VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 06.03.2015 - 3 K 344/14 - asyl.net: M22924
https://www.asyl.net/rsdb/M22924
Leitsatz:

Zum Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit und Erwerb der Staatsangehörigkeit Eritreas sowie der Situation Äthiopier eritreischer oder gemischt äthisopisch-eritreischer Abstammung in Äthiopien.

Schlagwörter: Äthiopien, äthiopische Staatsangehörigkeit, Staatsangehörigkeit, Staatsangehörigkeitsrecht, Eritrea, eritreische Staatsangehörigkeit, Erwerb der Staatsangehörigkeit, Verlust der Staatsangehörigkeit, Unabhängigkeit, Unabhängigkeitsreferendum, eritreische Abstammung, Einreiseverweigerung, Aussperrung, Ausgrenzung,
Normen: AsylVfG § 3, AsylVfG § 3 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Gemessen an diesen Grundsätzen befindet sich der Kläger nicht aus berechtigter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Herkunftslandes Äthiopien (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 2 a AsylVfG).

Zur Überzeugung des Gerichts besitzt der Kläger die äthiopische Staatsangehörigkeit (vgl. dazu, dass dabei auf die freie richterliche Beweiswürdigung abzustellen ist und es nicht ausschließlich auf die Vorlage entsprechender Papiere dieses Staates ankommt, BVerwG, Urteil vom 08.02.2005 - 1 C 29/03 -, juris).

Die Frage, welche Staatsangehörigkeit eine Person innehat, bestimmt sich nach dem Staatsangehörigkeitsrecht des in Frage kommenden Staates, denn Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit werden grundsätzlich durch innerstaatliche Rechtsvorschriften geregelt.

Der im Oktober 1990 geborene Kläger, der von 1992 bis 1999 in Addis Abeba gelebt und dort auch die Schule besucht hat, hat die äthiopische Staatsangehörigkeit inne (Institut für Afrika-Kunde vom 15.07.2003 an das VG Aachen ("Bis Mai 1993 galten alle Eritreer als äthiopische Staatsangehörige.")). Diese hat er auch nicht verloren und eine eritreische Staatsangehörigkeit erworben. In Eritrea hat er seinen eigenen Angaben beim Bundesamt nach nie gelebt. Er selbst geht davon aus, dass niemand wisse, ob er Eritreer sei. Die Annahme seiner eritreischen Staatsangehörigkeit stützt der Kläger allein darauf, dass seine Mutter, die seit dem Jahre 1990 nie mehr in Eritrea gelebt hat, Eritreerin sei (vgl. S. 2 des Anhörungsprotokolls = Bl. 45 der Verwaltungsunterlagen der Beklagten; da nach dem Institut für Afrika-Kunde vom 15.07.2003 an das VG Aachen bis Mai 1993 alle Eritreer als äthiopische Staatsangehörige galten, ist davon auszugehen, dass auch die Mutter des Klägers vor dem Hintergrund seiner Schilderungen äthiopische Staatsangehörige ist.). Damit sind ein Verlust der ursprünglichen äthiopischen Staatsangehörigkeit und ein Erwerb der Staatsangehörigkeit Eritreas nicht nachgewiesen. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Mit Blick auf eine eritreische Staatsangehörigkeit waren für die äthiopischen Behörden seinerzeit Fragen von Bedeutung wie die, ob die betreffende Person am eritreischen Unabhängigkeitsreferendum vom 24. Mai 1993 teilgenommen hatte - was der Kläger schon aufgrund seines Alters nicht getan hat - oder ob sie Geldzahlungen an den eritreischen Staat erbracht oder diesen sonst unterstützt hatte - was der Kläger für seine Person ebenfalls nicht vorgetragen hat. Im Übrigen wurden nach dem Unabhängigkeitsreferendum in Äthiopien residierende Personen eritreischer Abstammung durch den äthiopischen Staat weiterhin als äthiopischen Staatsangehörige angesehen, einschließlich der Personen, die Inhaber eritreischer ID-Karten und damit Doppelstaatler wurden (vgl. hierzu nur VG Düsseldorf, Urteil vom 23.05.2013 - 6 K 357/13.A - m.w.N., juris).

