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OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.05.2015 - 11 A 78/15.A - asyl.net: M22918
https://www.asyl.net/rsdb/M22918
Leitsatz:

Ein Asylantrag, der auf Grundlage des § 27a AsylVfG abgelehnt worden ist, kann grundsätzlich nicht in einen Bescheid nach § 71a AsylVfG umgedeutet werden, da über einen Zweitantrag nach § 71a AsylVfG erst entschieden werden kann, wenn die Tatsachengrundlage des jeweiligen Einzelfalls geklärt ist.

Schlagwörter: Dublinverfahren, Überstellungsfrist, Divergenzrüge, Berufungszulassungsantrag, Umdeutung, Zweitantrag, Wiederaufnahme, Wiederaufgreifen, Wiederaufnahme des Verfahrens, Durchbrechung der Bestandskraft, Asylfolgeantrag, unzulässig, Unzulässigkeit, Anfechtungsklage, isolierte Anfechtungsklage, Überstellungsfrist, Umdeutung,
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 2, AsylVfG § 27a, AsylVfG § 71a Abs. 1, AsylVfG § 71a, VwGO § 51 Abs. 1, VwGO § 51 Abs. 2, VwGO § 51 Abs. 3, VwVfG § 47 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

1. Die erhobene Divergenzrüge (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG) ist unbegründet.

Die Beklagte macht geltend, das angefochtene Urteil weiche von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 - ab (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 -, BVerwGE 106,171 = juris) und führt aus, das Verwaltungsgericht habe im Widerspruch zu dieser Entscheidung die Rechtsauffassung vertreten, gegen die auf § 27a AsylVfG gestützte Antragsablehnung sei die isolierte Anfechtungsklage statthaft. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts habe das Gericht die Streitsache im Asylrechtsstreit aber spruchreif zu machen, auch wenn es sich um einen Asylfolgeantrag handele, bezüglich dessen das Bundesamt noch nicht in die Prüfung eingetreten sei.

Die gerügte Divergenz besteht nicht. Eine Abweichung läge nur vor, wenn das Verwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgewichen wäre (vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 12. Dezember 1991 - 5 B 68.91 -, Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 302, vom 20. Dezember 1995 - 6 B 35.95 -, NVwZRR 1996, 712 (713), und vom 22. Oktober 2014 - 8 B 99.13 -, juris, Rn. 19, m.w.N.).

Daran fehlt es hier. Die genannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist zur Folgeantragsregelung nach § 71 AsylVfG ergangen. Klagegegenstand der angefochtenen Entscheidung ist demgegenüber eine Entscheidung nach § 27a AsylVfG. Nach der von der Beklagten genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts kann im Asylfolgeverfahren nicht lediglich isoliert auf "Wiederaufgreifen" geklagt werden, weil der rechtserhebliche Aspekt, ob das bestandskräftig abgeschlossene Asylverfahren wieder aufgenommen werden müsse, lediglich die (Vor-)Frage nach der Erfüllung der Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheids als notwendige Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch auf Asyl, nicht aber einen selbstständig neben diesem stehenden einklagbaren Wiederaufgreifensanspruch betreffe (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 -, BVerwGE 106, 171 (172 f.) =juris, Rn. 10).

Hingegen trifft das Bundesamt im Verfahren nach § 27a AsylVfG allein die der Prüfung des Asylantrags vorgelagerte Entscheidung über die Unzulässigkeit des Asyla ntrags; eine materiell-rechtliche Prüfung, ob ein Anspruch auf Anerkennung auf Asyl besteht, findet nicht statt. Insofern steht in diesem Verfahren weder die (Vor-)Frage im Streit, ob ein bestandskräftig abgeschlossenes Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss noch ob ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht (vgl. zur Erfolglosigkeit der Divergenzrüge in einem solchen Fall: Bay. VGH, Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 3; ferner auch BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 10 C 1.13 -, Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 13, S. 3, Rn. 14 = juris, Rn. 14 zur Anfechtungsklage für den Fall einer Verfahrenseinstellung nach den §§ 32, 33 AsylVfG).

II. Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) wird nicht entsprechend den gesetzlichen Erfordernissen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG dargelegt.

