VG Potsdam

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Zitieren als:
VG Potsdam, Urteil vom 21.01.2015 - 8 K 2368/13 - asyl.net: M22751
https://www.asyl.net/rsdb/M22751
Leitsatz:

Der Erstattungsfähigkeit von Kosten für Maßnahmen zur Durchsetzung einer Abschiebungsanordnung des Bundesamtes steht, soweit es sich um unselbständige Amtshandlungen handelt, nicht entgegen, dass eine Mitteilung nach Art. 20 Abs. 1 lit. e Satz 2 Dublin II VO unterblieben ist (entgegen VG München, Urteil vom 16. Mai 2013 - M 24 K 12.4569 -).

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Erstattungsfähigkeit, Kosten, Abschiebungskosten, Abschiebungsanordnung, Reisefähigkeit, Rechtswidrigkeit, Dublinverfahren, begleitete Abschiebung, freiwillige Ausreise, Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise,
Normen: VO 343/2003 Art. 20 Abs. 1 Bst. e S. 2, AufenthG § 66 Abs. 1, AufenthG § 67 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Nach diesen Maßstäben ist die Heranziehung des Klägers zur Erstattung der Kosten für seine letztlich gescheiterte Überführung nach Zypern in der noch vom Beklagten geltend gemachten Höhe nicht zu beanstanden.

1. Eine Erstattungspflicht des Klägers ist nicht nach Art. 30 Abs. 3 der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2013 (ABl. Nr. L 180/13 vom 29. Juni 2013 - Dublin III-VO -) ausgeschlossen. Zwar ist hierin bestimmt, dass den nach dieser Verordnung zu überstellenden Personen Überführungskosten nicht auferlegt werden, doch ist die Dublin III-VO erst am 19. Juli 2013 in Kraft getreten und findet nach ihrem Art. 49 erst ab dem 1. Januar 2014 unmittelbare Anwendung. Die beabsichtigte Überstellung des Klägers nach Zypern beruhte hingegen letztlich noch auf der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. Nr. L 50, S. 1 - Dublin II-VO -), die eine vergleichbare Bestimmung nicht enthielt. Damit verbleibt es bei der grundsätzlichen Erstattungsfähigkeit nach § 66 Abs. 1 AufenthG für diejenigen Maßnahmen, die der Verwirklichung der sofort vollziehbaren (vgl. § 34a Abs. 2 AsylVfG in der bis zum 6. September 2013 geltenden Fassung) Abschiebungsanordnung des Bundesamtes vom 20. Juni 2011 dienten.

2. Der Beklagte macht gegen den Kläger Kosten für eine Flugstornierung, für die seitens der Beamten der Bundespolizei und des Begleitarztes nicht angetretenen Flüge, Dolmetscherkosten sowie Kosten für die ärztliche Begleitung geltend. Bei den diesen Kosten zu Grunde liegenden Maßnahmen handelt es sich um unselbständige Amtshandlungen im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 16. Oktober 2012, a.a.O., Rz. 23; Urteil vom 8. Mai 2014, a.a.O., Rz. 21), die per se nicht geeignet sind, Rechte des Ausländers zu verletzen. Die Erstattungsfähigkeit dieser Kosten entfällt mithin erst dann, wenn sich die sie auslösenden Maßnahmen als unrichtige Sachbehandlung im Sinne von § 14 Abs. 2 Satz 1 VwKostG (in der bis zum 14. August 2013 geltenden Fassung) darstellen. Dazu genügt die objektive Rechtswidrigkeit der jeweiligen Amtshandlung nicht, erforderlich ist vielmehr, dass sie offensichtlich rechtswidrig gewesen ist und die Kosten bei richtiger Sachbehandlung nicht entstanden wären (BVerwG, Urteil vom 16. Oktober 2012, a.a.O., Rz. 23; Funke/Kaiser in GK-AufenthG, Stand Mai 2013, § 66 Rz. 10).