Soweit der äthiopische Staat ab 1998 im Zuge der gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Eritrea und der Deportationen eritreischstämmiger Personen dorthin davon ausging, Personen mit eritreischer Abstammung hätten ihre äthiopische Staatsbürgerschaft aufgegeben, betraf dies in der Regel diejenigen Personen, die eine eritreische ID-Karte zur Teilnahme am Unabhängigkeitsreferendum im Jahre 1993 erworben hatten. Dies ist bei dem Kläger nicht der Fall. Diese Rechtsauffassung wird in Ergänzung des äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 23. Dezember 2003 durch die Direktiven zur Bestimmung des Aufenthaltsstatus von Eritreern in Äthiopien ("Directives issued to determine the residence status of Eritreans living in Ethiopia 2004") - in Kraft seit 16. Januar 2004 – bestätigt. Darin wird Personen, die sich - wie der in Äthiopien aufgewachsene Kläger - nicht für die Annahme der eritreischen Staatsangehörigkeit entschieden haben, ein Anspruch auf die äthiopische Staatsangehörigkeit garantiert (Ziffer 4.2). Berücksichtigt man, dass diese Direktiven in der Folgezeit grundsätzlich fair umgesetzt wurden und die überwiegende Zahl der in Äthiopien verbliebenen Personen mit eritreischer Herkunft tatsächlich als äthiopische Staatsbürger anerkannt wurden bzw. die äthiopische Staatsangehörigkeit wiedererlangen konnten, hat sich die Situation für Äthiopier eritreischer oder gemischt äthiopisch-eritreischer Abstammung entschärft (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Februar 2010 - 8 A 72/08.A - unter Hinweis auf Schweizerische Flüchtlingshilfe, Äthiopien: Eritreische Herkunft, vom 11. Mai 2009, S. 3, und Update: Aktuelle Entwicklungen bis Juni 2009, vom 11. Juni 2009, S. 17, sowie die Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 16. Juni 2009 und des Instituts für Afrika-Studien (GIGA) vom 13. August 2009, jeweils an das VG Sigmaringen).

Der Kläger unterliegt in Äthiopien keiner flüchtlingsrelevanten Bedrohung. Eine solche ist seinem Vortrag nicht zu entnehmen, wie sich aus den insoweit zutreffenden Ausführungen des Bundesamtes in dem angefochtenen Bescheid ergibt, auf die gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG verwiesen wird. Eine solche liegt auch aufgrund einer zu befürchtenden Einreiseverweigerung durch die äthiopischen Auslandsvertretungen nicht vor. Zwar können nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts "Aussperrungen" und "Ausgrenzungen" in Gestalt von Rückkehrverweigerungen politische Verfolgung darstellen, wenn sie wegen asylerheblicher Merkmale des Betroffenen erfolgen wie etwa der Rasse, der Religion, der Nationalität oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Urteile vom 12. Februar 1985 - 9 C 45.84 - und vom 15. Oktober 1985 - 9 C 30.85 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nrn. 30 und 39;). Die Annahme, dass Staatsangehörigen ein Recht auf Wiedereinreise tatsächlich verwehrt wird, setzt jedoch überdies die Feststellung voraus, dass sich die Betroffenen nachweislich ernsthaft und erfolglos um die Wiedererlangung der verweigerten Rechte bemüht haben. Werden solche zumutbaren Bemühungen unterlassen, fehlt es an der erforderlichen Schwere der Rechtsverletzung (BVerwG, Urteil vom 26. Februar 2009 - 10 C 50.07 -, BVerwGE 133, 203, juris).

Solche Bemühungen sind hier nicht erkennbar. Dass sie von vorne herein aussichtslos und daher unzumutbar wären, kann ebenfalls nicht festgestellt werden. So geht das Institut für Afrika-Studien davon aus, dass Personen eritreischer Abstammung, die ihre Staatsangehörigkeit während der Kriegsjahre nicht verloren haben, Pässe für eine Rückkehr nach Äthiopien ausgestellt werden (Institut für Afrika-Studien (GIGA) vom 13. August 2009, S. 2.vgl. auch VG München, Urteil vom 17. Juli 2012 - M 12 K 12.30374 -, juris.). Im Falle des Klägers spricht vieles dafür, dass er in Äthiopien registriert ist. Da er in Addis Adeba aufgewachsen ist und dort die Schule besucht hat, dürfte ein entsprechender Eintrag des Klägers im dortigen Familienregister noch vorhanden sein. Dass der Kläger nicht in der Lage wäre, erforderliche Identitätsdokumente über Beauftragte in Äthiopien zu beschaffen, ist im Übrigen nicht ersichtlich. [...]