VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.05.2002 - A 13 S 1068/01 - asyl.net: M2263
https://www.asyl.net/rsdb/M2263
Leitsatz:

Familienasyl für Kinder unabhängig von Staatsangehörigkeit.

 

Schlagwörter: Familienasyl, Kinder, Staatsangehörigkeit
Normen: AsylVfG § 26 Abs. 2
Auszüge:

Familienasyl für Kinder unabhängig von Staatsangehörigkeit.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...] Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass im Falle der Klägerin die Voraussetzungen für die Gewährung des sogenannten Familienasyls nach § 26 Abs. 2 AsylVfG erfüllt sind. [...]

Dem Wortlaut des § 26 Abs. 2 AsylVfG sind die Vorschriften für die Gewährung des Familienasyls für Kinder erfüllt. [...]

Weitere Voraussetzungen für die Zuerkennung des Familienasyls an Kinder sind § 26 Abs. 2 AsylVfG nicht zu entnehmen. Dass nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift, deren Satz 1 die entsprechende Geltung von § 26 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 AsylVfG anordnet, nichts dafür spricht, dass das Kind dieselbe Staatsangehörigkeit wie der stammberechtigte Elternteil besitzen muss, stellt auch die Beklagte nicht in Frage. Im übrigen folgt auch beim Ehegatten-Asyl aus der Formulierung in § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG, in welcher allein auf den Verfolgerstaat des Asylberechtigten [Herv. im Orig., d. Red.] (also des stammberechtigten Ehegatten) abgestellt wird, dass der Familienasyl begehrende Ehegatte nicht dieselbe Staatsangehörigkeit besitzen muss wie der originär Asylberechtigte (vgl. Hailbronner, AuslR, § 26 AsylVfG RdNr. 21; Renner, AsylR, 7. Aufl., § 26 AsylVfG RnNr. 12; Marx, AsylVfG, 4. Aufl., § 26 RdNr. 15 und Koisser/Nicolaus, ZAR 1991, 33f.). Die Beklagte meint nun aber, dass nach Sinn und Zweck der Regelung des Familienasyls in § 26 AsylVfG dann eine einschränkende Auslegung des § 26 Abs. 2 AsylVfG geboten sei, wenn das Kind – wie die Klägerin – nicht die Staatsangehörigkeit des als asylberechtigt anerkannten Elternteils und damit nicht die Staatsangehörigkeit des Verfolgerstaates des Stammberechtigten besitzt. In solchen Fällen sei für die Zuerkennung von Familienasyl an ein minderjähriges lediges Kind erforderlich, dass ein Nähe zum Verfolgungsgeschehen bezüglich des Stammberechtigten bestanden habe, die nur bejaht werden könne, wenn das Kind im Verfolgerstaat bereits mit dem als asylberechtigt anerkannten Elternteil zusammengelebt habe.

Dieser Argumentation vermag der Senat nicht zu folgen. Denn nach der ausdrücklichen Regelung in § 26 AsylVfG wird lediglich beim Ehegatten-Asyl eine Nähe zum Verfolgungsschicksal des Stammberechtigten gefordert, indem § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG verlangt, dass die Ehe (gemeint ist eine eheliche Lebensgemeinschaft; vgl. BVerwG, Urteil vom 15.2.1992, EZAR 215 Nr. 5) bereits im Verfolgerstaat bestanden hat. Soweit es um die Zuerkennung von Familienasyl an minderjährige Kinder geht, hat der Gesetzgeber aber gerade § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG nicht für anwendbar erklärt. Dies entspricht der Regelungslogik des § 26 Abs. 2 AsylVfG, der einen Anspruch auf Familienasyl sowohl für im Ausland als auch für im Inland geborene Kinder (vgl. insbesondere § 26 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG) begründet. Deshalb verweist § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG nicht auf § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG. Das Kindschaftsverhältnis muss daher nicht wie die eheliche Lebensgemeinschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.5.1997, NVwZ 1997, 1137, 1138 [...]). Dies bedeutet zugleich, dass die Kinder eines Asylberechtigten – anders als der Ehegatte – nicht dessen Fluchtschicksal geteilt haben müssen, weshalb auch die beim Ehegatten geforderte Nähe zum Verfolgungsschicksal des Stammberechtigten nicht verlangt werden kann. Der Sache nach macht die Beklagte geltend, dass in Fällen der vorliegenden Art, in denen das Kind nicht die Staatsangehörigkeit des stammberechtigten Elternteils besitzt, § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG analog anzuwenden sei. Für eine solche Analogie ist jedoch kein Raum, da es an einer entsprechenden Regelungslücke fehlt. Vielmehr hat der Gesetzgeber in § 26 Abs. 2 AsylVfG für die Gewährung von Familienasyl an minderjährige Kinder bewusst auf das Merkmal der Nähe zum Verfolgungsschicksal des asylberechtigten Elternteils verzichtet (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.5.1997 a.a.O.). Auch kann entgegen der Auffassung der Beklagten der Verweisung in § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG auf eine entsprechende Geltung der in § 26 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG für Ehegatten getroffenen Regelung nicht entnommen werden, dass ein Kind, das die Staatsangehörigkeit des stammberechtigten Elternteils nicht besitzt, bereits im Verfolgerstaat mit diesem Elternteil zusammengelebt haben muss. Denn § 26 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG stellt lediglich Anforderungen an den Zeitpunkt der Antragstellung, die für die Zuerkennung von Familienasyl an Kinder entsprechend gelten sollen. Soweit – wie hier – das Kind nach der Anerkennung des stammberechtigten Elternteils im Bundesgebiet geboren ist, gilt ohnehin die speziellere Regelung des § 26 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.5.1997 a.a.O.). [...]