Zur Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung muss eine tatsächliche oder rechtliche Frage aufgeworfen werden, die entscheidungserheblich ist und über den Einzelfall hinaus im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Fortentwicklung des Rechts einer Klärung bedarf (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Juli 1984 - 9 C 46.84 -, BVerwGE 70, 24 ff., und Beschlüsse vom 2. Oktober 1984 - 1 B 114.84 -, InfAuslR 1985, 130 f., sowie vom 19. Juli 2011 - 10 B 10.11, 10 PKH 4.11 -,juris, Rn. 3).

Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht. Die von der Beklagten aufgeworfene Frage, "ob bei einem als unzulässig i.S.v. § 27a AsylVfG abgelehnten Asylantrag deshalb eine isolierte Anfechtungsklage als zulässige Klageart ausscheidet, weil vielmehr auch dann zwingend eine auf Statuszuerkennung gerichtete Verpflichtungsklage zu erheben ist sowie ob die Tatsachengerichte gehalten sind, das Vorliegen eines insgesamt verfahrensrelevanten Asylantrags festzustellen und ferner, ob dann auch das Asylbegehren in der Sache spruchreif zu machen ist", rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung.

Die Frage bedarf keiner Klärung in einem Berufungsverfahren. Sie ist in der Rechtsprechung des angerufenen Oberverwaltungsgerichts zwischenzeitlich geklärt. Danach ist gegen die Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge nach § 27a AsylVfG allein die Anfechtungsklage statthaft (vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12 -, juris, Rn. 28 ff., unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH).

Dem Zulassungsantrag bleibt der Erfolg auch versagt, soweit die Beklagte geltend macht, diese Rechtsfrage sei wegen der uneinheitlichen obergerichtlichen Rechtsprechung nicht abschließend geklärt und es stehe eine Beantwortung dieser Frage durch das Bundesverwaltungsgericht aus. Die Rechtsprechung des beschließenden Oberverwaltungsgerichts zur Frage der statthaften Klageart im Falle einer Entscheidung nach § 27a AsylVfG steht im Einklang mit der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. hierzu Bay. VGH, Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 6, unter Hinweis auf die in diesem Zusammenhang ergangene Rechtsprechung verschiedener Obergerichte: Hamb. OVG, Beschluss vom 2. Februar 2015 - 1 Bf 208/14.AZ -, juris; NdsOVG, Beschluss vom 6. November 2014 - 13 LA 66/14 -, AuAS 2014, 273; OVG Saarl., Beschluss vom 12. September 2014 - 2 A 191/14 -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, InfAuslR 2014, 293; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris; OVG S.-A., Urteil vom 2. Oktober 2013 - 3 L 643/12 -, juris).

Das Bundesverwaltungsgericht hat zudem entschieden, dass der Grundsatz, die Sache spruchreif zu machen und sich nicht auf eine Entscheidung über die Anfechtungsklage zu beschränken, nicht ausnahmslos gelte. Dazu hat es im Wesentlichen ausgeführt, aus § 113 Abs. 3 VwGO sei zu entnehmen, dass die Verwaltungsgerichte auch bei der Kontrolle eines rechtlich gebundenen Verwaltungsakts nicht in jedem Falle selbst die Spruchreife herbeiführen müssten, sondern bei erheblichen Aufklärungsdefiziten zunächst der Behörde Gelegenheit geben könnten, eine den Streitstoff erschöpfende Sachentscheidung zu treffen. Vor allem stehe die besondere - auf Beschleunigung und Konzentration auf eine Behörde - gerichtete Ausgestaltung des Asylverfahrens durch das Asylverfahrensgesetz im Falle versäumter Sachentscheidung durch das Bundesamt der Annahme entgegen, dass nur eine auf die Asylanerkennung gerichtete Verpflichtungsklage, auf die hin das Verwaltungsgericht die Sache spruchreif zu machen hätte, in Betracht käme (vgl. für den Fall der Verfahrenseinstellung nach den §§ 32, 33 AsylVfG: BVerwG, Urteile vom 7. März 1995 - 9 C 264.95 -, Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12, S. 3 ff. = juris, Rn. 15, und vom 5. September 2013 - 10 C 1.13 -, Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 13, S. 3, Rn. 14 = juris, Rn. 14).

Diese Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist ohne weiteres auf den Fall der Ablehnung der Durchführung eines Asyl(folge-)verfahrens auf der Grundlage des § 27a AsylVfG übertragbar. Auch in diesem Fall trifft das Bundesamt keine Sachentscheidung über den Anspruch auf Asylanerkennung, sondern weist lediglich, ohne dass eine materiell-rechtliche Prüfung stattfindet, auf die Unzulässigkeit des Asylantrags hin (vgl. zur Übertragbarkeit der Ausführungen des BVerwG auf die vorliegende Konstellation: Bay. VGH, Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 6).

