VG Augsburg

Merkliste
Zitieren als:
VG Augsburg, Urteil vom 09.02.2015 - Au 3 K 14.30572 - asyl.net: M22829
https://www.asyl.net/rsdb/M22829
Leitsatz:

Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, der seine Religion öffentlich ausübt und dem aus diesem Grunde in Pakistan Verfolgung droht, steht kein interner Schutz offen, da landesweit die gleichen diskriminierenden Gesetze gelten.

Schlagwörter: Ahmadiyya, interne Fluchtalternative, Rabwah, Chenab Nagar, Pakistan, Diskriminierung, Inhaftierung, religiöse Verfolgung, Flüchtlingsanerkennung,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, AsylVfG § 3, AsylVfG § 3e, RL 2011/95/EU Art. 8 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

(1) Die islamische Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya wird nach der pakistanischen Verfassung nicht als muslimisch anerkannt. Die Ahmadis werden durch eine speziell gegen sie gerichtete Gesetzgebung diskriminiert. So ist es ihnen etwa verboten, sich als Muslime zu bezeichnen oder wie Muslime zu verhalten. Verstöße werden strafrechtlich geahndet (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan v. 8.4.2014, Stand: Januar 2014, S. 15 f. – im Folgenden: Lagebericht). Seit 1983 oder 1984 ist es den Ahmadis ferner untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch Veranstaltungen, auf denen öffentlich gebetet wird. Zwar ist es den Ahmadis nicht von vornherein unmöglich, sich in Gebetshäusern zu versammeln. Dennoch wird die gemeinsame Ausübung des Glaubens dadurch behindert oder unmöglich gemacht, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird oder solche auch von staatlichen Organen zerstört werden (siehe hierzu VG Gießen, U.v. 11.7.2013 – 5 K 1316/12.GI.A – juris Rn. 19 m.w.N.). Das Gericht geht zwar aufgrund der aktuellen Erkenntnislage davon aus, dass allein die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya und die Betätigung des Glaubens durch das Gebet in Gebetshäusern noch nicht die Gefahr einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung nach sich zieht (Lagebericht, S. 15 f.; vgl. zur Situation der Ahmadi in Pakistan ausführlich VGH BW, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris Rn. 59 ff.). Etwas anderes gilt jedoch für diejenigen Ahmadi, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und ihr Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen. Für diese Personen besteht in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen würden (VGH BW, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris Rn. 116). Sie haben mit einem erheblichen Risiko für Leib und Leben durch die Gefahr einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten oder gravierenden Übergriffen privater Akteure zu rechnen (VG Gießen, U.v. 11.7.2013 – 5 K 1316/12.GI.A – juris Rn. 24 unter Verweis auf VGH BW, U.v. 12.6.2013, – A 11 S 757/13 – juris; siehe zum Ganzen VG Augsburg, U.v. 27.1.2014 – Au 6 K 13.30418 – juris Rn. 16).

(2) Beim Kläger handelt es sich nach Überzeugung des Gerichts um einen seinem Glauben eng verbundenen Ahmadi, für den die Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit ein zentrales persönliches Anliegen und Teil seiner religiösen Identität ist.

Auch wenn möglicherweise nicht zu erwarten ist, dass der Kläger innerlich zerbrechen oder schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glaubens verzichten müsste, hat er dem Gericht doch überzeugend dargelegt, dass die Praktizierung seines Glaubens in der Öffentlichkeit und das Werben für seinen Glauben ein zentrales Element seiner religiösen Identität und für ihn unverzichtbar ist (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 22/12 – NVwZ 2013, 936/939 Rn. 25). Bei der Feststellung der religiösen Identität als innerer Tatsache kann nur im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen geschlossen werden. Allein der Umstand, dass der Betroffene seinen Glauben in seinem Herkunftsland nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, ist nicht entscheidend, soweit es hierfür nachvollziehbare Gründe gibt. Ergibt jedoch die Prüfung, dass der Betroffene seinen Glauben auch in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in seinem Herkunftsland der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 22/12 – NVwZ 2013, 936/939, Rn. 26; siehe zum Ganzen VG Augsburg, U.v. 27.1.2014 – Au 6 K 13.30418 – juris Rn. 17). [...]

Ferner hat die informatorische Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 6. Februar 2015 gezeigt, dass es sich beim Kläger um einen (öffentlich) bekennenden Ahmadi handelt. Der Kläger hat insoweit zunächst seine Kenntnisse zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya unter Beweis gestellt. Sodann hat er beschrieben, wie er seinen Glauben in Pakistan gelebt hat. Neben regelmäßigen Moscheebesuchen hat er sich bereits dort ehrenamtlich für die örtliche Ahmadiyya-Gemeinde – etwa im Bereich der Straßenreinigung und -instandhaltung – engagiert. Er ist jedoch aufgrund seines Glaubens erheblichen Drohungen ausgesetzt gewesen, die schließlich zu seiner Ausreise geführt hätten. Auch in Deutschland praktiziert er seinen Glauben aktiv und nimmt an örtlichen wie überörtlichen Veranstaltungen teil sowie engagiert sich ehrenamtlich für die örtliche Ahmadiyya-Gemeinde (etwa im Bereich des interreligiösen Dialogs, Sportveranstaltungen sowie Reinigungs- oder Missionierungsaktionen). Er hat auch bereits den Kalifen getroffen. Die Angaben des Klägers erachtet das Gericht vor dem Hintergrund der vorliegenden Dokumente – insbesondere der Bescheinigungen der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland vom 20. Januar 2015 (Blatt 39 der Gerichtsakte) und 27. Dezember 2012 (Blatt 45 der Verwaltungsakte) – und dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Gesamteindruck als nachvollziehbar und glaubhaft. Es ist nach alledem davon auszugehen, dass auch und gerade das öffentliche Leben seines Glaubens für den Kläger ein zentrales Element seines Glaubens ist. Es ist ihm ersichtlich ein echtes Anliegen, seinen Glauben gerade auch in der Öffentlichkeit zu leben und mit anderen zu teilen. Dem Kläger ist die Flüchtlingseigenschaft daher im Hinblick darauf zuzuerkennen, dass von ihm bei einer Rückkehr nach Pakistan nicht verlangt werden kann, sich lediglich auf die Religionsausübung im Geheimen bzw. innerhalb seiner Gemeinde zu beschränken, da für ihn gerade die Ausübung seiner Religion in der Öffentlichkeit und der Versuch, anderen Leuten seinen Glauben zu vermitteln, zentraler Bestandteil seines Glaubens sind und hieran die in Pakistan drohenden Verfolgungshandlungen anknüpfen (vgl. zum Ganzen VG Augsburg, U.v. 27.1.2014 – Au 6 K 13.30418 – juris Rn. 18).

Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi steht auch kein interner Schutz i.S.v. § 3e Abs. 1 AsylVfG i.V.m. Art. 8 Abs. 1 QRL in Pakistan offen. Die Möglichkeit, in andere Landesteile auszuweichen und dort in zumutbarer Weise ungefährdet seinen Glauben zu leben, hat er nicht. Was die dem pakistanischen Staat unmittelbar zuzurechnenden Eingriffe angeht, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen landesweit die gleichen. Hinsichtlich der Aktionen privater Akteure bietet nach den vorliegenden Erkenntnisquellen auch die Stadt Rabwah Ahmadis keine ausreichende Verfolgungssicherheit (vgl. zum Ganzen VG Augsburg, U.v. 27.1.2014 – Au 6 K 13.30418 – juris Rn. 19 unter Bezugnahme auf VGH BW, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris Rn. 121). [...]