VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Beschluss vom 02.02.2015 - 13 L 2852/14.A - asyl.net: M22654
https://www.asyl.net/rsdb/M22654
Leitsatz:

Es bestehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass Dublin-Rückkehrer in Malta einem hohen Risiko längerfristiger Inhaftierung ohne hinreichende Rechtsschutzmöglichkeiten ausgesetzt sind.

Schlagwörter: Dublinverfahren, Malta, Inhaftierung, unmenschliche Behandlung, erniedrigende Behandlung, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Aufnahmebedingungen, Dublin-Rückkehrer,
Normen: AsylVfG § 34a, AsylVfG § 34a Abs. 1, EMRK Art. 3, GR-Charta Art. 4,
Auszüge:

[...]

Auf der Grundlage der der Kammer vorliegenden sowie sonstiger veröffentlichter und leicht zugänglicher Erkenntnisse ergeben sich bei der im vorläufigen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung Anhaltspunkte für mit europäischem Recht nicht in Einklang stehende Aufnahmebedingungen in Malta, die weiterer – dem Hauptsacheverfahren vorbehaltener – Aufklärung bedürfen.

Dabei geht das Gericht bei der Bewertung der aktuellen Erkenntnismittel von den sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergebenden Maßstäben für eine Verletzung von Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 EU-GR-Charta aus.

Sowohl Artikel 3 EMRK als auch Artikel 4 EU-GR-Charta verbieten eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung. Eine Behandlung ist "unmenschlich", wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht hat. "Erniedrigend" ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, geeignet, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen. Es kann ausreichen, dass ein Opfer in seinen Augen erniedrigt ist, auch wenn andere das nicht so sehen. Ob Zweck der Behandlung war, das Opfer zu erniedrigen oder zu demütigen, ist zu berücksichtigen, aber auch wenn das nicht gewollt war, schließt das die Feststellung einer Verletzung von Artikel 3 EMRK nicht zwingend aus (EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413, Rn. 220 m.w.N.).

Die Inhaftierung einer Person begründet als solche keine Verletzung des Artikels 3 EMRK. Indes verpflichtet Artikel 3 EMRK die Mitgliedstaaten, sich zu vergewissern, dass die Bedingungen der Haft mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid oder Härten unterwirft, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden übersteigt, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Bedürfnisse der Haft angemessen sichergestellt sind (vgl. EGMR, Urteile vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, juris, Rn 221, und 15. Juli 2002 – 47095/99 –, Rn. 95).

Die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (AufnahmeRL), enthält für die Inhaftierung von Asylbewerbern Mindeststandards. Haft darf danach nicht allein deswegen angeordnet werden, weil der Betroffene einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt hat, sondern nur in Ausnahmefällen, insbesondere zur Überprüfung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit, bei Fluchtgefahr im Falle notwendiger Beweissicherung, zur Prüfung des Einreiserechts, zur Durch- oder Fortführung eines Abschiebeverfahrens, wenn die Gefahr der Verzögerung oder der Vereitelung durch den Betroffenen besteht und bei Gefahr für die nationale Sicherheit und Ordnung (Artikel 8 Absatz 1 und 3 AufnahmeRL). Die Inhaftierung darf nur für den kürzest möglichen Zeitraum und nur so lange, wie die Gründe gemäß Artikel 8 Absatz 3 bestehen, angeordnet werden (Artikel 9 Absatz 1 Satz 1 AufnahmeRL). Die Haftanordnung ist zu begründen (Artikel 9 Absatz 2 AufnahmeRL); bei einer Anordnung durch eine Verwaltungsbehörde ist eine zügige Überprüfung durch ein Gericht herbeizuführen (Artikel 9 Absatz 3 AufnahmeRL). In diesem Fall soll dem Betroffenen unentgeltlicher Rechtsbeistand zur Verfügung stehen (Artikel 9 Absatz 6 AufnahmeRL). Auch im Übrigen ist eine turnusmäßige Haftüberprüfung von Amts wegen vorzusehen (Artikel 9 Absatz 5 AufnahmeRL). Die Schutzsuchenden sind in speziellen Hafteinrichtungen unterzubringen, auf jeden Fall aber getrennt von gewöhnlichen Strafgefangenen (Artikel 10 Absatz 1 AufnahmeRL). Die Inhaftierung von besonders schutzbedürftigen Personen ist nur im Ausnahmefall und unter weiteren sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig (Artikel 11 AufnahmeRL).

Gemessen hieran liegen nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln erhebliche Anhaltpunkte dafür vor, dass jedenfalls die Haftpraxis Maltas Asylbewerbern gegenüber nicht im Einklang mit internationalem und europäischem Recht steht (zu der zusätzlichen Annahme unzureichender Haftbedingungen vgl. Verwaltungsgericht Karlsruhe, Beschluss vom 8. Oktober 2014 – A 8 K 345/14 –, juris, Rn. 11; Verwaltungsgericht Oldenburg (Oldenburg), Beschluss vom 23. Juli 2014 – 12 B 1217/14 –, juris, Rn. 27 m.w.N.).

