Der Begriff des gesetzlichen Anspruchs in § 10 Abs. 1 AufenthG umfasst keine
"Soll-Vorschriften".
(Amtlicher Leitsatz)
Findet § 10 Abs. 1 AufenthG mithin dem Grunde nach Anwendung, tritt die Sperrwirkung dahingehend ein, dass ein Aufenthaltstitel nur im Ausnahmefall der Zustimmung der obersten Landesbehörde und nur bei bestehenden wichtigen Interessen der Bundesrepublik Deutschland erteilt werden kann. Nach dem Wortlaut der Norm entfällt die Sperrwirkung allerdings dann, wenn dem Ausländer ein gesetzlicher Anspruch auf den Aufenthaltstitel zusteht.
Von der Sperrwirkung nach § 10 Abs. 1 AufenthG nicht betroffen wird demnach ein gesetzlicher Anspruch, d.h. nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein "strikter Rechtsanspruch" auf Erteilung eines Titels, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt und bei dem alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind (Urteil vom 16.12.2008 - 1 C 37.07 -, BVerwGE 134, 382). Wenn das Gesetz daher ausdrücklich die Erteilung eines Aufenthaltstitels als zwingende Folge anordnet (Ist-Regelung), ist ein entsprechender Anspruch des Ausländers ohne weiteres zu bejahen.
Einbezogen in die Sperrwirkung nach § 10 Abs. 1 AufenthG ist hingegen eine Regelung, die in das Ermessen der Behörde gestellt ist. Ob die Sperrwirkung auch dann keine Anwendung finden soll, wenn es sich um eine Norm mit Ermessensregelung handelt, jedoch ein Fall der sogenannten Ermessensreduzierung auf Null gegeben ist (zum Diskussionsstand vgl. Discher, in: GK-AufenthG, Stand Juli 2014, § 10 Rdnr. 60.3 ff.), ist zweifelhaft (dagegen: BVerwG, Urteil vom 16.12.2008, a.a.O.). Dies bedarf hier indes keiner Vertiefung, weil die Klägerin für den streitbefangenen Zeitraum (Antragstellung bis 3. August 2012) keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG bzw. die entsprechende Erweiterung der erlangten Aufenthaltserlaubnis begehrt, sondern nach § 25 Abs. 3 AufenthG. Der Anspruch nach § 25 Abs. 3 AufenthG ist keine Ermessensvorschrift und auch kein strikter Rechtsanspruch, sondern eine Soll-Vorschrift.
Ob die Sperrwirkung auch im Fall einer Soll-Vorschrift - oder auch eines Regelanspruchs - eintritt, ist gesetzlich nicht ausdrücklich bestimmt. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Beantwortung der Frage nach dem Einbezug einer Soll-Vorschrift in der Entscheidung vom 16. Dezember 2008 (Rdnr. 24) offen gelassen. Nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 AufenthG ist dies nicht der Fall. In der Literatur wird eine Sperrwirkung bei einer als Soll-Vorschrift ausgekleideten Anspruchsgrundlage jedoch verneint (Discher, a.a.O., Rdnr. 61 ff.; Müller, in: Hofmann/Hoffmann, HK-AuslR, 2008, § 10 AufenthG Rdnr. 5; Dienelt, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 10 Rdnr. 14) bzw. in der Rechtsprechung eine Soll-Vorschrift einem gesetzlichen Anspruch gleich erachtet (Bay. VGH, Beschluss vom 29.09.2005 - 10 CE 05.2067 -, juris). In diesen Fällen sei, so die wesentliche Begründung, von Seiten der Ausländerbehörde im Regelfall gerade kein Ermessen auszuüben, so dass der Intention des Gesetzes in gleicher Weise gefolgt werden müsse wie bei einer Ist-Vorschrift.
