VG Würzburg

Merkliste
Zitieren als:
VG Würzburg, Urteil vom 01.12.2014 - W 7 K 14.30577 - asyl.net: M22575
https://www.asyl.net/rsdb/M22575
Leitsatz:

Armenische Volkszugehörigte sind in Aserbaidschan öfter Behördenwillkür ausgesetzt als ethnische Aserbaidschaner. Viele Armenier nehmen einen aserbaidschanischen Namen an, um ihre Herkunft zu verschleiern.

Schlagwörter: Aserbaidschan, Sprachgutachten, Sprachanalyse, Armenier, Willkür, Diskriminierung,
Normen: AsylVfG § 3a Abs. 3, AsylVfG § 3b Abs. 1 Nr. 3, AsylVfG § 3 Abs. 4, AsylVfG § 3, AufenthG § 60 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben haben die Kläger eine begründete Furcht vor Verfolgung zur vollen Überzeugung des Gerichts glaubhaft gemacht. Aufgrund der von der Beklagtenseite eingeholten Sprachgutachten vom 28. Dezember 2010, deren Ergebnis auch von der Beklagtenseite nicht angezweifelt wird, steht fest, dass es sich bei den Klägern um armenische Volkszugehörige aus Aserbaidschan handelt. Sie haben in der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert, dass sie aufgrund dieser Volkszugehörigkeit in Aserbaidschan verfolgt wurden. Aus dem neuesten Lagebericht des Auswärtigen Amtes zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Aserbaidschan vom 14. Februar 2014 ergibt sich, dass durchaus Hinweise darauf vorliegen, dass Armenier öfter Behördenwillkür ausgesetzt sind als ethnische Aserbaidschaner, auch wenn ein Nachweis hierfür oft schwierig zu führen ist. Viele Armenier haben nach diesem Bericht jedoch einen aserbaidschanischen Namen angenommen, um ihre Herkunft zu verschleiern. Die Kläger wären bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan schon auf Grund ihrer armenischen Namen als armenische Volkszugehörige zu erkennen.

Im Übrigen haben sie in der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert, dass die Beschlagnahmung ihrer Wohnung in Zusammenhang mit der Weigerung des armenischen Großvaters des Klägers zu 1) stammt, für das aserbaidschanische Fernsehen zu arbeiten. Die von den Klägern glaubhaft wiedergegebenen Äußerungen sowohl der Personen, die den Großvater aufgesucht hatten, als auch der Sicherheitskräfte, die sie aus der Wohnung vertrieben, belegen, dass dies aufgrund der armenischen Volkszugehörigkeit geschah. Auch die körperlichen Misshandlungen bei der Vertreibung aus der Wohnung wurden glaubhaft geschildert. Gleiches gilt für den Besuch der Polizei am 10. Mai 2010 und die Vorladung zur Vernehmung. So haben die Kläger glaubhaft die Äußerungen dieses Polizisten, kein Aserbaidschaner würde einen solchen Brand legen, geschildert. Sie haben damit überzeugend glaubhaft gemacht, aus Furcht vor einer erneuten Verhaftung unmittelbar das Land verlassen zu haben; dies geschah auch in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Vorladung. Es steht damit zur vollen Überzeugung des Gerichts fest, dass die geschilderten Verfolgungshandlungen im Fall der Kläger an die armenische Volkszugehörigkeit anknüpfen (§§ 3a Abs. 3, 3b Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG).

Da die Kläger somit vorverfolgt ausgereist sind, ist dies gemäß Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (RL 2011/95/EU), die die sog. Qualifikationsrichtlinie (RL 2004/83/EG) abgelöst hat, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass der Schutzsuchende tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Schutzsuchende erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Für solche Gründe ist im vorliegenden Fall aber nichts ersichtlich. Insbesondere können die Kläger nicht auf Berg-Karabach als inländische Fluchtalternative verwiesen werden. Zum einen haben die Kläger jahrzehntelang in Aserbaidschan gelebt, so dass sie in Berg-Karabach mit hoher Wahrscheinlichkeit, wie sie selbst vortragen, als Verräter betrachtet würden. Hinzu kommt noch, dass die Kläger auch wegen ihrer Sprache auffallen würden, nachdem sie, wie die Sprachgutachten belegen, besser russisch als armenisch sprechen.

Die Kläger haben daher Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 4 AsylVfG. [...]