VG Magdeburg

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Zitieren als:
VG Magdeburg, Beschluss vom 23.06.2014 - 9 B 282/14 MD - asyl.net: M22363
https://www.asyl.net/rsdb/M22363
Leitsatz:

Eine Anschrift im Sinne von § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG ist nur diejenige, die auch zutreffend ist. Zutreffend ist jedoch nur eine solche Anschrift, die von einer öffentlichen Stelle mitgeteilt wurde, mit der auch gegenüber den Ausländern eine Wohnsitznahme begründet wurde.

Schlagwörter: Anschrift, Zustellung, wirksame Zustellung, Zurückschiebung, Abschiebung, Dublinverfahren, Zulässigkeit, zulässig, öffentliche Stelle, Behörden, Zustellungsfiktion, Bekanntgabe, Ablehnungsbescheid,
Normen: AsylVfG § 34a, AsylVfG § 34a Abs. 1, AsylVfG § 10 Abs. 2 S. 2, AsylVfG § 10 Abs. 4,
Auszüge:

[...]

Vorliegend ist die für den 24.06.2014 angekündigte Abschiebung der Antragsteller deshalb nicht zulässig, weil unter Berücksichtigung des derzeitigen Sachstandes nicht davon ausgegangen werden kann, dass ihnen gegenüber ein Bescheid nach § 34a Abs. 1 AsylVfG wirksam ergangen ist. Dieser ist jedoch nach der Regelungskonzeption der Vorschrift Voraussetzung für eine Abschiebung, was jedenfalls eine wirksame Bekanntgabe des Bescheides voraussetzt. Auch Bescheide des Bundesamtes nach § 34a AsylVfG sind schriftlich zu erlassen und dem Asylsuchenden zuzustellen (§ 31 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG). § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG bestimmt zwar insoweit, dass der Ausländer Zustellungen und formlose Mitteilungen unter der letzten Anschrift, die der jeweiligen Stelle auf Grund seines Asylantrags oder seiner Mitteilung bekannt ist, gegen sich gelten lassen muss, wenn er für das Verfahren weder einen Bevollmächtigten bestellt noch einen Empfangsberechtigten benannt hat oder diesen nicht zugestellt werden kann. Nach § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG gilt das Gleiche, wenn die letzte bekannte Anschrift, unter der der Ausländer wohnt oder zu wohnen verpflichtet ist, durch eine öffentliche Stelle mitgeteilt worden ist. Sofern ein Fall von § 10 Abs. 2 Satz 1 oder 2 AsylVfG einschlägig ist, bestimmt § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylVfG, dass die Zustellung mit der Aufgabe zur Post als bewirkt gilt, auch wenn die Sendung dem Ausländer nicht zugestellt werden kann und die Sendung als unzustellbar zurückkommt.

Nach den dem Gericht bekannten Tatsachen spricht Überwiegendes dafür, dass sich die Antragsteller die Zustellung der unter dem 21.02.2014 ergangenen Bescheide unter der Anschrift ... Leipzig, nicht gegen sich gelten lassen müssen. Dabei handelt es sich nicht um eine Anschrift im Sinne des § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG. Denn "Anschrift" In diesem Sinne ist nur diejenige, die auch zutreffend ist (vgl. Marx, AsylVfG, Kommentar, 4. Aufl., S. 111; so auch VG Augsburg, Urt. v. 28.01.2000, Au 2 K 99.30625). Zutreffend dürfte nach derzeitiger Beurteilung der Rechtslage jedoch nur eine solche von einer öffentlichen Stelle mitgeteilte Anschrift sein, mit der auch gegenüber den Ausländern eine Wohnsitznahme begründet worden ist. Denn mit der Regelung soll zwar gewährleistet werden, dass der Asylbewerber nicht nur die Anschrift, die er selbst mitteilt, gegen sich gelten lassen muss. Gleichwohl muss die Anschrift, will man an die unter ihr bewirkte Zustellung Rechtsfolgen knüpfen, auch gegenüber dem Asylbewerber selbst Wirksamkeit im Sinne einer damit begründeten Aufenthaltspflicht entfalten. Vorliegend ist jedoch nicht ersichtlich, dass gegenüber den Antragstellern wirksam ihre Wohnsitznahme in Leipzig begründet wurde. Vielmehr sprechen gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass sie sich im Bezirk der Ausländerbehörde des Landkreises Anhalt-Bitterfeld haben aufhalten müssen, nachdem sie am 13. Mal 2013 in der Außenstelle Chemnitz des Bundesamtes einen Asylantrag gestellt haben. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 28.05.2013 betreffend den Antragsteller zu 1. an den Landkreis Anhalt-Bitterfeld. Sofern sich die Antragsgegnerin für die wirksame Zustellung auf die ihr bekannte Anschrift in Leipzig beruft, so beruht dies offensichtlich auf den Schreiben der Landesdirektion Leipzig vom 21. August 2013. Diese dürften den Antragstellern jedoch gar nicht bekannt sein. Denn wie sich aus den Schreiben selbst ergibt, beruht deren Bekanntgabe auf der Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 4 AsylVfG. Dafür, dass nicht nur die Antragsteller davon ausgegangen sind, sie müssen sich im Zuständigkeitsbereich des Landkreises Anhalt-Bitterfeld aufhalten, spricht auch dass dieser sich für sie - bis hin zur nunmehr beabsichtigten Abschiebung - aufgrund einer erfolgten Zuweisung für zuständig gehalten hat. Mussten die Antragsteller keine Kenntnis von der Zuweisung nach Leipzig haben bzw. von der Übermittlung dieser Anschrift an die Antragsgegnerin, so bestand für sie auch keine Veranlassung, dem Bundesamt ihre (fortdauernde) Anschrift im Landkreis Anhalt-Bitterfeld nach § 10 Abs. 1 AsylVfG mitzuteilen.

Die Zustellung von Bescheiden mit einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG an eine Anschrift, unter der sich die Antragsteller die Zustellung zurechnen lassen müssen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

Ob eine Abschiebung nach Italien zulässig ist, kann offen bleiben. Diese Frage ist erst in einem Verfahren nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG zu beurteilen, was zunächst die Bekanntgabe eines entsprechenden Bescheides voraussetzt. [...]