VG Darmstadt

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Zitieren als:
VG Darmstadt, Beschluss vom 25.09.2014 - 6 L 1488/14.DA.A - asyl.net: M22386
https://www.asyl.net/rsdb/M22386
Leitsatz:

1. § 34 a Abs. 1 AsylVfG ist mit Art. 26 Abs. 2 der Dublin III VO vereinbar.

2. Auch in Fällen des § 34a Abs. 1 AsylVfG besteht hinsichtlich der Anordnung der Abschiebung bei u.a. Passlosigkeit ein intendiertes Ermessen.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Abschiebungsanordnung, Passlosigkeit, Pass, Dublinverfahren, Dublin III-Verordnung, Überstellung, ernstliche Zweifel, Rechtmäßigkeit, Belgien, freiwillige Ausreise, Unionsrecht,
Normen: AsylVfG § 34a, AsylVfG § 34a Abs. 1, VO 604/2013 Art. 26 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO kommt in Fällen, in denen die Klage, wie hinsichtlich der Feststellung der Unzulässigkeit des Asylantrages nach § 27a AsylVfG und der Anordnung der Abschiebung nach § 34a AsylVfG, von Gesetzes wegen im Regelfall keine aufschiebende Wirkung entfalten soll (Art. 27 Abs. 3 lit. c) der Dublin III-VO i.V.m. § 75 Abs. 1, § 34a Abs. 2 AsylVfG), nur in Betracht, wenn das gesetzlich intendierte öffentliche Vollzugsinteresse vom privaten Interesse des Betroffenen daran, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens von der Vollziehung des Verwaltungsaktes verschont zu bleiben, überwogen wird. Dies ist aber grundsätzlich nur der Fall, wenn der Sofortvollzug vollendete Tatsachen schaffen würde und entweder ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung bestehen oder die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung von grundsätzlichen Rechtsfragen abhängt, die noch nicht höchstrichterlich geklärt sind und einer Entscheidung im Eilverfahren nicht zugänglich sind. Sind die relevanten Rechtsfragen indes geklärt und erscheint der angefochtene Verwaltungsakt als rechtmäßig, kommt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage in diesen Fällen nur in Betracht, wenn außergewöhnliche, das vom Gesetzgeber (hier in § 75 Abs. 1 AsylVfG) intendierte öffentliche Interesse deutlich überwiegende private Interessen des Antragstellers festzustellen sind.

Nach diesem Beurteilungsmaßstab hat es vorliegend bei dem kraft Gesetzes angeordneten Sofortvollzug zu bleiben, auch wenn mit der Rücküberstellung des Antragstellers nach Belgien letztlich vollendete Tatsachen geschaffen werden. Es bestehen nämlich weder ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der asylrechtlichen Verfügung der Antragsgegnerin vom 21.08.2014, noch hängt diese Beurteilung von höchstrichterlich noch nicht geklärten grundsätzlichen Rechtsfragen ab, die einer Entscheidung im Eilverfahren nicht zugänglich wären.

Der Antragsteller macht für sich zwar geltend, dass § 34a AsylVfG nicht im Einklang mit den einschlägigen Bestimmungen der Dublin III-VO stehe, doch ist diese Rechtsfrage einer Klärung im Eilverfahren ohne weiteres zugänglich und dahin zu beantworten, dass ein Verstoß gegen unionsrechtliche Bestimmungen nicht vorliegt.

Art. 26 Abs. 2 Dublin III-VO i.V.m. Art. 7 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 02.09.2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin-DVO), der nicht durch die DVO (EU) Nr. 118/2014 vom 30.01.2014 geändert worden ist, bestimmt, welchen Anforderungen die gegenüber dem Schutzsuchenden zu treffende Entscheidung, seinen Antrag auf internationalen Schutz nicht zu prüfen und ihn an den dafür zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, gerecht werden muss, ohne jedoch das hierauf bezügliche Verfahren im Detail zu regeln oder den Mitgliedstaaten (vergleichbar den Bestimmungen in bspw. Art. 27 Abs. 3 der Dublin III-VO) aufzuerlegen, welche Regelungen sie zu treffen haben. Entgegen der Auffassung des Antragstellers fehlt es damit aber an einem ernsthaften Anknüpfungspunkt für eine unionsrechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten und damit auch Deutschlands, eine gesetzliche Bestimmung dahin zu treffen, dass dem Schutzsuchenden im Fall der beabsichtigten (Rück-)Überstellung an den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat generell ohne Betrachtung des Einzelfalles stets freizustellen ist, sich in eigener Initiative innerhalb einer vorgegebenen Frist oder in Form der kontrollierten Ausreise in den zuständigen Mitgliedstaat zu begeben.

