VG Sigmaringen

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Zitieren als:
VG Sigmaringen, Urteil vom 25.04.2014 - 1 K 234/14 - asyl.net: M22383
https://www.asyl.net/rsdb/M22383
Leitsatz:

Roma in Serbien droht keine Gruppenverfolgung, insbesondere auch nicht im Hinblick auf Beschränkungen ihrer Ausreisefreiheit (entgegen VG Stuttgart, Urteil vom 25.03.2014 - A 11 K 5036/13 -).

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Serbien, Roma, Gruppenverfolgung, Reisefreiheit, Ausreisefreiheit, Diskriminierung,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, AsylVfG § 3,
Auszüge:

[...]

Soweit sich die Klägerin nicht auf ein individuelles Schicksal beruft, sondern allein auf die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Roma und deren Probleme in Serbien, ist festzustellen, dass den Roma in Serbien eine Gruppenverfolgung weder durch staatliche noch durch nichtstaatliche Akteure droht, auch besteht keine extreme Gefahrenlage allein aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Roma. Zur Begründung wird zunächst Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheides (vgl. § 77 Abs. 2 AsylVfG).

Im Übrigen entspricht es ständiger Rechtsprechung des Gerichts, dass Roma in Serbien - trotz ihrer prekären Lebenssituation - nicht politisch verfolgt werden (vgl. VG Sigmaringen, Beschluss vom 15.12.2011 - A 7 K 3536/11 -, Urteil vom 29.07.2009 - A 7 K 478/09 - und Urteil vom 18.11.2009 - A 7 K 1606/09 - sowie OVG NRW, Beschluss vom 14.12.2009 - 5 A 2716/09.A - m.w.N., OVG Sachsen, Urteil vom 19.05.2009 - A 4 B 229/07 -, VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 04.02.2010 - A 11 S 331/07 - AuAS 2010, 190, VG Minden, Urteil vom 17.01.2011 - 7K3113/10.A -, VG Stuttgart, Urteil vom 10.11.2010 - A 5 K 3262/10 -, VG Berlin, Urteil vom 11.05.2010 - VG 37 K 8.09 A -, VG Berlin, Urteil vom 23.03.2010 - VG 37 X 85.07 -). [...]

Das Gericht vermag auch nicht festzustellen, dass die Klägerin als Roma aufgrund der Stellung eines Asylantrags im Ausland oder aufgrund einer drohenden Beschränkung ihrer Ausreisefreiheit (vgl. Art. 2 Abs. 2 des Vierten Zusatzprotokolls zur EMRK) durch Strafvorschriften bzw. die Verwaltungspraxis in Serbien von politischer Verfolgung bedroht wären (a.A. aber VG Stuttgart, Urteil vom 25.03.2014 - A 11 K 5036/13 -).

Sanktionen wegen der Stellung eines Asylantrags im Ausland gibt es nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 18.10.2013 (S. 23) weder de iure noch de facto.

Sofern der Klägerin eine Sanktion aufgrund der Verletzung melderechtlicher Vorschriften drohen mag (vgl. dazu K. Waringo, Serbien - ein sicherer Herkunftsstaat von Asylsuchenden in Deutschland, April 2013, S. 41), liegt hierin weder eine gezielte Sanktionierung der Stellung eines Asylantrags im Ausland noch ein gezielter Eingriff in die Ausreisefreiheit. Auch fehlt es bei den möglicherweise drohenden melderechtlichen Sanktionen (in Form einer Geldstrafe von 89 bis 446 EUR, vgl. Waringo, a.a.O., S. 41) an der für eine politische Verfolgung erforderlichen Intensität. Für die behauptete selektive Anwendung des Gesetzes auf Roma lässt sich den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln (insbesondere auch dem Bericht des Regional Center For Minorities, Die Liberalisierung des Visasystems und Einschränkungen des Rechts auf Asyl, Oktober 2012, den Frau Waringo zitiert) kein Datenmaterial entnehmen, das diese Behauptung stützen würde (z.B. Fälle, in denen bei Verstößen durch andere serbische Staatsangehörige als Roma das Gesetz keine Anwendung gefunden hätte). Vielmehr ist davon auszugehen, dass bei Roma Verstöße besonders häufig vorkommen, weil sie aufgrund der Visumsfreiheit verstärkt ins (EU-)europäische Ausland reisen.

