VG Köln

Merkliste
Zitieren als:
VG Köln, Beschluss vom 02.04.2015 - 13 L 559/15.A - asyl.net: M22896
https://www.asyl.net/rsdb/M22896
Leitsatz:

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Litauen.

Schlagwörter: Litauen, Dublinverfahren, systemische Mängel, Aufnahmebedingungen, Asylverfahren, unmenschliche Behandlung, erniedrigende Behandlung, Inhaftierung, Dublin-Rückkehrer,
Normen: AsylVfG § 34a, AsylVfG § 27a,
Auszüge:

[...]

Nach dem gegenwärtigen Informationsstand kann das Gericht nicht die Überzeugung gewinnen, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Litauen aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Antragsteller mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Es gibt keine Hinweise darauf, dass bei der Vollziehung der Dublin-Verordnung die Republik Litauen ihre Verpflichtung nach der Genfer Flüchtlingskonvention, der EMRK oder nach dem Unionsrecht missachtet oder unvertretbare rechtliche Sonderpositionen einnimmt. Durch die litauische Rechtslage zur Durchführung von Asylverfahren und die Vollzugspraxis ist im Grundsatz die asylrechtliche und subsidiäre Schutzgewährung, die Grund- und Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage für Asylbewerber unbedenklich. Litauen hat 1997 die Genfer Konvention und das Protokoll zum Status von Flüchtlingen ratifiziert. Im Jahr 2000 wurde ein Flüchtlings- und Asylgesetz verabschiedet und durch Änderungen zuletzt im März 2015 an die gemeinsamen Standards in der EU angepasst. Diese Regelungen bilden einen rechtlichen Rahmen für die Prüfung des Asylgesuchs des Antragstellers. Während des Entscheidungsprozesses werden Asylbewerber zunächst im Ausländerregistrierungszentrum (Foreigners Registration Center) in Pabrade untergebracht. Dieses Zentrum hat einen offenen Teil für Asylbewerber und einen geschlossenen Teil, in dem illegale Migranten in Abschiebehaft festgehalten werden. Asylbewerber werden in dem offenen Teil untergebracht und können sich grundsätzlich frei in Litauen bewegen, dürfen das Besucher-Zentrum jedoch nicht länger als 24 Stunden verlassen. In dem Zentrum gibt es ein medizinisches Zentrum für erste ambulante Untersuchungen und Betreuung durch einen Familienarzt. Bei positivem Bescheid werden die betroffenen Personen in das Aufnahmezentrum in Rukla gebracht, wo sie bis zu sechs Monaten bleiben können und erste Integrationsmaßnahmen wie Sprachkurse, berufliche Weiterbildungskurse und Beratung erhalten können. Nach dieser Zeit werden sie in einer Gemeinde untergebracht und erhalten u.a. eine monatliche Zuwendung, Sprachunterricht, Unterstützung bei der Arbeitssuche, soziale Absicherung und Krankenversicherung. In den Zentren in Pabrade und Rukla haben Asylbewerber das Recht auf kostenlose medizinische Nothilfe, (auch psychiatrische) und soziale Leistungen. Es ist dem Antragsteller zwar zuzugeben, dass die Lebensbedingungen für Asylsuchende im Ausländerregistrierungszentrum in Pabrade zumindest als schwierig geschildert werden. Sie bilden seit langem einen Kritikpunkt für internationale Organisationen. Das Rote Kreuz und der UNHCR halten das Zentrum für ungeeignet zur Unterbringung von Personen, die vor Krisensituationen in ihren Herkunftsländern geflohen sind. Beide Organisationen versuchen seit langem, die litauische Regierung davon zu überzeugen, dass Asylsuchende zusammen mit den bereits anerkannten Flüchtlingen und Asylbewerbern im Aufnahmezentren in Rukla untergebracht werden sollen (zu den Bedingungen in Parbrade Benjamin Brake, Flucht und Asyl, Länderprofil Litauen, Bundeszentrale für politische Bildung, Stand: 1. Januar 2007, nachgewiesen im Internet; Global detention project, "Lithuania Detention Profile", Stand: Juni 2010 (www.globaldetentionproject.org); Bericht über einen Besuch beim UNHCR-Büro in Vilnius (http://www.frsh.de/fileadmin/schlepper/schl_16/s16_12-13.pdf); "Stacheldraht in Osteuropa: Die andere Außengrenze der EU - ein Besuch in einem Flüchtlingsheim in Litauen" (http:jungleworld.com/artikel/2014/06/49282.html).

