VG Gießen

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Zitieren als:
VG Gießen, Urteil vom 24.03.2014 - 3 K 1418/13.GI.A - asyl.net: M22558
https://www.asyl.net/rsdb/M22558
Leitsatz:

Ein Paar, das bereits im Iran eine außereheliche Beziehung geführt hat, muss bei Rückkehr mit unmenschlicher und erniedrigender Bestrafung rechnen.

Schlagwörter: Iran, außereheliche Beziehung, Zwangsehe, Zwangsverheiratung, subsidiärer Schutz, unmenschliche Behandlung, erniedrigende Behandlung, Todesstrafe, Ehebruch,
Normen: AsylVfG § 4,
Auszüge:

[...]

Die zulässige Klage ist begründet. Die Kläger haben einen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG, weil ihnen zur Überzeugung des Gerichts im Falle einer Rückkehr in die Islamische Republik Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit entweder die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe oder aber Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 AsylVfG). Diese Überzeugung des Gerichts ist in den glaubhaften Angaben der Kläger begründet, wonach sie seit geraumer Zeit und obwohl die Klägerin zu 2) im Iran verheiratet ist, eine außereheliche Beziehung zueinander pflegen. Entgegen der Auffassung des Bundesamtes in den angefochtenen Bescheiden ist das Vorbringen der Kläger glaubhaft. Nach dem Eindruck, den das Gericht sich von den Klägern in der mündlichen Verhandlung machen konnte, leben diese nach wie vor in einer gefestigten Beziehung miteinander. Von daher ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass diese Beziehung auch schon vor der Ausreise aus dem Iran bestanden hat, wie die Kläger vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung angegeben haben. Die von dem Einzelentscheider des Bundesamtes für die Unglaubhaftigkeit ins Feld geführten Argumente überzeugen das Gericht nicht. Soweit auf einzelne und kleinere Abweichungen im jeweiligen Sachvortrag abgestellt wird, kann hieraus nicht der Schluss gezogen werden, die Angaben der Kläger seien falsch. Das Gegenteil ist der Fall. Bei kleineren Abweichungen in unbedeutenden Dingen zeigt die Lebenserfahrung, dass hiermit keine erfundene Geschichte verbunden ist, sondern im Gegenteil eher ein reales Erlebnis. Dies gilt umso mehr, wenn es um persönliche Bereiche geht, die von verschiedenen Personen auch verschieden wahrgenommen werden. Auch einzelne Abweichungen hinsichtlich Datenangaben können unschwer damit erklärt werden, dass es sich nicht um wesentliche Angaben gehandelt hat. Entgegen der Auffassung des Bundesamtes in den angefochtenen Bescheiden lässt sich eine Unglaubhaftigkeit des klägerischen Vorbringens auch nicht auf die mit dem vorgetragenen Verhalten im Iran zu erwartende Bestrafung begründen. Denn wenn eine abstrakt drohende Bestrafung innerhalb einer Rechtsordnung zur Folge haben sollte, dass diese Rechtsordnung uneingeschränkt eingehalten wird, so brauchte es auch in der Bundesrepublik Deutschland keinerlei Strafverfolgungsbehörden und keinerlei Strafgerichte. Allein hieran zeigt sich aber, dass eine abstrakte Strafdrohung nicht geeignet ist, Personen von einem Verhalten abzuhalten, welches die jeweils betroffene Rechtsordnung unter Strafe stellt. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als es um persönliche Beziehungen geht, die sich zur Überzeugung des Gerichts rechtsordnend nicht regeln lassen. Persönliche Gefühle und Neigungen bestehen oder bestehen nicht, unabhängig davon, ob dies von der jeweiligen Rechtsordnung gebilligt wird oder nicht. In der mündlichen Verhandlung haben die Kläger ihre Beziehung zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft und nachvollziehbar geschildert, ebenso das Entstehen der Beziehung und deren Zeitdauer seit mehreren Jahren vor der Ausreise.

Aufgrund dieser glaubhaften und überzeugenden Angaben der Kläger steht ihnen ein Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes zu, denn nach den Lageberichten des Auswärtigen Amtes vom 11.02.2014 und vom 08.10.2012 besteht nach dem von den Klägern geschilderten Geschehen die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass im Iran gegen die Kläger entweder die Todesstrafe verhängt oder vollstreckt würde, zumindest aber dass ihnen Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Aus Sicht des iranischen religiösen Strafrechts kann nämlich u.a. Ehebruch mit dem Tod bestraft werden, ebenso wie gegen das Sharia-Recht verstoßende Verhaltensweisen. Dieses Verfolgungsrisiko ist gerichtsbekannt und ergibt sich ohne weiteres auch aus den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten und bereits teilweise zitierten Auskünften, unabhängig davon, ob das von den Klägern geschilderte glaubhafte Verhalten in der Islamischen Republik Iran zur Steinigung zu führen geeignet ist oder ob ihnen dort lediglich "Auspeitschung" mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, denn in beiden Fällen ist der Schutzbereich des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG eröffnet (vgl. zu ähnlichen Fallgestaltungen auch VG Braunschweig, Urteil vom 11.02.2013, 2 A 7/12; VG Stuttgart, Urteil vom 13.09.2012, A 11 K 3918/11; VG Meiningen, Urteil vom 22.08.2012, 5 K 20299/10; VG Hannover, Urteil vom 07.08.2012, 6 A 4646/11 und VG Düsseldorf, Urteil vom 18.05.2010, 2 K 1802/09).

Hinsichtlich der Klägerin sind die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes zudem auch in der glaubhaft vorgetragenen Zwangsverheiratung durch ihren Vater begründet. Die Eheschließung ist urkundlich nachgewiesen und eine Zwangsverheiratung ist als erniedrigende Behandlung zu werten, die im Iran auch dem Staat mangels Schutzwilligkeit zuzurechnen ist, da nach den zitierten Lageberichten der Staat hiergegen nicht effektiv vorgeht. [...]