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OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.12.2014 - 11 A 2468/14.A - asyl.net: M22626
https://www.asyl.net/rsdb/M22626
Leitsatz:

Die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung einer Erkrankung an Ebola im Falle einer Abschiebung nach Guinea ist nicht so hoch, dass von einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib und Leben auszugehen ist.

Schlagwörter: Ebola, Guinea, Abschiebungshindernis, extreme Gefahrenlage, erhebliche individuelle Gefahr, allgemeine Gefahr, Epidemie, Ebola-Epidemie, Familienflüchtlingsschutz,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß Satz 2 dieser Bestimmung sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.

Fehlt - wie hier - eine politische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 2 AufenthG (vgl. auch VG Düsseldorf, Urteil vom 10. Oktober 2014 - 13 K 1279/14.A -, juris, Rn. 57) kann der Kläger Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren (vgl. zu § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 3 AufenthG (a. F.) BVerwG, Urteile vom 29. Juni 2010 - 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226 (232), und vom 29. September 2011 - 10 C 24.10 -, Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 41, S. 86 f.).

Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde" (vgl. zu § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 3 AufenthG (a. F.) BVerwG, Urteile vom 29. Juni 2010 - 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226 (233), und vom 8. September 2011 - 10 C 14.10 -, BVerwGE 140, 319 (329 f.)).

Von diesen Grundsätzen ausgehend droht dem Kläger bei einer Rückkehr nach Guinea wegen der der dort vorhandenen Ebola-Epidemie nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben, so dass er im Sinne der vorzitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen" ausgeliefert wäre.

Zwar ist Guinea neben Sierra Leone und Liberia eines der Hauptausbreitungsgebiete des Ebola-Virus in Westafrika. Nach allgemein zugänglichen Erkenntnissen, insbesondere der Weltgesundheitsorganisation - World Health Organization (WHO) -, sind in Guinea bis Dezember 2014 in 2.292 Fällen Erkrankungen an diesem Virus und 1.428 Tote registriert worden, wobei seit Oktober 2014 eine leicht steigende Tendenz beobachtet und die Gefahr, nach einer Infizierung an dem Virus zu sterben, mit einer Wahrscheinlichkeit zwischen 61 und 76 % bewertet wird (WHO, Ebola Risponse Roadmap - Situation Report, 10. Dezember 2014, www.who.int/cos/disease/ebo-la/situation-reports).

Wenngleich eine rein quantitative oder statistische Betrachtung nicht allein maßgeblich ist, zeigt sich aber bereits bei einem Vergleich der an Ebola Erkrankten oder hieran Verstorbenen mit der Einwohnerzahl von Guinea von rund 10,9 Millionen Einwohnern - rund 2,5 Millionen Guineer allein wohnen in der Hauptstadt Conacry - (vgl. Auswärtiges Amt, Länderinformationen Guinea, www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinformationen) dass die Ansteckungsgefahr in Guinea im Verhältnis zur Gesamteinwohnerzahl im Promillebereich liegt. Diese Feststellung gilt auch dann, wenn man unterstellt, dass die Dunkelziffer der am Ebola-Virus Erkrankten bzw. Verstorbenen höher liegt, als die von der Weltgesundheitsorganisation berichteten Fallzahlen, und die Zahl der Infizierten oder Getöteten möglicherweise doppelt und im Extremfall viermal so hoch ist (vgl. Süddeutsche Zeitung vom 12. Dezember 2014, Ebola wütet weiter).

Zudem ist die Ansteckungsgefahr mit dem Ebola-Virus nur bei einem direkten Kontakt gegeben. Die Übertragung von Mensch zu Mensch erfolgt nur durch den Kontakt mit dem Blut, Sekreten oder sonstigen Körperflüssigkeiten Erkrankter oder Verstorbener. Ein Ansteckungsrisiko besteht daher insbesondere für die lokale Bevölkerung mit sehr engem Kontakt zu symptomatisch Erkrankten oder an Ebola Verstorbenen bei Beerdigungen. Unbeschadet der Warnhinweise des Auswärtigen Amtes vor Reisen nach Guinea wird das Übertragungsrisiko ohne solchen engen Kontakt zu Erkrankten oder Verstorbenen als sehr gering eingeschätzt (vgl. WHO, Media centre - Ebola virus disease, Fact sheet No 103, updated September 2014, www.who.int/mediacentre/factsheets/fs103/en; Auswärtiges Amt, Guinea: Reise- und Sicherheitshinweise, www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen). [...]