VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 15.10.2014 - 12 K 1992/14 - asyl.net: M22733
https://www.asyl.net/rsdb/M22733
Leitsatz:

Das Einreiserecht mit einem ausländischen Aufenthaltstitel nach Art. 21 SDÜ ist gesperrt bei Ausweisungseintrag im AZR bzw. Fahndungseintrag in INPOL.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Einreiserecht, Einreise, ausländischer Aufenthaltstitel, Ausländerzentralregister, AZR, Fahndung, Fahndungseintrag, INPOL, Informationssystem der Polizei, nationale Ausschreibungsliste, Einreisesperre, Aufenthaltstitel für einen anderen Mitgliedstaat der EU, Schengen-Raum, Unionsrecht, Ausweisung, Drittstaatsangehörige,
Normen: SDÜ Art. 21, AufenthG § 50 Abs. 1, AufenthG § 58 Abs. 2 S. 1 Nr. 1,
Auszüge:

[...]

Rechtsgrundlage für die Abschiebungsandrohung ist § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Danach ist die Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Gemäß Absatz 5 der Norm i.V.m. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG bedurfte es im Falle des Klägers jedoch keiner Fristsetzung, weil er sich auf richterliche Anordnung in Haft befindet. Die Bezeichnung der Ukraine als Zielstaat ist rechtmäßig, weil dies der nachgewiesene Herkunftsstaat des Klägers ist.

Die Abschiebungsandrohung ist weiter rechtmäßig, weil der Kläger vollziehbar ausreisepflichtig ist. Seine Ausreisepflicht ergibt sich aus § 50 Abs. 1 AufenthG, denn er besitzt jedenfalls in dem für die rechtliche Beurteilung einer noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 - 1 C 3.11 - juris) keinen Aufenthaltstitel, Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bedürfen ukrainische Staatsangehörige für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels. Für längerfristige Aufenthalte ist ein Visum für das Bundesgebiet (nationales Visum) erforderlich, das vor der Einreise beantragt werden muss (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Im Übrigen war auch der tschechische Aufenthaltstitel des Klägers nach Aktenlage nur bis 31.05.2014 gültig, d.h. im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht mehr.

Die Ausreisepflicht des Klägers ist gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG auch vollziehbar, weil er unerlaubt eingereist ist. Der Kläger ist der Rechtsauffassung, seine unbefristete Ausweisung sowie die Abschiebung hätten sich spätestens fünf Jahre nach der Abschiebung am 04.09.2006 "erledigt", was sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19.09.2013, Rs. C-297/12 <Filev und Osmani> ergebe. Der EuGH (vgl. Urteils-Rn. 44) und in Folge auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (vgl. Urteil vom 30.04.2014 - 11 S 244/14 - juris Rn. 59) haben jedoch klargestellt, dass Einreiseverbote aus einer früheren Rückkehrentscheidung für Drittstaatsangehörige, selbst wenn sie vor Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 bereits mehr als fünf Jahre bestanden, dennoch fortwirken, wenn sie gegen Drittstaatsangehörige verhängt wurden, die eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellen. Ein Drittstaatsangehöriger, gegen den eine Ausweisung verfügt wurde, die auf einem mit einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren geahndeten Totschlag beruht, fällt hierunter, weswegen sich der Kläger nicht mit Erfolg auf das EuGH-Urteil <Filev und Osmani> berufen kann. In seinem Fall wirkt das bislang nicht befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG mithin auch unter unionsrechtlichem Blickwinkel bis heute fort.

