1. Die Frist des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG i. V. m. § 51 Abs. 3 VwVfG beginnt bei einem Folgeantrag in einer Situation, in der während des anhängigen Antrags auf Zulassung der Berufung eine Änderung der Sachlage eintritt bzw. neue Beweismittel vorliegen, erst nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung des früheren Asylantrags zu laufen.
2. Exilpolitische Aktivitäten, die bis zum Abschluss des Rechtsmittelverfahrens im Asylerstverfahren unternommen werden, fallen nicht unter den Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung nach § 28 Abs. 2 AsylVfG.
3. Eine verfolgungsrelevante Rückkehrgefährdung hinsichtlich der Türkei kann bei Personen bestehen, bei denen Besonderheiten vorliegen, etwa weil sie in das Fahndungsregister eingetragen sind, gegen sie Ermittlungs- oder Strafverfahren anhängig sind oder sie sich in besonders exponierter Weise exilpolitisch betätigt haben und deshalb in das Visier der türkischen Sicherheitsbehörden geraten sind (Fortschreibung der Rechtsprechung des Senats, SächsOVG, Urt. v. 22. März 2012 - A 3 A 428/11 - juris und zuletzt: SächsOVG, Urt. v. 16. Oktober 2014 - A 3 A 253/13 -, juris).
(Amtliche Leitsätze)
[...]
Der Senat hat unter Auswertung der seinerzeitigen Erkenntnismittellage und der obergerichtlichen Rechtsprechung in einem Grundsatzurteil (Urt. v. 22. März 2012 - A 3 A 428/11-, juris Rn. 26 f. m. w. N.) ausgeführt, dass eine verfolgungsrelevante Rückkehrgefährdung bei Personen bestehen kann, bei denen Besonderheiten vorliegen, etwa weil sie in das Fahndungsregister eingetragen sind, gegen sie Ermittlungs- oder Strafverfahren anhängig sind oder sie sich in besonders exponierter Weise exilpolitisch betätigt haben und deshalb in das Visier der türkischen Sicherheitsbehörden geraten, weil sie als potenzielle Unterstützer etwa der PKK oder anderer als terroristischer Organisationen angesehen werden. Bei der Einreise in die Türkei hat sich jedermann, gleich welcher Volkszugehörigkeit, einer Personenkontrolle zu unterziehen. Abgelehnte Asylbewerber müssen dabei an der Grenze, insbesondere auf den Flughäfen in Istanbul und Ankara, mit Polizeihaft rechnen, während der überprüft wird, ob sie sich politisch gegen den türkischen Staat betätigt haben oder ob sie zumindest Informationen über politische Organisationen im Ausland geben können. Hierbei haben sie aber, soweit in ihrer Person keine Besonderheiten vorliegen, nicht mit asylrelevanter Verfolgung zu rechnen. Dass exilpolitische Aktivitäten ein beachtlich wahrscheinliches Verfolgungsrisiko im Allgemeinen u. a. nur dann begründen, wenn sich der Betreffende politisch exponiert hat und die Aktivitäten nach türkischen Strafrecht strafbar sein können, hat der Senat mit Urteil vom 12. September 2013 (- A 3 A 845/11 -, juris Rn. 31 ff.) und zuletzt mit Urteil vom 16. Oktober 2014 (- A 3 A 253/13 -, juris) unter Einbeziehung der jeweils aktuellen Erkenntnismittel und Rechtsprechung bestätigt. Die aktuelle Erkenntnislage gibt keinen Anlass, diese Einschätzung zu korrigieren. Sie entspricht im Übrigen auch der einheitlichen Rechtsprechung anderer Obergerichte (VGH BW, Urt. v. 27. August 2013 - A 12 S 561/13 -, juris Rn. 78; OVG NRW, Urt. v. 2. Juli 2013 - 8 A 2632/06 -, juris; OVG M-V, Urt. v. 21. August 2012 -, Asylmagazin 2012, 386; BayVGH, Urt. v. 27. April 2012, Asylmagazin 2012, 394; OVG Schl.-H., Urt. v. 1. Dezember 2011 - 4 LB 8 /11 -, juris; OVG Saarland, Urt. v. 25. August 2011 - 3 A 24/10 und 3 A 35/10 - juris; NdsOVG, Urt. v. 11. August 2010, AuAS 2010, 236).