Offenkundig rechtswidrig in diesem Sinne waren die Amtshandlungen, deren Kosten Gegenstand der streitigen Erstattungsforderung sind, nicht.

a) Entgegen der Auffassung des Klägers ist aus dem Beschluss des Landgerichts Neuruppin vom 25. Juli 2011 für die Frage der (offenkundigen) Rechtswidrigkeit der gegen ihn ergriffenen Abschiebungsmaßnahmen nichts zu gewinnen. Zwar ergibt sich hieraus, dass die auf Antrag des Beklagten gegen den Kläger angeordnete und verlängerte Abschiebungshaft rechtswidrig gewesen ist, jedoch macht der Beklagte keine Kosten geltend, die im Zusammenhang mit der Ingewahrsamnahme des Klägers entstanden sind. Aus dem genannten Beschluss des Landgerichts Neuruppin geht auch nicht hervor, dass alle neben der Ingewahrsamnahme des Klägers verfügten, seiner Überstellung nach Zypern dienenden Maßnahmen rechtswidrig gewesen wären. Zu ihnen verhält sich der Beschluss des Landgerichts nicht.

b) Allerdings sind dem Kläger vor dem 25. Juli 2011 der Ort und der Zeitpunkt nicht genannt worden, an dem er sich zu melden habe, wenn er sich auf eigene Initiative nach Zypern begeben wolle. Eine solche Mitteilung gegenüber dem zu überstellenden Ausländer - und damit verbunden die Gelegenheit zur freiwilligen Ausreise - gehört nach Art. 20 Abs. 1 lit. e Satz 2 Dublin II-VO "gegebenenfalls" zu den Modalitäten der Überstellung. Aus dem Unterbleiben dieser Mitteilung dem Kläger gegenüber folgt jedoch nicht, dass die dem Leistungsbescheid zu Grunde liegenden kostenauslösenden Amtshandlungen offenkundig rechtswidrig gewesen wären. Die Beurteilung hat nicht aus heutiger Sicht, sondern auf der Grundlage der seinerzeit gegebenen Sach- und Rechtslage, also aus der Sicht ex ante zu erfolgen (BVerwG, Urteil vom 8. Mai 2014, a.a.O., Rz. 26; Urteil vom 16. Oktober 2012, Rz. 12). Seinerzeit, im Juli 2011, konnte der Beklagte jedoch im Hinblick auf die einschlägige obergerichtliche Rechtsprechung davon ausgehen, dass es nach dem innerstaatlichen Recht der Bundesrepublik Deutschland nicht vorgesehen war, einem Ausländer die Möglichkeit einzuräumen, sich auf eigene Initiative in den zuständigen Mitgliedstaat zu begeben und dies im Hinblick auf die Verwendung des Wortes "gegebenenfalls" in Art. 20 Abs. 1 lit. e Dublin II-VO zulässig war (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 3. November 2009 - 2 A 460/06 -, juris, Rz. 9; VGH Kassel, Beschluss vom 31. August 2006 - 9 UE 1464/06 -, juris, Rz. 34; der Sache nach auch VGH München, Urteil vom 25. Februar 2008 - 21 B 06.30145, juris; ebenso VG Stuttgart, Beschluss vom 29. März 2005 - A 18 K 10372/05 -, juris, Rz. 3; a. A. nunmehr VGH Mannheim, Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, NVwZ 2015, 92, Rzn. 28 ff.). Selbst wenn es objektiv rechtswidrig gewesen sein sollte, dem Kläger nicht die Möglichkeit einzuräumen, sich eigenständig nach Zypern zurück zu begeben, kann eine solche Verfahrensweise wegen der im Jahre 2011 vorliegenden Rechtsprechung jedenfalls nicht offenkundig fehlerhaft erscheinen. Dies bleibt in der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung herangezogenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts München (Urteil vom 16. Mai 2013 - M 24 K 12.4569 -, juris) unberücksichtigt, der aus diesem Grunde nicht zu folgen ist.

c) Die kostenauslösenden Amtshandlungen sind auch nicht aus anderen Gründen als offenkundig rechtsfehlerhaft anzusehen. Dies gilt insbesondere auch für den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung kritisierten Umstand, dass der Beklagte am 11. Juli 2011 einen Flug für die Rückführung bereits am 25. Juli 2011 gebucht hat, obwohl er - der Kläger - sich seinerzeit in psychiatrischer Behandlung befunden und der Arzt dem Beklagten mitgeteilt habe, die Behandlung werde zwei bis drei Wochen dauern. Dies lässt die Erstattungsfähigkeit der Kosten für die vorgesehene Überstellung des Klägers in Begleitung eines Arztes und zweier Beamter der Bundespolizei nicht entfallen. Dem Beklagten war seitens des behandelnden Arztes nicht mitgeteilt worden, dass die Behandlung des Klägers frühestens nach drei Wochen abgeschlossen sein werde und bis dahin seine Reisefähigkeit ausgeschlossen sei. Der Beklagte hatte zudem durch die Beauftragung des Begleitarztes und die Bestellung eines Dolmetschers für eine Untersuchung am 24. Juli 2011 Vorkehrungen getroffen, die Reisetauglichkeit des Klägers zeitnah vor dessen Abschiebung zu untersuchen. Handgreifliche Anhaltspunkte für eine am 25. Juli 2011 fehlende Reisefähigkeit des Klägers, die auch durch die vorgesehene begleitete Rückführung nicht hätte kompensiert werden können, waren am 11. Juli 2011 als dem maßgeblichen Zeitpunkt nicht erkennbar. Dass die späteren Untersuchungen des Klägers zunächst zur Feststellung seiner Flugreiseunfähigkeit geführt haben, kann insoweit nicht in die Betrachtung einbezogen werden, da diese Erkenntnisse am 11. Juli 2011 noch nicht vorhanden waren.

