Besonders in der Frühphase des Dafur-Konflikts waren Vergewaltigungen ein gezielt eingesetztes Mittel zur Terrorisierung und Vertreibung ethnischer Gruppen, die bis heute ohne strafrechtliche Ahndung geblieben sind und weiterhin vorkommen.
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Die von der Klägerin geltend gemachte Verfolgung knüpft an asylrelevante persönliche Merkmale der Klägerin an.
Als Anknüpfungspunkt für eine Verfolgung allein aufgrund des Geschlechts kommen die biologisch-sexuelle Geschlechtszugehörigkeit als Mann oder Frau, die soziale Geschlechterrolle ("Gender") oder die sexuelle Ausrichtung oder Orientierung in Betracht. Dabei ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass beispielsweise die Gefahr der Bestrafung als Ehebrecherin den Flüchtlingsstatus begründen kann, wenn Frauen in den entsprechenden Ländern diesbezüglich wesentlich schärfer verfolgt werden. Grundsätzlich ist es aber auch denkbar, dass Männer aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit verfolgt werden (VG Berlin, Urteil vom 09. Juni 2011 - 33 K 285.10 A -, juris, Rn. 23, 24).
Nach dem zur Überzeugung des Gerichts, insbesondere aufgrund des Eindrucks in der mündlichen Verhandlung und des eingeholten Sachverständigengutachtens, welches sich u.a. intensiv damit beschäftigt, glaubhaften Vorbringen der Klägerin zu 2. steht fest, dass sie aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe der Frauen während der Schwangerschaft mit dem Kläger zu 4. von bewaffneten Verfolgern, die sie zu Hause aufgesucht haben, vergewaltigt worden ist. Die Klägerin hat erstmals bei der Exploration im Rahmen der Erstellung des psychologischen Sachverständigengutachtens Ausführungen dazu gemacht, dass sie während der Unruhen 2003 in Darfur, wo sie damals mit ihrem Mann und dem Kläger zu 3. gewohnt habe, durch Soldaten in ihrer Hütte in ihrem Heimatdorf vergewaltigt worden ist. Ihr sei es gegangen wie anderen Frauen in dem Dorf auch. Sie habe geschrien, aber niemand sei gekommen, um ihr zu helfen. Beide Soldaten, die in die Hütte gekommen seien, hätten sie vergewaltigt. Der Kläger zu 3. habe damals draußen mit den anderen Kindern gespielt. Diese jung und wie Sudanesen in Uniform aussehenden Soldaten habe sie sich vom Aussehen her nicht gemerkt; ihr Versuch wegzulaufen und zu schreien, sei gescheitert, denn gegen die zwei Soldaten sei sie nicht angekommen. Wie bei ihrer Vergewaltigung sei es öfter vorgekommen, dass von der Regierung unterstützte Soldaten mit Jeep, Gewehren und Revolver ins Dorf gekommen und Gewalt sexueller Art gegenüber Frauen, aber auch gegenüber Jungen im vorpubertären Alter angewandt hätten. Diese Bedrohungslage für sie und die anderen Frauen habe fortwährend bestanden. Es sei wiederholt zu sexuellen Übergriffen, auch gegen sie, gekommen. Als Frau habe man sich vorsichtig benommen und sei geflüchtet, sobald Soldaten auf der Bildfläche erschienen seien. Bei ihrer Vergewaltigung seien sie einfach in ihr Haus gekommen, so dass die Situation da anders gewesen sei.
Diese vom Gutachter bei insgesamt drei Sitzungen an verschiedenen Tagen mühsam erfragten Einzelheiten von der wegen der extrem schambehafteten und ihr peinlichen Situation sehr zurückhaltenden Auskunft gebenden Klägerin hält das Gericht insbesondere im Zusammenhang mit dem aus der mündlichen Verhandlung bei der Befragung der Klägerin zu 2. gewonnenen Eindruck für glaubhaft. Das Gericht ist überzeugt davon, dass die Klägerin, die mit dem geschilderten Geschehen und der fortwährenden Bedrohungslage im Wesentlichen allein zurechtkommen musste und insbesondere ihrem Mann gegenüber dieses Thema weder andeuten noch gar explizit ansprechen durfte, konnte und wollte, um wegen der sozio-kulturellen Prägung in diesem Kulturkreis nicht zu riskieren, dass er sie verstößt, zur Beendigung dieser permanenten Bedrohungs- und Verfolgungssituation aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen durch Ausreise mit ihrer Familie letztlich aus dem Sudan geflohen ist. In diesem Zusammenhang ergab sich für sie endlich die Gelegenheit, gesichtswahrend dieser Verfolgung zu entkommen, als sich ihr Mann bei seiner Händlertätigkeit und aufgrund seiner Weigerung, die Regierungsanhänger bzw. deren Gegner mit Informationen über die jeweils andere Gruppe zu versorgen, massiven Ärger eingehandelt hatte, dem er sich durch Flucht zusammen mit seiner Familie entziehen wollte.