Diese Ansicht - der Einbeziehung der Soll-Vorschriften in die Ausnahme - ergibt sich jedoch nicht aus dem Wortlaut der Vorschrift und ihr steht zudem die Systematik der Norm entgegen, insbesondere der Gleichklang von § 10 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 3 AufenthG. Zwar unterscheiden sich die Regelungen in § 10 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 3 AufenthG hinsichtlich der Verwendung des Attributs "gesetzlich", doch ansonsten ist die gleiche Regelungskonstruktion zu bemerken. Unter Berücksichtigung der besonderen Nennung der Soll-Vorschrift des § 25 Abs. 5 AufenthG in § 10 Abs. 3 Satz 3, 2. HS AufenthG ist zudem ein bedeutender Unterschied zu erkennen. In Abs. 3 Satz 3 wird speziell für § 25 Abs. 3 AufenthG eine besondere (Rück-) Ausnahme vorgesehen, d.h. ein Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 3 AufenthG kann auch in den Fällen des Satzes 2 (zwingende vorherige Ausreise des Antragstellers) ohne vorherige Ausreise des Ausländers erteilt werden. Die Formulierung des § 10 Abs. 3 Satz 3, 2. HS AufenthG spricht zudem dafür, dass Regelerteilungen gerade keinen "Anspruch" im Sinne § 10 Abs. 3 Satz 3, 1. HS AufenthG darstellen. Die dortige Regelung, dass § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht anzuwenden sei, wenn die Voraussetzungen nach § 25 Abs. 3 AufenthG (also einer Soll-Vorschrift) vorliegen, wäre nämlich überflüssig, wenn § 10 Abs. 3 Satz 1, 1. HS AufenthG generell auf Regelansprüche anwendbar wäre (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 18.11.2010 - 19 ZB 08.3154 -, juris).
Das Bundesverwaltungsgericht hat auch diese Frage bislang offen gelassen (vgl. Urteil vom 03.06.1997 - 1 C 1.97 -, BVerwGE 105, 28, zu § 9 Abs. 2 Nr. 2 AuslG; und Urteil vom 16.12.2008, a.a.O.). Jedoch hat der 9. Senat des Hess. VGH mit Beschluss vom 27. Mai 2008 - 9 A 452/08 - (ESVGH 59, 64 = AUAS 2008, 268) zur Frage der Abgrenzung bei § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG im Fall der ebenfalls als Soll-Vorschrift gestalteten Übergangsvorschrift nach § 104a AufenthG entsprechend unter Heranziehung der Gesetzeshistorie zur Anwendung des § 10 Abs. 3 AufenthG ausgeführt:
"Die hiermit zusammenhängende Problematik bedarf vorliegend keiner vertieften Erörterung, weil der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an die Klägerin jedenfalls der Ausschlussgrund des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entgegensteht.
Nach dieser Vorschrift darf in den Fällen, in denen der Asylantrag eines Ausländers - wie im Falle der Klägerin - nach § 30 Abs. 3 AsylVfG (als offensichtlich unbegründet) abgelehnt wurde, vor der Ausreise des Ausländers kein Aufenthaltstitel erteilt werden.
Zwar findet diese Regelung gemäß § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG 'im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Anwendung'. Diese Ausnahme vom gesetzlichen Ausschlussgrund des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist im Hinblick auf den in § 104a AufenthG normierten Aufenthaltstitel indes nicht einschlägig, denn diese Vorschrift, nach der beim Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden 'soll', vermittelt keinen 'Anspruch' im vorgenannten Sinne.
Allerdings hat auch der vorliegend erkennende Senat in früheren Entscheidungen, die sich auf das Verhältnis von § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG zur 'Soll-Regelung' des § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG bezogen, die Auffassung vertreten, dass Rechtsvorschriften, nach denen die zuständige Behörde eine bestimmte begünstigende Maßnahmen vornehmen 'soll', im Regelfall im Sinne eines zwingenden Gesetzesbefehls aufzufassen seien. Nur bei Vorliegen von Umständen, die einen konkreten Fall als atypisch erscheinen ließen, dürfe die Behörde anders verfahren als im Gesetz vorgesehen und nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden. Im Regelfall bedeute das 'Soll' aber ein 'Muss'. Der nach § 25 Abs. 3 AufenthG bestehende 'Soll-Anspruch' unterscheide sich - so der Senat - von einem strikten Rechtsanspruch mithin lediglich dadurch, dass die Ausländerbehörde zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ausnahmsweise dann nicht verpflichtet sei, wenn eine im Gesetz nicht vorgesehene atypische Interessenlage derart vorliege, dass die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis als vom Zweck der gesetzlichen Regelung nicht erfasst erscheine. Der Senat hat auf der Grundlage dieser damaligen Einschätzung einer auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gerichteten Klage stattgegeben, obgleich der Asylantrag des damaligen Klägers zuvor nach § 30 Abs. 3 AsylVfG als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden war. Die auf diese Asylentscheidung bezogene Ausschlussregelung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG greife - so der Senat - nicht ein, weil dem betroffenen Ausländer aus § 25 Abs. 3 AufenthG ein Anspruch auf Erteilung des Aufenthaltstitels zur Seite stehe (Urteil vom 1. September 2006 - 9 UE 1650/06 -; vgl. ferner Senatsbeschluss vom 10. Juli 2006 - 9 UZ 831/06 -; in diesem Sinne auch Discher in GK-AuslR, § 10 AufenthG, Rdnr. 61; noch weitergehend Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, § 10 AufenthG Rdnr. 16, und Dienelt, ZAR 2005, 120: 'Anspruch' im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG auch bei Ermessensnormen in Fällen der Reduzierung des Ermessens auf 'Null').