Ob die Entscheidung, es Schutzsuchenden (auch) in den Fällen der (Rück-)Überstellung an den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat frei zu stellen, sich in eigener Initiative innerhalb einer vorgegebenen Frist oder in Form der kontrollierten Ausreise in den zuständigen Mitgliedstaat zu begeben, aufgrund der Fassung des Art. 26 Abs. 2 Dublin III-VO i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Dublin-DVO in das (gesetzgeberische) Ermessen der Mitgliedstaaten gestellt ist (so zur entsprechenden Bestimmung in der Dublin II-VO: VGH Kassel, Beschluss vom 31.08.2006 - 9 UE 1464/06.A; ESVGH 57, 65), oder ob diesen unionsrechtlichen Regelungen die Forderung zugrunde liegt, dass der Weg, sich in eigener Initiative in den zuständigen Mitgliedstaat zu begeben, nicht generell verschlossen sein darf (so VGH Mannheim, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1285/14; Juris), bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Wie der VGH Mannheim (a.a.O.) zutreffend ausgeführt hat, kann aus dem Wortlaut der unionsrechtlichen Bestimmungen nämlich jedenfalls nicht eine generelle Pflicht der Mitgliedstaaten hergeleitet werden, dass sie dem Schutzsuchenden stets, ohne Rücksicht auf die Einzelfallumstände von Gesetzes wegen die Wahl zwischen einer Ausreise in eigener Initiative innerhalb einer vorgegebenen Frist bzw. einer kontrollierten Ausreise oder einer Abschiebung zu belassen haben. Wegen der Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen des VGH Mannheim (a.a.O.) Bezug genommen, die sich das Gericht zu Eigen macht.

Kann demnach aus den unionsrechtlichen Vorgaben (allenfalls) hergeleitet werden, dass mit der Entscheidung, den Antrag auf internationalen Schutz nicht zu prüfen, eine Einzelfallentscheidung zu treffen ist, ob die (Rück-) Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat zwangsweise durchgeführt oder der Initiative des Schutzsuchenden anheim gestellt wird, wäre nur eine gesetzliche Bestimmung unionsrechtswidrig, die einer solchen Einzelfallentscheidung entgegenstünde. Eine solche einschränkende Regelung enthält § 34a AsylVfG indes nicht.

Diese Vorschrift ist vielmehr ohne weiteres einer, im Hinblick auf Art. 26 Abs. 2 Dublin III-VO wohl auch gebotenen, am Wortlaut orientierten Auslegung zugänglich, nach dem der Erlass einer Abschiebungsanordnung (nur) für die Fälle zwingend vorgeschrieben ist, in denen eine Abschiebung erfolgen soll. Dies impliziert jedoch, dass zuvor eine (Ermessens-)Entscheidung darüber getroffen werden muss, ob der Schutzsuchende in den zuständigen Mitgliedstaat abgeschoben werden soll, oder ob ihm ermöglicht wird, sich in eigener Initiative innerhalb einer vorgegebenen Frist oder in Form der kontrollierten Ausreise in den zuständigen Mitgliedstaat zu begeben.

Aber auch wenn diesem Normverständnis nicht gefolgt wird, sondern mit dem VGH Mannheim (a.a.O.) § 34a AsylVfG dahin verstanden wird, dass danach der Erlass einer Abschiebungsanordnung bei einer Entscheidung nach § 26a oder § 27a AsylVfG zwingend ist, stünde dies, wie vom VGH Mannheim dargelegt, einer Einzelfallentscheidung über die Gestattung, sich in eigener Initiative innerhalb einer vorgegebenen Frist oder in Form der kontrollierten Ausreise in den zuständigen Mitgliedstaat zu begeben, nicht entgegen. Mit Rücksicht auf die Länderkompetenzen und der Unterscheidung zwischen dem Verwaltungs- und dem Verwaltungsvollstreckungsverfahren bleibt es in diesem Fall der zuständigen Vollzugsbehörde unbenommen, in eigener Kompetenz unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine Entscheidung über den Zeitpunkt und die Art und Weise der (Rück-)Überstellung des Schutzsuchenden an den zuständigen Mitgliedstaat zu treffen.

Vor diesem Hintergrund bestehen damit auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der gegen den Antragsteller ergangenen Bundesamtsentscheidung.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts bestehen dann, wenn ein Erfolg des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg. Hingegen genügt es nicht, dass sich die Gründe für und gegen den Erfolg des Rechtsbehelfs in der Hauptsache die Waage halten, der Ausgang des Hauptsacheverfahrens also offen ist (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 26.03.2008 - 8 TG 2493/07 -, LKRZ 2008, 186). Dies folgt daraus (so der hess. Verwaltungsgerichtshof), dass nach der Wertung des Gesetzgebers bei den von § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO umfassten Verwaltungsakten generell ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung gegeben ist, welches das Aufschubinteresse des Bürgers überwiegt. Würden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Bescheides in diesen Fällen schon bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens bejaht, könnte die vom Gesetzgeber generell bestimmte sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes ihren beabsichtigten Zweck gerade nicht erreichen.

Die Ablehnung des Antrags des Antragstellers auf Anerkennung als Asylberechtigter/Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als unzulässig mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 21.08.2014 findet ihre Rechtsgrundlage in § 27a AsylVfG, die zugleich verfügte Abschiebungsanordnung die ihre in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.

Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ordnet (unter anderem) in diesen Fällen nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann, sofern der Asylsuchende in diesen Staat abgeschoben worden soll. Dies gilt auch, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat (§ 34a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG) und es bedarf hierzu keiner vorherigen Androhung und Fristsetzung (§ 34a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG).

Vorliegend sind diese Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsanordnung erfüllt: Der Antragsteller soll in einen Staat (Belgien) abgeschoben werden, der im Sinne des § 27a AsylVfG aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft für die Durchführung seines Asylverfahrens zuständig ist, und es steht fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann; sie ist rechtlich zulässig und tatsächlich möglich.

Die Zuständigkeit Belgiens für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers ergibt sich aus Art. 13 i.V.m. Art. 7 Abs. 2 der Dublin III-VO. Der Antragsteller hatte sich zwar vor seiner Einreise in Belgien im Jahr 2011 für wenige Tage im Bundesgebiet aufgehalten, hier aber keinen Asylantrag gestellt. Da er nach seiner Einreise nach Belgien erst nach (weit) mehr als 12 Monaten ins Bundesgebiet zurückgekehrt ist, war zu diesem Zeitpunkt die Zuständigkeit der Antragsgegnerin beendet und ist Belgien nunmehr der zuständige Mitgliedstaat. Dies wird vom Antragsteller auch nicht in Zweifel gezogen und bedarf daher keiner weiteren Ausführungen.

Die Antragsgegnerin ist aber auch nicht verpflichtet, im Falle des Antragstellers das den Mitgliedstaaten in Art. 3 Abs. 2 der Dublin III-VO eingeräumte Selbsteintrittsrecht auszuüben. Wie der EuGH mit Urteil vom 10.12.2013 – Rs. C-394/12 (Juris) zur Dublin II-Verordnung entschieden hat und nunmehr auch Bestandteil des Art. 3 Abs. 2 der Dublin III-VO ist, kann der Schutzsuchende einen Selbsteintritt eines nicht zuständigen Mitgliedstaates nur mit dem Einwand des Bestehens von systemischen Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in dem zuständigen Mitgliedstaat verlangen, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er (der Schutzsuchende) tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt zu werden. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hinsichtlich Belgiens behauptet der Antragsteller schon selbst nicht und ist auch ansonsten nicht ersichtlich.

Desgleichen erweist sich die gegen den Antragsteller ergangene Abschiebungsanordnung als rechtsfehlerfrei.

Auch insoweit kommt es vorliegend nicht entscheidungserheblich darauf an, ob § 34a AsylVfG dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Möglichkeit für die Entscheidung darüber offen lässt, dass sich der Betroffene zur Vermeidung seiner Abschiebung binnen eines bestimmten Zeitraums ab Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung bei der für den Vollzug zuständigen Behörde oder bei einer Grenzbehörde zu melden habe, und ob diese Behörde zwingend hierüber befinden muss, oder ob angesichts der Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes und der damit verbundenen Ungewissheit, ob und ggf. wann die (Rück-) Überstellung an den als zuständig angesehenen Mitgliedstaat möglich sein wird und ob es nach der dann bestehenden Sachlage geboten ist, den Schutzsuchenden in eigener Initiative in diesen Staat reisen zu lassen oder ihn abzuschieben, es nicht vielmehr geboten ist, diese Entscheidung im maßgeblichen Zeitpunkt der (Rück-)Überstellung der Vollzugsbehörde zu überlassen. So erweist sich der Erlass der Abschiebungsanordnung vorliegend auch dann als rechtmäßig, wenn man der Auffassung folgt, dass bereits das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Entscheidung darüber zu treffen hatte, ob dem Antragsteller die Möglichkeit einer Rückkehr nach Belgien in eigener Initiative eingeräumt wird.

Es ist allerdings nicht erkennbar, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hinsichtlich der Frage, ob der Antragsteller nach Belgien abgeschoben oder ihm die Möglichkeit angeboten werden soll, sich in eigener Initiative innerhalb einer vorgegebenen Frist oder in Form der kontrollierten Ausreise in den zuständigen Mitgliedstaat zu begeben, Ermessen ausgeübt hat. Dieser Ermessensausfall wirkt sich jedoch im Falle des Antragstellers von vornherein rechtlich nicht aus, weil das der Behörde eingeräumte Ermessen jedenfalls dann im Sinne einer Entscheidung für eine Abschiebung intendiert ist, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen des § 58 Abs. 1 oder 3 oder des § 58a Abs. 1 AufenthG vorliegen, was keiner näheren Ausführungen bedarf.

Der Antragsteller ist seinen Angaben zufolge nicht im Besitz eines Passes oder Passersatzes und erfüllt damit die tatsächlichen Voraussetzungen des § 58 Abs. 3 Nr. 5 AufenthG, womit dahingestellt bleiben kann, ob bei ihm außerdem davon auszugehen ist, dass er nicht die Gewähr dafür bietet, freiwillig nach Belgien zurückzukehren. Bei ihm liegen jedenfalls keine Umstände vor, die es gebieten würden, in seinem Fall ergebnisoffen zu erwägen, ob ihm eine Rückkehr nach Belgien in eigener Initiative freizustellen ist. [...]