Der Ablauf der Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO zieht die Wirkungslosigkeit des Dublin-Bescheides nach sich, wenn der Asylantragsteller nicht innerhalb der Frist ausreist oder in den Drittstaat überstellt wird.
(Amtlicher Leitsatz)
[...]
2. Die Erledigungsfeststellungsklage hat auch in der Sache Erfolg.
Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, denn er hat sich objektiv erledigt (vgl. zum Prüfungsmaßstab: Bader in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO Kommentar, 6. Aufl. 2014, Anm. 28 zu § 161 VwGO). Es ist nämlich nach Erhebung der Anfechtungsklage ein erledigendes Ereignis eingetreten, aufgrund dessen diese Klage unzulässig geworden ist. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtungsklage ist entfallen, weil der Kläger sein Ziel wegen Erledigung des angefochtenen Bescheides vom 20. Mai 2014 bereits erreicht hat. Dies bestand darin, wegen der umstrittenen Zuständigkeit nicht nach Polen in das polnische Asylverfahren überstellt zu werden. Deshalb hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung durch Abgabe einer Hauptsachenerledigungserklärung folgerichtig reagiert. Weil diese einseitig geblieben ist, verfolgt der Kläger sein Begehren zu Recht als auf Feststellung der Erledigung gerichtet fort. Denn nur so kann er die ihn bei Stellung des ursprünglichen Sachantrages treffende Kostenlast vermeiden (vgl. zu diesem Gesichtspunkt auch Neumann, a.a.O., Anm. 120 zu § 161 VwGO).
Der Rechtsstreit hat sich objektiv insgesamt erledigt, denn der Bescheid des Bundesamtes vom 20. Mai 2014 ist wirkungslos geworden. Nach § 43 Abs. 2 VwVfG bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder durch andere Weise erledigt ist. Das Gesetz knüpft den Wirksamkeitsverlust eines Verwaltungsakts im Fall des Zeitablaufs an einen eindeutig bestimmbaren Tatbestand (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2012 - 6 C 3/11 -, in NVwZ 2012,1547,1548, Rn. 19). Ob der Zeitablauf zur Erledigung führt, muss dem Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes aufgrund des jeweiligen materiellen Rechts entnommen werden (vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG Kommentar, 8. Aufl. 2014, Anm. 206 zu § 43 VwVfG). In Anwendung dessen ist der Bescheid vom 20. Mai 2014 aufgrund Zeitablaufs gegenstandslos geworden und entfaltet keine Wirksamkeit mehr. Die Beschwer durch diesen Bescheid ist damit nachträglich entfallen.
Entscheidend ist dabei die Überlegung, dass ein Asylantrag nach der Dublin III-VO nur von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft wird, nämlich demjenigen Mitgliedstaat, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Mitgliedstaat bestimmt wird, Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO, es sei denn, die Zuständigkeit ergibt sich aus anderen Vorschriften der Dublin III-VO. Insoweit besteht kein Unterschied zur Dublin II-VO.
Zwar hat das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid vom 20. Mai 2014 im Tenor zu 1. den Asylantrag des Klägers als unzulässig abgelehnt. Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat als die Bundesrepublik Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Aber weil der Kläger während der Überstellungsfrist nicht selbständig nach Polen ausgereist ist und die Beklagte den Kläger nicht ihrerseits nach Polen überstellt hat, sind diese Voraussetzungen in dem nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht (mehr) erfüllt. Vielmehr ist kraft Gesetzes die Zuständigkeit für den Asylantrag des Klägers auf die beklagte Bundesrepublik Deutschland übergegangen und die Ablehnung des Asylantrages als unzulässig ist damit gegenstandlos geworden. Dies folgt aus Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO und Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO unmittelbar.
Sogenannte Dublin-Bescheide lassen sich als Verwaltungsakte qualifizieren, die für die Bundesrepublik Deutschland eine unter zeitlichem Vorbehalt stehende Dauerwirkung im Hinblick auf deren Unzuständigkeit entfalten. Macht die Bundesrepublik Deutschland innerhalb des gesetzlich bestimmten zeitlichen Rahmens von der Möglichkeit, einen Dublin-Bescheid auch zu vollziehen, keinen Gebrauch, wächst bei ihr die Zuständigkeit für das Asylverfahren des jeweiligen Asylantragstellers aufgrund fruchtlosen Zeitablaufs an. Der Zuständigkeitsübergang beruht allein darauf, dass sowohl die Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO als auch diejenige des Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO verstrichen, ohne dass der Kläger nach Polen überstellt worden oder selbständig nach dorthin ausgereist ist.
Der Fristbeginn bestimmt sich nach der Annahme des Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat, Art. 20 Abs. 1 d Dublin II-VO, 29 Abs. 1 Dublin III-VO.
Nach jedweder Betrachtungsweise sind hier die in Lauf gesetzten Überstellungsfristen abgelaufen. [...]
Der Bescheid vom 20. Mai 2014 hat mithin spätestens mit Ablauf des 18. Oktober 2014 seine Wirksamkeit verloren. Die Zuständigkeit für die Prüfung des vom Kläger gestellten Asylantrages ist gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO auf die beklagte Bundesrepublik Deutschland übergegangen. Diese Regelung entspricht der Vorgängerregelung des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO. Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO und stellt darüber hinaus noch klar, dass der bis zum Fristablauf zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme des Asylantragstellers verpflichtet ist.
Es entspricht nicht nur dem Wortlaut der Vorschrift, sondern auch ihrem Sinn und Zweck, dass sich der Dublin-Bescheid bei fruchtlosem Fristablauf erledigt. Mit Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO wird ein Zuständigkeits(-rück)übergang bei Fristüberschreitung normiert. Die Regelung stützt sich auf die Überlegung, dass der Mitgliedstaat, der die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat nicht fristgemäß durchführt, gegenüber den Partnerstaaten die Folgen tragen muss. Es wohnt Fristenregelungen grundsätzlich inne, dass derjenige, der Fristen versäumt, für sein Versäumnis regelmäßig die rechtlichen Konsequenzen zu tragen hat. Außerdem soll durch Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO vermieden werden, dass eine Kategorie sogenannter "refugees in orbit" entsteht, deren Asylantrag über einen langen Zeitraum nicht oder überhaupt nicht materiell geprüft wird. Deshalb stellt der Zuständigkeitsübergang nach Fristablauf keinen fingierten Selbsteintritt, sondern eine besondere Zuständigkeitsnorm dar, die letztlich lediglich vom Ablauf der Frist abhängig ist (vgl. Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, Das Europäische Asylzuständigkeitssystem, Wien-Graz, Stand: 1. Februar 2014, Anm. K9. zu Art. 29).
Auch die Abschiebungsanordnung im Tenor zu 2. ist damit gegenstandslos geworden und hat sich ebenfalls erledigt. Die Abschiebungsanordnung ist nämlich untrennbar - und zwar akzessorisch - mit der Ablehnung des Asylantrages als unzulässig gemäß § 27a AsylVfG verbunden. Die Abschiebungsanordnung hat gemäß § 34a AsylVfG zwingend zur Voraussetzung, dass der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens gemäß § 27a AsylVfG zuständigen Staat abgeschoben werden soll. Da Polen aufgrund Zeitablaufs nicht mehr zuständiger Staat ist, hat die Abschiebungsanordnung mithin ebenfalls durch fruchtlosen Fristablauf ihre Rechtswirkungen verloren. [...]