Dem Kläger war die Einreise in das Bundesgebiet auch nicht aufgrund des tschechischen Aufenthaltstitels erlaubt. Zwar gilt das Erfordernis eines Aufenthaltstitels (wie des nationalen Visums) nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nur, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union etwas Anderes bestimmt ist. Zum Recht der EU zählt Art. 21 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) in seiner gemäß Art. 2 Ziff. 3 der Verordnung 610/2013/EU geänderten Fassung. Nach Art. 21 SDÜ können Drittausländer, die Inhaber eines gültigen, von einem der Mitgliedstaaten ausgestellten Aufenthaltstitels sind, sich aufgrund dieses Dokuments und eines gültigen Reisedokuments bis zu 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen frei im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten bewegen, sofern sie die in Art. 5 Abs. 1 Buchst. a), c) und e) des Schengener Grenzkodex aufgeführten Einreisevoraussetzungen erfüllen. Allerdings gilt dieses Einreiserecht grundsätzlich nicht für einen längeren Aufenthalt, sondern insbesondere für die Einreise als Tourist (vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom 07.05.2014 - 5 K 4470/13 - juris). Selbst wenn der Kläger aber nicht – wofür ja wohl einiges spricht – mit neuer Identität auf Dauer angelegt zu seiner Ehefrau hätte ziehen wollen, sondern etwa als Tourist oder Fahrer einer tschechischen Firma eingereist wäre, scheiterte seine legale Einreise an dem Umstand, dass er im AZR als unbefristet ausgewiesen/abgeschoben registriert sowie in INPOL zur Personenfahndung ausgeschrieben war und ist. Denn das Einreiserecht des Art. 21 SDÜ ist nach Absatz 1 der Norm ausdrücklich nicht gegeben, wenn der Drittausländer "auf der nationalen Ausschreibungsliste der betroffenen Vertragspartei steht". Die Eintragungen im bundesdeutschen AZR und die Fahndungsausschreibung in INPOL erfüllen dieses Tatbestandsmerkmal. Hierbei kann es auch nicht darauf ankommen, ob diese Eintragungen möglicherweise rechtswidrig oder falsch sind. Denn aufgrund des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes im Hinblick auf die Strafbarkeit der illegalen Einreise eines Ausgewiesenen gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG muss es bei der Auslegung des Art. 21 SDÜ allein auf objektive Kriterien ankommen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13.05.2014 - 1 Ws 216/14 - juris); im Zweifelsfall muss auch der Grenzbeamte durch einfachen Blick in den Computer wissen, ob der Drittausländer nun einreisen darf oder nicht. Aus diesem Grund kann dem Kläger auch aus Art. 56 AEUV kein anwendungsvorrangiges Einreiserecht erwachsen sein, denn dieses ist "durch einen Blick in den Computer" nicht zu ermitteln, wenn es denn überhaupt je materiellrechtlich entstanden ist. Die unionsrechtlichen Regelungen des Schengen-Besitzstandes gehen den allgemeinen Freizügigkeitsrechten aus dem EU-Binnenmarktrecht mithin als leges speciales vor. Dem Drittausländer ist es allerdings unbenommen, vor seiner Einreise – auch unter Berufung auf Freizügigkeitsrechte aus dem EU-Binnenmarktrecht – die Befristung der Sperrwirkungen und die Löschung im AZR/INPOL zu beantragen. Wie das Schreiben der Ehefrau des Klägers vom 10.07.2006 illustriert, war im Übrigen zumindest ihr durchaus bewusst, dass der Kläger einem Einreiseverbot unterliegt. Ihm selbst dürfte das Einreiseverbot, das sich auch durch seine Namensänderung nicht "erledigte", ebenfalls bewusst gewesen sein, wobei dies im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich ist.

Sollte sich der Kläger durch seinen Hinweis auf die "ungerechtfertigte Beschränkung des Kontakts zu seiner Ehefrau" auf ein Abschiebungsverbot bzw. auf Duldungsgründe gemäß §§ 60, 60a AufenthG berufen wollen, stehen auch diese dem Erlass der hier allein streitgegenständlichen Abschiebungsandrohung nicht entgegen (vgl. § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG und OVG B-B, Beschluss vom 30.04.2013 - OVG 12 S 25.13 - juris Rn. 5; Bauer in Renner u.a., AuslR, 10. Aufl. 2013, § 59 AufenthG Rn. 42 ff.). [...]