OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 04.03.2015 - 9 LA 10/14 - asyl.net: M22930
https://www.asyl.net/rsdb/M22930
Leitsatz:

Ob die Zugehörigkeit zur Gruppe der Minderjährigen und zur religiösen Minderheit der Hindus in Afghanistan für sich genommen oder in ihrer Verbindung die Annahme einer Gefahrenlage rechtfertigt, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK führt, ist eine zu klärende Tatsachenfrage.

Schlagwörter: Hindu, Afghanistan, minderjährig, unmenschliche Behandlung, erniedrigende Behandlung, Berufungszulassung, Kind, Kinder, Diskriminierung, religiöse Minderheit,
Normen: EMRK Art. 3, AufenthG § 60 Abs. 2, AsylVfG § 4, AsylVfG § 4 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Hiervon ausgehend bedarf es der Klärung in einem Berufungsverfahren, ob minderjährige Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Hindus im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan der Gefahr ausgesetzt sind, im Sinne des § 60 Abs. 2 AufenthG in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden:

Die im vom Kläger vorgelegten Update der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 30. September 2013 beschriebene tief besorgniserregende Situation von Kindern in Afghanistan wird durch das Update vom 5. Oktober 2014, den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 31. März 2014, den "Fortschrittsbericht Afghanistan 2014" der Bundesregierung von November 2014, die "Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan" des United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) vom 6. August 2013 und den "Afghanistan Annual Report 2014" der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) von Februar 2015 bestätigt und hat den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu der Annahme veranlasst, dass die derzeitigen schlechten humanitären Bedingungen in Afghanistan bezogen auf Familien mit minderjährigen Kindern im Allgemeinen eine Gefahrenlage darstellen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK führt (BayVGH, Urteile vom 21. November 2014 - 13a B 14.30285 - AuAS 2015, 43 und - 13a B 14.30284 - juris).

Die darüber hinaus nach dem vorgelegten Update der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 30. September 2013 in Afghanistan bestehende Diskriminierung von Hindus, die von der afghanischen Regierung nicht vor Übergriffen geschützt werden, wird im aktuellen Update vom 5. Oktober 2014, im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 31. März 2014, in den "Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan" des UNHCR vom 6. August 2013 und im "2013 Report an International Religious Freedom - Afghanistan" des United States Department of State vom 28. Juli 2014 bestätigt und wirkt sich danach unter anderem bereits bei Kindern in erheblicher Weise auf deren Ausübung des Rechts auf Bildung aus. Auch die Beklagte hält die Bewertung der Situation rückkehrender Angehöriger der religiösen Minderheit der Hindus nach Afghanistan für klärungsbedürftig.

Ob die Zugehörigkeit zur Gruppe der Minderjährigen und zur religiösen Minderheit der Hindus in Afghanistan für sich genommen oder in ihrer Verbindung die Annahme einer Gefahrenlage rechtfertigt, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK führt, ist im Berufungsverfahren zu klären.

Demgegenüber ist der Zulassungsantrag mangels fristgerechter Darlegung von Gründen als unzulässig zu verwerfen, soweit er sich auch gegen die Versagung nationalen Abschiebungsschutzes (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) richtet. Insoweit fehlt es an der Darlegung von Gründen innerhalb der nach § 78 Abs. 4 Sätze 1 und 4 AsylVfG geltenden Monatsfrist, auf die der Kläger in der Rechtsbehelfsbelehrung des angefochtenen Urteils hingewiesen worden ist. Das angefochtene Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 13. Dezember 2013 zugestellt worden. Die Frist zur Begründung des Zulassungsantrags ist mithin am 13. Januar 2014 abgelaufen. Die Ausführungen zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Schriftsatz vom 25. November 2014 können daher nicht berücksichtigt werden. [...]