Zu der Inhaftierungspraxis Maltas lassen sich derzeit folgende – vorläufige – Feststellungen treffen:

Ausweislich verschiedener dem Gericht vorliegender Auskünfte werden in Malta Flüchtlinge, die in aller Regel ohne die erforderlichen Papiere irregulär und damit illegal einreisen, systematisch und routinemäßig inhaftiert. Rechtsgrundlage hierfür sei das Migrationsgesetz Maltas (Immigration Act, Chapter 217 of the Laws of Malta, im Folgenden: "Immigration Act"), welches nicht zwischen Migranten und Flüchtlingen, die um internationalen Schutz nachsuchen, bzw. Asylbewerbern unterscheide. Danach gölten alle irregulär Eingereisten ("prohibited immigrant" i.S.v. Artikel 5 Immigration Act) als Personen ohne Einreise- bzw. Aufenthaltsbefugnis. Ihnen gegenüber ergehe auf der weiteren Grundlage der Verwaltungsvorschrift "Policy Documents 2005" eine Zugangsverweigerungs- oder Ausweisungsverfügung mit Haftanordnung von unbestimmter Dauer (vgl. Artikel 14 Absatz 2 Immigration Act). Anders sehe es nur – bei einem kleinen Prozentsatz – der Ausländer aus, die Asyl beantragen, bevor sie von der Ausländerbehörde wegen illegaler Einreise bzw. illegalem Aufenthalt festgenommen werden. Insoweit werde von einer Inhaftierung bis zum Vorliegen der Entscheidung über ihren Asylantrag abgesehen. Die Praxis routinemäßiger Inhaftierung treffe (zunächst) auch die Gruppe von Schutzsuchenden mit besonderem Bedürfnissen ("Verletzliche") wie unbegleitete Minderjährige, Schwangere, Familien mit (minderjährigen) Kindern, Menschen mit Behinderungen etc., so lange, bis das Verfahren zur Anerkennung ihrer Verletzlichkeit abgeschlossen sei, was je nach Erkennbarkeit dieses Umstandes kürzer oder länger dauern könne. Dabei würden diejenigen Betroffenen, deren besonderer Status nicht ohne Weiteres erkennbar sei, wie unter Umständen psychisch Kranke oder ältere Minderjährige zunächst zusammen mit Flüchtlingen ohne besondere Bedürfnisse untergebracht. Das Migrationsgesetz enthalte keine Bestimmung zur maximalen Haftdauer. Sei über einen Asylantrag innerhalb eines Jahres noch nicht entschieden, erfolge die Freilassung des Antragstellers aufgrund einer Verwaltungsbestimmung, die dem Betroffenen den Zugang zum Arbeitsmarkt nach zwölf Monaten zuerkenne. Abschiebehaft sei ebenfalls auf der Grundlage von Verwaltungsvorschriften auf maximal 18 Monate begrenzt (vgl. AIDA, Asylum Information Database, "National Country Report Malta" vom Mai 2014, S. 49 f.; Gemeinsame Publikation UNHCRs und des Europäischen Parlaments "know the facts" vom 9. April 2014, S. 8; Global Detention Project "Immigration Detention in Malta" vom Januar 2014, S. 4 ff.; UNHCR "UNHCR`s Position on the Detention of Asylum-seekers in Malta" vom 18. September 2013; Jesuits Refugee Service Europe (JRS) "Protection Interrupted, National Report Malta" vom Juni 2013 S. 5 ff.).