Unbeschadet der vom Senat weiterhin für zutreffend gehaltenen Charakterisierung gesetzlicher 'Soll-Vorschriften' als im Grundsatz zwingende Regelungen, wie sie in der zuvor dargestellten Rechtsprechung zum Ausdruck kommt, hält der Senat an seiner damals aus dieser Charakterisierung gezogenen Schlussfolgerung, wonach derartige Soll- Vorschriften einen 'Anspruch' im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG vermitteln, unter Berücksichtigung der veränderten Rechtslage, wie sie durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) geschaffen wurde, nicht fest. Vielmehr ist nach nunmehr geltender Rechtslage davon auszugehen, dass der in § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG enthaltene Begriff des 'Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels' gleichbedeutend ist mit dem in § 10 Abs. 1 AufenthG genannten Begriff des 'gesetzlichen Anspruchs'.
Nach § 10 Abs. 1 AufenthG kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, vor dem bestandskräftigen Abschluss des Asylverfahrens ein Aufenthaltstitel 'außer in den Fällen des gesetzlichen Anspruchs' nur mit Zustimmung der obersten Landesbehörde und nur dann erteilt werden, wenn wichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland es erfordern. In Rechtsprechung und Schrifttum ist überwiegend anerkannt, dass es sich bei diesem 'gesetzlichen Anspruch' um die zwingende Rechtsfolge handelt, wie sie idealtypisch in die Form einer 'Muss-Vorschrift' gekleidet ist und aus der sich unmittelbar die Verpflichtung der Behörde zum Erlass der begünstigenden Maßnahme ergibt. Eine 'Soll-Regelung' oder gar eine bloße Ermessensvorschriften - im Falle einer Ermessensreduzierung 'auf Null' - vermögen einen derartigen 'gesetzlichen Anspruch' nicht zu begründen (ebenso Hailbronner, a.a.O., Rdnr. 16; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 10 AufenthG, Rdnr. 10).
Ausgehend von dieser Einschätzung belässt es der Senat vorliegend bei der Feststellung, dass es ihm nach erneuter Befassung mit dieser Problematik zweifelhaft erscheint, ob der Gesetzgeber mit der in § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG gewählten Formulierung ('Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels'), also durch den Verzicht auf den in § 10 Abs. 1 AufenthG gewählten Begriffsbestandteil 'gesetzlich', eine bewusste Differenzierung im Sinne unterschiedlicher Bedeutungsinhalte der gewählten Anspruchsbegriffe zum Ausdruck bringen wollte. Als zumindest ebenso vertretbar erscheint die Annahme, dass das Gesetz insoweit sprachlich ungenau formuliert ist, der Sache nach aber dasselbe meint, wenn es an einer Stelle von einem 'Anspruch‘ spricht, an anderer Stelle dagegen von einem ‚gesetzlichen Anspruch' (im Ergebnis ebenso Discher, a.a.O., Rdnr. 171 ff., Renner, a.a.O.) Zumindest sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das Aufenthaltsgesetz 'sehr deutlich' zwischen den Begriffen 'Anspruch' und 'gesetzlichem Anspruch' differenziere (so aber Dienelt, a.a.O., 123).
Jedenfalls kann eine solchermaßen differenzierende Rechtsauffassung, die auf unterschiedliche Bedeutungsinhalte der in § 10 Abs. 1 AufenthG einerseits und in § 10 Abs. 3 AufenthG andererseits verwendeten Anspruchsbegriffe abstellt, nicht mehr überzeugend vertreten werden, seitdem der Gesetzgeber die Vorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG durch das oben genannte Änderungsgesetz vom 19. August 2007 um einen Halbsatz ergänzt hat.
