [M.G.] zu Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38 -).

Zudem führte die mehr als zwölfmonatige Abwesenheit des Antragstellers im Zeitraum zumindest zwischen dem 22. August 2009 und der Wiedereinreise, die nach eigenen Angaben des Antragstellers am 15. Dezember 2010 erfolgt sein soll, dazu, dass auch gemäß § 4a Abs. 6 Nr. 3 FreizügG/EU - ungeachtet der Frage, ob eine durch eine Haftverbüßung bedingte Abwesenheit einen wichtigen Grund darstellt - die für den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts erforderliche zeitliche Kontinuität unterbrochen wurde (vgl. auch Art. 16 Abs. 3 RL 2004/38).

Darüber hinaus wird mit dem Beschwerdevorbringen nicht dargelegt, dass der Antragsteller die Voraussetzungen des § 3 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 FreizügG/EU erfüllt - auch ungeachtet der Frage, ob ein hierauf beruhender Aufenthalt inzwischen ein Daueraufenthaltsrecht begründet hat. Insoweit kann offen bleiben, wie der Umstand zu bewerten ist, dass nach bundesdeutschem Recht dem Elternteil eines Kindes kraft Gesetzes ein Umgangsrecht zusteht (§ 1684 Abs. 1 BGB), so lange es nicht durch eine - hier nicht vorliegende - Entscheidung des Familiengerichts nach § 1684 Abs. 4 BGB ausgeschlossen wird (so schon die Mitteilung des Amtsgerichts - Familiengerichts - Lippstadt vom 4. März 2013 an den Antragsgegner; vgl. auch OLG Köln, Beschluss vom 25. November 2011 - II-4 UF 238/11, 4 UF 238/11 juris m.w.N.).

Dass eine gesetzliche Einräumung des Umgangsrechts die Voraussetzungen des § 3 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 FreizügG/EU "offensichtlich nicht erfüllt", dürfte allerdings nicht zutreffen. Zwar knüpft auch der Wortlaut des Art. 13 Abs. 2 Nr. d) der Richtlinie 2004/38, deren Umsetzung § 3 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 FreizügG/EU dient, den Fortbestand des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts des von einem Unionsbürger geschiedenen drittstaatsangehörigen Ehegatten u.a. an die Voraussetzung, dass diesem entweder durch eine Vereinbarung der Ehegatten oder durch gerichtliche Entscheidung das Umgangsrecht mit dem gemeinsamen minderjährigen Kind eingeräumt worden ist. Der Zweck der Richtlinienbestimmung dürfte aber darin bestehen, durch die Gewährung eines Aufenthaltsrechts an den Elternteil diesem im Interesse des Kindeswohls generell einen Umgang mit dem minderjährigen Kind in den Fällen zu ermöglichen, in denen der Umgang nur im Aufnahmemitgliedstaat erfolgen darf. Hierauf weisen neben dem 15. Erwägungsgrund der Richtlinie auch die Ausführungen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften in ihrer Mitteilung an das Europäische Parlament vom 30. Dezember 2003 (SEK(2003) 1293 endgültig), in der es zu der hier in Rede stehenden Vorschrift des Art. 13 Abs. 2 Nr. d) RL 2004/38 heißt, es handele "sich um den Fall, dass der betreffenden Person das Besuchsrecht in Bezug auf die Kinder, die sie gemeinsam mit dem Unionsbürger hat, zugesprochen wurde". Dies zugrunde gelegt, spricht einiges dafür, dass die Vorschrift erst recht die Konstellation erfasst, in der es einer Vereinbarung oder gerichtlichen Entscheidung nicht bedarf, weil das Umgangsrecht bereits kraft Gesetzes besteht.

Jedoch ist unabhängig von dem Vorstehenden auf der Grundlage des Beschwerdevorbringens nicht erkennbar, dass die weiteren Voraussetzungen des § 3 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU für die Gewährung eines Aufenthaltsrechts gegeben sind. Wie bereits der Antragsgegner in der angefochtenen Ordnungsverfügung ausgeführt hat, erfordert dies neben dem bestehenden, nur im Bundesgebiet eingeräumten Umgangsrecht, dass der Drittstaatsangehörige die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 oder 5 FreizügG/EU erfüllt. Zu dieser vom Antragsgegner im Hinblick auf die bisherige Erwerbsbiographie des Antragstellers verneinten Anspruchsvoraussetzung verhält sich das Beschwerdevorbringen nicht.