Die der Klägerin drohende Verfolgung ging auch von einem Verfolger im Sinne von § 3c AsylVfG aus. Die Klägerin hat glaubhaft geschildert, dass sie von Soldaten in Uniform, die von der Regierung unterstützt werden, fortwährend sexuellen Übergriffen ausgesetzt und insbesondere einmal von zwei Männern vergewaltigt worden war. Allein aus dem Umstand, dass Regierungssoldaten die sexuellen Übergriffe auf die Kläger durchgeführt haben, folgt, dass die Klägerin zu 2. keinen Schutz im Sinne von § 3d AsylVfG und § 3e AsylVfG erhalten konnte. Aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8. April 2014 (Stand: Januar 2014) ergibt sich (S. 11 f.), dass besonders in der Frühphase des Darfur-Konflikts (2003 - als auch der Übergriff auf die Klägerin zu 2. stattfand - und 2004) Vergewaltigungen ein gezielt eingesetztes Mittel zur Terrorisierung und Vertreibung ethnischer Gruppen gewesen sind, die bis heute ohne strafrechtliche Ahndung geblieben seien und weiterhin vorkämen. Auch heute meldeten sich Vergewaltigungsopfer nur in Ausnahmefällen bei der Polizei, weil sie befürchteten, des im Sudan strafbaren und mit Steinigung sanktionierten Ehebruchs beschuldigt zu werden. Abgesehen von der Traumatisierung der Opfer verursachten die Vergewaltigungen auch eine gesellschaftliche Stigmatisierung der Opfer. Entgegen anderslautender Ankündigungen der Regierung zu Aktionsplänen zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen in Darfur werde über weitere Vergewaltigungen von Frauen berichtet.
Gemäß § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylVfG sind bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslands die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 der Richtlinie 2011/95/EU zu berücksichtigen. Der Zumutbarkeitsmaßstab nach § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG geht über das Fehlen einer im Rahmen der analogen Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, juris, Rn. 20). Ausschlaggebend kommt es auf die Würdigung der konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls an (vgl. BayVGH, Beschluss vom 13. März 2014- 13a ZB 14.30043 -, juris, Rn. 7).
Hinsichtlich der Ausweichmöglichkeiten schildert der vorgenannte Lagebericht (s. 12 f.) drastisch die aktuell weiterhin überaus schlechten wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse insbesondere im Südsudan, aber auch angesichts der 1,7 Millionen Sudanesen, die als Binnenflüchtlinge in Lagern in Darfur leben, in diesen Gebieten. Angesichts dieser prekären Lebensverhältnisse besteht für die Klägerin zu 2. (abgesehen von dem Umstand, dass sie als Frau dort ohne Hilfe von Clan oder Großfamilie nicht menschenwürdig existieren könnte) keine inländische Fluchtalternative im Sinne von § 3e Abs. 1 AsylVfG.
Da die Klägerin zu 2. vorverfolgt ausgereist ist, kommt ihr die Beweiserleichterung gemäß Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2014/83/EG zugute. Vorliegend kann die dort normierte Vermutung nicht widerlegt werden. Insbesondere gibt es nach den vorstehenden Ausführungen über die aktuelle Lage in der Heimat der Klägerin zu 2. keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Situation dort in relevanter Weise verändert hätte. Damit wäre die Klägerin zu 2. im Falle einer Rückkehr auch erneut von einem ernsthaften Schaden bedroht. Angesichts der Erkenntnislage kann ersichtlich nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die Klägerin im gesamten Sudan angesichts der dort weiterhin vorherrschenden Bedrohungslage von Frauen bei einer Rückkehr auch in anderen Teilen verfolgt würde. [...]