VG Potsdam

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Zitieren als:
VG Potsdam, Urteil vom 12.03.2015 - 6 K 2810/14.A - asyl.net: M22819
https://www.asyl.net/rsdb/M22819
Leitsatz:

Zur Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in den Fällen des § 26a AsylVfG.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: sichere Drittstaaten, internationaler Schutz, subsidiärer Schutz, Italien, Abschiebungsanordnung, Abschiebung, Überstellung, Dublinverfahren,
Normen: AsylVfG § 34a, AsylVfG § 34a Abs. 1 S. 1, AsylVfG § 26a, GG Art. 16a, GG Art. 16a Abs. 2 S. 1, GG Art. 16a Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Die Anfechtungsklage ist unbegründet. Der Bescheid ist insgesamt rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.

1. Dies betrifft zunächst die Feststellung, dass dem Kläger in der Bundesrepublik Deutschland kein Asylrecht zusteht. Das Bundesamt hat seinen Bescheid auf § 26a AsylVfG gestützt.

Danach kann sich ein Ausländer, der aus einem Drittstaat im Sinne des Artikels 16a Abs. 2 Satz 1 GG (sicherer Drittstaat) eingereist ist, nicht auf Artikel 16a Abs. 1 GG berufen; er wird nicht als Asylberechtigter anerkannt. Diese Bestimmungen sind auch auf den (vorliegenden) Fall anwendbar, in dem der Asylantragsteller bereits in einem sicheren Drittstaat einen internationalen Schutzstatus zuerkannt erhalten hat. Sollten Art. 16a Abs. 2 GG, § 26a AsylVfG hingegen nicht anwendbar sein, weil sie die Fälle von Schutzberechtigten nicht regeln, wäre der Kläger durch den auf § 31 Abs. 4 AsylVfG gestützten Feststellungstenor gleichwohl nicht in seinen Rechten verletzt. Er hat nämlich als in Italien subsidiär Schutzberechtigter in Deutschland ohnehin keinen Asylverfahrensanspruch (BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2014 - 10 C 7.13 -, NVwZ 2014, 1460, Rn. 29), so dass in Bezug auf den in Deutschland (abermals) gestellten Asylantrag im Ergebnis die gleiche Entscheidung durch das Bundesamt ergehen müsste.

Die Voraussetzungen des § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG liegen vor.

Der Kläger ist aus einem Drittstaat im Sinne des Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG eingereist. Dabei handelt es sich insbesondere um die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften, in denen die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK) und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK) sichergestellt ist. Wie für den Kläger bereits im Beschluss vom 20. November 2014 (VG 6 L 1195/14.A) ausgeführt, ist dies für Italien der Fall. [...]

2. Auch die Abschiebungsanordnung ist rechtmäßig. Dies richtet sich nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.

Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt u.a. die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat an, wenn der Ausländer in diesen Staat abgeschoben werden soll, „sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann“. Hier steht es im Sinne der Vorschrift fest, dass die Abschiebung des Klägers nach Italien durchgeführt werden kann. Die Abschiebung des Klägers kann durchgeführt werden, weil er entweder über einen italienischen Aufenthaltstitel verfügt oder diesen auf der Grundlage seines dort zuerkannten subsidiären Schutzstatus´ beanspruchen kann. Denn die Zuerkennung dieses Schutzstatus´ zieht nach italienischem Recht den Anspruch auf Erteilung eines (seit Februar 2014 für fünf, davor für drei Jahre gültigen) Aufenthaltstitels nach sich (vgl. Auswärtiges Amt vom 26. Februar 2015 zu 2.), der seinerseits unproblematisch zur (Wieder-) Einreise nach Italien berechtigt. Darauf, dass die (konkreten) Überstellungsmodalitäten zwischen Deutschland und dem sicheren Drittstaat - ggf. nach Maßgabe eines zwischenstaatlichen Rückübernahmeabkommens oder (wie im Falle Italiens) nach Maßgabe der zwischenstaatlichen Verwaltungsübung - geklärt sind, und ob zumindest eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des sicheren Drittstaates vorliegen muss, kommt es für die Frage nicht an, ob es feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann, zumal es dem Kläger unbenommen ist, freiwillig nach Italien zu reisen.