Auch durch die Vorschrift des § 350a des serbischen Strafgesetzbuchs vermag das Gericht keine der Klägerin drohende politische Verfolgung festzustellen. Der Wortlaut des Gesetzes bezieht sich nicht auf Asylantragsteller selbst, sondern auf Dritte, die Beihilfehandlungen zur missbräuchlichen Asylantragstellung leisten. So wird die Vorschrift auch vom Auswärtigen Amt im aktuellen Lagebericht vom 18.10.2013 (S. 23 f.) verstanden. Für die von Frau Waringo (vgl. Waringo, a.a.O., S. 40) angenommene weite Auslegung gibt es in den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln keine Stütze, insbesondere sind keine Präzedenzfälle bekannt, in denen Asylantragsteller nach ihrer Rückkehr nach Serbien aufgrund dieser Vorschrift bestraft worden wären. Bei den von Frau Waringo gegenüber dem Verwaltungsgericht Stuttgart angeführten sieben Fällen, in denen Strafverfahren betrieben worden seien, wird nicht differenziert, ob diese gerade Asylantragsteller betroffen haben. Auch ist unklar, ob diese sieben Verfahren zu Verurteilungen geführt haben.

Soweit es faktische Beschränkungen der Ausreisefreiheit der Roma in Serbien geben mag (z.B. Forderung des Nachweises des Reisezwecks und ausreichender finanzieller Mittel bei der Ausreise sowie Beschränkungen der Ausreise abgelehnter Asylbewerber ins EU-Ausland), folgt das Gericht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts München (Urteil vom 25.03.2013 - M 24 K 12.30893 -, Juris, das zu vergleichbaren Regelungen in Mazedonien ergangen ist), dass diese Maßnahmen keinen Eingriff in den Kernbereich des Rechts auf Freizügigkeit in Form der Ausreisefreiheit darstellen, da sie den betroffenen Personen nicht generell die Ausreise aus Serbien (etwa in benachbarte Nicht-EU-Staaten) unmöglich machen, sondern Einschränkungen bei einer Ausreise ins EU-Ausland darstellen. Diese Einschränkungen erreichen nicht die fü eine politische Verfolgung erforderliche Intensität. Deshalb kann offen bleiben, ob und inwieweit Beschränkungen der Ausreisefreiheit grundsätzlich politische Verfolgung darstellen. Weiter kann offen bleiben, ob die Klägerin überhaupt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit Beschränkungen ihrer Ausreisefreiheit zu rechnen hat, nachdem dem Gericht aufgrund anderer Asylverfahren mehrere Beispiele - auch aus jüngster Zeit - bekannt sind, in denen serbische Roma unproblematisch - auch nach früherer Ablehnung eines Asylantrags - aus Serbien ausreisen konnten. Im Übrigen können die von Beschränkungen ihrer Ausreisefreiheit betroffenen Personen hiergegen auch in Serbien den Rechtsweg beschreiten, zumal die Beschränkungen der Ausreisefreiheit nach Darstellung von Frau Waringo gegen Art. 17 der serbischen Verfassung verstoßen (vgl. Waringo, a.a.O., S. 42).

Der Klägerin ist auch nicht gemäß § 4 Abs. 1 AsylVfG subsidiärer Schutz zuzuerkennen. Subsidiär schutzberechtigt ist nach dieser Vorschrift, wer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, ihm drohe in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden. Als ernsthafter Schaden gilt dabei die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Die vorgenannten Gefahren müssen dabei gemäß § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylVfG in der Regel von dem in Rede stehenden Staat oder den ihn beherrschenden Parteien oder Organisationen ausgehen. Die Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure kann hingegen nur dann zu subsidiärem Schutz führen, wenn der betreffende Staat selbst nicht willens oder nicht in der Lage ist, Schutz zu gewähren. Bei der Prüfung, ob der Klägerin im Falle einer Rückkehr in ihr Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht, gilt ebenfalls der dargelegte Prüfungsmaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit.

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Klägerin bei einer Rückkehr nach Serbien ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AsylVfG droht. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG, denn die tatbestandliche Voraussetzung eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes ist in Serbien nicht gegeben.

Auch die Voraussetzungen eines (zielstaatsbezogenen) Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 AufenthG vermag das Gericht nicht festzustellen.

Bezüglich der (möglichen) Beschränkung ihrer Ausreisefreiheit und damit eines etwaigen Eingriffs in Art. 2 Abs. 2 des Vierten Zusatzprotokolls zur EMRK vermag das Gericht aus den oben genannten Gründen nicht anzunehmen, dass der Klägerin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Eingriff in den Kernbereich des Rechts auf Freizügigkeit in Form der Ausreisefreiheit (Art. 2 Abs. 2 des Vierten Zusatzprotokolls zur EMRK) droht. Deshalb kann offen bleiben, ob Art. 60 Abs. 5 AufenthG mit dem Verweis auf die EMRK auch das Vierte Zusatzprotokoll erfasst (dies verneinend: VG München, Urteil vom 25.03.2013 - M 24 K 12.30893 -, Juris) und ob und inwieweit Eingriffe in die Ausreisefreiheit nach Art. 2 Abs. 3 des Vierten Zusatzprotokolls zur EMRK gerechtfertigt wären. Sonstige Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind nicht erkennbar. [...]