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Zitieren als:
BAMF, Bescheid vom 29.07.2014 - 5658182-150 - asyl.net: M22605
https://www.asyl.net/rsdb/M22605
Leitsatz:

Dem Kind einer alleinerziehenden Mutter ohne familiären Rückhalt, die im Kosovo der Minderheit der Roma angehört, droht eine existenzielle Gefährdung, die die in Anbetracht der schlechten humanitären Bedingungen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt.

Schlagwörter: Kosovo, Roma, alleinerziehend, minderjährig, Kind, familiärer Rückhalt, Existenzminimum, erhebliche individuelle Gefahr,
Normen: EMRK Art. 3, AufenthG § 60 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

Eine Abschiebung gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG ist unzulässig, wenn sich dies aus der Anwendung der Konvention vom 04. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt. In Betracht kommt dabei in erster Linie eine Verletzung des Art. 3 EMRK und damit die Prüfung, ob im Fall einer Abschiebung der Betroffene tatsächlich Gefahr liefe, einer dieser absoluten Schutznorm widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden.

Art. 3 EMRK verbietet aufenthaltsbeendende Maßnahmen, wenn im Zielstaat Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Diese Bedrohung kann sowohl von staatlichen Akteuren, als auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen. Allerdings muss nach der Rechtsprechung des EGMR die drohende Misshandlung ein Mindestmaß an Schwere erreichen, die sich aus den Umständen des Einzelfalls und der aktuellen Staatenpraxis ergibt. Hier fordert der EGMR eine gewisse Flexibilität im Umgang mit außergewöhnlichen Fällen.

Darüber hinaus kann nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) eine Verletzung des Art. 3 EMRK ausnahmsweise auch dann in Betracht kommen, wenn der Antragsteller im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland auf so schlechte humanitäre Bedingungen (allgemeine Gefahren) zu treffen, dass die Abschiebung dorthin eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt.

Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse kann danach nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu bewerten sein und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllen (vgl. BVerwG, U. v. 31.01.2013, 10 C 15.12, NVwZ 2013, 1167 ff.; VGH BW, U. v. 24.07.2013, A 11 S 697/13 m.w.N. insbesondere zur einschlägigen EGMR Rechtsprechung).

Die derzeitigen humanitären Bedingungen im Kosovo führen zu der Annahme, dass auf Grund der besonderen Umstände dieses Einzelfalles bei Abschiebung der Antragstellerin eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliegt.

In Anbetracht der nach allgemeiner Quellenlage nicht unproblematischen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse im Kosovo stellt sich das Vorbringen einer fehlenden Existenzgrundlage als Roma und als Kind einer alleinstehenden mehrfachen Mutter, die über keinen familiären Rückhalt im Kosovo verfügt, als mögliche existentielle Gefährdung dar (etwa: Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo vom 29.01.2014, Gz.: 508-516.80/3 KOS). Aufgrund der individuellen Umstände der Antragstellerin ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sich die Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Abschiebung außergewöhnlich erhöht und deswegen ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen ist.

Die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG bilden einen einheitlichen, nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand. Nach Feststellung des Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG erübrigt sich daher die weitere Prüfung. Dies ist Folge des auf Konzentration und Beschleunigung ausgerichteten Asylverfahrens, in dem Doppel-, Mehrfach- und Parallelprüfungen vermieden werden sollen, wenn sie letztlich zu keinem weiter reichenden Schutz führen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2001 DVBl 2001, 1000-1003). [...]