Darin ist nunmehr geregelt, dass der die Erteilung eines Aufenthaltstitels (im Falle der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet) ausschließende Satz 2 des § 10 Abs. 3 AufenthG 'ferner' nicht anzuwenden sei, wenn der Ausländer die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erfüllt. Das Gesetz ordnet damit - zusammengefasst - an, dass die Ausschlussregelung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG sowohl im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels als auch beim Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 3 AufenthG keine Anwendung finden darf. Wenn der Gesetzgeber es aber für erforderlich hielt, trotz (und in Ergänzung) der Regelung des bisherigen § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG ausdrücklich anzuordnen, dass die Ausschlussregelung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 25 Abs. 3 AufenthG nicht eingreife, so lässt dies nur den Schluss zu, dass er dieser Sollvorschrift gerade nicht die Qualität einer einen Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3, 1. Halbsatz, AufenthG begründende Norm beimisst. Andernfalls hätte er es bei § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG in seiner bisherigen Fassung belassen können und nicht die Notwendigkeit gesehen, dessen Rechtsfolge - Nichtanwendbarkeit des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG - ausdrücklich (auch) für Fälle anzuordnen, in denen die Voraussetzungen des § 25 Abs. 3 AufenthG erfüllt sind. Dieser Wille des Gesetzgebers kommt im Wortlaut und in der Systematik des Gesetzes deutlich zum Ausdruck und ist einer Interpretation des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG daher zu Grunde zu legen. Dies gilt umso mehr, als auch nicht etwa angenommen werden kann, der Gesetzgeber habe mit Einfügung des zweiten Halbsatzes des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG lediglich klarstellend noch einmal etwas bekräftigen wollen, was ohnehin schon in dem auf das Vorliegen eines Anspruchs abstellenden ersten Halbsatz geregelt ist. Eine solche Erwägung erweist sich schon deshalb als fernliegend, weil auf ihrer Grundlage nicht nachvollziehbar wäre, warum er eine derartige Klarstellung nur in Ansehung der Vorschrift des § 25 Abs. 3 AufenthG für erforderlich gehalten haben könnte, nicht aber - beispielsweise - in Ansehung des § 104a AufenthG.
Wenn das Gesetz somit in seiner jetzigen Fassung ausdrücklich normiert, dass sich ein Ausländer, der den Ausschlusstatbestand des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG erfüllt, dennoch auf die Sollvorschrift des § 25 Abs. 3 AufenthG berufen kann, so verdeutlicht dies, dass anderen Sollregelungen, also etwa § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG, der Ausschlusstatbestand des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zwingend entgegensteht. Dies kann nach dem ausdrücklich für § 25 Abs. 3 AufenthG getroffenen abweichenden Gesetzesbefehl nicht mehr durch den Hinweis darauf 'unterlaufen' werden, diese sonstigen Sollregelungen seien zwar - anders als § 25 Abs. 3 AufenthG - nicht ausdrücklich in § 10 Abs. 3 AufenthG erwähnt, würden aber dennoch in gleicher Weise nicht durch den Ausschlussgrund des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG verdrängt, weil sie aufgrund ihres Charakters als Sollvorschriften jedenfalls einen 'Anspruch' begründeten und daher, wenn auch nicht unter § 10 Abs. 3 Satz 3, 2. Halbsatz, so doch jedenfalls unter § 10 Abs. 3 Satz 3, 1. Halbsatz, AufenthG fielen. Eine solche Schlussfolgerung würde dem Gesetz in seiner heutigen Fassung eindeutig zuwiderlaufen (im Ergebnis ebenso OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 26. September 2007 - 2 L 173/06 -, juris)."
(Mit ähnlicher Begründung auch: Nieders. OVG, Beschluss vom 08.12.2008 - 14 PA 145/08 -, juris).
Die Entscheidung des Hess. VGH vom 27. Mai 2008 wurde zwar vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 25. August 2009 aufgehoben (Az. 1 C 20.08, NVwZ-RR 2010, 286; vgl. auch die Parallelentscheidung vom 25.08.2009 - 1 C 30.08 -, BVerwGE 134, 335), indes aus anderen Gründen. Das Bundesverwaltungsgericht führt zur hier relevanten Frage im Urteil vom 25. August 2009 lediglich aus (a.a.O., Rdnr. 14):
"Auf die vom Berufungsgericht für grundsätzlich bedeutsam gehaltene, vom Senat bisher noch nicht entschiedene Frage, ob auch eine Soll-Vorschrift einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG begründen kann, der die Anwendung der Sperrwirkung des Satzes 2 der Vorschrift ausschließt (vgl. Urteil vom 16. Dezember 2008 - BVerwG 1 C 37.07 - Rn. 24 zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen = Buchholz 402.242 § 10 AufenthG Nr. 2), kommt es daher im vorliegenden Verfahren nicht an."
