OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Beschluss vom 06.05.2002 - 4 Bs 74/02 - asyl.net: M2268
https://www.asyl.net/rsdb/M2268
Leitsatz:

Es bestehen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken dagegen, dass nach § 21 Abs. 1 Satz 1 ebenso wie nach § 31 Abs. 2 Satz 1 AuslG einem im Bundesgebiet geborenen Kind eine Aufenthaltserlaubnis bzw. eine Aufenthaltsbefugnis (nur) erteilt wird, wenn die Mutter (als der weibliche Elternteil) eine entsprechende Aufenthaltsgenehmigung besitzt, dagegen der Vater (als der männliche Elternteil) seinem Kind ein - seinem Status entsprechendes - Aufenthaltsrecht nicht vermitteln kann. Diese Schlechterstellung des Vater-Kind-Verhältnisses dürfte gegen Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 GG verstoßen (ebenso OVG Hamburg, Beschl. v. 13.10.1999 - 3 Bf 644/99 -; Beschl. v. 25.1.2000 - 4 Bf 322/99 -; VGH Mannheim, Beschl. v. 29.1.2001, NVwZ-RR 2001 S. 605).(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: D (A), Ausländer, Kind, in Deutschland geborene Kinder, Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltsbefugnis, Eltern, Aufenthaltsstatus
Normen: AuslG § 21 Abs. 1 S. 1; AuslG § 31 Abs. 2 S. 1
Auszüge:

 

Das Beschwerdegericht hat in mehreren Entscheidungen ausgeführt, dass an der - mit Ausnahme der Art der dort genannten Aufenthaltsgenehmigung (§ 5 Nr. 1 AuslG) - inhaltsgleichen Vorschrift des § 21 Abs. 1 Satz 1 AuslG erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, soweit auch nach dieser Norm dem im Bundesgebiet geborenen Kind eine Aufenthaltsgenehmigung (in der Form der Aufenthaltserlaubnis) (nur) erteilt wird, wenn die Mutter (als der weibliche Elternteil) eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, dagegen der Vater (als männlicher Elternteil) seinem Kind ein - seinem Status entsprechendes - Aufenthaltsrecht nicht vermitteln kann (vgl. Beschl. v. 13.10.1999 - 3 Bf 644/99 - ; v. 25.1.2000 - 4 Bf 322/99 -); so auch die weit überwiegende Kommentarliteratur, vgl. etwa Huber, Ausländerrecht, § 21 Rdnr. 15; Hailbronner, Ausländerrecht, § 21 Rdnr. 2a; Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Ausländerrecht, § 21 Rdnr. 15; Rittstieg, Das Ausländergesetz 90, InfAuslR 1990 S. 221). Es spricht viel dafür, dass die Schlechterstellung des Vater-Kind-Verhältnisses in § 21 Abs. 1 Satz 1 bzw. § 31 Abs. 2 Satz 1 AuslG gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 GG verstößt, wonach niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt werden darf und Männer und Frauen gleichberechtigt sind (so ausdrücklich auch VGH Mannheim, Beschl. v. 29.1.2001, NVwZ-RR 2001 S. 605 f.; ebenso VG München, Urt. v. 20.3.2001, InfAuslR 2001 S. 436, dort zu § 31 Abs. 2 Satz 1 AuslG).

Durch die ausdrückliche Anknüpfung der gesetzlichen Regelung - in § 21 Abs. 1 Satz 1 wie in § 31 Abs. 2 Satz 1 AuslG - an das Geschlecht (die Mutter als den weiblichen Elternteil) als Grund für die Einräumung eines (Aufenthalts-)Rechts liegt eine direkte Ungleichbehandlung zwischen Mann und Frau vor. Diese besteht darin, dass die Beziehung des Vaters zum Kind aufenthaltsrechtlich nicht in derselben Weise privilegiert wird, wie diejenige der Mutter zum Kind. Nach den genannten verfassungsrechtlichen Vorgaben darf das Geschlecht jedoch grundsätzlich nicht als Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Ungleichbehandlung herangezogen werden. Differenzierende Regelungen sind nur insoweit zulässig, soweit sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich sind (vgl. BVerfG, Urt. v. 28.1.1992, BVerfGE Bd. 85 S. 191, 207). Dies ist (nur) dann der Fall, wenn objektive biologische Unterschiede das zu ordnende Lebensverhältnis so entscheidend prägen, dass etwa vergleichbare Elemente daneben völlig zurücktreten (BVerfG, Beschl. v. 13.11.1979, BVerfGE Bd. 52 S. 369, 374 und Urt. v. 8.1.1985, BVerfGE Bd. 68 S. 384, 390).