Jedoch haben weder der UNHCR noch andere Nicht-Regierungs-Organisationen bislang über gravierende Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in Litauen berichtet. Dies zeigt, dass Litauen bereit und jedenfalls im Grundsatz in der Lage ist, die Maßgaben der Genfer Flüchtlingskonvention und des asylrechtlichen Systems in der Europäischen Union einzuhalten, so dass nicht ernsthaft zu befürchten ist, dass rücküberstellte Asylbewerber in Litauen einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sind (vgl. zum Asylverfahren und insbesondere zum Verfahrensablauf Jahresbericht 2012 der litauischen Abteilung für Asylangelegenheiten (http://coi.[...]; Migration Department Lithuania, "New Amendments to Law on the legal status of aliens" vom 04. März 2015 (www.migracija.lt); US-Department of state, Country report an human right practices 2013 Lithuania vom 27. Februar 2014; vgl. zu allem auch die Darstellung der Länder-Feststellungen zum Asylverfahren in Litauen, zum Non-Refoulement, zur Unterbringung und zur medizinischen Versorgung in Litauen in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Österreich vom 4. November 2014 - Geschäftszahl WE 184 2000496-1 - und die dort genannten Quellen, kostenlos abrufbar in der Datenbank RIS des österreichischen Bundeskanzleramtes im Internet).

Nichts anderes ergibt sich aus dem vom Antragsteller zitierten Bericht über das Asylverfahren und die Haftbedingungen für abgelehnte Asylbewerber und illegal eingereiste Ausländer in Litauen ("Detention of asylum seekers and alternatives to detention in Lithuania", Vilnius 2011 (http://redcross.eu/en/upload/documents/pdf/2012/Migration/Lithuania_Study_on_detention%20pdf.pdf).

Auch dieser Bericht betont, dass nach dem Ausländerrecht Litauens Asylbewerber im Grundsatz nicht inhaftiert werden dürfen; nur ausnahmsweise darf ihr Recht auf freie Bewegung eingeschränkt werden, beispielsweise um die nationale Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder Rechte und Freiheiten von anderen Personen zu schützen oder um Straftaten zu verhindern. Allerdings sollen in zwei Fällen Asylbewerber ohne eine entsprechende rechtliche Rechtfertigung in Haft genommen und Distrikt-Gerichte diese Haft mit der Begründung bestätigt haben, dass der Asylbewerber die Bestimmungen dadurch verletzt habe, dass er das Ausländer-Registrierung-Zentrum länger als 24 Stunden verlassen habe, als er Litauen verlassen habe und ins Ausland gegangen sei (Kapitel 3.4.2.2 des Berichts). Der Bericht betont jedoch gleichzeitig, dass es sich dabei um Entscheidungen von Distrikt-Gerichten handele, der oberste Verwaltungsgerichtshof von Litauen jedoch dazu noch keine Entscheidung getroffen habe und daher unklar sei, ob er diese Praxis der Distrikt-Gerichte halten werde. Danach handelt es sich - wenn überhaupt - allenfalls um einzelne Verstöße gegen unionsrechtliche Bestimmungen, die noch keine systemischen Mängel darstellen. Wie der Bericht zeigt, ist es Betroffenen auch möglich und zumutbar, für diesen Fall um Rechtsschutz vor den zuständigen Gerichten in Litauen nachzusuchen.

Es ist auch nicht vorgetragen oder ersichtlich, dass beim Antragsteller, einem allein reisenden knapp 25-jährigen Mann, besondere individuelle Umstände vorliegen, die einer Abschiebung nach Litauen ausnahmsweise entgegenstehen. [...]