Dass eine begleitete Rückführung des Klägers angezeigt war, lässt sich angesichts der wiederholten Einlieferung des Klägers in ein Krankenhaus am 7. und 9. Juli 2011 nicht ernstlich bezweifeln, zumal er am 9. Juli 2011 in die dortige psychiatrische Abteilung aufgenommen wurde. Ebenso wenig erscheint es rechtsfehlerhaft, geschweige denn offenkundig rechtsfehlerhaft, dass der Beklagte die ärztliche Begleitung des Klägers und dessen Untersuchung auf seine Reisefähigkeit in die Wege geleitet und zu diesem Zweck den Dienstvertrag mit dem Begleitarzt für den Zeitraum vom 24. bis zum 26. Juli 2011 abgeschlossen hat. Schließlich war es geboten und damit nicht rechtsfehlerhaft, zu den ärztlichen Untersuchungen des Klägers am 24. Juli, 24. August und 13. Oktober 2011 einen Dolmetscher heranzuziehen. Diese Untersuchungen dienten jeweils (erneut) der Feststellung der Reisefähigkeit des Klägers und damit weiterhin der Verwirklichung der Abschiebungsanordnung aus dem Bescheid des Bundesamtes vom 20. Juni 2011.

Schließlich kann auch aus dem Umstand, dass die Bundesrepublik Deutschland ihr Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Ende des Jahres 2011 ausgeübt hat, schon vom Zeitpunkt dieser Entscheidung her nicht der Rückschluss auf eine etwaige Fehlerhaftigkeit der Monate zuvor ergriffenen Abschiebungsmaßnahmen gezogen werden.

3. Bei den dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegenden Kosten handelt es sich um Abschiebungskosten im Sinne von § 67 Abs. 1 AufenthG. Dies gilt auch für die Kosten, die durch die Buchung von letztlich nicht angetretenen Flügen angefallen sind, also die Stornokosten für den Flug des Klägers nach Zypern sowie die Kosten für die Begleitbeamten und den Begleitarzt, jeweils für Hin- und Rückflug am 25. Juli 2011. Hierbei handelt es sich, ungeachtet des Umstandes, dass die Flüge letztendlich nicht in Anspruch genommen worden sind, um Beförderungskosten für den Ausländer im Sinne von § 67 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG bzw. um Kosten einer erforderlichen Begleitung des Ausländers im Sinne von § 67 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG. Da die Erstattungsfähigkeit von Abschiebungskosten nicht voraussetzt, dass die Abschiebung tatsächlich realisiert worden ist, fallen auch Gebühren, die durch die Stornierung eines gebuchten Fluges entstehen, sowie Kosten für nicht angetretene Flugreisen unter den Begriff der Beförderungskosten bzw. der Kosten für eine erforderliche Begleitung. Ebenso zählt zu diesen Kosten die von dem in Anspruch genommenen Reisebüro, das auf die Durchführung von Rückführungen spezialisiert ist, die für diese Leistungen erhobene Servicegebühr.

Die Kosten sind schließlich im Einzelnen durch Rechnungen bzw. Lieferscheine der Reisebüros, über die die Flüge gebucht worden sind, die Honorarrechnung des Begleitarztes sowie die Rechnungen des Dolmetscherbüros belegt. Den Bedenken der Kammer hinsichtlich des Umfangs der Kostenforderung für den Begleitarzt hat der Beklagte durch die Reduzierung der Erstattungsforderung in der mündlichen Verhandlung Rechnung getragen. Weitere Bedenken gegen die Höhe der jeweiligen Rechnungsposten bestehen nicht; Beanstandungen hat der Kläger insoweit auch nicht erhoben. [...]