VG Kassel

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Zitieren als:
VG Kassel, Beschluss vom 03.12.2014 - 3 L 2073/14.KS.A - asyl.net: M22788
https://www.asyl.net/rsdb/M22788
Leitsatz:

Das Asylverfahren und das Aufnahmeverfahren von Asylbewerbern in Bulgarien leidet derzeit nicht an regelhaften systemischen Mängeln, die eine Überstellung von Schutzsuchenden unmöglich machen, für die Bulgarien nach der Dublin III-Verordnung als Mitgliedsstaat zuständig ist.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Bulgarien, Dublinverfahren, Dublin III-Verordnung, systemische Mängel, Aufnahmebedingungen, Asylverfahren,
Normen: AsylVfG § 34a, AsylVfG § 27a,
Auszüge:

[...]

Unter Beachtung dieser Grundsätze vermag das erkennende Gericht systemische Mängel im Asylverfahren und bei der Behandlung von Asylbewerbern in Bulgarien, die es unmöglich machen würden, den Antragsteller in diesen nach der Dublin III-Verordnung als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, nicht zu erkennen.

Wie der Antragsteller in der Begründung seines Eilantrages selbst ausführt, ist der UNHCR zwischenzeitlich von seiner im Bericht "Bulgaria as country of asylum" vom 02.01.2014 ausgesprochenen Empfehlung, zunächst von Überstellungen nach Bulgarien abzusehen, abgerückt und hat in seinem nachfolgenden Länderbericht vom April 2014 auf der Grundlage einer aktualisierten Bestandsaufnahme ausgeführt, nicht länger darauf zu beharren, von einer Überstellung von Asylsuchenden nach Bulgarien völlig zu verzichten.

In den letzten drei Monaten hätten die bulgarischen Behörden und ihre Partner - so der UNHCR im vorgenannten Länderbericht - signifikante Anstrengungen mit Blick auf die Lebensbedingungen für Asylsuchende und das Asylsystem unternommen. Die Bedingungen in den Aufnahmezentren hätten sich verbessert, vor allem im Harmanli Zentrum, einer früheren Militärkaserne, 50 Kilometer von der Grenze zur Türkei entfernt, wo Asylsuchende vor vier Monaten noch in Zelten untergebracht gewesen seien. Heute erhielten die Asylsuchenden dort täglich warme Mahlzeiten. Die Gebäude seien größtenteils renoviert und beheizt. Es gebe Zugang zur medizinischen Versorgung. Zudem seien mehr Mitarbeiter eingestellt worden, so dass alle Asylsuchenden registriert worden seien. Fortschritte seien auch bei den Asylentscheidungen zu verzeichnen. Der UNHCR werde weiterhin eng mit den bulgarischen Behörden und anderen Partnern zusammenzuarbeiten, um die noch existierenden Lücken anzugehen und die erreichten Fortschritte zu konsolidieren. Der UNHCR werde die Situation weiterhin sorgfältig beobachten. Die Verbesserungen seien durch die Unterstützung und Hilfe der bulgarischen Behörden, des UNHCR und dem Europäischen Unterstützungsbüro für Asylangelegenheiten(EASO) sowie der EU-Kommission, EU-Mitgliedstaaten und der Zivilgesellschaft ermöglicht worden.

Angesichts dieser Auskunftslage kann von einem regelhaft defizitären Aufnahme- und Asylverfahren in Bulgarien nicht ausgegangen werden. Zwar ist unübersehbar, dass Bulgarien weiterhin erhebliche Schwierigkeiten bei der Bewältigung der Asylverfahren und der Aufnahme und Betreuung der seiner Zuständigkeit unterfallenden Asylbewerber hat. Ebenso ist unverkennbar, dass die bulgarischen Behörden von ihrer restriktiven Aufnahmepraxis, die vom UNHCR in seinem Bericht vom April 2014 kritisch bewertet wird, profitiert haben.

Der UNHCR hat im neusten Länderbericht - erneut - seine Besorgnis gegenüber Maßnahmen der bulgarischen Behörden ausgesprochen, den Zugang nach Bulgarien an der Grenze zur Türkei zu begrenzen. Diese hätten zu einem deutlichen Rückgang bei der Zahl der Ankünfte seit Dezember 2013 geführt. Diese Maßnahmen könnten Menschen mit internationalem Schutzbedarf davon abhalten, in Bulgarien um Asyl nachzusuchen. Der UNHCR sei zudem ernsthaft besorgt über Berichte, nach denen Personen, die international schutzbedürftig sein könnten, davon abgehalten wurden, bulgarisches Gebiet zu erreichen bzw. zu betreten oder sogar von dort aus abgeschoben wurden, ohne dass ihnen die Möglichkeit eingeräumt wurde, einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. In einigen Fällen hätten diese "push-backs" zur Trennung von Familien geführt.

Mit Rücksicht hierauf wird es nachhaltiger und intensiver Anstrengungen bedürfen, um die noch bestehenden Missstände zu beseitigen und die vor allem die bei einem erneuten Ansteigen der Asylbewerberzahlen und die durch Rückführungen zu erwartenden Probleme dauerhaft in der Griff zu bekommen und die eingetretenen Verbesserungen zu konsolidieren. Dass die zuständigen Behörden in Bulgarien hierzu nicht imstande oder bereit wären, ist nicht erkennbar. Die gegenteilige Einschätzung rechtfertigt sich bereits aus den in der relativ kurzen Zeitspanne seit Erstellung des Länderberichts im Januar 2014 und der nur wenige Monate später vorgenommenen erneuten Betrachtung durch den UNHCR erzielten substantiellen Verbesserungen, wobei den bulgarischen Behörden eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem UNHCR und den dort tätigen europäischen Institutionen und Hilfsorganisationen bescheinigt wird. Die bloße Fragilität des bulgarischen Asyl- und Aufnahmeverfahrens reicht zur Annahme systemischer Mängel im oben genannten Sinn nicht aus (so aber VG München, Urteil vom 19.09.2014 - M 24 K 14.50343 -, n.v.). Das erkennende Gericht teilt damit die in der Rechtsprechung z.B. vom VG Augsburg, Beschluss vom 25.08.2014 - Au 7 S 14.50199, Au 7 K 14.50198 -, dem VG Hannover, Beschluss vom 22.10. 2014 - 13 B 12064/14 -, und vom VGH Baden- Württemberg, Urteil vom 10.11.2014 - A 11 S 1636/14, A 11 S 1778/14 -, jeweils juris, vertretene Ansicht. [...]