Mit Blick darauf kommt es auf die von der Beklagten sinngemäß aufgeworfene Frage nicht an, ob die ablehnende Entscheidung nach § 27a AsylVfG in eine Entscheidung nach § 71a Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG umzudeuten und sodann "durchzuentscheiden" sei.

Abgesehen davon dürfte sich diese Frage nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise beantworten lassen. Es kann insoweit dahinstehen, ob die Voraussetzungen für eine Umdeutung im Sinne des § 47 Abs. 1 VwVfG in einem solchen Fall vorliegen. Nach dieser Vorschrift kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Mit der Entscheidung nach § 27a AsylVfG wird lediglich - wie in dem vom Kläger angefochtenen Bescheid vom 24. Juli 2014 - ohne materiell-rechtliche Prüfung die Unzulässigkeit des Asyl(folge-)antrags festgestellt; im Rahmen der Entscheidung nach § 71a AsylVfG findet hingegen eine Prüfung statt, ob das Asylverfahren, wenn die Bundesrepublik Deutschland für dessen Durchführung zuständig ist, auf den Zweitantrag wiederaufzugreifen ist und ob, falls Gründe für ein Wiederaufgreifen gegeben sind, ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht. Jedenfalls dürfte aber die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach § 27a AsylVfG und eine Entscheidung über einen Zweitantrag nach § 71a AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG im Sinne von § 47 Abs. 1 VwVfG gleichermaßen erfüllt sind, allein anhand des konkreten Einzelfalls zu beantworten sein. So hat die Beklagte etwa im Falle des Klägers zwar geltend gemacht, es habe ein Eurodac-Treffer der Kategorie 1 betreffend Belgien vorgelegen, ob der vom Kläger in Belgien gestellte Asylantrag aber bereits erfolglos im Sinne von § 71a AsylVfG abgeschlossen ist, hat die Beklagte weder vorgetragen noch ist Entsprechendes ersichtlich.

Im Hinblick darauf führt auch die im Verlaufe des Zulassungsverfahrens unter Bezugnahme auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Februar 2015 (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Februar 2015 - 1 B 2.15 -, juris, Rn. 3) ergänzend abgegebene Zulassungsbegründung der Beklagten nicht zum Erfolg des Zulassungsantrags. Anders als im vorliegenden Fall lagen hinsichtlich des dortigen Klägers über Eurodac-Treffer der Kategorie 1 hinaus noch eine der Beklagten über eine DublinNET-Mail zugegangene Antwort Italiens, dass für diesen eine anerkennende Entscheidung in Italien ergangen war, und damit "konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger bereits in anderen Mitgliedstaaten Asylanträge gestellt und diese in einem Mitgliedstaat zu einer Anerkennung geführt haben".

Abgesehen davon sieht sich der Senat mit Blick auf die Ausführungen in der von der Beklagten angeführten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bestätigt, dass die Frage, ob die ablehnende Entscheidung nach § 27a AsylVfG in eine Entscheidung nach § 71a Abs. 1 AsyIVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG umzudeuten und sodann "durchzuentscheiden" ist, nur anhand des konkreten Einzelfalls und nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise zu beantworten sein dürfte. Das Bundesverwaltungsgericht weist in seiner Entscheidung ausdrücklich darauf hin, es komme somit in tatsächlicher Hinsicht darauf an, ob und mit welchem Ergebnis der Kläger bereits in einem anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat. Hierzu wird das Berufungsgericht den Sachverhalt weiter aufzuklären und sodann auf dieser neuen Tatsachengrundlage der Rechtsfrage nachzugehen haben, ob der Bescheid auf anderer Rechtsgrundlage aufrechterhalten oder umgedeutet werden kann" (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Februar 2015 - 1 B 2.15 -, juris, Rn. 8).

Daraus ist nur der Schluss zu ziehen, dass ein Asylantrag, der auf der Grundlage des § 27a AsylVfG abgelehnt worden ist, nicht grundsätzlich in einen Bescheid nach § 71a AsylVfG umgedeutet werden kann, sondern über diese Möglichkeit erst entschieden werden kann, wenn die Tatsachengrundlage des jeweiligen Einzelfalls geklärt ist. [...]