BAMF

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Zitieren als:
BAMF, Bescheid vom 03.03.2015 - 5539064-163 - asyl.net: M22700
https://www.asyl.net/rsdb/M22700
Leitsatz:

In der Türkei gibt es keine mit dem deutschen Recht vergleichbare staatliche Sozialhilfe. Für Kurden aus dem Libanon, die sich seit mehr als 20 Jahren in Deutschland aufhalten, kein Türkisch sprechen und bei denen aufgrund ihres Alters und ihrer Erkrankungen Einschränkungen bei der täglichen Lebensführung bestehen, dürften ohne stützenden Familienverband bestehende Behandlungs- oder Hilfsmöglichkeiten unerreichbar sein.

Schlagwörter: Kurden, Libanon, türkische Staatsangehörige, medizinische Versorgung, Türkei, Krankenversicherung, Sozialhilfe, Sprachkenntnisse, Türkisch, Türkischkenntnisse, Yesil Kart,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

Grundsätzlich sind die Erkrankungen der Ausländer auch in der Türkei behandelbar. Die entsprechenden Medikamente stehen ebenfalls zur Verfügung.

In der staatlichen Krankenversicherung sind Erwerbstätige und ihre Familienangehörigen versichert. Für Kinder, Ehepartner und (Schwieger-)Elternteile ohne eigenes Einkommen besteht die Möglichkeit einer Familienversicherung. Die Behandlung in den staatlichen "Zentren für Mutter und Kind sowie Familienplanung" ist generell unentgeltlich. Am 1. Oktober 2008 trat das zweite Gesetz zur Sozialversicherungsreform (Gesetz Nr. 5510) in Kraft, wonach ein "Universal Health Service" zur Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung aller Bürger eingerichtet wird. Dabei sollen die gleichen Voraussetzungen und Leistungsansprüche für Angestellte, Rentner und Selbständige hergestellt und auch bislang unversicherte Mittellose einbezogen werden, die allerdings noch in einer Übergangszeit wie bisher über die "Grüne Karte" Leistungen erhielten. Ursprünglich war für die Einbeziehung der 30.09.2010 vorgesehen, inzwischen hat die Türkei zum 01.01.2012 die allgemeine, obligatorische Krankenversicherung eingeführt, die auch die unversicherten Mittellosen mitberücksichtigt, die Grüne Karten" (Ye?il Kart) liefen daher bis Ende 2012 aus. Nicht der Sozialversicherungspflicht unterfallende türkische Staatsbürger mit einem Einkommen von weniger als einem Drittel des Mindestlohns können von der Beitragspflicht befreit werden. Die Berechnung des Einkommens erfolgt durch die Stiftungen für Sozialhilfe und Solidarität unter Berücksichtigung der sonstigen Vermögenssituation des Antragstellers und der in seinem Haushalt lebenden Angehörigen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 15.07.2014, Stand: Mai 2014, Gz.: 508-516.80/3 TUR).

Es ist jedoch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Ausländer die für sie erforderlichen Behandlungsmöglichkeiten erreichen. Aufgrund ihres Alters und ihrer Erkrankungen bestehen Einschränkungen bei der alltäglichen Lebensführung. Zudem sprechen die Ausländer kein Türkisch. So steht schon in Frage, ob sie allein auf sich gestellt überhaupt die notwendigen Formalitäten ausführen können, um krankenversichert zu werden. Dies gilt auch für den Erhalt sozialer Leistungen, denn die Ausländer sind nicht in der Lage durch eigene Erwerbstätigkeit ihren Lebensunterhalt zu sichern.

In der Türkei gibt es keine mit dem deutschen Recht vergleichbare staatliche Sozialhilfe. Sozialleistungen für Bedürftige werden auf der Grundlage der Gesetze Nr. 3294 über den Fonds für Soziale Hilfe und Solidarität und Nr. 5263, Gesetz über Organisation und Aufgaben der Generaldirektion für Soziale Hilfe und Solidarität gewährt. Die Hilfeleistungen werden von den in 81 Provinzen und 850 Kreisstädten vertretenen 973 Einrichtungen der Stiftungen für Soziale Hilfe und Solidarität (Sosyal Yardimla?ma ve Dayan?ma Vakfi) ausgeführt, die den Gouverneuren unterstellt sind. Anspruchsberechtigt nach Art. 2 des Gesetzes Nr. 3294 sind bedürftige Staatsangehörige, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der sozialen Sicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die gemeinnützig tätig und produktiv werden können (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 15.07.2014, Stand: Mai 2014, Gz.: 508-516.80/3 TUR).

Ein stützender Familienverband in der Türkei ist nicht bekannt. Nach dem langjährigen Aufenthalt der Ausländer seit 1993 kann auch nicht einfach vom Vorhandensein eines solchen ausgegangen werden.

Selbst bei bestehender Ausreisepflicht des Sohnes, dessen Verfahren noch nicht entschieden ist, kommt keine andere Entscheidung in Betracht. Dieser ist aus Sicht der Unterzeichnerin aufgrund seiner persönlichen Situation nicht in der Lage, seine Eltern zu betreuen und zu unterstützen.

Somit liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Fall der Antragsteller vor. [...]