VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 06.03.2015 - 23 L 913.14 - asyl.net: M22739
https://www.asyl.net/rsdb/M22739
Leitsatz:

Kann nicht zweifelsfrei ermittelt werden, ob und unter welchen Umständen eine ausländische Staatsangehörigkeit erworben wurde, trifft die Behörde die materielle Beweislast für den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit.

Schlagwörter: Ausstellung eines Reisepasses, Reisepass, deutsche Staatsangehörigkeit, Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit, Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit, Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit, Passverfahren, Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit, Entlassung aus der deutschen Staatsangehörigkeit, elterliche Sorge, gesetzlicher Vertreter, deutsche Auslandsvertretung, Familiengericht, staatsangehörigkeitsrechtliches Feststellungsverfahren, minderjährig,
Normen: PassG § 6 Abs. 1 S. 1, PassG § 1 Abs. 4 S. 1, StAG § 17 Abs. 1 Nr. 2, StAG § 25, StAG § 19 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

1. Ein Anordnungsanspruch liegt vor. Der Antragsteller hat bei summarischer Prüfung einen Anspruch auf Ausstellung eines Reisepasses und wird deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in der Hauptsache obsiegen. Anspruchsgrundlage für die Ausstellung eines Passes ist § 6 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 4 Satz 1 des Passgesetzes (PassG). Danach wird deutschen Staatsangehörigen auf Antrag ein Pass ausgestellt. Nach § 6 Abs. 2 PassG sind in dem Antrag alle Tatsachen anzugeben und alle Nachweise zu erbringen, die zur Feststellung der Person des Passbewerbers und seiner Eigenschaft als Deutscher notwendig sind. Ein Pass ist danach schon dann zu versagen, wenn begründete Zweifel an der deutschen Staatsangehörigkeit des Passbewerbers bestehen (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 5. September 2012 - VG 23 L 284.12 -, juris Rn. 6). Denn es ist nicht Aufgabe der Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland, bei Zweifeln über die deutsche Staatsangehörigkeit diese nach eigenen Bewertungen im Passverfahren zu klären (ständige Rechtsprechung des OVG Berlin-Brandenburg, vgl. etwa Be-schlüsse vom 6. Juli 2011 - OVG 5 S 13.11 -, juris Rn. 4 und vom 30. September 2009 - OVG 5 S 17.09 -, juris Rn. 11). Zum Nachweis der Eigenschaft als Deutscher genügt in der Regel die Vorlage des abgelaufenen deutschen Reisepasses (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 5. September 2012, a.a.O. Rn 6 a.E.; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. März 2011 - OVG 5 S 31.10 -, juris Rn. 7). Besteht die Möglichkeit eines Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit, gilt anderes erst dann, wenn die Annahme einer fremden Staatsangehörigkeit feststeht und diese zumindest geeignet ist, die Folgen des Verlustes der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 25 Abs. 1 StAG auszulösen (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. März 2011, a.a.O.; VG Berlin, Urteil vom 25. November 2014 - VG 23 K 88.14 -; siehe auch VG Darmstadt, Urteil vom 28. März 2014 - 5 K 1646/12.DA -, juris). Nur in diesem Fall ist es nicht zu beanstanden, den Passbewerber auf die Notwendigkeit der Durchführung eines Verfahrens zur Feststellung der Staatsangehörigkeit zu verweisen. Kann hingegen nicht zweifelsfrei ermittelt werden, ob und unter welchen Umständen eine ausländische Staatsangehörigkeit erworben wurde, trifft die Behörde die materielle Beweislast für den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit (ausführlich VG Berlin, Urteil vom 25. November 2014 - VG 23 K 88.14 -, Abdruck S. 5 f. m.w.N.). [...]