Eine verfolgungsrelevante Rückkehrgefährdung besteht beim Kläger danach nicht. Nach ihm wird in der Türkei nicht gefahndet. Es sind keine Ermittlungs- oder Strafverfahren gegen ihn anhängig und er hat sich - worin dem Verwaltungsgericht zuzustimmen ist - auch nicht in besonders exponierter Weise exilpolitisch betätigt. Daher kann nicht angenommen werden, dass er in das Visier der türkischen Sicherheitsbehörden geraten ist.
Die Tatsache, dass die Jahreshauptversammlung des Kurdischen Kulturzentrums, das aus Sicht der türkischen Sicherheitskräfte ein der PKK zuzuordnender Verein sein soll, am 17. April 2005 wegen einer Razzia abgebrochen werden musste und er sowie alle anwesenden Mitglieder von der Polizei mitgenommen worden sind, begründet für den Kläger keine beachtliche Gefahr, im Falle seiner Rückkehr Verfolgungshandlungen ausgesetzt zu werden. Zwar hat der Kläger durch Vorlage entsprechender Ausschnitte aus der türkischen Presse nachgewiesen, dass dort über die Durchsuchungsmaßnahme und die Mitnahme von Personen durch die Polizei berichtet wurde. Gleichwohl kann nicht davon ausgegangen werden, dass den türkischen Sicherheitskräften die Beteiligung des Klägers oder dessen Mitnahme durch die Polizei namentlich bekannt geworden ist. Denn die Berichte in türkischen Medien erfolgten ohne Namensnennung. Auf eine entsprechende Nachfrage hat das Landeskriminalamt Sachsen dem Senat mit Schreiben vom 18. November 2014 mitgeteilt, dass über die gegen den Kläger eingeleiteten Ermittlungsverfahren weder vom Landeskriminalamt Sachsen noch durch das Landesamt für Verfassungsschutz Informationen an türkische Behörden weitergeleitet worden seien. Mit Schreiben vom 18. November 2014 hat die Staatsanwaltschaft Dresden dem Senat mitgeteilt, es gebe eine generelle Anordnung des zuständigen Abteilungsleiters der Staatsanwaltschaft, keine entsprechende Informationen an türkische Behörden zu übermitteln. Auch ist nicht zu besorgen, dass die Beteiligung des Klägers den türkischen Sicherheitskräften durch die im Zuge der Ermittlungen gegen den Kläger eingeleiteten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungs- und Strafverfahren 205 Js 34290/08 sowie 205 Js 21393/06 wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz bekannt geworden ist. Denn das Verfahren 205 Js 34290/08 wurde durch Verfügung der Staatsanwaltschaft Dresden vom 11. August 2008 eingestellt und das Verfahren 205 Js 34290/08, das zur Anklage vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts Dresden führte, wurde dort gemäß § 153a Abs. 2 StPO eingestellt (LG Dresden, Beschl. v. 2. Juni 2009 - 14 KLs 205 Js 21393/06 -), bevor öffentlich verhandelt wurde. Vor diesem Hintergrund kann hier offen bleiben, ob die dem Kläger vorgeworfene Unterstützungshandlung, nämlich einem Raumverantwortlichen der PKK einen Mobilfunkanschluss zu Verfügung gestellt zu haben soll, für sich genommen Anlass zur Besorgnis gibt, er könnte ins Visier der türkischen Sicherheitskräfte geraten sein, etwa weil er sich damit nach türkischen Recht strafbar gemacht hat. Aufgrund der vom Senat eingeholten Auskünfte gibt es jedenfalls keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass den türkischen Sicherheitskräften diese Unterstützungshandlung bekannt geworden sein könnte.
