1. Die Anforderung von Unterlagen durch die Behörde im Einbürgerungsverfahren steht grundsätzlich im Ermessen der Behörde.
2. Fordert die Behörde in Ausübung dieses Ermessens Unterlagen an, die für die Beurteilung des Einbürgerungsanspruchs nicht erforderlich sind, steht es dem Einbürgerungsanspruch nicht entgegen, diese Unterlagen nicht vorzulegen.
3. Kann ein Einbürgerungsbewerber, der bis auf die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit alle Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt, nur aufgrund der Entlassungspraxis seines Herkunftsstaats die Einbürgerung nicht vor Vollendung des 16. Lebensjahrs erreichen, kann das Ermessen der Einbürgerungsbehörde dahingehend reduziert sein, dem Einbürgerungsbewerber schon beim Nachweis einer altersgemäßen Sprachentwicklung im Sinne des § 10 Abs. 4 Satz 2 StAG eine Einbürgerungszusicherung zu erteilen.
(Amtliche Leitsätze)
[...]
Es steht gem. § 26 Abs. 1 VwVfG grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde, sich der Beweismittel zu bedienen, die sie zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält und dabei Auskünfte jeder Art einzuholen, die Beteiligten anzuhören, Zeugen und Sachverständige zu vernehmen oder sonstige Äußerung von ihnen einzuholen und Urkunden und Akten beizuziehen.
Bei der Ausübung ihres Ermessens hat die Beklagte, die die Aufgaben nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz aufgrund von § 2 Nr. 2 der Allgemeinen Zuständigkeitsverordnung für die Gemeinden und Landkreise zur Ausführung von Bundesrecht (AllgZustVO-Kom) im übertragenen Wirkungskreis wahrnimmt und deshalb nach § 6 Abs. 2 Satz 1 NKomVG hinsichtlich ihrer Ermessensausübung an die Weisungen übergeordneter Behörden gebunden ist, die Vorläufigen Anwendungsbestimmungen zum Staatsangehörigkeitsgesetz des Bundesministeriums des Innern (VAH-BMI) und die Niedersächsischen Durchführungsbestimmungen zum Staatsangehörigkeitsrecht (Nds. VV-StAR) zu beachten, die das Nds. Ministerium für Inneres, Sport und Integration mit Runderlass vom 10. Juni 2008 erlassen hat.
Diese ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften modifizieren indes weder die tatbestandlichen Anforderungen des Einbürgerungsanspruchs, noch sind sie maßgeblich für die Überzeugungsbildung des Gerichts. Nichts anderes gilt für Anforderungen, die die Verwaltungsvorschriften an die Darlegung der Einbürgerungsvoraussetzungen stellen. [...]
Der Kläger wird allerdings bei der Einbürgerung voraussichtlich älter als 16 Jahre alt sein, denn er kann die kosovarische Staatsangehörigkeit vor dem Eintritt der Volljährigkeit nur gemeinsam mit einem Elternteil aufgeben und hat dahingehende Absichten nicht vorgetragen. Ob angesichts dessen der Einbürgerungsanspruch nach § 10 Abs. 4 Satz 1 StAG voraussetzt, dass der Kläger die Anforderungen der Sprachprüfung zum Zertifikat Deutsch (B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen) in mündlicher und schriftlicher Form erfüllt oder der Kläger in entsprechender Anwendung von § 10 Abs. 4 Satz 2 StAG oder im Wege der Ermessenseinbürgerung in Anspruch nehmen kann, dass hinreichende Sprachkenntnisse schon bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung angenommen werden, erachtet die Kammer jedoch als offen.
Mit der Regelung in § 10 Abs. 4 Satz 2 StAG ist die Bundesrepublik Deutschland ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung aus Art. 6 Abs. 4 lit. e des Abkommens über die Staatsangehörigkeit vom 06.11.1997 (Zustimmungsgesetz vom 13.05.2004, BGBl II, 578) nachgekommen, Personen, die in ihrem Hoheitsgebiet geboren sind und dort rechtmäßig ihren Aufenthalt haben, den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit zu erleichtern (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Abgeordneten Sevin Dagdelen u.a., BT-Drucks. 16/13321, Seite 3).
Der Kläger fällt in den Kreis der durch diese völkerrechtliche Verpflichtung Begünstigten. Von der innerstaatlichen Umsetzung dieser Verpflichtung in § 10 Abs. 4 Satz 2 StAG kann er jedoch nicht profitieren, wenn die Entlassung aus der kosovarischen Staatsangehörigkeit als einzige noch unerfüllte Einbürgerungsvoraussetzung erst mit Vollendung des 18. Lebensjahres erfolgen kann. Da dieses Einbürgerungshindernis außerhalb der Sphäre des Klägers liegt, kommt im Lichte einer völkerrechtskonformen Auslegung einerseits eine entsprechende Anwendung des § 10 Abs. 4 Satz 2 StAG in Betracht, andererseits eine Verdichtung des in § 8 StAG eröffneten Einbürgerungsermessens auf einen Anspruch auf Erteilung der Einbürgerungszusicherung.
In § 8 Abs. 1 StAG hat der Gesetzgeber keine konkreten Anforderungen hinsichtlich der erforderlichen Sprachkenntnisse eines Einbürgerungsbewerbers formuliert. Soweit die Verwaltungsvorschriften – insbesondere die VAH-BMI – dahingehende Vorgaben enthalten, entsprechen diese im Anforderungsniveau und hinsichtlich der erforderlichen Nachweise den Anforderungen an die Sprachkenntnisse im Rahmen einer Anspruchseinbürgerung (vgl. Nrn. 8.1.2.1.1 und 8.1.2.1.2 VwV-StAR). Dagegen ist grundsätzlich von Rechts wegen nichts einzuwenden, zumal nach den VAH-BMI Befreiungen von diesen Anforderungen gewährt werden sollen, wenn der Einbürgerungsbewerber sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder altersbedingt nicht erfüllen kann. Weitere Ausnahmen können im Rahmen des Ermessens gewährt werden, wenn der Einbürgerungsbewerber z.B. Analphabet oder älter als 60 Jahre ist. Eine Befreiung von strengeren sprachlichen Anforderungen, die ein durch völkerrechtliche Vorschriften grundsätzlich begünstigter Einbürgerungsbewerber einzig aufgrund der Entlassungsbedingungen seines Heimatstaates erfüllen müsste, sehen die VAH-BMI dagegen nicht vor.
Ob das Gebot der völkerrechtsfreundlichen Rechtsauslegung insofern den Ermessensspielraum der Behörde über die Vorgaben des Ministeriums hinaus verfahrensseitig erweitert und zugleich materiell bis auf einen Einbürgerungs(zusicherungs)anspruch verengt oder die bloße Erleichterung der Einbürgerung für einen Teil dieser Gruppe der völkerrechtlichen Verpflichtung genügt, bedarf der Klärung in einem Hauptsacheverfahren. Freilich spricht schon das vorgelegte Zeugnis dafür, dass der Kläger auch den Maßstab des § 10 Abs. 4 Satz 1 StAG wird erfüllen können; insofern hat er es in der Hand, durch die Vorlage der Zeugnisse den Fortgang des Einbürgerungsverfahrens zu beschleunigen. [...]