Da dem Kläger am 7. November 2013 in Italien der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, kann er in Italien einen Aufenthaltstitel beanspruchen, der ggf. bei der zuständigen Questura verlängert bzw. neu ausgestellt wird (Auswärtiges Amt a.a.O. zu 4.). Dies steht in Einklang mit Unionsrecht: Nach Art. 24 Abs. 2 Qualifikationsrichtlinie stellen die Mitgliedstaaten Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, und ihren Familienangehörigen so bald wie möglich nach Zuerkennung des internationalen Schutzes einen verlängerbaren Aufenthaltstitel aus, der mindestens ein Jahr und im Fall der Verlängerung mindestens zwei Jahre gültig sein muss, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen. Dem Kläger darf angesonnen werden, seinen italienischen Aufenthaltstitel bei der für ihn zuständigen Questura zu beantragen, verlängern bzw. neu ausstellen zu lassen.

Der Kläger besitzt demnach entweder einen solchen Aufenthaltstitel für Italien jedenfalls bis 24. Oktober 2015 oder er kann einen solchen erhalten. Das damit vermittelte Recht auf Einreise führt dazu, dass die Frage der Übernahmebereitschaft Italiens geklärt ist.

Es ist zudem nichts dafür ersichtlich, dass der subsidiäre Schutzstatus nach Maßgabe des einschlägigen Verfahrens (Art. 19 Qualifikationsrichtlinie) aberkannt oder beendet worden ist. Daher kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger ohne weiteres nach Italien zurückkehren kann, da Italien unionsrechtlich in Anknüpfung an den vom Kläger zu beanspruchenden italienischen Aufenthaltstitel zu seiner (Wieder-) Aufnahme verpflichtet ist.

Nach der EuGH-Rechtsprechung (Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 u.a. „N.S.“ -,NVwZ 2012, 417) ergibt die Prüfung der Rechtstexte, die das Gemeinsame Europäische Asylsystem bilden, dass dieses in einem Kontext entworfen wurde, der die Annahme zulässt, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Es gibt keinen stichhaltigen Anhalt dafür, dass Italien dieses Vertrauen in Bezug auf den Kläger nicht rechtfertigen wird.

Der Kläger hätte für sein letztlich angestrebtes Bleiberecht in Deutschland und gegen die Abschiebungsanordnung allenfalls nach Maßgabe des einschlägigen innerstaatlichen Rechts die Möglichkeit, sich auf innerstaatliche (z.B. § 18 AufenthV) bzw. dem Unionsrecht zu entnehmende Anspruchsnormen (Art. 21 Schengener Durchführungs-Übereinkommen) zu berufen. Derlei Aufenthaltsrechte des Klägers sind indes nicht ersichtlich und von ihm auch nicht glaubhaft gemacht worden, abgesehen davon, dass sie nicht vom Bundesamt in asylrechtlicher Zuständigkeit zu prüfen wären.

Soweit im Nachgang zum Erkenntnisstand der mündlichen Verhandlung Umstände eintreten, die einer Abschiebung des Klägers nach Italien entgegen stehen, ist es geklärt, dass das Bundesamt sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu prüfen hat, so dass daneben für eine eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde zur Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG kein Raum verbleibt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14 -, juris m.w.N.). Dies gilt nicht nur hinsichtlich bereits bei Erlass der Abschiebungsanordnung vorliegender, sondern auch bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen, also auch bezüglich etwaiger Vollzugsprobleme im Zusammenhang mit der Anwendung zwischenstaatlicher Rückübernahmeabkommen bzw. der einschlägigen Verwaltungspraxis. Gegebenenfalls hat das Bundesamt die Abschiebungsanordnung aufzuheben oder die Ausländerbehörde anzuweisen, von deren Vollziehung abzusehen (vgl. BVerfG a.a.O., m.w.N.).

Nach § 71 Abs. 3 Nr. 1d AufenthG ist es jedenfalls Sache der mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden - der Bundespolizei - die Rückführung von Ausländern aus anderen und in andere Staaten zu organisieren, und das Bundesamt darf im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems zudem darauf vertrauen, dass derjenige Mitgliedsstaat, der einem Schutzsuchenden einen entsprechenden Status und darauf aufbauenden einen Aufenthaltstitel zuerkannt und Reisedokumente ausgestellt hat (vgl. Art. 24 Abs. 2 und Art. 25 Abs. 2 Qualifikationsrichtlinie) diese Drittstaatsangehörigen, die sich illegal in dem Staatsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhalten, zurücknehmen wird. Sollte sich dieses Vertrauen im Einzelfall wider Erwarten endgültig nicht bestätigen, weil der andere Mitgliedstaat die Übernahme des Drittstaatsangehörigen ablehnt, wird das Bundesamt die Abschiebungsanordnung aufzuheben haben. [...]