Seiner Linie bleibt das Bundesverwaltungsgericht auch in dem Beschluss vom 16. Februar 2012 (Az. 1 B 22.11, juris) treu, wenn es ausführt:
"In diesem Zusammenhang verkennt die Beschwerde, dass in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt ist, dass die Ausnahmeregelung in § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG nur strikte Rechtsansprüche auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erfasst, die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben und bei denen alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind (vgl. Urteil vom 16. Dezember 2008 - BVerwG 1 C 37.07 - BVerwGE 132, 382 Rn. 21 ff.). Inwiefern unter diesen Umständen im vorliegenden Verfahren ein weiterer Klärungsbedarf besteht, wird nicht dargelegt. Dessen hätte es jedoch bedurft, nachdem der Kläger zwar die speziellen Erteilungsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG erfüllt, der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen aber nach den - von der Beschwerde nicht beanstandeten - Feststellungen des Berufungsgerichts die bestandskräftige Ausweisung und die daran anknüpfende Titelerteilungssperre des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG entgegensteht. In diesen Fällen kommt zwar die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG in Betracht und gewährt § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG unter bestimmten Voraussetzungen einen Soll-Anspruch. Dies reicht hier für eine Ausnahme von der Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aber - ungeachtet des Vorliegens der speziellen Erteilungsvoraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG und der Frage, ob ein Anspruch aufgrund einer Soll-Regelung überhaupt für eine Ausnahme nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG genügt - nicht aus. Denn der Kläger hat nach den - von der Beschwerde nicht beanstandeten - Feststellungen des Berufungsgerichts aus § 25 Abs. 5 AufenthG schon deshalb keinen gesetzlichen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG, weil er keinen gültigen Pass besitzt. Damit erfüllt er nicht die allgemeine Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG, von der nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG in den Fällen des § 25 Abs. 5 AufenthG nur im Ermessenswege abgesehen werden kann."
Der Senat teilt aber die vom 9. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in der Entscheidung vom 27. Mai 2008 dargelegten Rechtsansichten. Übertragen auf § 10 Abs. 1 AufenthG hat dies zur Folge, dass die Sollvorschrift des § 25 Abs. 3 AufenthG nicht als eine Norm angesehen werden kann, die einen "Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels" begründet. Es kann nämlich wegen des Fehlens einer entsprechenden Regelung bei Absatz 1 davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber bei § 10 Abs. 1 AufenthG Sollvorschriften generell der Sperrwirkung unterstellen wollte, bei § 10 Abs. 3 jedoch mit der Ausnahme des § 25 Abs. 3 AufenthG. Ein solches systematisches Argument bedingt die Annahme, dass sich der Gesetzgeber der Problematik bei der Neufassung des Gesetzes bewusst gewesen ist und die Regelungskomplexe unterschiedlich gestalten wollte. Zwar finden sich in den Gesetzesmaterialien keine diese Feststellung ausdrücklich bestätigenden Hinweise, so dass ein Versehen des Gesetzgebers bzw. eine eher unvollständige Umsetzung von EU-Recht diskutiert wird (vgl. Maier-Borst, ZAR 2013, 67 FN 2). Doch kann auch bei dem Fehlen entsprechender Erläuterungen für die Gesetzesänderung nicht übersehen werden, dass die Nähe der Normen und ihre inhaltliche Verknüpfung markant sind und es daher keine Anhaltspunkte dafür gibt, der Gesetzgeber habe die Regelung versehentlich nur an § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG angefügt.
Die weiter in der Literatur zu der Regelung des Absatzes 3 vertretenen Ansichten, von der Interessenlage her spräche eigentlich kein wesentlicher Grund für einen Ausschluss von "Soll-Ansprüchen" von der Anwendung der Vorschrift (Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Mai 2012, § AufenthG Rdnr. 22, zu Abs. 3 Satz 2) bzw. die Feststellung, ob ein Regelfall vorliege, sei nicht Element der Ermessensausübung (Discher, in: GKAufenthG, a.a.O., § 10 Rdnr. 61) oder ein "Soll" sei in der Regel ein "Muss" und verpflichte die Behörde unmittelbar (Müller, in: Hofmann/Hoffmann, Ausländerrecht, § 10 Rdnr. 5; Dienelt, in: Renner/Bergmann/Dienelt, 10. Aufl. 2013, § 10 AufenthG Rdnr. 14), überzeugen gegen die Auslegung der Norm nach dem Wortlaut und der Systematik nicht. Der Sinn und Zweck einer Regelung ist nur ein schwaches Auslegungskriterium, bei dem Beachtung finden muss, dass keine Vorprägung oder auch eine bestimmte Annahme des Rechtsanwenders, wie die Normanwendung sinnvoll sein könnte, allein in den Mittelpunkt gerückt wird.
Ist mithin der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG von der Ausnahme in § 10 Abs. 1 AufenthG nicht erfasst, steht der Klägerin auch kein Anspruch auf die rückwirkende Ausstellung des Titels über den 4. August 2012 hinaus zu. [...]