VG Augsburg

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Zitieren als:
VG Augsburg, Beschluss vom 31.10.2014 - Au 1 E 14.1132 - asyl.net: M22886
https://www.asyl.net/rsdb/M22886
Leitsatz:

Zum Daueraufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei.

Schlagwörter: Daueraufenthalt, Daueraufenthaltsberechtigte, Daueraufenthaltsrichtlinie, Türkischer Arbeitnehmer, Familienangehörige, Assoziationsratsbeschluss EWG/Türkei, Assoziierungsabkommen EWG/Türkei, Erlöschen, Unterbrechung, Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltstitel, Ausreisepflicht, Abschiebungsandrohung, Auslandsaufenthalt, türkische Staatsangehörige, Unionsrecht, Aufenthaltsrecht,
Normen: AufenthG § 50 Abs. 1, ARB 1/80 Art. 6, ARB 1/80 Art. 7, RL 2003/109/EG Art. 9 Abs. 1 Bst. c, AufenthG § 51 Abs. 1 Nr. 7, AufenthG § 51 Abs.1,
Auszüge:

[...]

3. Der Antrag ist aber insoweit begründet, als der Kläger gegen die Abschiebungsandrohung vorgeht. Hier überwiegen die Interessen des Antragstellers. Die Abschiebungsandrohung ist vorbehaltlich einer Prüfung in der Hauptsache nicht rechtmäßig. Voraussetzung hierfür ist gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG, dass der Ausländer ausreisepflichtig ist. Dies ist er dann nicht, wenn ihm nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Daueraufenthaltsrecht zusteht.

a) Der Antragsteller ist voraussichtlich gemäß Art. 7 Satz 1 1. Spiegelstrich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 (ANBA 1981, 4) – ARB 1/80 – zum Daueraufenthalt berechtigt. Hierfür ist Voraussetzung, dass es sich um einen Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers handelt, der die Genehmigung erhalten hat, zu ihm zu ziehen, wenn er dort seit mindestens drei Jahren seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz hat. Diese Anforderungen erfüllt der Antragsteller. Er war mit einer türkischen Arbeitnehmerin verheiratet, er hatte die Genehmigung, zu ihr zu ziehen und er hatte seinen Wohnsitz mindestens drei Jahre in Deutschland. Dass er seit 2008 von dieser Ehefrau geschieden ist, ändert an der Berechtigung zum Daueraufenthalt nichts. Eine Scheidung kann ein zuvor entstandenes Aufenthaltsrecht nicht vernichten (vgl. Gutmann in GKAufenthG, Januar 2012, Art. 7 ARB Nr. 1/80 EWG/Türkei, Rn. 54.4). Selbst die Tatsache, dass die Ehefrau neben der türkischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Denn begünstigt sind auch die Familienangehörigen Deutscher, die zugleich die türkische Staatsangehörigkeit besitzen (vgl. Gutmann in GK-AufenthG, August 2013, Art. 7 ARB Nr. 1/80 EWG/Türkei, Rn. 61.1).

b) Ob ein Daueraufenthaltsrecht nach Art. 6 ARB 1/80 gegeben ist, bedarf vorliegend keiner endgültigen Entscheidung, weil jedenfalls Art. 7 ARB 1/80 erfüllt ist. Es spricht aber vieles dafür, dass die Voraussetzungen des Art. 6 ARB 1/80 nicht vorliegen. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Antragsteller ein Jahr beim selben Arbeitgeber beschäftigt war oder länger als drei Jahre einer Beschäftigung nachgegangen ist.

c) Das Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 ist auch nicht erloschen.

Nach der gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft können die Aufenthaltsrechte nach Art. 7 ARB 1/80 nur unter zwei Voraussetzungen beschränkt werden: Entweder stellt die Anwesenheit des türkischen Staatsangehörigen wegen seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche und schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder Gesundheit im Sinne von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 dar, oder der Betroffene hat das Hoheitsgebiet dieses Staates für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen (vgl. BVerwG, U.v. 30.4.2009 – 1 C 6/08 – juris Rn. 24). Hier kommt einzig die zweite Variante in Betracht. Die Abwesenheitszeiten des Antragstellers, nach eigenen Angaben von höchstens eineinhalb Jahren, führen nach Auffassung der Kammer wohl nicht zum Erlöschen des Aufenthaltsrechts.

In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist nicht abschließend geklärt, wann die Voraussetzungen für die Annahme, dass ein Familienangehöriger Deutschland für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat, vorliegen. Da es für die Bestimmung des Zeitraums, der als "nicht unerheblich" anzusehen ist, in der Rechtsprechung keine klaren einheitlichen Vorgaben gibt, ist dieser Begriff anhand vergleichbarer Entscheidungen und ähnlicher Regelungen für andere Gruppen von Ausländern näher einzugrenzen (vgl. BayVGH, U.v. 13.5.2014 – 10 BV 12.2382 – Landesanwaltschaft Bayern Rn. 25 ff). Laut Bayerischem Verwaltungsgerichtshof spricht vieles dafür, dass die Vorschriften der Unionsbürgerrichtlinie (RL 2004/38/EG) insoweit lediglich als Orientierungsrahmen für die Verlustgründe dienen können und wegen Art. 59 ZP zugleich Obergrenzen festsetzen, die nicht überschritten werden dürfen (vgl. BayVGH a.a.O. Rn. 29). Als weitere Orientierung komme Art. 9 Abs. 1 c der Daueraufenthaltsrichtlinie (RL 2003/109/EG) in Betracht. Demnach berechtigt eine Abwesenheit von zwölf aufeinander folgenden Monaten nicht mehr zum Aufenthalt (vgl. BayVGH a.a.O. Rn. 32). Daneben seien das Ziel und der Zweck des Art. 7 ARB 1/80 heranzuziehen. Danach könne ein Verlassen des Mitgliedstaates "für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe" nur dann angenommen werden, wenn derjenige erkennen lasse, dass er diesen Integrationszusammenhang nicht mehr aufrechterhalten wolle. Nötig sei hierfür eine Einzelfallbetrachtung. Bei objektiver Betrachtungsweise müsse sich ergeben, dass der Ausländer das Bundesgebiet auf Dauer verlassen wollte (vgl. BayVGH a.a.O. Rn. 34). Legt man die Anforderungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs hier zugrunde, ergibt sich nicht, dass der Antragsteller das Bundesgebiet dauerhaft verlassen wollte. Er war auch nicht länger als 2 Jahre oder 12 aufeinanderfolgende Monate abwesend. Das Bemühen um einen Deutschkurs zeigt, dass er den Integrationszusammenhang nicht abreißen lassen wollte. Darüber hinaus hat er die Bundesrepublik Deutschland aus berechtigten Gründen verlassen. Diese liegen in der Regel vor, wenn anerkannte Interesse verfolgt werden. Die Gründe müssen legitim, d.h. allgemein gesellschaftlich anerkannt sein (vgl. BayVGH a.a.O. Rn. 38). Die Pflege der erkrankten Mutter stellt einen solchen anerkannten Grund dar. [...]