OVG Saarland

Merkliste
Zitieren als:
OVG Saarland, Beschluss vom 11.11.2014 - 2 B 362/14 (= ASYLMAGAZIN 1-2/2015, S. 40 f.) - asyl.net: M22469
https://www.asyl.net/rsdb/M22469
Leitsatz:

1. Die Ausländerbehörde trägt die Darlegungslast dafür, dass die Ausreise in einen Drittstaat möglich ist.

2. Neben hinreichenden Beziehungen des Ausländers zum Drittstaat ist auch dessen Aufnahmebereitschaft erforderlich.

3. Von der Aufnahmebereitschaft des Drittstaates ist nur dann auszugehen, wenn für den Ausländer die Einreise und ein nicht ganz kurzfristiger Aufenthalt auf legalem Weg möglich sind.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Darlegungslast, Ausreise, Drittstaat, Sri Lanka, Abschiebungsverbot, Indien, Aufnahmebereitschaft,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, AufenthG § 25 Abs. 3 S. 2, AufenthG § 25 Abs. 3,
Auszüge:

[...]

Die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG ist rechtswidrig. Gemäß § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG soll einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegt. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben, da das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit bestandskräftigem Bescheid vom 3.9.2010 festgestellt hat, dass im Fall des Antragstellers das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Sri Lanka vorliegt. Entgegen der in dem angefochtenen Bescheid vom Antragsgegner und auch vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung steht § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift wird die Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt, wenn die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist. Der Antragsgegner hat die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis vorliegend rechtsfehlerhaft darauf gestützt, dass dem Antragsteller eine Ausreise nach Indien aufgrund seiner - angeblichen - indischen Staatsangehörigkeit möglich und zumutbar sei. Demgegenüber hat der Senat nach Würdigung aller Umstände des Falles keine ernsthaften Zweifel daran, dass der Antragsteller die indische Staatsangehörigkeit nicht besitzt. Der Antragsteller ist am 20.5.1983 in der Bundesrepublik Deutschland als Sohn srilankischer Staatsangehöriger tamilischer Volkszugehörigkeit geboren (vgl. die Geburtsurkunde (Bl. 873 der Verwaltungsakten) und den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3.9.2010 (Bl. 875 der Verwaltungsakten)). Der als Kopie in den Verwaltungsakten vorhandene (vgl. Bl. 235 ff. und Bl. 287 der Verwaltungsakten) indische Reisepass mit dem Ausstellungsdatum 15.9.2008, den der Antragsteller benutzt hat, um ein Visum zu Studienzwecken für die Einreise in die Schweiz zu erlangen, enthält nicht den Namen und das Geburtsdatum des Antragstellers, sondern die Personalien ..., geboren am ... in ..., unter denen der Antragsteller offenbar jahrelang in Indien gelebt, dort die Schule besucht und im April 2008 ein Studium mit dem Bachelor of Science Bio-Chemistry erfolgreich abgeschlossen hat. Ausgehend davon spricht, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, vieles dafür, dass es sich bei dem erwähnten indischen Reisepass, dessen Echtheit vom indischen Generalkonsulat in Frankfurt bestätigt wurde (vgl. Bl. 364 der Verwaltungsakten), um ein echtes Dokument mit falschem Inhalt handelt. In Übereinstimmung damit hat der Antragsteller nachvollziehbar dargelegt, dass er in Indien eine andere Identität angenommen hat. Auch die Nachforschungen des Antragsgegners haben nicht ergeben, dass der Antragsteller tatsächlich indischer Staatsangehöriger ist. All dies zugrunde legend kann zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht angenommen werden, dass der indische Staat zur Aufnahme des Antragstellers bereit ist und deshalb für diesen eine Ausreise nach Indien möglich und zumutbar ist. Nach der Gesetzesbegründung zu § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist die Ausreise möglich, wenn die betroffene Person in den Drittstaat einreisen und sich - zumindest vorübergehend - dort aufhalten darf. Die Darlegung, in welchen Staat eine Ausreise möglich ist, obliegt der Ausländerbehörde. Sie hat sich dabei an konkreten Anhaltspunkten zu orientieren. Maßgeblich für die Auswahl sind die Beziehung der betroffenen Person zum Drittstaat und die Aufnahmebereitschaft des Drittstaates (BT-Drs. 15/420 S. 79). Davon, dass der Antragsteller über eine ausreichende Beziehung zu Indien verfügt, ist angesichts dessen, dass er dort mehrere Jahre gelebt hat, er dort zur Schule gegangen ist und studiert hat, sowie in Anbetracht seiner sich dort aufhaltenden Eltern auszugehen. Dagegen kann die Aufnahmebereitschaft des indischen Staates nicht ohne weiteres unterstellt werden. Die Ausreise in einen Drittstaat ist nur dann möglich im Sinne des § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, wenn der Betroffene in den Drittstaat einreisen und er sich dort aufhalten darf. Der Ausschluss des Aufenthaltsrechts in Deutschland ist nur gerechtfertigt, wenn in den Drittstaat die Einreise und ein nicht ganz kurzfristiger, legaler Aufenthalt aufgrund der Aufnahmebereitschaft des Drittstaates gestattet sind (vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 26.5.2014 - 11 K 4547/13 -, VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 18.5.2006 - 5 L 519/05 -, jeweils bei juris). Hieraus ergibt sich, dass von dem Antragsteller nicht verlangt werden kann, illegal mit dem erwähnten indischen Reisepass - sofern dieser noch in seinem Besitz ist und nicht wie von ihm behauptet nach der Einreise vernichtet wurde - nach Indien einzureisen und sich dort aufzuhalten. Ebenso wenig ist es ihm zuzumuten, sich unter falschen Personenangaben - etwa unter Vorlage der von ihm für den Hochschulzugang in Deutschland eingereichten Dokumente aus Indien (vgl. den Anerkennungsvermerk (Bl. 367 der Verwaltungsakten) sowie die von dem Antragsteller vorgelegten Dokumente aus Indien (Bl. 370 ff. der Verwaltungsakten)) - neue Passunterlagen, die zur Einreise nach Indien berechtigen, zu verschaffen. Ob der Antragsteller unter seinen richtigen Personalien, d. h. auf legalem Weg die Einreise nach Indien erlangen und er sich dort aufhalten kann, ist bisher nicht geklärt. Die Darlegungslast trägt insoweit - wie erwähnt - der Antragsgegner (vgl. Heilbronner, AuslR, Kommentar, § 25 Rdnr. 66). Der Antragsteller hat in diesem Zusammenhang plausibel vorgetragen(Vgl. Bl. 446 und Bl. 885 der Verwaltungsakten), dass die indische Botschaft ihm kein Reisedokument unter dem richtigen Namen ausstelle, da er nicht in Indien geboren sei und nicht die indische Staatsangehörigkeit besitze. Nach alledem kann von einer Aufnahmebereitschaft Indiens zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht ausgegangen werden, so dass § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG dem Anspruch des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG jedenfalls derzeit nicht entgegengehalten werden kann. Dem Antragsteller ist daher insoweit vorläufig Abschiebungsschutz zu gewähren. [...]