Dass der Kläger am 27. November 2005 als Beisitzer in den Vorstand des Kurdischen Kulturzentrums gewählt wurde, rechtfertigt keine andere Betrachtungsweise. Im Unterschied etwa zu Raum- oder Gebietsverantwortlichen der PKK handelt es sich hierbei nicht um ein besonders exponiertes Amt oder eine bedeutende Funktion, für die sich türkische Sicherheitskräfte interessieren könnten, zumal der Kläger auch nicht zum Vorsitzenden, sondern nur zum Beisitzer gewählt worden ist. Dies gilt umso mehr, als sich in Dresden - verglichen mit Großstädten in anderen Bundesländern - bislang nur eine verhältnismäßig kleine kurdische Gemeinde angesiedelt hat, und die Bedeutung des Kurdischen Kulturzentrums für die exilkurdische Bewegung in der Bundesrepublik Deutschland daher eher als gering einzuschätzen sein dürfte. Im Übrigen ist auch hier nicht davon auszugehen, dass seine Wahl in den Vorstand den türkischen Sicherheitskräften bekannt geworden ist, da das Eintragungsersuchen zum Vorstandswechsel vom Amtsgericht Dresden (Beschl. v. 12. September 2006 - VR 4381 -) abgelehnt und somit sein Name nicht in das Vereinsregister eingetragen und seine Funktion mithin nicht öffentlich worden ist.
Auch macht es den Kläger nicht zu einem in exponierter Weise politisch tätigen Exilkurden, dass er in seiner Eigenschaft als Vorstandsmitglied oder - nach Einstellung der Vereinsaktivitäten im Jahr 2008 - als bloßes Vereinsmitglied bis in die jüngste Zeit für in Dresden lebende Kurden Busfahrten zu exilkurdischen Demonstrationen organisiert hat, er bei Demonstrationen als Ordner aufgetreten ist oder er zum Skandieren von türkeikritischen Parolen aufgerufen hat. Entsprechendes gilt, soweit er sich schließlich darauf berufen hat, auf einem Treffen von Exilkurden in Halle im Jahr 2011, bei der es um die Organisation der kurdischen Vereine in der Bundesrepublik Deutschland gegangen sein soll, eine Rede gehalten zu haben. Dass er dort die Neugründung eines Kurdischen Kulturzentrums in Dresden angekündigt hat, nachdem entsprechende Räume gefunden worden seien, dürfte nach den vorstehenden Ausführungen kein besonderes Interesse der türkischen Sicherheitsbehörden geweckt haben.
Bei der Bewertung der exilpolitischen Tätigkeit des Klägers ist auch in den Blick zu nehmen, dass sich der Kläger vor seiner Ausreise nicht politisch betätigt hatte und er den türkischen Behörden auch nicht einschlägig aufgefallen, sondern vielmehr unauffällig war. Vor diesem Hintergrund ist zu vermuten, dass die türkischen Sicherheitsbehörden das exilpolitische Engagement eher als seinen Versuch deuten werden, in der Bundesrepublik Deutschland ein Bleiberecht zu erhalten, als dass sie in ihm einen gefährlichen PKK-Mann sehen werden.
4. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf internationalen subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylVfG. Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylVfG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG). Da der Senat nach den vorstehenden Ausführungen davon ausgeht, dass sich die türkischen Sicherheitsbehörden für den Kläger nicht besonders interessieren, liegen die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes in Form der allein in Betracht kommenden Alternativen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 AsylVfG nicht vor.
5. Er hat schließlich auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Der Verweis auf Abschiebungsverbote, die sich aus der Anwendung der EMRK ergeben, umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in welchem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht (vgl. BVerwG, Urt. v. 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, juris Rn. 36). Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sind Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Fehlt - wie hier - eine politische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, kann der Kläger Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren (vgl. BVerwG, Urt. v. 29. Juni 2010, BVerwGE 137, 226 [232], und v. 29. September 2011, Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 41, S. 86 f.). Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, droht dem Kläger wegen dessen exilpolitischer Aktivitäten im Falle seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit weder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK, noch besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass er einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Soweit sich der Kläger des Weiteren darauf beruft, dass sich sein Heimatdorf in unmittelbarer Nachbarschaft zu Kobane befinde und dass er durch familiären Druck gezwungen wäre, sich seinen Verwandten im Kampf gegen den Islamischen Staat anzuschließen, rechtfertigt dies keine andere Betrachtung, da der Druck nicht von staatlichen Stellen ausgeht. Im Übrigen kann der Kläger, um nicht in den Kampf gegen den Islamischen Staat verwickelt zu werden, vorübergehend auch in andere Gebiete der Türkischen Republik ausweichen. [...]