LG Passau

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Zitieren als:
LG Passau, Beschluss vom 02.04.2015 - 2 T 40/15 - asyl.net: M22814
https://www.asyl.net/rsdb/M22814
Leitsatz:

Allein die unerlaubte Einreise begründet nicht den Verdacht, dass ein Ausländer die Absicht hat, sich der Abschiebung zu entziehen.

Schlagwörter: Inhaftierung, Sicherungshaft, Abschiebungshaft, Freiheitsentziehung, Haftantrag, sichere Drittstaaten, unerlaubte Einreise, Fluchtgefahr, Entziehungsabsicht,
Normen: AufenthG § 62 Abs. 1, AufenthG § 62 Abs. 3 Nr. 5, AufenthG § 62,
Auszüge:

[...]

a) Gemäß § 62 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 5 AufenthG setzt die Inhaftierung eines Ausländers zur Sicherung der Abschiebung zumindest den begründeten Verdacht voraus, dass er sich der Abschiebung entziehen will. Das heißt, die Sicherungshaft ist anzuordnen, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Abschiebung ohne die Inhaftnahme des Ausländers nicht durchgeführt werden kann. Es müssen also konkrete Umstände den Verdacht begründen, dass der Ausländer die Absicht hat, sich der Abschiebung zu entziehen. Erforderlich ist in jedem Fall ein begründeter Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde - vorliegend der Bundespolizei - gemäß § 417 FamFG. Das Gericht hat das Vorliegen eines zulässigen Antrags in diesem Sinne als Voraussetzung für sein weiteres Tätigwerden in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen; fehlt es daran, darf die beantragte Freiheitsentziehung nicht angeordnet werden (MK-FamFG, 2. Aufl., § 417 Rn. 1 m.w.N.). Die Begründung kann zwar knapp gehalten werden, sie muss aber auf den konkreten Fall zugeschnitten sein, da nur dann dem Gericht die für die Einhaltung weiterer Ermittlungen bzw. die zu treffende Entscheidung notwendige Tatsachengrundlage vermittelt und der Betroffene instand gesetzt wird, sich sachgerecht gegen den Haftantrag zu verteidigen.

b) Diesen Anforderungen wird der Haftantrag vom 16.12.2014 nicht gerecht. Die Antragsschrift vom 16.12.2014 führt zur Begründung lediglich aus, dass der Betroffene mit der Bahn unerlaubt eingereist ist und Asyl beantragt hat. Er besaß weder einen Reisepass noch Aufenthaltstitel/Visum. Seinen Antrag begründete er unter Bezugnahme auf die Aussage seines gleichfalls festgenommenen Bruders mit der Absicht der Arbeitsaufnahme, über nennenswerte Barmittel verfügte er nicht. Daraus zieht die Behörde den Schluss, dass der Betroffene sich mit einiger Wahrscheinlichkeit der Abschiebung entziehen werde.

Insgesamt fehlt es damit bereits in tatsächlicher Hinsicht an hinreichend konkreten Anhaltspunkten für eine Fluchtgefahr, so dass dahinstehen kann, ob § 62 Abs. 3 Nr. 5 AufenthG eine geeignete Rechtsgrundlage darstellt.

Für die Fluchtgefahr spricht auch nicht die Einreise über sichere Drittstaaten. Entziehungsabsicht setzt konkrete Umstände, insbesondere Äußerungen oder Verhaltensweisen des Betroffenen voraus, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten oder es nahelegen, dass der Betroffene beabsichtigt unterzutauchen oder die Zurückschiebung in einer Weise zu behindern, die nicht durch einfachen, keine Freiheitsentziehung bildenden Zwang überwunden werden kann (BGH FGPrax 2012, S. 223). Solche Umstände sind z. B. erhebliche Aufwendungen für Schleuserlohn (BGH, a.a.O.), Identitätstäuschungen und die Benutzung von verfälschten Papieren (OLG Naumburg, FGPrax 2000, S. 211) oder das Verheimlichen der zur Ausreise notwendigen Papiere (BGH NJW 1980, S. 892).

Vorliegend hat der Betroffene nach dem Vorbringen der Bundespolizei keine andere Verhaltensweise an den Tag gelegt, als über Drittstaaten illegal einzureisen. Der Betroffene führte andererseits zumindest eine ID-Karte mit, so dass er seine Identifizierung nicht aus eigenem Antrieb erschwert hat. Auch weist die Antragsschrift sonst auf keinerlei Verhalten des Betroffenen hin, welches auf eine Entziehungsabsicht schließen lassen würde. Offenkundig ging es dem Betroffenen daher darum, nach erfolgter Einreise durch Asylantragstellung ein Bleiberecht zu erwirken. Damit besteht im Ergebnis nur ein Verdacht, dass der Ausländer die Ausreisepflicht nicht befolgen werde, was regelmäßig für eine Haftanordnung nicht ausreicht (BGH NJW 1980, S. 892). [...]