Das Verwaltungsgericht hat ferner ausgeführt, die dem Antragsgegner nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU eröffnete Ermessensentscheidung sei nicht zu beanstanden. Insbesondere habe er die wesentlichen Belange in seine Entscheidung eingestellt. Die gelte namentlich auch in Ansehung seines Kindes mit einer griechischen Staatsangehörigen. Diese Einschätzung des Verwaltungsgerichts wird durch das Beschwerdevorbringen nicht durchgreifend in Frage gestellt. Nach den von der Beschwerde nicht angegriffenen Ausführungen in der angefochtenen Ordnungsverfügung hatte der Antragsteller letztmalig im März 2009, mehrere Monate vor seiner haftbedingten Verhinderung, persönlichen Umgang mit seinem Sohn. Dass gleichwohl eine persönliche Bindung besteht, wird mit dem Beschwerdevorbringen nicht einmal behauptet. Ebenso wenig ist über die im gerichtlichen Verfahren vorgelegten drei Schreiben aus dem Jahre 2012 und 2013 an den Vormund des Kindes bzw. das Jugendamt dargelegt, welche Bemühungen der Antragsteller um die Einräumung des ihm seitens des Vormundes aus Gründen des Kindeswohls verwehrten Umgangsrechtes unternommen hat. Soweit die Beschwerde ausführt, es sei davon auszugehen, dass mit zunehmendem Alter die Frage der Herkunftsfamilie von L. von Bedeutung sein werde, legt sie nicht dar, aus welchem Grunde dem bereits heute Rechnung getragen werden müsse.

Soweit der Antragsteller sich im Wesentlichen unter Bezugnahme auf sein Vorbringen zu dem behaupteten Bestehen eines Freizügigkeitsrechts gegen die Ausweisung wendet, greift das Vorbringen aus den vorgenannten Gründen auch insoweit nicht durch. Insbesondere steht weder die Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Minden vom 22. August 2012 entgegen noch ist ein Verbrauch des Ausweisungsgrundes eingetreten. Auch ist die Anwendung der §§ 53 ff. des AufenthG nicht dadurch ausgeschlossen, dass dem Antragsteller ein Daueraufenthaltsrecht zustünde. Dass die Voraussetzungen für ein Eingreifen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vorliegen, ist unter Zugrundelegung der vorstehenden Ausführungen nicht ersichtlich. Aus welchem Grunde es schließlich "lebensfremd" sein soll, von der Türkei aus zunächst die Frage klären zu lassen, ob ein - tatsächlich praktizierter - Umgang des Antragstellers mit seinem Sohn mit dessen Belangen zu vereinbaren ist, ist weder erkennbar noch vorgetragen. Auch ist angesichts der in der zuletzt begangenen Straftat zum Ausdruck kommenden gewalttätigen Neigung des Antragstellers, dem nach dem Bericht der Leiterin der JVA N. vom 14. Februar 2013 weder eine Verlegung in den offenen Vollzug oder auch nur Vollzugslockerungen gewährt wurden und dessen vorzeitige Entlassung zum 2/3-Termin augenscheinlich abgelehnt worden ist, nicht erkennbar, dass es einer Klärung dieser Frage von vornherein nicht bedürfte. Einer in diesem Zusammenhang etwaig erforderlich werdenden persönlichen Anwesenheit des Antragstellers kann ohne weiteres durch die Gewährung von Betretenserlaubnissen Rechnung getragen werden. Sollte sich in dem familiengerichtlichen Verfahrens herausstellen, dass zwischen dem Antragsteller und L. persönliche Umgangskontakte praktiziert werden können, steht es dem Antragsteller frei, jederzeit einen Antrag auf Verkürzung der von dem Antragsgegner festgesetzten Frist nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG zu stellen.

Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen greifen auch die unter Bezugnahme auf das Vorbringen im Rahmen der Verlustfeststellung und Ausweisung erhobenen Einwendungen gegen die Abschiebungsandrohung und die Ablehnung des hilfsweise gestellten Abschiebungsschutzantrages nicht durch. [...]