VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 24.11.2014 - A 11 K 380/14 - asyl.net: M22745
https://www.asyl.net/rsdb/M22745
Leitsatz:

Eine Anerkennung als Asylberechtigter ist bei einer Einreise über einen Mitgliedstaat der Europäischen Union nicht möglich, auch wenn das Bundesamt selbst davon absieht, den Betroffenen dorthin (hier: Griechenland) zu überstellen. Dem steht Art. 16a Abs. 2 S. 1 u. 2 GG entgegen, der nicht durch einfachgesetzliche Regelungen geändert werden kann.

Schlagwörter: Dublinverfahren, Griechenland, Selbsteintritt, Flüchtlingsanerkennung, Asylanerkennung,
Normen: GG Art. 16a, GG Art. 16a Abs. 2 S. 1, GG Art. 16a Abs. 2 S. 2, AsylVfG § 3, AsylVfG § 26a, AsylVfG § 26a Abs. 1 S. 3 Nr. 2,
Auszüge:

[...]

Das Gericht hält nach dem Ergebnis der fast zweistündigen Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung dessen Vorbringen im Kern für zutreffend. Der Kläger hat durch sein Auftreten in der mündlichen Verhandlung beim Gericht einen äußerst glaubwürdigen Eindruck hinterlassen. [...]

Aufgrund der Willkür des iranischen Regimes kommt es nicht in Betracht, nunmehr "stichhaltige Gründe" dafür anzunehmen, eine Verfolgung werde nicht erneut einsetzen. Bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Klägers ist eine Furcht vor (erneuter) Verfolgung begründet. Ihm steht daher ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 AsylVfG in Anknüpfung an seine politische Überzeugung zu.

2. Allerdings konnte der Kläger nicht zugleich als Asylberechtigter anerkannt werden (Art. 16a GG). Da der Kläger über Griechenland nach Deutschland gekommen ist, steht der beantragten zusätzlichen Asylanerkennung zwingend Art. 16a Abs. 2 Satz 1 und 2 GG i.V.m. § 26a Abs. 1 u. 2 AsylVfG entgegen. Dass die Beklagte davon abgesehen hat, den Kläger nach Griechenland rückzuüberstellen, ist für die Anwendung von Art. 16a Abs. 2 GG ohne Bedeutung. Dies auch, soweit § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG den Eindruck erweckt, die Beschränkung gelte nicht, wenn die Bundesrepublik Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union - etwa der Dublin-III-VO - für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Denn § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG kann als einfachgesetzliche Regelung Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG nicht ändern. Und der bestimmt, dass sich auf einen Anspruch auf Asylanerkennung nicht berufen kann, wer u.a. aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union einreist. Eine "Öffnungs-Klausel" nach Art. 16a Abs. 5 GG, das Vorliegen eines völkerrechtlichen Vertrages von Mitgliedstaaten der Europäischen Union untereinander, steht hier nicht in Rede.

3. War dem Kläger somit die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, besteht entgegen der bisherigen Annahme des Bundesamts auch keine Verpflichtung zu einer Versagung des subsidiären Schutzes. Beide Rechtsstellungen ergeben sich aus § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG. Gemäß § 31 Abs. 2 AsylVfG hat das Bundesamt hierüber - alternativ - zu entscheiden. Ziff. 3 des angegriffenen Bescheides war daher ebenfalls aufzuheben. Mit der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft besteht seitens des Bundesamts auch keine Verpflichtung zur Verneinung von Abschiebungsverboten (§ 31 Abs. 3 AsylVfG), vielmehr können entsprechende Feststellungen unterbleiben. Der diesbezügliche Ausspruch des Bundesamtes war daher ebenfalls aufzuheben. Allerdings besteht in diesem Falle auch kein Anlass, zusätzlich das Vorliegen von Abschiebungsverboten festzustellen, weshalb der dahin gehende Klageantrag wie regelmäßig nur als hilfsweise gestellt auszulegen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.6.2002, DVBl 2003, 74 = AuAS 2003, 30 = InfAuslR 2003, 74 = NVwZ 2003, 356 zur früheren Rechtslage) und keiner Bescheidung bedarf. [...]

Einsender: RA Ulrich Hekler, Heilbronn, 25.03.2015