Zudem deuten die dem Gericht vorliegenden Auskünfte darauf hin, dass die bestehenden gesetzlichen und administrativen Regelungen keine effektiven und zügig durchgeführten Verfahren zur Überprüfung der Gesetzmäßigkeit und Angemessenheit der Inhaftierung bieten. Das maltesische Recht sehe keine automatische gerichtliche Überprüfung der Haft vor. Gemäß Artikel 25A Immigration Act bestehe lediglich die Möglichkeit, Beschwerde gegen die Abschiebungsanordnung einzulegen. Eine solche ist binnen 3 Tagen seit der Ausstellung der Abschiebungsanordnung bei der Beschwerdeinstanz, bestehend aus einem Anwalt, einer in Einwanderungsfragen versierten Person und einer dritten Person, einzulegen. In der Praxis gebe es keine Frist, innerhalb derer über die Beschwerde zu entscheiden sei. Entscheidungen hätten bis zu dreieinhalb Monaten gedauert und es werde nur in Ausnahmefällen die Haftanordnung aufgehoben. Daneben bestehe gemäß Artikel 409A des maltesischen Strafgesetzbuchs ("Criminal Code" von 1854, Chapter 9 of Laws of Malta) die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung vor dem Amtsgericht ("Court of Magistrates") anzufechten. Aber auch dieser Rechtsbehelf sei wenig effektiv, weil das Gericht davon ausgehe, dass die Inhaftierung auf Grundlage des Immigration Act rechtmäßig sei. Nach Auffassung des Gerichts sei eine weitergehende Überprüfung hinsichtlich anderer Umstände (wie zum Beispiel die Grundrechte), die zur Rechtswidrigkeit der Inhaftierung führten, nicht vom Prüfungsumfang erfasst. Schließlich könne die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung auch im Hinblick auf Artikel 34 der maltesischen Verfassung angefochten werden. Allerdings werde die Inhaftierung für erforderlich gehalten, um die Stabilität des Landes zu gewährleisten. Gerichtsverfahren dieser Art würde Monate, wenn nicht Jahre, dauern. Hinzu komme, dass Asylsuchende von den bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten nicht hinreichend informiert seien und kein ausreichender Zugang zu Rechtsanwälten bestünde (AIDA, Asylum Information Database, “National Country Report Malta” vom Mai 2014, S. 55 ff.; Global Detention Project "Immigration Detention in Malta" vom Januar 2014, S. 7; UNHCR "UNHCR`s Position on the Detention of Asylum-seekers in Malta" vom 18. September 2013; Jesuits Refugee Service Europe (JRS) "Protection Interrupted, National Report Malta" vom Juni 2013, S. 5 f.; Vgl. EGMR, Urteil vom 9. Dezember 2013 – 55352/12 –, Rn. 108 m.w.N.).

Zu der speziellen – und vorliegend allein maßgeblichen – Situation von Dublin- Rückkehreren liegen dem Gericht lediglich folgende vorläufige Erkenntnisse vor:

Verlasse ein Asylsuchender Malta ohne eine entsprechende Genehmigung, gebe es Schwierigkeiten nach der Rücküberstellung Zugang zum Asylverfahren zu erhalten. Denn der in Malta gestellte Asylantrag gelte infolge der Ausreise als stillschweigend zurückgenommen. Zwar bestehe für Dublin-Rückkehrer die Möglichkeit, die Wiedereröffnung ihres Verfahrens zu beantragen (Folgeantrag). Während der – zum Teil mehrere Monate dauernden – Überprüfung des Folgeantrags durch die zuständige Flüchtlingskommission könnten die Antragsteller indes in ihren Heimatstaat abgeschoben werden. Hinzukomme, dass Asylbewerber, die auf irreguläre Weise Malta verlassen, Gefahr liefen, auf der Grundlage des Zuwanderungsgesetzes verhaftet und vor dem Strafgericht angeklagt zu werden. Während der Dauer des Strafverfahrens blieben die Asylbewerber in der Justizvollzugsanstalt inhaftiert (vgl. AIDA, Asylum Information Database, “National Country Report Malta” vom Mai 2014, S. 21 f.).

Dahingestellt bleiben kann, ob und inwieweit die strafrechtliche Inhaftierung aufgrund einer illegalen Ausreise aus Malta die Annahme von systemischen Mängeln des Asylverfahrens zu begründen vermag bzw. inwieweit Dublin-Rückkehrer stattdessen infolge der Versetzung in den Stand vor ihrer Ausreise wegen illegaler Einreise inhaftiert werden (vgl. insoweit VG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Oktober 2014 – A 8 K 345/14 –, juris, Rn. 11).

Jedenfalls bestehen hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, dass Dublin-Rückkehrer nach ihrer Ankunft in Malta grundsätzlich einem hohen Risiko längerfristiger Inhaftierung ohne hinreichende Rechtsschutzmöglichkeiten und der Gefahr entgegen des Refoulement-Verbots in ihr Herkunftsland, ohne eine Entscheidung über ihren Asyl(folge)antrag, abgeschoben zu werden, ausgesetzt sind. Vorbehaltlich der Bestätigung und Konkretisierung dieser Erkenntnisse im Hauptsacheverfahren ist daher jedenfalls im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes davon auszugehen, dass eine solche Behandlung von Asylbewerbern, mit der sie der Willkür der zuständigen Behörden ausgesetzt werden und letztlich zum reinen Objekt staatlichen Handelns herabgewürdigt werden, die für eine Verletzung von Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 EU-GR-Charta erforderliche Schwere aufweisen dürfte, sodass es jedenfalls im vorliegenden Eilverfahren nicht mehr darauf ankommt, ob auch die konkreten Haftbedingungen selbst inhaftierten Asylbewerbern weiteren Leiden und Härten unterwerfen, die das mit einer Haft unvermeidbare Maß übersteigen. [...]