Darüber hinaus ist ein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit selbst bei einem (Wieder-) Erwerb der somalischen vorliegend eher unwahrscheinlich. Nach § 17 Abs. 1 Nr. 2 StAG geht die deutsche Staatsangehörigkeit durch den Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit gemäß § 25 StAG verloren. Gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG in der seit dem 28. August 2007 geltenden Fassung verliert ein Deutscher seine Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit dann, wenn dieser Erwerb auf seinen Antrag oder auf den Antrag des gesetzlichen Vertreters erfolgt, der Vertretene jedoch nur, wenn die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach § 19 StAG die Entlassung beantragt werden könnte. Nach § 19 Abs. 1 StAG kann die Entlassung einer Person, die unter elterlicher Sorge oder unter Vormundschaft steht, von dem gesetzlichen Vertreter und grundsätzlich nur mit Genehmigung des deutschen Familiengerichts beantragt werden. Nach Absatz 2 des § 19 StAG ist die Genehmigung des Familiengerichts ausnahmsweise dann nicht erforderlich, wenn der Vater oder die Mutter die Entlassung für sich und zugleich kraft elterlicher Sorge für ein Kind beantragt und dem Antragsteller die Sorge für die Person dieses Kindes zusteht. Aufgrund der Minderjährigkeit des Antrag-stellers bis zum Verlassen Somalias Anfang Februar 2014 hätte er danach selbst bei einem erfolgten (Wieder-) Erwerb der somalischen Staatsangehörigkeit die deutsche Staatsangehörigkeit nur dann verloren, wenn ein deutsches Familiengericht dem zugestimmt hätte. Dafür gibt es offenbar auch im laufenden staatsangehörigkeitsrechtlichen Feststellungsverfahren keinen Anhalt, wie der Schriftwechsel des Bundesverwaltungsamtes mit der deutschen Botschaft in Nairobi im Verwaltungsvorgang 1 zeigt. Auch dafür, dass zugleich mit dem Antragsteller auch dessen Eltern die somalische Staatsangehörigkeit wiedererworben hätten, ist nichts ersichtlich. Nach dem Vortrag des Antragstellers ist er im April 2011 von Großbritannien kommend zu seiner Großmutter und einem Onkel über Bosaso nach Garowe (Puntland) gezogen. Ob der damals 15jährige Antragsteller bei der Einreise von seinen Eltern begleitet worden ist oder diese ihn später in Somalia besucht haben, ist nicht bekannt. Zwar fällt auf, dass der Antragsteller sich zu seinem Aufenthalt in Somalia - etwa seinem Schulbesuch dort, seinen Verwandten und etwaigen Besuchen seiner Eltern - in der Antragsschrift nicht näher verhält. Sein Motiv, den Schulabschluss ausgerechnet in einem von Bürgerkrieg zerstörten Land wie Somalia abzulegen, bleibt daher im Dunkeln. Auch sind der angebliche Verlust des abgelaufenen Passes und sein späteres Wiederauffinden in einer alten Tasche merkwürdig. Auffällig ist ferner, dass sich der Antragsteller (erst) im Februar 2012 in Mühlheim am Main direkt nach Somalia abgemeldet hat (Bl. 24 Verwaltungsvorgang 2), jedoch in seinem Antrag auf Einleitung des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsamt vom 14. Februar 2014 langjährige Voraufenthalte in Ägypten und Großbritannien aufgeführt werden (vgl. Bl. 3 Verwaltungsvorgang 1). Diese Umstände - die an der Redlichkeit des Antragstellers zweifeln lassen - weisen aber im vorliegenden passrechtlichen Zusammenhang weder einzeln noch bei einer Gesamtwürdigung zwingend auf einen (Wieder-) Erwerb der somalischen Staatsangehörigkeit des Antragstellers zusammen mit seinen Eltern hin. Dies bleibt vielmehr eine bloße Möglichkeit. Die Ungewissheit geht zu Lasten der Antragsgegnerin und reicht nicht, um den Antragsteller auf das staatangehörigkeitsrechtliche Feststellungsverfahren zu verweisen. Auf die Ausführungen der Beteiligten zu einer Wiedereinbürgerung des Antragstellers nach § 13 StAG kommt es daher hier nicht an. [...]