VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 30.04.2015 - - asyl.net: M22911
https://www.asyl.net/rsdb/M22911
Leitsatz:

Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für einen Sicherheitsmann der RPT in Togo wegen Verfolgungsgefahr unter dem Vorwurf der Beteiligung am angeblichen Staatsstreich Kpatcha Gnassingbés.

Schlagwörter: Togo, Staatspräsident, Sicherheitsmann, Sicherheitsdienst, Staatsstreich, Putsch, Umsturzversuch, RPT, Rassemblement du Peuple Togolais, Kpatcha Gnassingbé, politische Verfolgung, Wachmann,
Normen: AsylVfG § 3, AsylVfG § 3 Abs. 1, Asyl VfG § 3a Abs. 1, AsylVfG § 3a, AsylVfG § 3c,
Auszüge:

[...]

Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. [...]

2. Das Gericht ist aufgrund des Ergebnisses der ausführlichen mündlichen Verhandlung und des in ihr gewonnenen Eindruck von der Person des Klägers zu der Überzeugung gelangt, dass der von ihm behauptete Vorfluchtgrund (insbesondere Vorwurf der Beteiligung an dem [angeblichen] Staatsstreich des Kpatcha Gnassingbé und damit verbundene Inhaftierung) im Wesentlichen der Wahrheit entspricht.

Der Kläger hat nicht nur seine vor dem Bundesamt gemachten Angaben im Wesentlichen wiederholt; er hat diese vielmehr auch so vertieft und zahlreiche Nachfragen in einer Weise beantwortet, dass das Gericht keine Zweifel daran hat, dass der Kläger von tatsächlich Erlebtem berichtete. All das, was der Kläger berichtet hat, wird zudem durch die dem Gericht zugänglichen Informationen über den (angeblichen) Staatsstreich des Kpatcha Gnassingbé nicht in Frage gestellt, sondern stehen mit ihnen, insbesondere was die Geschehnisse an Ostern 2009 anbelangt, in Einklang.

Das Gericht hat vom Kläger in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass dieser tatsächlich nur über einen recht geringen Bildungsstand verfügt. Für ihn war die Tätigkeit für die RPT und auch für Kpatcha Gnassingbé offensichtlich nicht Ausdruck einer inneren politischen Überzeugung. Für ihn war es einfach wichtig, dabei zu sein und mit seinem "Dabeisein" geringfügige Vorteile finanzieller und wohl auch sozialer Art zu haben. Dass der Kläger als besonders vertrauenswürdiger Mensch wahrgenommen werden kann und deshalb für eine Hilfstätigkeit bei einer politisch einflussreichen Persönlichkeit in Betracht kommt, kann das Gericht sich ohne Weiteres vorstellen.

Das Gericht ist insbesondere überzeugt davon, dass der Kläger tatsächlich im Zusammenhang mit dem [angeblichen] Staatsstreich inhaftiert und dabei körperlich misshandelt worden ist. Der Kläger hat insoweit zunächst detailliert und widerspruchsfrei von seiner Verhaftung berichtet. Er hat sodann anschaulich die Verhöre und die dabei angewendete Folter geschildert. Die entsprechenden Schilderungen übersteigen nach Auffassung des Gerichts bei Weitem dessen, was der Kläger sich in der mündlichen Verhandlung spontan hätte einfallen lassen können, zumal Formulierung wie "Schreien bis zur Ohnmacht" kaum das Ergebnis der Fantasie des Klägers sein können. Mit dem Hinweis auf die Suche nach der ihm zeitweise in Verwahrung gegebenen Aktentasche hat der Kläger zudem ein nachvollziehbares Motiv für die Suche nach ihm und seine Behandlung gegeben.

Besonders beeindruckt war das Gericht auch davon, dass der Kläger, gefragt nach seiner Zelle, spontan eine Skizze seines Gefängnisses angefertigt und anhand von ihr die Verhältnisse dort beschrieben hat.

An der Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers vermag nach Auffassung des Gerichts nicht zu rütteln, dass der Kläger sich den Grund für seine Freilassung aus dem Gefängnis nicht zu erklären vermag.

Der Annahme der politischen Verfolgung steht im Übrigen nicht entgegen, dass der Kläger nach seiner Aussage in keiner Weise an der Vorbereitung eines Staatsstreiches beteiligt war, und ohnehin nicht sicher ist, ob überhaupt ein Staatsstreich geplant war. Gemäß § 3b Abs. 2 AsylVfG ist es nämlich bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweise, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

Das Gericht vermag nicht zu erkennen, dass sich die Situation in Togo so geändert hätte, dass der Kläger tatsächlich nicht mehr Gefahr läuft, erneut einen ernsthaften Schaden zu erleiden. Nach der Erkenntnislage befindet sich insbesondere Kpatcha Gnassingbé aufgrund der Verurteilung aus dem Jahr 2011 (vgl. giz, Togo, Geschichte, Staat und Politik, www.liportal.giz.de/togo/geschichte-staat [Stand: 3. Dezember 2014]) nach wie vor in Haft. Es spricht auch alles dafür, dass Kpatcha Gnassingbé ebenfalls gefoltert worden ist (vgl. Amnesty Report 2013, Togo). Schließlich gibt es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Einzelheiten des (angeblichen) Staatsstreiches für die Sicherheitskräfte nicht mehr von Interesse wären. Es ist nicht bekannt, dass Kpatcha Gnassingbé etwa den Vorwurf zwischenzeitlich vollumfänglich eingeräumt hätte und deshalb kein weiterer Klärungsbedarf mehr bestünde. Eine Amnestie für Beteiligte des angeblichen Staatsstreiches, unter die der Kläger fallen könnte, ist dem Gericht ebenfalls nicht bekannt. [...]