Diese strengen Voraussetzungen für die verfassungsrechliche Unbedenklichkeit der geschlechtsspezifischen Ungleichbehandlung in § 31 Abs. 2 Satz 1 dürften - ebenso wie bei § 21 Abs. 1 Satz 1 AuslG - nicht gegeben sein (wie hier VGH Mannheim, Beschl. v. 29.1.2001, a.a.O.; VG München, Urt. v. 20.3.2001, a.a.O.). Zwar können insbesondere in der ersten Zeit nach der Geburt zwischen Mutter und Kind besonders intensive Beziehungen bestehen (etwa dann, wenn die Mutter den Säugling stillt). Diese möglichen Besonderheiten in der Mutter-Kind-Beziehung dürften es allerdings nicht im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zwingend erfordern, im Bundesgebiet geborenen Kindern (nur) dann ein Aufenthaltsrecht einzuräumen, wenn die Mutter über eine bestimmte Aufenthaltsgenehmigung verfügt und - bei sonst gleichen aufenthaltrechtlichen Voraussetzungen - das Vater-Kind-Verhältnis durch Vorenthaltung eines entsprechenden Aufenthaltstitels für das im Bundesgebiet geborene Kind zu benachteiligen. Dabei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich die - möglicherweise den Anlass für die ausschließliche Begünstigung des Mutter-Kind-Verhältnisses bildenden - familiären Strukturen, auch soweit sie die Zeit unmittelbar nach der Geburt eines gemeinsamen Kindes betreffen, zwischenzeitlich gewandelt haben. So ist die Pflege und Betreuung auch eines Klein(st)kindes durch den männlichen Elternteil bzw. die Teilung dieser Aufgaben zwischen Mutter und Vater im Gegensatz zu früheren Elterngenerationen in der Lebenswirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht (mehr) ungewöhnlich. Diese Wandlung hat u.a. auch im Gesetz zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit (Bundeserziehungsgeldgesetz - BErzGG) i.d.F. vom 6. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3358) seinen normativen Niederschlag gefunden. Nach § 15 Abs. 1 BErzGG haben - neben Arbeitnehmerinnen - auch Arbeitnehmer - also auch Väter - Anspruch auf Elternzeit, wenn sie mit einem Kind in einem Haushalt leben und dieses Kind selbst betreuen und erziehen. Dieser Anspruch besteht - ungeachtet der oben angedeuteten Besonderheiten im Mutter-Kind-Verhältnis - auch für den Vater unter den o.g. Voraussetzungen ab der Geburt bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes.

Vor diesem tatsächlichen und rechtlichen Hintergrund könnte die Regelung des § 31 Abs. 2 Satz 1 AuslG - wie die des § 21 Abs. 1 Satz 1 AuslG - geeignet sein, überkommene Rollenverteilungen zwischen Mutter und Vater in der Familie zu verfestigen, was gegen das Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG verstoßen dürfte (BVerfG, Urt. v. 28.1.1992, a.a.O. S. 207). Insoweit dürfte eine etwaige, für eine kurze Zeit unmittelbar nach der Geburt ggf. anzunehmende besonders intensive Beziehung zwischen Mutter und Kind keinen zwingenden sachlichen Grund im Sinne der o.g. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dafür darstellen, den männlichen Elternteil zu benachteiligen und nur das Mutter-Kind-Verhältnis durch § 21 Abs. 1 Satz 1 bzw. § 31 Abs. 2 Satz 2 AuslG zu privilegieren (wie hier VGH Mannheim, Beschl. v. 29.1.2001, a.a.O., S. 606).